Rückblick auf #atnox

Spät ist es geworden nach einem eindrucksvollen Konzertabend am 25.5. in St. Martin Nienburg mit dem Titel #atnox- zur Nacht. Beim Verlassen der Kirche der Blick erstmal in den Nachthimmel, wie schon viele Male zuvor, doch nun mit geschärfter, neuer Wahrnehmung nach dieser „musikalisch kosmischen Reise“.

Facettenreich beleuchtet der Komponist Christian Scheel, Kantor an St. Martin, in seiner 2021 uraufgeführten Kantate #atnox die Faszination am Weltall. Auf dem Weg zu seiner Komposition hat Scheel sich nun intensiv, aus unterschiedlichsten Blickwinkeln, der Thematik genähert. Da sind Texte von der Antike bis zur Gegenwart aus Philosophie, Theologie, Politik und Raumfahrt, die die existenziellen Fragen des Woher und Wohin berühren. Naturwissenschaftlich- technische Aspekte kommen hinzu. Wie rasant neue Erkenntnisse und Entdeckungen hier geradezu explodieren, zeigt die aufsehenerregende erste Aufnahme eines „schwarzen Lochs“ im Jahr 2022, also nach Vollendung der Komposition. Finanzierbar ohne das Kräftemessen der Supermächte im Weltraum?

Scheel nimmt die Zuhörer mit auf diese Erkenntnissuche, indem er dem Konzert den Vortrag des Astrophysikers Marlin Schäfer, Doktorand am Albert-Einstein-Institut-Hannover, voranstellt. Er macht die unfassbaren Dimensionen des Universums unterhaltsam und dennoch ehrfürchtig staunend deutlich. In einem anschließenden Podiumsgespräch zwischen Wissenschaftker und Komponist werden Unterschiede und auch Gemeinsamkeiten der wissenschaftlichen und künstlerisch-musischen Herangehensweise an die Thematik deutlich. Die Moderatorin Angelika Riegel klammert dabei  nicht die theologisch durchaus komplizierte Frage nach der Vereinbarkeit von „Himmel“, Wissenschaft und Glaube aus. Eine Frage, die auch in der Komposition gestellt, aber bewusst offen gelassen wird.

#atnox ist formal als 6-sätzige Kantate angelegt, ein gemischter Solistenchor sowie der Bassist Janno Scheller gestalten und strukturieren  inhaltlich die Komposition mittels chorisch oder solistisch gesungener Textzitate von Lukrez über Kopernikus, Einstein und Voltaire bis hin zu eingeworfenen astronomischen Fachbegriffen („Hubble’s Constant“).

Die instrumentale Besetzung ist mit Harfe, Saxophon, zwei Perkussionisten mit umfangreichem Schlagwerk sowie der Orgel kammermusikalisch klein. Hier variiert Scheel zwischen äußerst zarten, fragilen Klängen, interessanten ganz eigenen Kombinationen, kann aber mit Orgel und Schlagwerk auch monumentale, kraftvoll-wuchtige, aggressive Stimmungen erzeugen. Harfe und Glockenspiel lassen fast traditionell akustische Sternenbilder glitzern, dann aber wieder kombiniert mit „spacigen“ Klängen des digitalen „ContinuuMini“. Im zweiten Satz zeigen sich aber die künstlerischen Möglichkeiten dieses Instrumentes durch eine faszinierende Solokadenz, grandios musiziert durch Christian Windhorst.

Die sechs Sätze der Kantate sind entsprechend der Inhalte musikalisch extrem unterschiedlich ausgeleuchtet. Kompositorisch erschließt sich manches dem Zuhörer nicht automatisch, einige Details werden aber im Podiumsgespräch kurz vorgestellt wie die Idee, mit einem Handytimer zu arbeiten, um sich vom traditionellen Taktmaß zu lösen. Manche musikalischen Gebilde, die unbekannte Räume eröffnen, machen in  ihrer Fremdartigkeit und formalen Unbestimmtheit den Zugang für das Publikum nicht immer leicht.und fordern gelegentlich Geduld.

Umso deutlicher bleibt die choralartige Vertonung des titelgebenden Textes von Lukrez #At nox obruit“ im Ohr hängen. Ein kleines Ensemble junger Sängerinnen aus dem Chor der Albert-Schweitzer-Schule unterstützte hier mit eigener stimmlicher Klangfarbe den leuchtenden und innigen Charakter  dieser Passage.

Ganz entscheidend für die Gesamtwirkung dieses Abends war die Lichtkunst Michael Suhrs, der sich mit seiner Technik und viel Kreativität einfühlsam eingebracht hat.

Musikalische Qualität auf sehr hohem Niveau gilt für alle Musikerinnen und Musiker, sowohl solistisch als auch im Zusammenspiel zeigt sich eine Spielfreude und Begeisterung an der Sache. Scheels Komposition verlangt allen einiges ab. Mit seinem Dirigat führt er das Ensemble mal fordernd, mal zurückhaltend, immer sicher auch durch experimentelle Klänge und diffizile Rhythmen. Das Publikum teilt diese Begeisterung- anhaltender und dankbarer Applaus!

Das Konzert war Teil der erstmaligen Weserfestspiele und wurde maßgeblich gefödert durch die Stiftung der Sparlasse und der Landeskirche Hannovers.