2020
Liebe Gemeinde, der für den heutigen Sonntag vorgesehene Predigttext ist sehr bekannt. Es ist die Geschichte von Zachäus. Und doch lese, deute ich sie nach den Nachrichten der letzten Tage ganz anders als zuvor. Ich lese zunächst aus Lukas 19.
Biblischer Text: Lk 19,1-10
1 Und Jesus ging nach Jericho hinein und zog hindurch. 2 Und siehe, da war ein Mann mit Namen Zachäus, der war ein Oberer der Zöllner und war reich. 3 Und er begehrte, Jesus zu sehen, wer er wäre, und konnte es nicht wegen der Menge; denn er war klein von Gestalt. 4 Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn zu sehen; denn dort sollte er durchkommen. 5 Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: Zachäus, steig eilend herunter; denn ich muss heute in deinem Haus einkehren. 6 Und er stieg eilend herunter und nahm ihn auf mit Freuden. 7 Da sie das sahen, murrten sie alle und sprachen: Bei einem Sünder ist er eingekehrt. 8 Zachäus aber trat herzu und sprach zu dem Herrn: Siehe, Herr, die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen, und wenn ich jemanden betrogen habe, so gebe ich es vierfach zurück. 9 Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist ein Sohn Abrahams. 10 Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Zachäus
Mit weicher Kleidung, festen Schuhen und klimpernden Münzen in der Tasche kommt er daher. Zachäus. Er gehört zu den Oberzöllnern, zu denen, die mehr verlangen, als sie dürfen. Also zur ganz miesen Sorte.
Er ist kein kleiner Angestellter. So wie Levi, der alles an seinem Zolltisch liegen lässt und Jesus nachfolgt. Levis Kleidung ist grau und rauh, und Schuhe hat er keine. Wenn er des Weges kommt, hört man kein Klimpern. Levi hat nicht viel zu verlieren.
Anders Zachäus. Warum interessiert sich so ein Reicher für einen mittellosen Wanderprediger, der Bonze für den Hippie? Jesu Sprüche lauten: „Selig seid ihr Armen. Selig seid ihr, die ihr jetzt hungert.“ Ein Zachäus kommt in Jesu Predigten nicht vor.
Und doch: „Er sucht Jesus zu sehen, wer er sei“, so heißt es wörtlich übersetzt. Der Kapitalist ist auf der Suche. Nach Sinn?
Vielleicht ist er doch kein so schlechter Kerl, wie man denkt. Reich heißt doch nicht gleich böse. Und die Preise so hoch wie möglich treiben – nun ja, das machen alle. Heute nennt man das Marktwirtschaft. Zachäus spielt das Spiel, das alle spielen. Er hält mit den anderen mit.
Aber vielleicht gefällt ihm das Spiel nicht. Vielleicht plagt ihn das schlechte Gewissen. Vielleicht sieht er ganz genau, dass Levi und so viele andere keine weiche Kleidung haben, keine Schuhe und keine Münzen, die klimpern. Bestimmt ist ihm klar, dass er mit dafür verantwortlich ist. Kann es nicht sogar sein, dass er ausbrechen will aus dem Kreislauf des Unrechts, in dem er gefangen ist? Wieso sollte er sonst einen Systemkritiker wie Jesus näher kennenlernen wollen?
Die Menge lässt Zachäus nicht durch. Von geringem Wuchs hat er keine Chance, er kann nichts erkennen. Doch er gibt nicht so schnell klein bei. Die Sehnsucht treibt Zachäus voran. Er läuft voraus und klettert auf einen Baum.
Eigentlich eine witzige Szene. Ich stelle mir vor, dass man damals gekichert hat, wenn diese Stelle in der Gemeinde vorgelesen wurde.
Aber Zachäus stört kein Kichern. Was andere denken, als er in den Baum klettert, ist dem feinen Herrn ganz egal. Die kleine Gestalt, das unwürdige Sitzen im Baum – das zeigt, dass wer auf großem Fuß lebt, eben auch nur ein kleiner Wicht ist.
Und dann kommt Jesus und sieht ihn.
Gesehen werden
Liebe Gemeinde, ich glaube, mindestens die Hälfte der Konflikte auf dieser Welt entstehen, weil Menschen das Gefühl haben, nicht gesehen zu werden. Ihre Leistungen werden nicht anerkannt, ihre Bemühungen nicht gewürdigt. Sie denken, niemand will etwas von ihnen wissen. Sie seien in den Augen anderer nichts wert. Das ist in der Familie so, in der Schulklasse und am Arbeitsplatz. Und auch in der Weltpolitik ist es nicht anders.
Wen interessiert schon das Schicksal der Geflüchteten auf Lesbos, solange es einem selbst gut geht?
Gabriel Abbas Kleider sind angesengt vom großen Brand des Camps. Seine Schuhe sind schon seit seiner Flucht aus seiner Heimat, dem Sudan, kaputt. Geld, das klimpern könnte, hat er keins mehr. Hoffnung auch nicht.
Er liegt unter einer alten Olivenplane, die ihn und seine drei Freunde vor der Sonne schützen. Zwei Männer teilen sich eine Flasche Wasser.
Ein neues Lager soll gebaut werden, für 3.000 Menschen. Es sind aber über 12.000 Flüchtlinge auf der griechischen Insel ohne Obdach. Die Einheimischen haben Angst und blockieren den Bau. „Die Griechen wollen uns hier nicht sehen“, sagt Abbas, „und die anderen Europäer schauen weg.“
Jesus sieht hin. Er sieht Zachäus auf dem Baum. Jesus sieht ihn nicht, wie die anderen ihn sehen. Er macht keinen Unterschied zwischen reich und arm. Er sieht mehr, er sieht den Menschen, er sieht in sein Herz. Er entdeckt die Sehnsucht des Reichen, die kein Geld stillen kann. Und die Ängste. Jesus fordert nichts von Zachäus. Aber er geht auf ihn zu, was sonst keiner tut. Er ist bei ihm zu Gast, hört ihm zu.
Zachäus steigt aus
Zachäus verlässt seinen Zuschauerposten. Er tritt sozusagen aus der Bank heraus. Und er lässt Jesus hinein in sein Haus, in sein Leben. Und Jesu Botschaft in sein Herz.
„Zachäus aber tritt vor den Herrn“, lese ich. Mit seinen weichen Kleidern und den festen Schuhen. Aber jetzt - klimpern keine Münzen mehr in seiner Tasche. Denn er legt alles Geld nun auf den Tisch. „Hier, das geht an die Armen. Und denen, den ich es unrechtmäßig abgenommen habe, gebe ich es vierfach zurück.“
Zachäus steigt aus, aus dem Kreislauf des Nur-An-Sich-Denkens, des immer weiter Anhäufens von Geld und Gut. Als Gott in seinem Haus einkehrt, da braucht er all den Kram nicht mehr. Als Jesus ihn sieht, beginnt er auch die anderen zu sehen, die Armen, die, die er betrogen hat. Er begreift seine Verantwortung.
Geht das wirklich? Aussteigen? Kann man mit weniger leben zugunsten anderer? Ja, ich kann es, sagt Zachäus. Wie befreit wirkt er auf mich.
Naja, vielleicht war damals zu Jesu Zeiten alles auch ein wenig einfacher als heute?!
Zachäus-Steuer
Liebe Gemeinde, Menschen wie Gabriel Abbas und seine Freunde fliehen vor Bürgerkrieg und Hunger. Natürlich reicht es nicht, Geflüchteten zu helfen. Vielmehr müssen Fluchtursachen bekämpft werden. Manche Ursache liegt im Land selbst begründet: Korrupte Politiker, sich bekämpfende Ethnien, lange Dürrezeiten uam.
Manche Fluchtursachen haben durchaus etwas mit uns Europäerinnen und den Nordamerikanern zu tun.
Haben Sie schon mal von der „Zachäussteuer“ gehört?
Christinnen und Christen aus der weltweiten Ökumene, aus dem Norden und Süden der Erde, Wirtschaftsexpertinnen und Ethiker haben eine neue Finanz- und Wirtschaftsarchitektur entwickelt. Und im vergangenen Jahr haben sie sie den Vereinten Nationen vorgestellt. Die Idee einer „Zachäussteuer“ ist ein Baustein darin: Für die Folgen von Kolonialismus und Sklavenhandel soll Schadensersatz geleistet werden. Von jeder Million Euro Vermögen soll 1% Vermögenssteuer an die Bekämpfung der Armut gehen. Transnationale Unternehmen, die ihren Sitz in Europa oder Nordamerika haben und von den Ressourcen aus dem Süden profitieren, sollen daran gehindert werden, Steuern zu hinterziehen. Und anderes mehr.
Und ich?
Meine Kleidung ist weich. Ich trage feste Schuhe. Und in meinen Taschen klimpert das Geld, das anderen fehlt. Ich bin Teil eines ungerechten Wirtschaftssystems. Und ich komme nicht raus aus der Falle, aus der strukturellen Schuld. Ich möchte gerne die Perspektive wechseln und hänge doch an dem, was ich habe. Ich möchte die andere sehen, die nicht so gut leben können. Ich habe Sehnsucht nach Lösungen, wie viele besser leben können. Ich möchte mich befreien lassen vom Drang nach „immer mehr“.
Ja, vielleicht ist es heute komplizierter als damals. Aber das darf kein Totschlagargument sein.
Auch heute gilt: Christus sieht mich. Das macht mich frei. Das lässt mich heraustreten aus der Bank und andere wahrnehmen. Die ohne weiche Kleidung und feste Schuhe. Die fast unhörbar laufen. Die Christus genauso sieht wie er mich sieht.
Und der Friede Gottes, der so viel höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Festgemeinde!
Damals waren es 12. Jünger wurden sie genannt. Trugen Namen wie Petrus und Johannes, Thomas und Bartholomäus, Matthias und Jakobus...
Für jeden von ihnen steht derzeit ein besonderer Stuhl in der Kirche. Aber wir haben die Ausstellung „Die 12“ etwas zur Seite geräumt. Heute soll man Euch gut sehen können.
Über die 12 hinaus gab es viele Jüngerinnen. Sie hießen Phoebe und Junia, Susana und Maria Magdalena.
Ihr wart 25. Konfirmandinnen und Konfirmanden wurdet Ihr genannt. Elf von Euch konfirmieren wir heute. Ihr habt Namen wie Roberta und Emily und Jolina, Julius und Jörn. Ihr habt Namen wie Nele und Julia und Clara, Marvin und Finn und Vincent.
Mit den Jüngerinnen und Jüngern von damals verbindet Euch mehr als ihr denkt. Ihr musstet Euer Zuhause nicht verlassen, um mit uns umherzuziehen. Aber Ihr kamt treu jeden zweiten Freitag und dazu an manchen Samstagen zum Konfi-Unterricht. Ihr habt Fragen gestellt wie Johannes und Jakobus. Ihr habt Bekenntnisse gesprochen wie Petrus und Zweifel geäußert wie Thomas.
Wie die Jünger haben wir oft zusammen gegessen, am Ende unserer Treffen. Wir mussten uns doch erst einmal kennenlernen und zusammenraufen. Das war bei Jesus und seinen Freunden auch nicht anders.
So bunt gemischt wie die Truppe es damals war, wart auch ihr. Ihr kamt aus St. Michael oder St. Martin, wohnt von der Kattriede bis zum Nordertor an den verschiedenen Enden Nienburgs.
Und ganz unterschiedliche Charaktere seid Ihr: Da gibt es die Leisen und die Nachdenklichen, die Lustigen und die viel lachen, die viel fragten und die schon viel wussten, die lieber für sich waren und die, die mit allen gut klar kamen. Eine jede unverwechselbar.
Auch wir waren zusammen unterwegs. Nicht so viel wie Jesus, zugegeben. Wir haben die Herberge zur Heimat und die Wohnwege kennengelernt. Und bei Fundus haben wir hinter die Kulissen geschaut. Wir haben Stolpersteine besucht und geputzt. Wir haben die deportierten jüdischen Einwohner kennengelernt, für die sie stehen. Und wir haben ihrer gedacht.
An einem anderen Tag waren wir auf dem Friedhof und beim Bestatter und haben die Arbeit des Hospizvereins kennengelernt.
Der Glitzerstaub, den wir für unsere Ewigkeitskisten verwendet haben, wird vermutlich noch ein paar Jahre lang in so manchen Ritzen im Gemeindehaus zu finden sein. Er wird uns an Euch erinnern.
Jesus half seinen Jüngern die heilige Schrift zu verstehen. Ihr musstet zu Beginn aus einem Bibelescaperoom herausfinden. Dann haben wir so einige Bibeltexte gelesen und diskutiert. Ich denke an die Schöpfungsgeschichte und Texte zur Totenauferstehung und zum Abendmahl.
Das Abendmahl war Thema auf der Konfi-Freizeit! Wir waren mit Scherben kreativ und haben Szenen einstudiert, wir haben gesungen und gebetet und einen Gottesdienst vorbereitet. Und wenn wir in Hanstedt mal nicht gearbeitet haben, saßen wir am Feuer, warfen Zettel hinein und rösteten Brot. Wir waren auf Nachtwanderung und wir waren Paddeln. Doch der Höhepunkt war der „Schlag den Teamer“-Abend. Wisst Ihr noch?
Der Abendmahlsgottesdienst, den wir sonst immer am Abend vor der Konfirmation feiern, fiel leider Corona zum Opfer. Deshalb fiel auch das Kochen für die Paten und Euer Vorstellungsgottesdienst aus. Das war sehr schade, denn den hattet Ihr so gut vorbereitet. Um „Himmel und Hölle“ sollte es dabei gehen.
Was zum Glück noch stattfinden konnte, waren die Praktika. Ihr kennt nun Eure Gemeinden ganz gut. Denn Ihr habt mitgearbeitet beim Kirchenkaffee wie bei der Tafel. Ihr seid mit der Pastorin zu Seniorenbesuchen gegangen, wart im Gospelchor und im Kindergarten, im Kreisjugenddienst, bei der Jungschar und beim Kindergottesdienst. Und 25mal seid Ihr zum Gottesdienst oder zum Friedensgebet gekommen.
Und jetzt, wo das alles vorbei ist - wie geht es weiter? Nach Eurer Konfirmation. Die eine und der andere überlegt, Teamer zu werden. Vielleicht kommt Ihr auch zu bestimmten Gottesdiensten und Veranstaltungen wieder. Oder Ihr nehmt Angebote des Jugenddienstes wahr.
Wie geht es weiter, jetzt wo alles vorbei ist? Das haben sich auch die Jüngerinnen und Jünger gefragt. Damals, als Jesus am Kreuz starb. Kehrt jeder in seinen Alltag zurück, als sei nichts gewesen? Bleiben sie alle beisammen oder gehen sie in kleinen Grüppchen weiter auf dem Weg Jesu?
Diese Entscheidung stand für die Jünger an. Und sie steht nun für Euch an.
Nachher werdet Ihr auf die Frage, ob ihr im Glauben an Jesus bleiben wollt, „Ja, mit Gottes Hilfe“ sagen. Das ist dann das Ende Eurer Konfirmandenzeit und der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Es ist der Anfang Eures selbständigen Jüngerinseins.
Selbstständig heißt frei in der Gestaltung. Es heißt nicht einsam und allein. Die Jünger Jesu waren damals auch nicht allein unterwegs, sondern immer zu zweit oder zu zwölft oder zu noch mehr. Wir laden euch ein: Seit weiter mit uns unterwegs, in St. Martin und St. Michael. Wir freuen uns auf euch. Und wir sind einige mehr als 12, Frauen und Männer, Jung und alt und ganz viel dazwischen.
Ihr bekommt heute ein Kreuz von uns. Als Zeichen der Erinnerung an Euer Ja. Als Zeichen der Erinnerung an den, dem Ihr nachfolgt: Jesus Christus, der am Kreuz für uns starb. Der auferstanden ist vom Tod, damit wir ewig leben. Wer dieses Kreuz trägt, zeigt: Ich bin eine Jüngerin, ein Jünger Jesu und Teil der weltweiten Gemeinschaft der Christen.
Und was bedeutet das, ein Jünger zu sein? Die Geschichte von der Sturmstillung aus der LEsung vorhin zeigt es. Wer mit Jesus unterwegs ist, der bleibt zwar nicht von Unglück und Gefahr verschont. Der hat durchaus schon mal das Gefühl: Jesus schläft und bekommt nichts mit. Aber wenn Du ihn anrufst, dann ist er für Dich da. Dann hilft er Dir und stillt den Sturm. Du kannst ihm vertrauen!
Denn Christus hat uns versprochen: „Wo zwei oder drei“ - oder auch 12 oder 25 – „in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ Und im Taufbefehl hat Jesus gesagt: „Ich bin alle Tage bei euch, Roberta, Emily, Jolina, Julius, Jörn, Nele, Julia, Clara, Marvin, Finn, Vincent, bis ans Ende der Welt.“ Amen.
Liebe Gemeinde!
Lindolfo Weingärtner, ein deutsch-brasilianischer Pfarrer, erzählt in einem seiner Bücher folgende kleine Begebenheit:
Ich stehe vor der Theke im Bäckerladen. Eine Dame vor mir wird bedient. „Soll es nur ein Stück Brot sein, Dona Sandra?“, fragt die Verkäuferin. „Ein Brot? Wo denken Sie hin! Sie kennen doch meine vier Rangen! Bin ich denn Jesus Christus, dass ich fähig sein soll, mit einem Brot hungernde Massen sattzukriegen? Drei müssen es schon sein!“
Während die Verkäuferin die Brote einwickelt, sagt sie nachdenklich: „Es ist unglaublich, doch wenn ich daran denke, wie viele Mütter hier täglich nur ein Brot kaufen – für vier Kinder oder auch für sechs – dann bin ich mir sicher, dass Jesus Christus doch seine Hand im Spiel haben muss, sonst würden sie nicht satt!“
Mir liegt schon der Einwurf auf der Zunge: „Ja, und er sieht es gerne, wenn wir unsere Hände auch mit ins Spiel bringen.“ Doch dann sage ich es nicht. Die Verkäuferin hat alles gesagt. Nur ich weiß es zufällig: Dass sie ihre Hand im Spiel hat, und mancher armen Frau heimlich ein Brot mehr in die Tasche steckt. Mein Kommentar hätte Jesu Brotwunder nur verdunkelt.
Liebe Gemeinde, ich lese das so genannte Speisungswunder, auf das die Dame in der Bäckerei anspielt, wie es der Evangelist Johannes aufgeschrieben hat. Predigttext für heute wäre eigentlich die parallele Geschichte in Markus 8 mit 4.000 Hungrigen. Aber Johannes hat ein entscheidendes Detail mehr in seiner Version. Also, nun Johannes 6:
„Jesus fuhr über den See von Galiläa, der auch See Tiberias heißt. Und es folgten ihm eine große Menge Menschen, weil sie seine Wunder an den Kranken gesehen hatten.
Jesus stieg auf einen Berg und setzte sich dort mit seinen Jüngern. Es war kurz vor dem jüdischen Passafest. Jesus sah auf und sah die Menschenmenge auf sich zukommen. Er wandte sich an Philippus: Wo können wir Brot kaufen, damit alle diese Leute zu essen bekommen? Das sagte er, um Philippus auf die Probe zu stellen; er selbst wusste schon, was er tun würde.
Philippus antwortete: Zweihundert Silbergroschen wären nicht genug, um so viel zu kaufen, dass jeder auch nur einen Brocken abbekommt.
Andreas, ein anderer Jünger, der Bruder von Simon Petrus, sagte: „Hier ist ein Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische. Aber was ist das schon bei so einer Menschenmenge?“
„Sorgt dafür, dass die Leute sich setzen“, sagte Jesus. Es gab viel Gras an dem Ort. Sie setzten sich; ungefähr fünftausend Männer waren da. Jesus nahm die Brote, sprach darüber das Dankgebet und verteilte sie an die Menge. Mit den Fischen tat er dasselbe, - und alle hatten reichlich zu essen!
Als sie satt waren, sagte er zu seinen Jüngern: „Sammelt die Brotreste auf, damit nichts verdirbt.“ Sie taten es und füllten zwölf Körbe mit den Resten. So viel war von den fünf Gerstenbroten übriggeblieben.
Als die Leute das Wunder sahen, das Jesus vollbracht hatte, sagten sie: „Das ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll!“
Jesus merkte, dass sie drauf und dran waren, ihn mit Gewalt zum König zu machen. Deshalb zog er sich wieder auf den Berg zurück, ganz für sich allein.“
Ich mag diese Geschichte sehr. Ich habe sie, als ich noch unterrichtet habe, auch immer gerne im Religionsunterricht durchgenommen. Die Grundschüler bezweifelten nie, dass sie wahr sei. Aber sie suchten stets nach einer vernünftigen Erklärung für das Wunder. Und irgendwann kamen sie dann immer darauf, dass vielleicht viele von den 5.000 Männern selbst etwas zu essen dabeihatten und es untereinander teilten. Die bis heute populärste Deutung des Speisungswunders.
Aber ich habe meine Zweifel daran: Nehmen wir mal für einen Augenblick an, 2.500 von den 5.000 hätten tatsächlich etwas dabeigehabt, oder auch nur 2.000, oder meinetwegen nur 1.500. Warum kommt dann keiner früher auf die Idee, sein Picknick rauszuholen? Die anderen Evangelisten erzählen, wie Jesus predigt und heilt und es darüber Abend wird. Stunden sind vergangen, es wird dunkel, aber keiner holt sein Vesper raus?
Zudem scheint Jesus davon auszugehen, dass keiner etwas mitgenommen hat. Es war also wohl nicht üblich. Wenn es üblich gewesen wäre, immer etwas dabei zu haben, dann wüsste Jesus das doch. Schließlich ist er von Berufs wegen, als Wanderprediger, ständig für Stunden unterwegs, weitab der Zivilisation.
Und wenn es nicht üblich war, aber doch ein paar wenige Männer ausnahmsweise und zufällig etwas dabeigehabt hätten, dann erklärte das wiederum nicht, dass alle satt wurden und es zwölf Körbe voll Reste gab.
Vielleicht ist es gar nicht wichtig, zu verstehen, wie alle satt wurden. So oder so hat Jesus doch ein Wunder vollbracht. Ob er das Brot vermehrte oder Fremde motivierte, zu einer Gemeinschaft zu werden, die miteinander teilt – wer vermag zu sagen, was das größere Wunder wäre?
Ich nehme übrigens an, dass es wirklich nur Männer waren. Erstens hatten die Frauen damals schon keine Zeit, sich den halben Tag ins Gras zu setzen und einem unangemeldet vorbeikommenden Wanderprediger zuzuhören. Zum anderen hätte sich das Problem mit dem Keinen-Proviant-dabei-Haben mit Frauen überhaupt nicht ergeben! Deshalb betonen die Evangelisten hier: Es waren 5.000 Männer!
Ich weiß natürlich: Gezählt und genannt wurden damals nur die Männer. Wie viele Frauen und Kinder außerdem dabei warn, weiß man nicht.
Tatsächlich ist es dann ein Kind, das die Ausnahme ist. Ein Junge hat etwas dabei und gibt Jesus alles, was er hat: Fünf Brote und zwei Fische. Auf diese Idee, 5.000 hungrigen Männern lächerliche fünf Brote und zwei Fische vorzusetzen, kann auch nur ein Kind kommen! Wie naiv und unrealistisch!
Das erinnert mich an folgende Szene, die ich einmal – ich weiß nicht mehr wo – gelesen habe: Ein Paar sitzt abends sorgenvoll in der Küche, rechnet hin und her. Doch das Geld reicht vorne und hinten nicht. Die beiden wissen einfach nicht mehr, wovon sie die Miete und genug zu essen für ihre Kinder bezahlen sollen. Eins ihrer Kinder hat das Gespräch unabsichtlich mitbekommen, läuft in sein Zimmer und schlachtet sein Sparschwein. Es bringt all seine mühsam gesparten Münzen und legt sie vor den Eltern auf den Küchentisch. Denn es will ihre Not lindern und helfen.
Ja, das mag naiv sein. Vielleicht, liebe Gemeinde, hat der Junge in unserer biblischen Geschichte aber außer Essen auch noch etwas anderes, was sonst keiner hat: Nämlich Vertrauen in Jesus, dass dieser aus dem bescheidenen Beitrag etwas machen kann. Der Knabe hat eins verstanden: „Ich habe etwas, was hier gebraucht wird. Jesus braucht meinen Einsatz, meine Gaben! Ich bin aufgefordert, sie ihm zur Verfügung zu stellen.“ Und das tut er! In Jesu Hände legt er, was er hat. Und letztlich geht die große Hoffnung dieses kleinen Menschen auf…
Ja, ich glaube, das Kind ist fest davon überzeugt, dass es mit dem wenigen, was es zu bieten hat, einen Unterschied machen kann. To make a difference, wie die Amerikaner gerne sagen.
Bestimmt hat es sich zunächst an den Jünger Andreas gewandt, denn an Jesus kam man nicht so einfach ran als kleiner Junge. Und Andreas lässt ihn zunächst abblitzen, schickt ihn weg. Vielleicht wortlos mit einer abwinkenden Handbewegung nur. Vielleicht mit einem freundlichen „Lass gut sein, das hilft uns nicht wirklich weiter“. Aber der Knabe bleibt hartnäckig. Obwohl er damit seinen eigenen Proviant für vermutlich zwei Tage weggibt. Keine Kleinigkeit für ihn, sondern ein echtes Opfer.
Mich wundert ja, dass Andreas sich schließlich erweichen lässt, Jesus doch zu informieren. Vielleicht geschah es ja mehr im Scherz: „Stellt euch vor, da ist so ein Junge, der meint, er könnte etwas mit fünf Broten und zwei Fischen ausrichten. Fünf Brote und zwei Fische für 5.000 Mann, stellt Euch das mal vor! Wie lächerlich!“
Aber Jesus lacht nicht. Er nimmt die geringen Gaben ernst und dankbar an. Und aus Jesu Hand ist es dann auch genug für alle. Wie auch immer. Die Menschen werden satt!
Liebe Gemeinde, ich lerne von jenem Kind: Es gilt zunächst die Not der Vielen, die hungern, wahrzunehmen und sich nicht egal sein zu lassen.
Die Not derer, die im wörtlichen Sinne nicht genug zu essen haben.
Die Not derer, die ihre Heimat verlassen mussten, um weiterleben zu können.
Die Not derer, deren wirtschaftliche Existenz durch die Pandemie bedroht ist.
Die Not derer, die in Krieg und Angst leben, nicht nur in Berg Karabach.
Und die Not derer, die alles haben und sicher leben – und dennoch eine Leere in sich verspüren.
Christus will sie alle satt machen! Aber er braucht unsere Gaben, unsere Hände, unseren Einsatz und unsere Zeit dafür.
Es geht uns doch oft so: Wir meinen, dass wir zu wenig Ressourcen haben, um ein Problem zu lösen: Die Zahl der Mitglieder und Ehrenamtlichen gehen allerorten zurück, nicht nur in den Kirchengemeinden. Und auch die Finanzen sind nicht mehr so üppig, wie sie mal waren.
Die Frage ist: Wie damit umgehen? Wie Philippus ausrechnen, was es bräuchte und dann angesichts der Zahlen resignieren?
Nein! Wir können das Wenige an Kraft und Zeit, an Ideen und an Geld, was uns zur Verfügung steht, zuversichtlich investieren und getrost in Jesu Hände legen. Auch wenn es naiv erscheint. Wir können darauf vertrauen, dass Er gewiss Großes daraus entstehen lässt. Wie viele tolle Initiativen, ja, ganze Hilfswerke haben ganz klein angefangen, weil einzelne ihre wenigen Ressourcen eingesetzt haben!
Kindliche Hoffnung gegen alle Realität. So handeln die Kinder Gottes!
Neben Geld ist für viele Menschen Zeit die wichtigste Ressource, an der es ständig hapert. Für sie hat der vor anderthalb Jahren verstorbene Dichter
Lothar Zenetti eine großartige Aktualisierung unserer Geschichte geschrieben, aus der ich nun zum Schluss einen Ausschnitt lese. Sie trägt den Titel „Die wundersame Zeitvermehrung“.
Die Jünger fordern Jesus auf: „Herr, schicke diese Leute fort. Es ist schon spät, sie haben keine Zeit.
„Gebt ihnen doch davon“, so sagte er, „gebt ihnen doch von eurer Zeit!“
„Wir haben selber keine“, fanden sie, „und was wir haben, dieses wenige, wie soll das reichen für so viele?“
Doch war da einer unter ihnen, der hatte wohl noch fünf Termine frei, mehr nicht, zur Not dazu zwei Viertelstunden.
Und Jesus nahm, mit einem Lächeln, die fünf Termine, die sie hatten, die beiden Viertelstunden in die Hand. Er blickte auf zum Himmel, sprach das Dankgebet und Lob. Dann ließ er austeilen die kostbare Zeit, durch seine Jünger an die vielen Menschen. Und siehe da: Es reichte nun das wenige für alle. Am Ende füllten sie sogar zwölf Tage voll mit dem, was übrig war an Zeit.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unser Verstehen, bewahre unser Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Gottesdienst zur Begrüßung der neuen Konfis. 1.11.2020
Hanna ist in den meisten Fächern eine mittelmäßige Schülerin. Sie kann eigentlich nichts besonders gut. Sie ist mäßig sportlich, durchschnittlich musikalisch, und Kunst ist nicht ihr Ding. Der Fluch der Mittelmäßigkeit. Hanna leidet darunter.
Sie wäre gerne wenigstens in einer Sache herausragend. Wie Sarah, die so gut Geige spielt, dass sie einen Streicherwettbewerb auf Regionalebene gewonnen hat. Oder wie Tom, der super Basketball spielt. Seine Mannschaft spielt schon auf Landesebene.
Sie wäre gerne wenigstens besonders hübsch oder hätte gerne reiche Eltern! Aber nein, an ihrem Leben ist alles durchschnittlich. Urlaube in exotische Länder oder Ausflüge zu Freizeitparks? Fehlanzeige.
Hanna weiß, sie kann eigentlich zufrieden sein. Sie hat zwei liebe Freundinnen, Leonie und Annika, Eltern, die sie lieben, eine kleine Schwester, mit der sich versteht - naja, meistens -, und einen Großvater - den liebt sie sehr.
Nur in der Schule, da ist sie nicht so beliebt. Nie hat man sie für die Wahl der Klassensprecherin vorgeschlagen. Und wenn im Sport die Mannschaften gewählt werden, dann bleibt sie immer bis fast zuletzt sitzen.
Hanna wäre gern etwas Besonderes!
Hanna ist Konfirmandin. Sie geht manchmal sonntags zur Kirche. Sie geht eigentlich recht gerne, die Leute dort sind immer nett zu ihr. Der Kindergottesdienst, in den sie viele Jahre gegangen ist, hat Spaß gemacht.
Manchmal findet sie, im Gottesdienst wird zu viel geredet. Sachen, die sie nicht versteht. Und die Musik gefällt ihr auch nicht immer. Warum spielt keine Band? Hanna freut sich auf ihre Konfirmation.
Ihre Klassenkameraden wissen, dass sie zur Kirche geht. Die Lehrerin hatte im Religionsunterricht gefragt. Da hat sie sich gemeldet. War wohl ein Fehler! Nun machen sich einige ständig über sie lustig: „Uh, da kommt unsere heilige Hanna.“
Dann wird sie rot, und weiß nicht, was sie sagen soll. Einmal hat sie gemurmelt: „Quatsch, ich muss dahin, meine Pastorin verlangt das.“ Und so wirklich sicher ist sie sich ja auch nicht, ob das alles so stimmt, dass Jesus vom Tod auferstanden ist und ob Gott wirklich immer bei ihr ist.
Oft liegt Hanna wach, schaut aus dem Fenster in den Sternenhimmel und fühlt sich so klein und unbedeutend. „Ich kann nichts, ich bin nichts“, denkt sie.
Was Hanna nicht weiß:
Ihre Eltern hatten sich lange sehnlichst ein Kind gewünscht, aber es klappte nicht. Als sie ihren Herzenswunsch schon aufgegeben hatten, kündigte sich Hanna an. Oft, wenn ihre Mutter Hanna anschaut, denkt sie: „Gott, ich bin Dir so dankbar für dieses wunderbare Geschenk!“
Was Hanna nicht weiß:
Ihre kleine Schwester sieht zu ihr auf und vertraut ihr wie niemandem anderen auf der Welt. Wenn sie nachts Angst hat, klettert sie zur großen Schwester ins Bett und schmiegt sich beruhigt an sie. Wenn sie traurig ist, erzählt sie es nur Hanna. Wie man sich anzieht oder eine Schleife macht – das alles hat ihr Hanna beigebracht.
Was Hanna nicht weiß:
Ihr Großvater war am Boden zerstört, als seine Frau starb. Seine Tochter und andere versuchten ihr Bestes, ihn aufzumuntern. Aber Hanna war die einzige, die ihm wirklich helfen konnte, mit dem Verlust zu leben. Obwohl sie damals noch klein war. Sie hat ihn umarmt und ins Ohr geflüstert: „Ich hab` Dich lieb.“ Und dann hat sie gefragt: „Spielen wir was?“ Und hat Karten für drei ausgeteilt. Und der Opa wusste ohne zu fragen: der dritte Stapel war für die Oma. Noch immer besucht ihn Hanna oft und umarmt ihn. Und vertraut ihm ihren Kummer an. Dann freut er sich, dass er ihr Vertrauter ist.
Und stolz ist er auf sie, weil sie in seinen Augen die Hübscheste ist und so viele Gaben hat. Wenn sie einmal nicht da ist, dann erzählt er jedem, der es wissen will - oder auch nicht wissen will -, von seiner wunderbaren großen Enkelin.
Was Hanna nicht weiß:
Ihre Freundin Leonie hat keine Geschwister. Mit der Mutter gibt es immer nur Streit. Was würde sie darum geben, eine Familie zu haben wie Hanna. Oft lädt Hanna sie zum Abendessen ein, wenn sie nachmittags zusammen waren. Das sind für Leonie die Höhepunkte der Woche.
Sie bewundert Hanna, weil sie so freundlich zu ihrer Familie ist und sie miteinander so viel lachen. Leonie selbst ist meistens schlecht gelaunt. Außer sie ist mit Hanna zusammen. Sie wäre am liebsten wie Hanna.
Was Hanna nicht weiß:
Das Ehepaar Marowski freut sich jeden Sonntag sie zu sehen. Sie machen sich schon seit Jahren Sorgen um ihre Gemeinde. Es gibt nicht viele Familien dort. Aber einmal hat sich Frau Marowski zu Beginn des Gottesdienstes zu ihrem Mann gebeugt und gesagt: „Weißt Du, so lange Hanna und die anderen Jugendlichen kommen, habe ich Hoffnung für unsere Kirche.“ Und nun muss Herr Marowski das immer denken, wenn er Hanna in der Kirche sieht.
Was Hanna nicht weiß:
Da ist einer, der hat sie genau so gewollt und so gemacht, wie sie ist. Mit all ihren kleinen Gaben und den großen, die sie nicht sieht. Mit all den Fähigkeiten, die sie noch entwickeln wird. Und Er sah, dass es gut war. Da ist Einer, der hat Großes mit ihr vor. Er hat sie berufen, wichtige Aufgaben zu erfüllen!
Und das Beste ist: Sie ist schon dabei, sie zu erfüllen! Aber sie weiß es nicht. Und Gott, ihr Schöpfer, sieht ihr Herz an. Er weiß, dass sie sich schwach und klein fühlt. Doch Gott ist schon kräftig durch sie am Werk!
Jeden Morgen, wenn sie aufwacht, dann schaut Er ihr begeistert mit Liebe ins Gesicht. Und sie meint, es seien die ersten Sonnenstrahlen, in die ihre Augen blinzeln.
„Schaut doch euch selbst an, Brüder und Schwestern! Wen hat Gott denn da berufen? Es gibt ja nicht viele unter euch, die nach menschlichen Maßstäben klug oder einflussreich sind oder aus einer angesehenen Familie stammen.
Gott hat sich vielmehr in der Welt die Einfältigen und Machtlosen ausgesucht, um die Klugen und Mächtigen zu demütigen. Er hat sich die Geringen und Verachteten ausgesucht, die nichts gelten, denn er wollte die zu nichts machen, die in der Welt etwas sind.
Niemand soll sich vor Gott rühmen können. Euch aber hat Gott zur Gemeinschaft mit Jesus Christus berufen. Mit ihm hat er uns alles geschenkt: Er ist unsere Weisheit – die wahre Weisheit, die von Gott kommt. Durch ihn können wir vor Gott als gerecht bestehen. Durch ihn hat Gott uns zu seinem heiligen Volk gemacht und uns von unserer Schuld befreit.
Es sollte so kommen, wie es in den Heiligen Schriften steht: Wer sich mit etwas rühmen will, soll sich mit dem rühmen, was Gott getan hat.“
1.Kor 1,26 bis 31
Und der Friede Gottes, der so viel höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Gottesdienstt an Volkstrauertag. 15.11.2020
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
So war es oft: Ich saß in meinem Zimmer. Und nebenan in der Küche werkelte meine Mutter. Töpfe klapperten, Schranktüren gingen auf und zu. Und ich hörte sie singen, mit ihrer warmen hellen Stimme. Choräle, neuere geistliche Lieder und Volkslieder. Eine ganz und gar friedliche Stimmung herrschte in diesen Momenten in unserer Wohnung. Und ich fühlte mich einfach zuhause, sicher und geborgen.
„Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen.“ Ich mag diesen ersten Vers unseres Predigt- und Lesungstextes: Die Freude ist so groß, dass sogar die Füße der Boten als schön gepriesen, ja, besungen werden! Geradewegs aus dem Exil in Babylon kommen sie angerannt, die Kuriere. Und ihre Botschaft lautet: „Gott hat gesiegt. Das Exil ist vorbei, alle sind frei!“
Aber noch bevor man ihre gute Nachricht hören kann, haben es die Wächter aus der Ferne an den Füßen, an der Art des Laufens erkannt: Da naht eine Freudenbotschaft.
Und die Späher auf den halbzerstörten Zinnen rufen es den gespannt Wartenden in der Stadt zu. Denen, die zwischen den Trümmern hausen, den Erschöpften und Ausgelaugten in Jerusalem.
Ja, vor ihrem inneren Auge sehen sie Gott schon geradezu selbst einziehen in die Stadt, in einer prachtvollen Prozession.
Oh, wie da erst gesungen wird! Lauthals und aus purer Freude und Erleichterung! Lieder, die vom Frieden singen.
Wie anders kann man unbändige Freude ausdrücken als mit Liedern? Endlich würden Alt und Jung sich wieder zuhause, sicher und geborgen fühlen können in Jerusalem.
Liebe Gemeinde, im August diesen Jahres erschien folgende Pressemeldung: Unter dem Titel „100 Friedenslieder“ ist in diesem Monat ein umfangreiches Liederbuch erschienen, herausgegeben von der Ökumenischen Friedens-Dekade. Anlass für das Buch ist das 40-jährige Jubiläum der Friedens-Dekade. Im Jahr 1980 wurde von christlichen Gruppen in Ost und West die erste zehntägige Friedens-Dekade durchgeführt. Sie stand unter dem Motto „Frieden schaffen ohne Waffen“.
Also wirklich, ein neues Liederbuch in einer Zeit herauszubringen, in der wir in den Kirchen nicht singen dürfen und Chorproben kaum stattfinden, das hat mich irritiert. Hätte man sich zum 40. Geburtstag nicht auch etwas anderes einfallen lassen können?
Allerdings – wie kann man besser seine Freude über 75 Jahre Frieden in unserm Land ausdrücken als in fröhlichen Dankesliedern? Und wie kann man besser dazu ermutigen, sich weiter für Frieden überall auf der Welt zu engagieren – als mit Gerechtigkeit fordernden Friedensliedern?
Ich denke zurück an die 80er Jahre. Ich war Jugendliche und bekam die Friedensbewegung durchaus mit. Da wurde überall gesungen: bei Blockaden vor dem Atomwaffenstützpunkt in Mutlangen wie bei Demos vorm Atommüllendlager Gorleben, und dann während der friedlichen Revolution in der DDR 1989! Die Protestierenden sangen evangelische Friedenslieder. Schließlich waren die Montagsdemonstrationen in Leipzig aus Friedensgebeten heraus entstanden.
30 Jahre Wiedervereinigung haben wir im Oktober gefeiert. 40 Jahre Friedensdekade feiern wir heute. Und die Esten - 30 Jahre Unabhängigkeit von der Sowjetunion.
Man nannte sie die „singende Revolution“. Sie begann in Estland im Juni 1988. Nachts trafen sich ein paar Tausende an der Sängerbühne der Hauptstadt Tallinn, um Lieder für die Unabhängigkeit zu singen. Im September waren es dann 300.000 Esten, die gemeinsam die verbotene alte Nationalhymne anstimmten. Und zu der Zeit hatte Estland 1,5 Millionen Einwohnern. Zwei Jahre später war Estland schließlich unabhängig!
Ich erinnere mich: Im Jahr 2000 war ich mit meinem Vikariatskurs in Estland auf Studienfahrt. Wir besuchten in Narva an der russischen Grenzen die Alexanderkirche. Ein riesiger achteckiger Kuppelbau. Nach seiner Zerstörung im 2. WK hatte man 1990 zwar mit dem Wiederaufbau begonnen. Doch 10 Jahre später war der Kirchbau nachwievor dunkel, kaputt und trostlos. Als wir so bedrückt unter der Kuppel der Kirche standen, stimmte ein Kollege spontan einen Kanon an. Nach und nach stimmten alle von uns ein.
Die Akustik war atemberaubend. Wir waren nur eine Hand voll, doch die Musik erfüllte den ganzen Raum. Es klang überirdisch. Selten haben mich Lieder so ergriffen wie diese. Die Erinnerung jagt mir heute noch einen Schauer über den Rücken!
Welch ein Gegensatz: dieser traurige, von Krieg und Untergang gezeichnete Ort, und unsere Lieder. Wie ein Protest.
Ja, wie ein Versprechen: Die Musik erfüllte den Raum mit Frieden und Hoffnung. Wir erinnerten den bröckelnden Putz und die glaslosen Fenster an Gottes bleibende Verheißung: „Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Narvas; denn Gott hat sein Volk getröstet und Narva erlöst. Gott hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes.“ Unsere Lieder ließen an diesem Ort der Zerstörung neues Leben erklingen.
In den Folgejahren ging die lutherische Kirchengemeinde an den Renovierungskosten bankrott. Die Kirche musste wegen Baufälligkeit gesperrt werden. Doch vor wenigen Jahren hat der Staat sie gekauft, restauriert sie und nutzt sie als Konzertsaal. Und eine neue, kleine Gemeinde hat sich gegründet und mietet die Alexanderkirche für Gottesdienste.
Endlich, 75 Jahre nach ihrer Zerstörung erklingt die Freudenbotschaft wieder in der Kuppel von dem Gott, der Gedanken des Friedens für uns hat, und nicht des Leides.
Lange hat das gedauert. Und ich frage mich, wann „die Freudenboten, die da Frieden verkündigen“ in Belarus und Syrien ankommen können, wann sie nach Nigeria und Somalia laufen, wann die Wächter auf den Zinnen sie in Burkina Faso und im Südsudan erspähen. Wann wird endlich von Trost und Erlösung in Afghanistan und Venezuela die Rede sein? Wann hören Kinder und Jugendliche im Kongo und in Jemen, in Berg-Karabach und Myanmar ihre Mütter und Väter fröhlich singen und können sich geborgen und sicher fühlen?
Liebe Gemeinde, wir können im Moment nicht miteinander singen und werden uns schmerzlich bewusst, was uns fehlt. Wir können es jetzt nur allein und in der Familie zuhause tun. Aber irgendwann nächstes Jahr, da lassen Sie uns wieder singen – Friedenslieder über Friedenslieder, aus Freude über dann 76 Jahre Frieden bei uns. Und als Bitte und Gebet, dass Frieden möge werden in aller Welt.
Ich habe das Jubiläumsbuch der Friedensdekade in Vorfreude darauf schon mal bestellt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
„Der frühere Himmel und die frühere Erde waren vergangen. Auch das Meer gab es nicht mehr.“ Das Leben, wie es einmal war, ist vergangen. Der Alltag und der Festtag, das Zuhause-Sein und der Urlaub. Alles ist jetzt anders - ohne ihn und ohne sie. Ohne den Ehepartner, die Mutter, den Vater, den Bruder, die Schwester, ohne Opa, Oma.
„Der frühere Himmel und die frühere Erde waren vergangen. Auch das Meer gab es nicht mehr.“ So wie noch letztes Jahr ist unser aller Leben längst nicht mehr. Corona krempelt es gründlich um. Uns fehlt es, unbeschwert einzukaufen, Freunde zu treffen und Geburtstage in der weiteren Familie zu feiern. Theater und Kino mussten schließen, der Adventszauber ist abgesagt. Und zur Nordsee kann man gerade auch nicht.
„Der frühere Himmel und die frühere Erde waren vergangen. Auch das Meer gab es nicht mehr,“ schrieb Johannes. „Denn längst war das Leben seiner Freunde und Bekannten, das Leben der Gemeinden in Kleinasien ein anderes geworden: Voller Angst. Voller Trauer. Gefährdet. Viele Christen wurden um da Jahr 95 nach Christi Geburt vom römischen Kaiser verfolgt.
Und er, Johannes, konnte ihnen nicht beistehen. Denn er saß im Exil, auf der Insel Patmos gefangen, weit weg. Das Einzige, was er tun konnte, war: Gott seine Verzweiflung und Gebete entgegen zu schleudern. Und zu hören, was Gott zu ihm sagt.
Johannes hörte und sah einiges, was Gott ihm flüsterte. Verstörendes wie Ermutigendes. Auf jeden Fall behielt er die göttlichen Botschaften nicht für sich. Gott selbst hatte ihn auch aufgefordert: „Schreibe die Worte auf, die du eben gehört hast! Denn sie sind wahr und zuverlässig.“
Also schrieb Johannes Briefe. Trostbriefe an die Menschen, die ihm wichtig waren. „Die Offenbarung des Johannes“ nennen wir sie heute. Das letzte Buch der Bibel.
Er schrieb: „Der frühere Himmel und die frühere Erde waren vergangen. Auch das Meer gab es nicht mehr.“
Aber Johannes war ein Prophet. Er sah auch Neues. Und das macht ihm Mut.
Mit folgenden Worten versucht Johannes zu erklären, was er neu entdeckt hat: „Seht, die Wohnung Gottes ist jetzt bei den Menschen! Gott wird in ihrer Mitte wohnen; und er selbst, ihr Gott, wird immer bei ihnen sein.“
Ich wundere mich ja, dass Johannes im Brief nicht schreibt: „Gott wird in eurer Mitte wohnen.“ Aber vermutlich will er deutlich machen: Nicht nur für seine Gemeinden ist Gott da, sondern auch für ihre Nachbarn und die, die weiter weg leben, und die sie nicht kennen. Und auch für diejenigen, die die Johannesoffenbarung erst fast 2000 Jahre später lesen, gilt:
„Seht, die Wohnung Gottes ist jetzt bei den Menschen!“ Bei allen Menschen. Selbst bei denen im Krieg und auf der Flucht. Bei denen in Angst und Trauer. Ja, bei denen ganz besonders.
Gottes Wohnung, die hat keine Wände und kein Klingelschild. Sie hat auch keine Tür, die er zumachen könnte. Es ist - ein Zelt. Mal schlägt er es hier auf, mal in unseren Wohnzimmern oder auch draußen im Wald campt er gerne. Im Krankenhaus ist er zu finden und auf dem Friedhof. Immer dort, wo wir sind, dahin zieht er mit und da ist er zu finden, wenn du ihn suchst. Schlechtes Wetter gibt es für ihn nicht. Hauptsache, er ist bei seinen Menschen. Er lässt sie nicht im Stich.
Johannes schreibt weiter: „Er wird alle ihre Tränen abwischen.“
Tränen, liebe Gemeinde, haben Sie viele geweint in den vergangenen Monaten. Und das waren vielleicht nicht die letzten. Das Weihnachtsfest naht. Ohne den lieben Menschen, der nicht mehr lebt – wie wird das nur werden?
Und so vieles andere Schöne, Tröstliche ist dieses Jahr auch nicht möglich. Es ist zum Heulen! Wie sehr wünscht man sich da jemanden, der einen in den Arm nimmt und ein Taschentuch reicht.
Welch eine liebevolle Geste, wenn jemand mir gar die Tränen von den Wangen wischt. Welch eine Nähe. Derzeit unvorstellbar.
Gott ist uns nah. Campiert mit seinem Zelt überall in unserem Leben. So nah wie unser Ein- und Ausatmen ist er uns. Er gab uns unserem Lebensodem.
„Ich bin das A und das O, der Ursprung und das Ziel aller Dinge“, sagt Gott zu Johannes. „Schreib das auf. Denn diese Worte sind wahr und zuverlässig.“ Und dann sagt er noch: „Alles ist erfüllt.“
Gott ist das Ziel unseres Lebens, nicht das Ende wohlgemerkt. So wie unser Leben aus Gott kommt, so kehrt es zu ihm zurück.
Und Gott vollendet, was unerfüllt, unvollendet geblieben ist, was mitten drin abgebrochen wurde.
Ich habe das Bild eines Webrahmens vor mir. Ich weiß nicht, wie oft ich als Kind begonnen hatte, etwas zu weben. Ich kam nie so weit mit einem Werkstück, wie ich es gerne wollte. Irgendwann löste meine Lehrerin oder meine Mutter das Gewebte dann aus dem Webrahmen. Sie nahm die losen Enden und verknotete sie. Und am Ende sah das Gewebte immer wunderschön und vollendet aus, als sollte es genau so sein. Das wünsche ich mir für mein Leben, wenn ich einst das Ziel erreiche.
Johannes sieht weit mehr als ich und wohl die meisten von uns es sehen können. Er tröstet seine Briefadressaten und schreibt: „Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen, und es werden keine Angstschreie mehr zu hören sein.“ Kein Weinen und kein Klagen. „Alles ist erfüllt.“
Johannes sieht tiefer, er sieht die Wirklichkeit hinter der Realität. Er sieht die göttliche Wirklichkeit. Die, die genauso wirklich ist wie das, was wir auf Erden an Schmerz, Angst und Tod sehen und erleben.
Das alles kannte Johannes ja auch zu Genüge. Aber er entdeckt zugleich den Gott, der sein Zelt schon bei uns aufgeschlagen hat. Und der unsere Tränen trocknet, immer wieder neu. Der uns Menschen schickt mit so tröstlichen Gesten, die unglaublich guttun!
In dieser Wirklichkeit Gottes hinter oder unter oder in unserer Realität, da gibt es keinen Tod mehr und kein Leid. Dafür hat Christus gesorgt, mit seinem Sterben und Auferstehen.
„Es wird keinen Tod mehr geben, kein Leid und keine Schmerzen, und es werden keine Angstschreie mehr zu hören sein. Denn was früher war, das ist vergangen. Seht, ich mache alles neu,“ spricht Gott. Und Johannes kann es schon sehen. Mitten unter uns und gar nicht weit weg. Und er schreibt in seinem Trostbrief: „Danach sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde. Der frühere Himmel und die frühere Erde waren vergangen, auch das Meer gab es nicht mehr.“
Und der Friede Gottes, so höher ist als all unser Verstehen, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
Bibeltext in Anführungsstrichen: nach der Neuen Genfer Übersetzung von 20162
Nikolaus-Gottesdienst am 6.12.2020 in St. Martin
„8 Kerzen für den Nikolaus“
Sechs kleine Reden für den Bischof von Myra zu seinem Namenstag
Der 6. Dezember ist der Namenstag des Nikolaus. Und der Namenstag, der wurde gefeiert wie wir heute unsere Geburtstage feiern: mit Glückwünschen, mit Kerzen und vielleicht ein paar kleinen Reden, gutes Essen.
Und weil heute der Namenstag vom Nikolaus ist, und weil der Nikolaus uns jedes Jahr schöne Sachen schenkt, habe ich mir gedacht: Wir machen ihm heute auch mal eine Freude!
Also habe ich als Erstes Kerzen gekauft. Ganz spezielle Kerzen: Mit seinem Namen drauf. Also, pro Kerze ein Buchstabe, und zusammen ergeben sie seinen Namen. Bestimmt freut er sich, wenn wir seine eigenen Kerzen für ihn anzünden! Und dafür kann ich gleich Hilfe brauchen. Ihr Kinder dürft die Kerzen anzünden, immer ein Kind eine Kerze, nacheinander. Und zwischen dem Anzünden gibt es eine kleine Geburtstagsrede. Sechs kleine Reden, weil heute der 6. Dezember ist. Die sind wirklich ganz kurz.
Wer mag beginnen und die erste Kerze anzünden, die Kerze mit dem „N“?
Der Stall des Esels, das war Afrems Haus, haben wir gehört. Das Stroh war sein Bett. Lieber Nikolaus, deine Geschichte erinnert mich daran, dass viele Menschen auf der Welt auch heute noch arm sind. Sie haben kein richtiges Haus und müssen auf dem Boden schlafen.
Corona hat viele Menschen noch ärmer gemacht, weil sie keine Arbeit mehr haben und kein Geld verdienen.
Wie Jesus hast Du Nikolaus den Menschen in Not geholfen. Lass uns Dich zum Vorbild nehmen, dass auch wir anderen helfen.
Wer zündet die zweite Kerze an? „I“
Der Winter war schlimm, haben wir in der Geschichte gehört. So ohne Schuhe war es Afrem furchtbar kalt. Stellt Euch das vor, bei Schnee barfuß nach draußen… Wenn es bei uns im Winter sehr kalt wird, dann können die meisten von uns sich - Gott sei dank - warm anziehen und in der warmen Wohnung bleiben.
Mehr Sorgen macht mir im Moment die soziale Wetterlage. Neid und Rücksichtslosigkeit, Egoismus und Gleichgültigkeit lassen es bitterkalt werden zwischen uns. Das ist wohl jeder und jede einzelne gefragt, die Kältefront zu durchbrechen. Wir können es unserem Gegenüber warm ums Herz werden zu lassen. Vielleicht ist das - neben Abstand halten - in diesen Winter das Wichtigste. „Seid aber untereinander freundlich und herzlich“, fordert uns die Bibel auf. Auch zu Unbekannten.
Dritte Kerze: „K“
Nikolaus, Du lebtest weit weg von dem Dorf, in dem Afrem lebte. Dennoch hofften die Menschen auf Dich und Du kamst sie besuchen.
In diesem Jahr haben so viele Besuche nicht stattfinden können. Und an Weihnachten können die Familien auch nicht so zusammen feiern, wie sie es sonst tun. Aber ich bin froh, dass wir Telefon haben und Internet, dass es Skype und WhattsApp gibt und eine funktionierende Post. Und viele auch Ältere haben Smartphones und Computer. Auch über große Entfernungen hinweg können wir kommunizieren, uns sogar sehen, füreinander da sein. Dafür danke ich Gott!
Vierte Kerze: „O“
„Hilf mir, ich kann nicht mehr“, hast Du, Nikolaus, gerufen, als Afrem an Dir vorüberkam. Ich frage mich: Wann habe ich das letzte Mal zugegeben, dass ich Hilfe brauche? Nehme ich wahr, was mir fehlt? Traue ich mich das, als Erwachsene, jemanden zu bitten, mir zu helfen? Da finde ich stark, Nikolaus, dass Du auch um Hilfe bitten konntest. Das will ich von Dir heute lernen und von den Kindern, die können das. Ich muss auch als Erwachsene nicht immer stark sein.
Fünfte Kerze: „L“
Auf der Türschwelle standen plötzlich ein Paar Stiefel aus festem Leder, warm gefüttert. Genau das, was Afrem am meisten brauchte.
In diesen Wochen vor Weihnachten sind wir wohl alle dabei, Geschenke zu besorgen. Oft reicht die Zeit nicht, etwas selber zu machen. Manchmal fällt uns partout nicht ein, worüber die andere sich freuen würde. Schnell kauft man dann schon mal irgendwas, nur damit man nicht ohne Geschenk dasteht. Und dann steht das Geschenk nur rum und keiner freut sich darüber. Vielleicht wäre es ja eine gute Idee, stattdessen eine Spende zu verschenken. So nach dem Motto: "Ich schenke Dir zu Weihnachten, dass ich an Brot-für-die-Welt gespendet habe." Dadurch wird einem Menschen, der es wirklich braucht, geholfen. Und das macht dann gleich drei Menschen froh: die schenkende, die beschenkte Person und die Person, der durch die Spende geholfen wird. Und nichts steht herum.
Sechste Kerze: „A“
Was war denn so in Euren Schuhen? War etwas zu Essen darin? Mandarinen, Walnüsse und Schokolade – die hatte ich früher im Stiefel.
Ich muss an meine Mutter denken, die in einer Zeit Kind war, als selbst ein Apfel etwas Kostbares war. Orangen oder Feigen wie in unserer Geschichte gab es hier damals nicht. So geannntes Berliner Brot buk meine Großmutter selbst, einmal in der Adventszeit, das musste reichen. Um so köstlicher war das Gebäck dann, wenn es an einem Adventssonntag oder am Nikolaus auf den Tisch kam. Oh, und an Nikolaus gab es noch ein ganz besonderes Plätzchen: den Spekulatius.
Als meine Mutter klein war, konnte man nicht alles jeder Zeit kaufen. Und außerdem war vieles zu teuer. Vielleicht konnte man das Adventsgebäck deshalb noch mehr genießen und wertschätzen. Denn es war eine Kostbarkeit. Danke Nikolaus, für die Kostbarkeiten in unseren Stiefeln und auf unseren Tellern!
Amen.
Siebte Kerze: „U“, und achte Kerze: „S“
N I K O L A U S
Gutschein-Predigt zu Weihnachten 2020
Gott liebt Gutscheine! Und ich mag sie auch.
Fast alle Geschenke hatte ich schon, eins fehlte noch. Da kam der Lockdown. Ein Gutschein war die Lösung.
Man bekommt ihn auch noch kurzfristig, online. Wie praktisch! Man kann damit trotz Lockdown die heimischen Geschäfte und Unternehmen unterstützen. Und mit einem selbst gemachten Gutschein lassen sich Zeit und Erlebnisse verschenken.
Ich freue mich zum Beispiel, wenn mir meine Tochter schenkt, dass sie mit mir mein Lieblingsspiel spielt. Dass sie das Spiel selbst nicht besonders mag, macht das Geschenk umso wertvoller.
Das ist echte Liebe, wenn sich mein Geschenk am andern orientiert. Wenn ich ein Opfer bringe. Wenn ich mich quasi selbst verschenke, mich und meine Zeit.
Wie gesagt, ich mag Gutscheine!
Ist nicht ohnehin Zeit das Wertvollste, was wir uns gegenseitig schenken können? Zeit ist das eigentliche Gold in unseren Tagen. Zeit ist ein knappes Gut – nicht bei allen, aber bei vielen. Immer fehlt es an ihr. Nie reichen die Stunden aus: für die ganze Arbeit und für sich selbst, um sie mit denen zu verbringen, die man liebt.
Zeit ist etwas, was die meisten von uns an den Weihnachtsfeiertagen genug haben. Es ist, als drücke Gott an Weihnachten die Pause-Taste. Und der Lockdown wird diese Pause noch verlängern. Wer im Frühjahr seinen Keller noch nicht aufgeräumt hat, macht es vielleicht diesmal. Und da ist ja auch noch das angefangene Buch…
Zeit zu verschenken – das ist doch das Beste, was wir derzeit tun können! Stellen Sie sich vor: jede von uns nähme sich heute Abend Zeit und riefe in Ruhe jemanden an. Ja, auch morgen und übermorgen, aber besonders heute, am Heiligen Abend!
Wie großartig wäre das?! Jeder riefe jemanden an, der allein ist oder zu zweit einsam. Es muss kein Verwandter sein. Es kann auch die Mutter der Freundin oder ein ehemaliger Nachbar sein.
Wir würden uns gegenseitig unser Leid klagen, wie anders und beunruhigend alles in diesem Jahr ist. Vielleicht kämen wir auch auf das zu sprechen, wofür wir dankbar sind. Und wir stellten vermutlich fest: Uns geht es noch vergleichsweise gut.
Wir würden einander von unserer Sehnsucht erzählen. Wir würden miteinander lachen. Und vielleicht würden wir auch miteinander weinen über die Abschiede, die wir nehmen mussten, und all die geplatzten Vorhaben.
Wir könnten sogar einander die Weihnachtsgeschichte vorlesen und singen und musizieren, alles verbunden über Telefon oder Videotelefonie.
Wir würden uns gegenseitig Mut machen, „in dieser Nacht, in der wir Heimweh haben nach Tagen längst verklungener Zeit“. Und Pläne für ein Wiedersehen würden wir schmieden. Wir versprächen uns, bald wieder einmal anzurufen.
Und dann, wenn wir auflegten, wüssten wir: Wir sind nicht allein. Wir stehen zueinander. Deshalb können wir gemeinsam zuversichtlich in das neue Jahr gehen.
Und weil die Möglichkeit, sich bald impfen zu lassen, Hoffnung gibt. Die Zulassung des Impfstoffes kurz vor Weihnachten, das war wie ein Versprechen: Ein Ende der Pandemie ist in Aussicht! Aber noch müssen wir Geduld haben und sehr, sehr vorsichtig sein.
Ein Gutschein ist auch ein Versprechen. Er sagt: Da kommt noch was. Und er weckt Vor-Freude.
Ich weiß, ein Gutschein wird auch kritisch beäugt. Mancher meint, ein Gutschein sei gar kein reales Geschenk, sondern nur ein Stück Papier.
Er steht unter dem Generalverdacht, dass man am Ende doch nichts bekommt. Er kann verlorengehen, liegen bleiben, ungültig werden. Das Versprechen kann sich als leeres erweisen.
Die angeblichen Gutscheine, die auf meinem Tisch liegen, sind Mogelpackungen. Es sind bloß Coupons: Sie sind nur kurze Zeit gültig und geben bloß ein wenig Rabatt.
Aber ein echter Gutschein ist sehr wohl ein richtiges Geschenk. Der Schenkende hat ihn bezahlt. Oder er hat sich entschieden, seine Zeit einzusetzen. Es wird etwas übergeben. Als Beschenkte halte ich etwas in der Hand. Und das bürgt dafür: Da kommt noch was! Auf das kann ich mich freuen!
Weihnachten ist ein großer Gutschein. Und so viel mehr als ein Stück Papier!
Der Heiland ist geboren. Maria hält das Jesusbaby in ihren Händen. Es schreit, es macht in die Windeln. Gottes Liebe ist in Fleisch und Blut zur Welt gekommen. Realer geht es gar nicht.
Aber auch wenn der Heilsbringer schon da ist, leben wir noch in einer un-heilen Welt. Gott gibt in der Heiligen Nacht der Welt ein neues Versprechen. Die himmlischen Heerscharen posaunen es aus: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen.“
Das ist keine Ist-Beschreibung. Der besungene Frieden auf Erden, der steht noch aus. Der steht auf Gottes Gutschein.
Gott verheißt, dass Friede einzieht, wo Streit und Krieg herrscht.
Dass heil wird, was in die Brüche ging.
Dass wieder lebendig wird, was gestorben ist.
Das Kind, das all das verbürgt, ist geboren. Der Gutschein ist schon ausgefüllt und übergeben, in unseren Händen halten wir ihn. Unser Geschenk liegt schon unter dem Weihnachtsbaum, in der Krippe.
Doch warten wir noch darauf, dass der Gutschein eingelöst wird. Vertraut auf Gott. Er hält sein Versprechen. Amen.