Ewigkeitssonntag 2021
Liebe Gemeinde,
zweisam ist der Tod, nicht einsam. Gott ist da, bei dem Menschen, der stirbt.
Viele von Ihnen haben in den vergangenen Wochen und Monaten einen lieben Menschen verloren. Manchmal konnten Sie dabei sein, als er / als sie verstarb. Manchmal geschah es ganz plötzlich. Und nicht selten können Sterbende erst in dem Moment loslassen und gehen, wenn die Angehörigen gerade nicht im Raum sind.
Sie alle haben diese Ohnmacht erfahren: Nichts mehr tun zu können, nicht weiter begleiten zu können.
Doch einsam waren die Sterbenden nicht.
Zweisam ist der Tod, nicht einsam. Gott ist da, bei dem Menschen, der stirbt.
Gewiss, es gab und gibt Menschen, die ganz allein sind in den letzten Momenten ihres Lebens. Weil sie allein leben und die Familie weit weg ist. Oder weil sie keine Angehörigen mehr haben. Oder weil sie krankheitsbedingt isoliert werden mussten. Gerade Ende letzten Jahres und Anfang dieses Jahres war das wegen Covid-19 häufig der Fall. Im besten Falle waren wenigstens Pflegekräfte oder Seelsorgerinnen da, die die Sterbenden begleiten konnten. Allein, ohne Begleitung, sterben zu müssen ist furchtbar! Möge niemanden das geschehen.
Der Tod selbst ist zweisam für den, der glaubt. Nicht einsam. Denn Gott ist da. Wo das Sterben endet, wo die Grenze erreicht ist, an der wir Lebende nicht mehr weiter mitgehen können - genau da ist Gott.
Wir haben in der Lesung etwas über das Sterben und den Tod des Mose gehört. Auch dort ging es um diese Grenze. Sie wird mit einer Erzählung beschrieben.
Mose ist allein mit Gott. Ein letztes Gespräch zwischen den beiden. Mose steigt auf einen Berg und schaut in die Zukunft seines Volkes. Gott zeigt ihm, was auf die anderen wartet, auf die, die weiterleben. Doch Mose kann nicht weitergehen. Er hat seine Lebensgrenze erreicht. Unerwartet. Zwar war er schon sehr alt, aber nicht altersbedingt schwach und auch nicht krank gewesen.
Und ich kann mir vorstellen, dass es Mose wehmütig gemacht hat, das verheißene Land zu sehen und nicht mehr miterleben zu können. Sie hatten doch alle zusammen davon geträumt und sich ausgemalt, wie es sein würde, in diesem neuen Land, und Pläne hatten sie geschmiedet.
So wie auch Sie vielleicht noch manche gemeinsamen Pläne hatten. Ihr Mann / Ihre Frau, Ihre Mutter / Ihr Vater hatte noch etwas vor.
Das weite Land der Zukunft liegt zwar immer noch da, zu unseren Füßen. Aber es wirkt längst nicht mehr so einladend und bunt und sonnendurchflutet schön, wie es einmal war. Eher grau, im Nebel, als hinge ein Novemberschleier über allem.
Als Mose stirbt, begräbt ihn Gott selbst. So erzählt die Bibel. Und er hält den Ort geheim. Und die Israeliten beweinen ihn 30 Tage lang. Bis die Zeit des Weinens und Klagens über Mose vollendet ist.
Dann erst können sie weiter gehen. Aber, so heißt es danach auch noch: Mose war einzigartig, es gab nie wieder so jemanden wie ihn. Ein Vermissen, Wehmut, eine Lücke – das bleibt.
Die Zeit des Weinens und Klagens, die ist bei jeder und jedem unterschiedlich lang. Und auch danach bleibt ein Vermissen, Wehmut und eine Lücke. Oft lebenslang. Nur lernt man, damit zu leben.
Ich glaube, der christliche Glaube kann dabei helfen: die Hoffnung, dass der Tod zweisam ist, nicht einsam. Dass Gott den Sterbenden an seine Hand nimmt. So wie er es bei Mose tat.
Bei vielen Trauerfeiern haben wir das Lied „So nimm denn meine Hände, und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich“ gesungen oder – als singen nicht möglich war – gehört. In der letzten Strophe heißt es: „Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht. So nimm denn meine Hände, und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich.“
Ich mag das Lied sehr. Drückt es doch genau diese Hoffnung aus: Gott führt uns durch unser Leben, ist stets an unserer Seite. Und ich stelle mir das so vor: Wenn ich sterbe, wird es dunkel um mich herum und ich verlasse die Welt. Dann falle ich aber nicht ins Nichts. Vielmehr sehe ich ein Licht. Und dann ist da Jesus Christus selbst. Und er streckt seine Hand aus und ich ergreife sie. Er führt mich durch die Todesnacht hindurch auf die andere Seite, in ein anderes Land, in eine andere Welt. Dort ist es wunderschön und bunt und sonnendurchflutet, und Frieden herrscht, und es gibt keine Tränen mehr, kein Leid. Und ich sehe die wieder, die vor mir gegangen sind. Und wir sind wieder zusammen, auf ewig.
Ja, zweisam ist der Tod, nicht einsam. Gott ist da, bei dem Menschen, der stirbt. Und die, die verstorben sind, sind bei ihm.
Amen.
Christvesper 2021
Liebe Gemeinde, ich verrate Ihnen ein Geschenk. Ich habe es für meine Familie gekauft. Die muss sich jetzt entscheiden, ob sie sich die Ohren zuhält oder eben später eine Überraschung weniger haben wird.
Zu dem Geschenk muss ich aber erst etwas erklären: Also, wir bauen unsere Krippe immer erst am 24. auf. Und jedes Jahr, wenn wir María, Josef und das Kind, die drei Könige, Ochs und Esel und ca. ein halbes Dutzend Schafe aufstellen, fällt mir auf: Wir haben niemanden, der die Herde hütet!
Zu Beginn unseres Familienlebens hatte ich mir vorgenommen: jedes Jahr soll genau eine Krippenfigur dazukommen. Dann bekamen wir allerdings gleich mehrere Schafe auf einmal geschenkt. Und ich verlor den Überblick, in welchem Jahr ich hätte wieder anfangen müssen weiter zu sammeln.
Dieses Jahr brauchte ich die Krippe schon einmal für die Kita. Und als ich die ganzen Schafe auspackte, wusste ich wieder - ah, da war noch was zu tun. Und nun habe ich - endlich - einen Hirten gekauft! Hier ist er. Nun muss unser Engel nicht mehr nur zu den herrenlosen Schafen sprechen…. 2022 kaufe ich noch einen. Wenn ich daran denke.
„Denn es waren Hirten in derselben Gegend auf dem Felde bei den Herden, die hüteten des Nachts ihre Herde. Und des Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie; und sie fürchteten sich sehr. Und der Engel sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude.“
Und der Engel - schwieg erst einmal und machte eine Kunstpause. Er wollte die Spannung noch ein wenig steigern.
Die Hirten machten derweil große Augen. Und es brauchte nur Sekunden, da platzte es ungeduldig aus einem Hirten heraus: „Was ist es denn, worüber wir uns freuen werden? Bessere Arbeitszeiten?“
Ein anderer fiel ein: „Eine warme Hütte für den Nachtdienst?“
„Gefahrenzulage, Nachttarif und Urlaub?“, ergänzte hoffnungsfroh ein Dritter.
Und mit leiser Stimme fragte einer bescheiden: „Oder wenigstens zwei Feiertage?“
Also, vielleicht dachten sie das zumindest. Könnte ja sein.
Hätte der Engel etwas von diesen Wünschen der Hirten gemeint, er hätte sicher Jubel und große Freude ausgelöst.
Stattdessen setzte der Verkündigungsengel würdevoll fort: „Große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr in der Stadt Davids. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“
Liebe Gemeinde, das war schon ganz großes Kino - himmlische Heerscharen von Engeln, Gottes Klarheit, die um sie leuchtete, und dann diese große, universale Botschaft - ihnen, ein paar Hirten, exklusiv verkündigt…
Ich denke, den Hirten war durchaus klar, um wessen Geburt es da ging. Auch wenn der Engel es zur Sicherheit nochmal erklärt hatte. „Heiland, also, Christus, der Herr, in der Stadt Davids?!“
Der Heiland, das wusste jedes jüdische Kind: das ist der erwartete Retter, der Messias, der mit den römischen Besatzern kurzen Prozess machen, der endlich alles zum Guten wenden wird.
Tja, und da haben wir das Problem: „wird“ ist Zukunft. Der rettende Heiland ist nun da - Halleluja! Bloß: das Heil steckt noch in den Kinderschuhen. Oder?
Stellen Sie sich vor, wir hätten diesen Herbst eine neue Regierung gewählt, und dann hätte es geheißen: Wir haben einen neuen verheißungsvollen Kanzler gewählt. Der wird alle drängenden Probleme lösen. Nur, das mit dem Amtsantritt wird noch etwas dauern, denn er ist ein Säugling.
Keiner wäre an seine Wiege geeilt.
Also, mir hat noch nie eingeleuchtet, warum die Hirten sich so freuen und alles stehen und liegen lassen, um sofort nach „Bethlehem zu gehen und die Geschichte zu sehen, die da geschehen ist“. Was bringt es ihnen, das Baby in der Krippe zu sehen? Bis dieses Kind einmal ein ausgewachsener Messias und Heiland ist, sind die meisten von ihnen angesichts der durchschnittlichen Lebenserwartung damals schon tot.
Nun, liebe Gemeinde, natürlich kann ich mich auch über etwas freuen, was zwar nicht mir selbst, aber später einmal meinen Kindern und Kindeskindern zugutekommen wird.
Es ist beispielsweise unabdingbar, dass wir uns heute mit aller Kraft dafür einsetzen, dass unsere Erde für nachfolgende Generationen erhalten bleibt. Die Erderwärmung müssen wir jetzt geringhalten, damit ihre Folgen den Menschen nach uns nicht das Leben auf Erden zur Hölle machen. Und ich wäre sehr erleichtert zu hören, dass wir das geschafft hätten.
Trotzdem verstehe ich nicht: Warum lassen die Hirten noch in derselben Nacht alles stehen und liegen? „Und sie kamen eilend“. Was ist so aufregend an einem Baby, das erst einmal nur eine Verheißung ist, und kein ausgewachsenes Heil?
Was ist das dann für eine große Freude, die die Engel den Hirten verkündigen? Immerhin tun sie es mit gewissem Pomp und Gloria, und die Klarheit des Herrn leuchtete um sie. Und, sehen die Hirten klar?
Und was müsste das für eine Botschaft sein, die bei mir echte Freude auslöst?
Eine gute Botschaft, auf die warte ich tatsächlich. Die ersehne ich geradezu aus tiefstem Herzen. Das wäre die Nachricht, dass die Pandemie zu Ende ist, dass keiner mehr an dem Virus stirbt oder ins Krankenhaus muss. Dass die Auseinandersetzung um die Maßnahmen gegen die Ausbreitung von Corona nicht weiter unsere Gesellschaft spaltet. Dass Menschen weder bei uns in Nienburg noch sonstwo nachts Kirchentüren beschmieren.
Die gute Botschaft, auf die ich sehnlichst warte, ist das Ende der Pandemie.
Auf gute Botschaften warten - sehnen und bangen - das tun so viele.
Doch unsere Erwartungen und Gottes gute Nachrichten - die sind nicht immer deckungsgleich!
Manchmal aber schon. Manchmal erfüllt sich auf wundersame Weise das Ersehnte. Vorgestern las ich eine Sammlung tatsächlich geschehener Wunder, alle in diesem Jahr passiert. Drei davon will ich Ihnen nennen.
- Wolfgang Horna verliert in der Flutkatastrophe in Bad Neuenahr-Ahrweiler seinen Ehering. Schlammmassen zerstören das Erdgeschoss seines Hauses, Vorgarten, die Straße. Trotzdem findet er seinen Ring, der ihm viel bedeutet, Tage später beim Frischwasserzapfen auf der anderen Straßenseite im Schlamm steckend wieder.
- Jörn Krieger erhält eine lebensbedrohliche Diagnose und bereitet sich auf sein Sterben vor. Doch nach der OP stellt sich heraus, dass der angebliche, gefährliche Tumor nur ein gutartiger Gewebeklumpen war.
- Die achtjährige Julia verschwindet bei einer Familienwanderung im Oberpfälzer Wald und wird nach zwei Tagen allein im Wald von einem auf eigener Faust suchenden Förster auf tschechischer Seite unbeschadet gefunden.
Als ich all das las, kamen mir die Tränen aus Mit-Freude an diesen guten Botschaften Gottes.
Gott zeigte sich Wolfgang Horna, Jörn Krieger und Julias, davon bin ich überzeugt! Das sind drei Einzelschicksale… im Vergleich zur großen weiten Welt babyklein! Doch für die Betroffenen - überwältigend groß! Und sehr real.
In solchen Momenten sage ich: „Schaut, da war Gott am Werk.“ Und dort und dort ist er es auch. Ja, wir könnten es sehen: Gott ist in der Welt und lässt seine Gegenwart aufleuchten. Miniklein und doch ganz groß.
Wir könnten es sehen. Doch wir tun es nicht. Wir sagen: „Zufall“. Denn viel zu oft, da passen unsere Bitten und Hoffnungen und Gottes Antworten nicht zusammen. Da bleibt es dunkel, ohne gute Botschaft. Und das ist einfach nur furchtbar und zum Verzweifeln. Und wir sagen: „Schau, hier ist er nicht. Also ist er nicht.“
Aber anders als klein, liebe Gemeinde, anders als ein Baby in einer Krippe ist unser Gott nicht zu haben. Klein für die Welt. Und unverfügbar. Kaum zu finden im Dunkeln. Es sei denn…
Es sei denn, man sehnt sich nach ihm, erwartet ihn, glaubt Engeln, lässt Gottes Klarheit um sich leuchten, wo alles unklar ist.
Es sei denn, man wartet nicht ab, sondern sucht ihn. Auch, ja gerade mitten in der Nacht. Und findet ihn in den abgelegensten Orten, dort wo ihn keiner vermutet.
Dann, und nur dann finden wir Gott in Jesus Christus. Und entdecken: er ist real, hat ein Gesicht, ist ansprechbar, ist unser Gegenüber. In all den guten Botschaften, die uns Engel und Hirten und Wolfgang Horna, Jörn Krieger und Julias Familie erzählen. Und dann können wir sagen: Gott ist da. Wirklich da. Klein und doch ganz groß!!
Liebe Gemeinde, wie gut, dass wir jetzt diesen Hirten in unserer Krippe haben. Der mich antreibt, sofort loszugehen, Gott zu suchen, Gott im Kleinen zu finden und aus der Verheißung des Babys in der Krippe zu leben.
Und der Friede Gottes, der so viel höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Predigt für den 1. Weihnachtstag 2021 in St. Martin Nienburg
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.
Liebe Gemeinde!
„Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind.“ Als ich ein Kind war, da feierte ich Weihnachten wie ein Kind.
Mit viel Basteln, Flöte üben und Plätzchen backen davor im Advent. Und mit einer gehörigen Portion Vorfreude.
Am Heiligenabend mit Gottesdienst und Krippenspiel, mit Glöckchen und Staunen über den Weihnachtsbaum mit seinen roten Kugeln und Strohsternen und - anfangs noch - echten Kerzen. Ich sah ihn nie vor Heiligabend!
Mit einer überwältigenden Menge an Geschenken unterm Baum. Und immer war ein Schlafanzug dabei! Aber auch mit echten Überraschungen.
Mit selbst gebackenen Plätzchen, Nüssen, die man noch selber knacken musste, und - Gänsebraten. Und Großtante Else saß mit am Tisch.
„Als ich aber erwachsen wurde, tat ich ab, was kindlich war.“
Was ich als Berufstätige für Weihnachten nicht mehr schaffe, selbst herzustellen, besorge ich nun fertig. Was ich mir wünsche, kaufe ich mir gleich selbst. Die Geschenke werden weniger und liegen jetzt bequem auf dem Tisch. Wir essen vegetarisch, und die Nüsse gibt es jetzt ohne Schale. Eltern und Tanten wohnen weit weg.
„Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind“, schreibt Paulus im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth, Kap. 13. Vermutlich wusste der Apostel doch, wie sehr Jesus Kinder schätzte, ja, sie uns als Vorbild hinstellte. Denn Jesus zeigte einmal auf ein Kind inmitten seiner Jünger und sagte: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen. Wer wird wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich.“
„Als ich erwachsen wurde, tat ich ab, was kindlich war.“ Ich meinte, ich sei nun klüger, verantwortungsbewusster, vorsichtiger und geschickter als damals als Kind. Größer und stärker sowieso. Ich dachte, ich könnte alles, was ein Kind noch nicht kann. Stattdessen ging mir so manches verloren!
Denn als ich ein Kind war, glaubte ich, liebte ich und vertraute ich bedingungslos. Ich wurde geliebt und ich fühlte mich in der Welt geborgen.
Als ich aber erwachsen wurde, tat ich ab, was kindlich war. Und ich zweifelte an Gott, wurde misstrauisch, und mit der Liebe wurde es kompliziert. Als Erwachsene begann ich mich nach Geborgenheit zu sehnen und musste mich zugleich behaupten. Wir Großen nehmen oft nicht einmal mehr unsere Sehnsüchte wahr. Oder wir erlauben ihnen nicht sich in uns auszubreiten.
Nur an Weihnachten, da wird das Kind in uns wieder lebendig. Da erinnern wir uns an Weihnachtsfeste in Kindertagen, an alte Traditionen und wie schön das alles für uns als Kinder war. Es rührt unser Herz, denn es ist das Fest der Liebe. Der Liebe, die Gott uns geschenkt hat.
Paulus schreibt diese Zeilen über das Kindsein und Erwachsenwerden im Zusammenhang des Hohenliedes der Liebe: „Die Liebe ist langmütig und freundlich“, steht dort zu Beginn. Und am Ende: „die Liebe höret nimmer auf, wo doch … die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk“.
Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind. Als ich ein Kind war, da feierte ich Weihnachten die Geburt eines Kindes. Und ich sah in Jesus den Bruder, den Freund. Ich wusste nicht viel, aber empfand das Entscheidende: Gottes Liebe zu mir. Und das genügte mir.
Naiver Glaube ist das, ja, reines Sich-in-die-Elternarme-Werfen, ohne nachzudenken. Bloß Kind sein und vertrauen.
Können, dürfen Erwachsene in einer Art zweiten Naivität kindlich glauben? Der französische Philosoph Paul Ricœur und andere sprechen von einer zweiten, einer durch die Kritik der Vernunft gegangenen und wieder gewonnenen Naivität. Naivität wird dabei positiv gesehen: unvoreingenommen, neugierig, positiv eingestellt, aufrichtig zu sein, steckt darin. Also kindliche Eigenschaften.
Als ich aber erwachsen wurde, tat ich doch ab, alles was kindlich war. Und ich las die Bibel in hebräisch und griechisch. Ich lernte, wer wann was über Jesus dachte und geschrieben hatte. Und ich weiß und rede viel, ich arbeite und mache viel. Jede und jeder von uns.
Aber lieber wäre ich wieder Kind im Glauben: möchte lieben und mich geliebt fühlen. Ich will in Gott den liebenden und schützenden Vater sehen und in Jesus den Bruder und Freund an meiner Seite. Will Gotteskind sein. Und ach, ich bin es ja schon!
Denn, so heißt es im 1. Johannesbrief, Kapitel 3 zu Beginn: „Seht, welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, dass wir Gottes Kinder heißen sollen – und wir sind es auch! Darum erkennt uns die Welt nicht; denn sie hat ihn nicht erkannt. Meine Lieben, wir sind schon Gottes Kinder; auch wenn noch nicht offenbar geworden ist, was wir sein werden.“
Es ist Weihnachten. Wir feiern das Kind in der Krippe. Lasst uns selbst wieder Kind sein: reden wie ein Kind, denken wie ein Kind und klug sein wie ein Kind und Gott vertrauen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Liebe Gemeinde,
ich beginne mit einem Rätsel. Was ist das?
Im Reigen von Glaube und Liebe steht sie oft unerkannt in der Mitte.
Sie wirkt in der Nacht, aber ihr Wesen ist Licht.
Sie sieht nicht, aber sie ist nicht blind.
Sie gibt die Kraft zu warten, auszuharren, durchzuhalten,
die Dinge nicht so hinzunehmen, wie sie sind.
Man sagt, sie stirbt zuletzt.
Doch sie erhält uns am Leben.
Bis ans Ende und auch darüber hinaus.
Sie haben es gewiss erraten: Es ist die „Hoffnung“, von der die Rede ist. Das Rätsel stammt nicht von mir, sondern von Dr. Thorsten Latzel. Nicht der Bremer Pastor, sondern sein Bruder. Seit 2021 neuer Präses meiner alten Kirche im Rheinland.
In seiner Einführungspredigt fragte er: Was gibt uns Hoffnung? Er fragte es zu Beginn eines neuen Jahres und zu Beginn eines neuen Amtes, eines neuen Lebensabschnitts für ihn. Er fragte es angesichts der zweiten Coronawelle.
Ich denke, liebe Gemeinde, es ist gut und es tut Not, sich dessen zu vergewissern, was uns Hoffnung gibt und Halt im Leben.
Und dabei ist es gar nicht so entscheidend, was im einzelnen Sie konkret erhoffen, also worauf Sie sehnlichst warten: Das Ende der Pandemie beispielswiese, dass wir die Herausforderungen des Klimawandels meistern oder dass wir in diesem Jahr 2022 bewahrt bleiben vor schlimmen Krankheiten und Verletzungen. Jede und jeder von uns hegt andere Hoffnungen. Sie setzen andere Prioritäten als ich. Eine ist von ganz anderen Herausforderungen betroffen als ein anderer.
Und dennoch können wir gemeinsam darüber nachdenken, was der eine Grund, die Basis ist, auf der unsere Hoffnung ruht.
Und Hoffnung ist dabei nicht zu verwechseln mit Optimismus. Der Optimismus sagt „Alles wird gut.“ Er schaut nur auf das Positive und blendet das Negative aus. Nina Ruge sagte das immer zum Schluss ihrer Sendung „Leute heute“. Ich fand das immer gruselig. Weil es einfach nicht stimmt.
Hoffnung dagegen sieht dem Schrecklichen ins Gesicht und gibt trotzdem nicht auf. Christliche Hoffnung hat keine Grenzen. Nicht einmal der Tod kann unsere Hoffnung auf Jesus Christus aufhalten.
Wikipedia sagt: Hoffnung ist eine zuversichtliche innerliche Ausrichtung, gepaart mit einer positiven Erwartungshaltung, dass etwas Wünschenswertes eintreten wird, ohne dass wirkliche Gewissheit darüber besteht.
Ich möchte es für die christliche Hoffnung ein wenig abändern. „Hoffnung ist eine zuversichtliche innerliche Ausrichtung, gepaart mit einer positiven Erwartungshaltung, dass - egal, was geschieht, Gott bei uns ist. Viel Wünschenswertes tritt ein, Gott sei gedankt. Und manches Furchtbare müssen wir ertragen, immer wieder. Und das können wir nur, weil Gott uns niemals fallen lässt. Selbst im Tod nicht. Weil wir eine Hoffnung haben, die über den Tod hinausgeht.
Die Bibel, liebe Gemeinde, ist voll mit Hoffnungsgeschichten. Verrückte zum Teil, auch traurige, und gefährliche. Ich denke an Sarah und Abraham, die alles stehen und liegen lassen und zu einem neuen Leben aufbrechen. Einfach, weil Gott es ihnen verheißen hat. Ganz schön verrückt.
Ich denke an Hiob, der alles verloren hat, und dennoch hat er von Gott nicht abgelassen. Furchtbar traurig ist sein Schicksal.
Ich denke an Mose und das Volk Israel, wie es vor den Ägyptern geflohen ist. Das war ziemlich gefährlich.
Sie alle und viele mehr haben an Gott als dem Grund ihrer Hoffnung festgehalten. Aber nicht von Anfang bis Ende. Immer wieder haben auch sie die Hoffnung verloren. Oder sie haben ihre Hoffnung auf andere und anderes gesetzt: auf Machthaber und auf Gewalt, auf die eigene Kraft. Und wenn sie ihre Hoffnung auf Gott gesetzt haben, hat diese sie nicht vor allem Schrecklichem bewahrt.
Doch wann immer sie auf Gott und seine Verheißung gehofft haben, hat diese Hoffnung ihnen Kraft gegeben. Die auf Gott gegründete Hoffnung hilft auszuharren, zu überwinden, neue Wege zu gehen. Dinge zu tun, die wir uns sonst nie trauen würden.
In den kommenden Wochen und Monaten schlagen Sie vielleicht auch neue Wege ein. Vielleicht trauen Sie sich endlich, was Sie schon so lange wollten? Vielleicht fordert das Leben Sie schlichtweg heraus. Vielleicht bringen uns Corona und andere Entwicklungen dazu, als Kirche nochmal neue Wege zu gehen. Was wird ihnen dabei Hoffnung geben? Ist es das Vertrauen auf Ihre eigene Kraft? Oder auf Glück? Oder hoffen Sie, dass Gott an Ihrer Seite ist, der gelingen lässt und der Sie im Scheitern trägt? Denn unser Gott ist ein Gott der Hoffnung, der grenzenlosen Hoffnung, die sogar über den Tod hinausgeht.
Warum predige ich ausgerechnet heute über „Hoffnung“? An dem Sonntag, an dem wir Menschen verabschieden, begrüßen und in ein neues Amt einführen? In einer Zeit, in der die Pandemie wieder so viel Fahrt aufnimmt, dass es einem bange werden kann? Hier vor Ihnen, wo ich weiß, dass einige dabei sind, die trauern?
„Hoffen“ stammt von dem Wort „hopen“ und ist verwandt mit Hüpfen, hopsen. Hoffnung lässt uns hüpfen, einen Sprung nach vorne machen. Hoffnung setzt Energie frei und lässt uns frohgemut vorwärts gehen. Als Einzelne in ein neues Jahr, in einen neuen Lebensabschnitt, in einen neuen Dienst und ein neues Amt. Und als Gemeinde in Gottes Zukunft mit uns. In eine Zeit voller Herausforderungen, aber auch Chancen, die es zu entdecken gilt.
Warum predige ich ausgerechnet heute über „Hoffnung“? Ich kann es auch mit einem Bibelvers aus dem Buch der Sprüche begründen: „Damit Deine Hoffnung sich gründe auf Gott, darum erinnere ich daran heute gerade Dich!“ (Spr 22,19)
Und lassen Sie mich enden mit einem Hoffnungsvers aus dem Römerbrief: „Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, so dass ihr immer reicher werdet an Hoffnung, durch die Kraft des Heiligen Geistes.“ (Röm 15,13) Amen.
Liebe Gemeinde,
vor ein paar Wochen hörte ich, dass der Vater eines alten Freundes aus meiner Jugend verstorben ist. Ich kondolierte meinem alten Freund, und so kamen wir wieder in Kontakt. Viele Jahre hatten wir nichts voneinander gehört. Wir erzählten uns, was in den letzten 15 Jahren unseres Lebens los gewesen ist. Wir schrieben einander von den schönen Ereignissen und den schweren Zeiten. Und dann stand da plötzlich diese eine Frage von ihm: „Was hat Dir geholfen, als es Dir nicht gutging?“
Ja, wer oder was hat mir geholfen, als ein lieber Mensch gestorben ist, wir als Familie einen Neuanfang im Ausland wagten, als ich mich beruflich neu orientieren musste?
Was hält mich in schwierigen Zeiten?
Was oder wer hält Sie? Wie schön wäre es, wir könnten es jetzt hier alle zusammentragen und voneinander hören.
Naja, und das könnten wir eigentlich auch tun. Wer mag, der findet einen Stift in seiner Bank und einen Zettel. Und wenn Sie mögen, dann schreiben Sie doch auf: Was trägt Sie in Krisen, wenn Sie merken, ich schaffe es nicht, ich gehe unter? Und befestigen Sie den Zettel beim Hinausgehen an der Pinnwand. Dann können wir lesen, was andere trägt.
Oder durch wen oder was Gott Sie trägt. Wie Gott Sie hält. Denn das glaube ich, dass immer Gott selbst am Werk ist und sei es mit Hilfe anderer Menschen, durch Musik, mittels Natur oder auch ganz anders?!
Was hält Dich und was mich?
In gewisser Weise gibt auch unser Predigttext darauf eine Antwort. Der für den heutigen Sonntag vorgeschriebene Bibeltext ist die Geschichte vom Seewandel Jesu, wie sie der Evangelist Matthäus erzählt. Ich lese aus Matthäus 14, die Verse 22-33:
„22 Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. 23 Und als er das Volk hatte gehen lassen, stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. Und am Abend war er dort allein.
24 Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt und kam in Not durch die Wellen; denn der Wind stand ihm entgegen.
25 Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. 26 Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: ‚Es ist ein Gespenst!‘, und schrien vor Furcht. 27 Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: ‚Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!‘
28 Petrus aber antwortete ihm und sprach: ‚Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser.‘ 29 Und Jesus sprach: ‚Komm her!‘ Und Petrus stieg aus dem Boot und ging auf dem Wasser und kam auf Jesus zu.
30 Als er aber den starken Wind sah, erschrak er und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! 31 Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: ‚Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?‘
32 Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. 33 Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: ‚Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!‘“
Jesus läuft auf dem Wasser – davon erzählen auch die Evangelisten Markus und Johannes. Aber dass Petrus so verrückt ist und meint, er könne es Jesus gleichtun – das gibt es nur hier, bei Matthäus.
Ob Jesus nun wirklich auf dem Wasser gehen konnte, warum er es tat oder warum die Evangelisten es erzählen – darüber könnte man zweifelsohne trefflich diskutieren. Gerade an dieser Geschichte über Jesus entzündet sich viel Spott.
Kranke heilen? Na gut. Aber übers Wasser laufen? Das erscheint doch vielen als unglaubwürdig.
Aber mich beschäftigt heute mehr der sinkende Petrus.
Ich sehe Menschen heute wie Petrus aus dem Boot steigen: Menschen, die etwas wagen, was anderen völlig verrückt erscheint. Die so mutig sind, die Schule zu wechseln. Die sich beruflich selbstständig machen. Die aufgeben, was sie kennen und was ihnen bisher Sicherheit gegeben hat, und neu anfangen. Die Projekte beginnen, die ihnen sinnvoll und wichtig erscheinen. Auch wenn viele sagen: „Mensch, das wird doch nichts.“
Jesus ermutigt seinen Jünger. Jesus traut es ihm zu. Ja, er ruft ihn aus dem vertrauten Umfeld, dem schützenden Boot heraus. Und Petrus lässt sich rufen und wagt, was nach menschlichem Ermessen unmöglich ist.
Wenn es solche Männer und Frauen heute nicht gäbe, die was wagen wie Petrus, dann gäbe es nicht so viele tolle Initiativen. Dann wäre manches anders.
Und solange Petrus den Blick auf Jesus hält, geht auch alles gut. Aber als er gewahr wird, dass es ja doch ziemlich heftig stürmt und der Boden schwankt, sinkt er. Er sieht die Wellen und bekommt es mit der Angst.
Ich bin nicht so mutig wie Petrus, bewusst auszusteigen aus dem sicheren Boot und Wagnisse einzugehen. Aber Wellen, die über mir zusammenschlagen, das Gefühl, unterzugehen, das kenne ich leider trotzdem. Wer auch nicht? Gerade jetzt. Da sitzen wir sozusagen alle im selben Boot und werden hin und hergeworfen von Welle Nr. 4.
Es gibt eben nicht nur Petrus. Da sitzen noch elf andere Jünger - IM Boot. Auch im Boot kann man Jüngerin sein. Wir müssen nicht alle Petrusse sein. Und wir begegnen eben dennoch der Gefahr und haben Angst und werden von den Wogen hin und her geworfen.
Wer kennt es denn nicht, das Gefühl, dass einer der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Dass eine nicht mehr alles im Griff hat.
Und dann? Was ist dann, wenn alles wankt? Was ist, wenn ich mich nicht mehr allein aufrecht halten kann und nicht mehr weiterweiß?
Dann sehne ich mich nach jemanden, der mich sieht und versteht. Einer, der einfach da ist für mich. Und der meine Hand nimmt, der mich aus dem Schlamassel rauszieht und mich festhält. Der mir Mut macht und neue Hoffnung gibt. Mir stehen hilft auf unsicherem Gelände.
Petrus sehnt sich und schreit: „Herr, rette mich!“ Er traut es Jesus zu.
Und ich glaube, das reicht. Ich muss nicht so mutig und halsbrecherisch aus dem Boot steigen wie Petrus. Aber darin ist er mir Vorbild: Zu schreien und zu hoffen, dass Christus mich nicht im Stich lässt, sondern mir hilft.
Glaube, das ist sich sehnen nach Hilfe. Glauben ist ahnen, dass die Sehnsucht nicht umsonst ist. Glauben ist, blind zu hoffen, dass da einer ist, der mich hält.
Und wissen Sie was: Ich finde diese Geschichte viel schöner als die, in der Jesus den Sturm stillt. Das tut er hier nicht.
Die ganzen furchtbaren Stürme verschwinden nämlich tatsächlich nicht. Und Petrus scheitert, er kann nicht auf dem Wasser laufen. Wir beherrschen die Stürme nicht und die Wassermassen nicht, die in unsere Häuser laufen, und auch andere Wellen nicht.
Petrus bleibt bis zum Schluss ein ohnmächtiger Mensch wie Du und ich. Aber: Jesus Christus greift nach seiner Hand und hält ihn.
Wäre die Geschichte ein Film, den ich mir anschaue, ich würde hier die Stoptaste drücken. Wäre es ein Theaterstück, das ich inszeniere, ich würde jetzt den Spot, den Scheinwerfer auf Jesus richten und seine Hand und die des Petrus. Schaut her, darum geht es in dieser Geschichte und immer wieder im Zweiten Testament.
Liebe Gemeinde, mich beschäftigt das gerade sehr: Die Frage, wer uns hält. Was unser Trost ist. Angesichts vieler Trauerfeiern in unserer Gemeinde. Angesichts von schwerer Krankheit in der weiteren Familie. Angesichts der Erschöpfung vieler in dieser vierten Wellte.
Woran halten wir uns fest – wer hält uns fest?
Christus hält mich. Und jedesmal ist es anders. Mal durch Menschen, die er mir zur Seite stellt. Durch Kraft, die er mir gibt, und ich wundere mich, woher ich sie plötzlich schöpfe. Durch einen tröstlichen Text, der mir vor die Füße fällt. Durch unverhoffte Ruhe, die mir hilft neue Kraft zu tanken. Durch Begegnungen.
Ich freue mich darauf, Ihnen ein paar konkrete Antworten aus meinem Erleben auf einem Zettel nachher an die Pinnwand zu heften. Und ihre Antworten zu lesen: Was Ihnen schon Halt gegeben hat und gibt.
Schließen möchte ich mit einem Bild und einem Text, die mir seit Jahrzehnten wichtig sind. Die mir in den Sinn kommen, wenn ich unterzugehen drohe. Die mich daran erinnern, dass Christus doch da ist und mich hält.
Nun, Bild stimmt eigentlich nicht. Es ist eine Skulptur von Dorothea Steigerwald. Genau heute vor acht Jahren verstarb die Künstlerin, eine Diakonisse, im Alter von 96 Jahren. „Behütet“ heißt ihre Figur, die auf schlichte, künstlerisch naive Art so schön Geborgenheit ausdrückt, wie es für mich nichts anderes besser vermag. Ein Kind schmiegt sich in zwei übergroße Hände. Ein Kind Gottes wird von Gott gehalten. Ich habe die Plastik seit meiner Jugend in meinem Regal stehen.
Und der Text ist von Dietrich Bonhoeffer. Dessen Geburtstag vorgestern gewesen wäre. 1906 ist er geboren, im April 1945 erschossen worden. In einem Brief an seine Verlobte Maria von Wedemeyer schreibt er am 19. Dezember 1944 aus dem Gefängnis ein Gedicht. Die letzte Strophe lautet:
Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen
und ganz gewiss an jedem neuen Tag.
Amen.
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Was hört Ihr gerne? Was hören Sie gerne?
Das Rauschen der Bäume im Wind? Es muss ja nicht gleich so ein Sturm sein wie gestern…
Hören Sie gerne schöne Musik? Podcasts? Oder Hörbücher?
Welche Worte hören Sie gerne? Und welche mögt Ihr gerne?
Vielleicht Komplimente? Die gehen runter wie Öl.
Liebesworte und Kosenamen? Na klar! Ein „Ich hab dich lieb“ und ein „Ich vermisse dich“ – gut, das sind jetzt gleich ganze Sätze – das hört man doch gerne! Jedenfalls wenn sie von dem oder der Richtigen kommen!
Es gibt auch Wörter, die haben nichts mit einem direkt zu tun – und sind trotzdem schön. Ich mag das Wort „Katjes“, da fällt mir nur viel Gutes zu ein. Ich mag auch „Sahnebonbon“ und „Wiese“. Diese Wörter lösen Wohlgefühl in mir aus. Und schön anhören tun sich auch: „Schlemmen“ und „schlummern“! Kennt Ihr eigentlich diese Wörter? Es gibt ein ganzes „Lexikon der schönen Wörter“.
Worte lösen etwas aus. Wohlgefühl oder Wut, Hass oder Heiterkeit. Wir können so viel mit Worten bewirken. Mit Lob können wir motivieren. Wenn wir z.B. feststellen: „Du kannst das richtig gut!“ Mit Vergebung können wir erleichtern, wenn wir sagen: „Es ist ok, wir machen alle mal Fehler.“ Wir können jemanden eine Freude machen, wenn wir sie oder ihn herzlich begrüßen: „Schön, dich zu sehen.“
Worte wirken.
Manchmal richtig tief. Da geht einem ein Wort durch Mark und Bein. Wenn ich heute das Wort Krieg höre, dann erschreckt es mich, und es wird mir kalt. Es legt meine Unruhe und Angst bloß, es löst viele Fragen in mir aus. Es ist ein kaltes, ein brutales Wort. In dem Wort steckt Gewalt, Leid und Tod.
Manche Worte verändern ihre Wirkung auf einen aber auch im Laufe der Zeit. Das Wort „Spaziergang“ klang für mich früher nur öde. Als ich erwachsen wurde, klang es schön und entspannend. In letzter Zeit hat es einen politischen Beigeschmack.
Aber uns geht es heute um Gottes Wort. Gottes Wort wirkt. Durch sein Wort ist immerhin eine ganze Welt entstanden. Ohne Gottes Wort gäbe es weder mich noch dich noch diese Kirche. Gottes Wort ist wahrhaftig lebendig und wirksam. Nicht nur damals war das so, als er die Welt erschaffen hat. Nicht nur damals war das so, als sein Wort Fleisch wurde und in Jesus Christus zur Welt kam. Gottes Wort verändert sich nicht. Auch heute gilt:
„Gottes Wort ist lebendig und wirksam.“ Egal, wie genau es lautet, welche Wörter Gott verwendet. „Sein Wort“ – das ist die Summe aller Wörter, die Gott gesprochen hat und spricht.
Sein Wort – also alles, was Gott sagt – ist lebendig und wirksam. So beginnt der für heute vorgeschlagene Predigttext, zwei Verse im Hebräerbrief (4,12.13):
„Gottes Wort ist lebendig und wirksam. Das schärfste, beidseitig geschliffene Schwert ist nicht so scharf wie sein Wort. Es durchdringt Seele und Geist, Mark und Bein. Es urteilt über unsere geheimsten Wünsche und Gedanken. Es gibt niemanden, dessen Inneres vor Gott verborgen ist. Alles liegt offen und ungeschützt vor den Augen dessen da, dem wir Rechenschaft geben müssen.
„Gottes Wort ist lebendig und wirksam.“
Ein paar Worte waren es nur, die Lydias Leben verändert haben und das ihrer ganzen Familie. Wirkmächtige Worte. Nämlich: „Ich taufe dich auf den Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Diese Worte haben aus Lydia die erste Christin in ganz Europa gemacht. Diese Worte sprechen ihr Gottes JA zu ihr und zu ihrer Familie zu. Sie lösen große Freude in ihr aus und krempeln ihr Leben um.
Mag sein, dass das Christsein ihrem Geschäft schadet. Es ist ihr egal. Sie besteht sogar darauf, dass Paulus und Timotheus bei ihr zu Gast sind. Sie zeigt es allen offen: „Ich bin jetzt Christin. Mich bewegt was Jesus Christus gesagt und getan hat. Es verändert mein Leben und wird meinen Lebensweg in Zukunft bestimmten.“
Es gibt diese Worte, die sind so lebensverändernd. Eine Zusage oder auch eine Absage. Das Ja vor dem Traualtar. Aber auch der Schuldspruch vor Gericht.
Auch Gott spricht ein urteilendes Wort. Er verurteilt so manche unserer Taten. Wenn wir einander wehtun. Doch letztendlich spricht er uns frei, aus Liebe. Gottes Urteilsspruch ist ein Freispruch! Wir können ihm nichts verheimlichen. Aber wir brauchen uns vor seinem Wort auch nicht zu fürchten. Denn es sind stets Liebesworte, die er spricht. Schöne Worte.
Es ist ein wenig so wie mit einer sehr guten Freundin. Ich kann ihr nichts vormachen, sie kennt mich genau. Sie blickt mir in die Seele und liest in mir wie in einem offenen Buch. Auch wenn ich Dinge tue, die nicht in Ordnung sind, kann ich sie ihr freimütig gestehen. Denn ich weiß, dass sie mich dennoch mag. Sie findet nicht gut, wenn ich unfair bin und anderen Unrecht tue. Aber sie verurteilt mich auch nicht und gibt mich nicht auf. Sie bleibt an meiner Seite. Sie weiß, dass ich das eigentlich nicht will.
Liebe Gemeinde, Gottes Wort ist aber nicht nur ein Wort über mich. Sein Wort ist auch ein Wort an mich. Ein gutes, ein schönes Wort. Also eher "Sahnebonbon" und "schlemmen" als "Krieg". Gottes Wort ist ein Wort, das mich tröstet; ein Wort, das mich anspornt; ein Wort, das mir sagt, wie ich leben soll; und ein Wort, das mich festhält. Eben ein Wort, das mir Licht auf meinem Weg ist.
„Dein Wort, o Herr, lass allweg sein die Leuchte unsern Füßen;
erhalt es bei uns klar und rein; hilf, dass wir draus genießen
Kraft, Rat und Trost in aller Not, dass wir im Leben und im Tod
beständig darauf trauen.“
Das ist die fünfte Strophe des Liedes „Herr, für dein Wort sei hoch gepreist“. Wir singen jetzt die Strophen 1 bis 4 dieses Liedes.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinn in Christus Jesus. Amen.
„Ich kann es nicht zu fassen.“ „Ich habe nicht geglaubt, dass es wirklich dazu kommt.“ „Wo führt das noch hin?“ – Das sind die Sätze, die ich in den letzten drei Tagen am meisten gehört – und auch selbst gedacht habe.
Es ist nicht zu begreifen, was gerade in der Ukraine geschieht. Es scheint nicht real – und doch ist es bittere Wirklichkeit.
Donnerstagmorgen habe ich mich auf verschiedensten Kanälen über die Entwicklungen in der Ukraine informiert: Zeitung, Radio, Livestreams… Und dabei haben mich Ratlosigkeit und das Gefühl der Ohnmacht ziemlich überrollt. Klar, Unruhe und Befürchtungen, die hatte ich schon davor. Aber nun ist wirklich Krieg! Und zwar in einer anderen Dimension, als es in den vergangenen acht Jahren zwischen Russland und der Ukraine bereits der Fall gewesen ist.
Es ist Krieg, und er ist gerade mal 1.500km Fahrtstrecke von uns entfernt. Das ist nur wenig weiter als von hier nach Florenz.
Überall sprechen Menschen über diesen Krieg und suchen nach Möglichkeiten ihre Fassungslosigkeit und Ängste zum Ausdruck zu bringen. Freitagabend haben vielerorts Andachten in den Kirchen stattgefunden. Unser Küster hat um 18 Uhr die Glocken geläutet. Und dank Frau Dantzer und Herrn Heuer konnte St. Martin für eine Stunde zum Gebet geöffnet sein. Wussten Sie, dass Kurt Dantzer die Friedensgebete in St. Martin angesichts des Ausbruch des russisch-ukrainischen Krieges 2014 begonnen hat? Und wir feiern sie immer noch.
Für gestern Abend hatte der Jugenddienst unseres Kirchenkreises zu einer Lichterkette bei St. Martin eingeladen. Ich bin hingegangen. Aber auf dem Hinweg habe ich mich gefragt: Was mache ich da eigentlich? Was bringt das denn? Das hält doch keinen Panzer auf und hilft keiner Ukrainerin, die Angst um das Leben ihrer Kinder hat. Ich habe das Glas mit der noch nicht brennenden Kerze in meine Jacke gesteckt.
Aber was kann ich denn schon auch tun?
Also bin ich hin. Und dann haben wir da gestanden, ca. 350 Menschen. Wir haben unser Entsetzen zusammen ausgehalten und die kleinen flackernden Lichter der aufkommenden Dunkelheit entgegengehalten.
Mehr nicht. Aber auch nicht weniger. Nach einer halben Stunde habe ich mich von der Kollegin links von mir, und dem Brautpaar von Dienstag, das mit seiner kleinen Tochter rechts von mir stand, verabschiedet. Auf dem Rückweg kam ich noch an der älteren Dame vorbei, die trotz dem sie nicht gut zu Fuß ist, mit ihrer kleinen Laterne am Rolator gekommen war.
Und ich habe gedacht: Wie traurig wäre es, es gäbe keine Lichterketten, wir würden keine Glocken läuten und niemand würde sagen: „Ich bin fassungslos vor Entsetzen!“ Dann wäre die Welt definitv ein ganzes Stück dunkler, kälter und einsamer: Für alle direkt Betroffenen, die den Eindruck haben müssten, ihr Schicksal interessiert niemanden. Und für uns, die wir mit unseren Ängsten und Sorgen alleine zuhause säßen und sie nicht äußern könnten.
Gestern Abend auf dem Kirchplatz kam mir der Kanon „Herr, gib uns Frieden“ in den Sinn. Das Lied zog eine ganze Weile in Dauerschleife durch meinen Kopf und verbreitete sein Echo bis in den Bauch hinein. Ich habe mich an diesem Liedvers festgehalten. An diesem - Gebet.
Denn ich glaube, in der schlimmsten Situation können wir immer noch etwas tun: beten. Beten ist nicht nichts. Es ersetzt kein anderes Handeln. Beides sollte man nicht gegeneinander ausspielen. Aber wo ich nichts anderes tun kann, da kann ich immer noch beten. Also Gott in den Ohren liegen, dass er etwas tut.
Und über die vertikale Richtung hinaus hat das Gebet ja auch eine horizontale Wirkung: Es verbindet uns Menschen, es zeigt, dass wir füreinander da sind, aneinander denken. Und es tut uns auch selbst gut, unsere Seele zu öffnen. Beten ist Tun. Beten können wir immer.
Und zum Beten, liebe Gemeinde, da braucht es nur eine Sache. „Glaube“, denkt jetzt die eine oder andere vielleicht. Aber man kann auch beten, wenn man sich nicht so sicher ist, ob es Gott gibt und was er oder sie eigentlich ist und kann. Und „Worte“ sind es auch nicht, die man braucht. Im Gegenteil, zum Teil sind die innigsten Gebete die mit den wenigsten oder ohne Worte.
Nein, es braucht: Trotz. Eine gehörige Portion Trotz! Denn in so manchen Bittgebeten beten wir gegen das an, was ist. Wir vertrauen darauf, dass Gott abwenden kann, was droht. Dass er das scheinbar Unmögliche Wirklichkeit werden lässt.
Warum auch nicht? Wir haben schon Wunder erlebt. Ich traue meinen Gott das zu.
Ja, ganz oft haben Gebete nicht die gewünschte Wirkung gezeigt. Sehr, sehr oft. Doch wer zählt, wie oft Beten „funktioniert“, wer meint, es lohne sich nur ab einer bestimmten „Erfolgsquote“ zu glauben – der wird in der Tat enttäuscht. Beten ist nicht immer ein „Beten weil…“, sondern ein „Beten trotz….“.
Wir können nicht einerseits froh sein, dass wir uns mit freiem Willen entscheiden können, zu tun und zu lassen was wir wollen, und uns zugleich über einen Gott beschweren, der Menschen sich für das Böse entscheiden lässt. Wir haben auch keinen Feuerwehrgott, der ständig kommt und repariert, was wir kaputt machen.
Aber ich habe trotzdem einen Grund, warum ich weiterbete, warum mir gerade jetzt so sehr nach beten ist, warum ich Gott um nichts Geringeres bitte als Frieden in der Welt: Weil wir einen Gott des Friedens haben. Immer wieder nennt Paulus ihn so: den Gott des Friedens.
Gewiss, besonders im Ersten Testament ist viel von Krieg die Rede!
Die Menschen lebten in kriegerischen Zeiten. Und manches Mal haben sie Gott und Krieg miteinander verwoben. Wurde ein Sieg gewonnen, sagte man: Gott hat die Gegner geschlagen.
Und doch gibt es zahlreiche kriegskritische Texte in der Bibel. Wo Gott Waffen zerstört. Und wo es heißt: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht Gott: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe das Ende, das ihr erwartet.“ So beim Prophet Jeremia. Frieden ist das Wesen Gottes.
Die Propheten träumen von Frieden und malen ihn sich und uns aus: Wenn Wolf und Lamm beieinander wohnen und kleine Kinder ungefährdet ihre Hand ins Schlangennest stecken können.
Zwei Seiten Bibelstellen nennt meine Konkordanz zum Wort Friede. Nicht einmal eine Viertel Seite zum Wort Krieg oder Kampf.
Denn „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht Gott: Gedanken des Friedens und nicht des Leides.“
„Friede“ ist in jedem biblischen Gruß zu finden: „Friede sei mit dir“ und „Friede diesem Haus“.
Einen Gott des Friedens haben wir und der Liebe. Ja, der die Liebe geradezu verkörpert. Wir haben vor der Predigt das Wochenlied gesungen: „Liebe, die du mich zum Bilde deiner Gottheit hast gemacht“.
Zu wem, wenn nicht zu solch einem Gott könnten und sollten wir uns wenden? Zu einem Gott, der die Liebe ist und der sagt: „Ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe: Gedanken des Friedens und nicht des Leides.“
Liebe Gemeinde, „seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“ Und bleiben Sie trotzig.
Denn der Friede Gottes, der so viel höher ist als all unsere Vernunft, wird unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren. Amen.
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
das deutsche Wort Minister / Ministerin kommt aus dem Lateinischen: ministrare bedeutet dienen. Von „Staatsdienern“ sprechen wir auch im Blick auf Ministerinnen, Staatssekretäre, Richter und weitere Beamtinnen.
„Minister“ und „dienen“ – gefühlt bilden die beiden Wörter eher einen Gegensatz. Ministerinnen haben Macht, treffen weitreichende Entscheidungen. Sie sind doch das Gegenteil von Dienerinnen. Wie passt das zusammen?
Um herausgehobene Posten und ums Dienen geht es in unserem Predigttext. Ich lese die für heute vorgeschriebene Passage aus dem Markusevangelium, Kapitel 10, die Verse 35 bis 45:
Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus,
und sprachen:
Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden. Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?
Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.
Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet.
Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?
Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir.
Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde;
zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken,
das steht mir nicht zu, euch zu geben,
sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.
Und als das die Zehn hörten,
wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.
Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen:
Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht;
sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;
und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
Liebe Gemeinde, also ich finde es nicht verwerflich, dass Johannes und Jakobus sich um Plätze im Richterkollegium des Himmelreichs bewerben. Die beiden Jünger werden Donnersöhne genannt, weil sie mit Feuereifer dabei waren. Und Jesus hielt große Stücke auf sie: Er hatte sie beide und Petrus mit auf den Berg genommen, auf dem er verklärt wurde.
Es ist doch löblich, dass sie Verantwortung übernehmen wollen. Zur Rechten und Linken Jesu sitzen: ihm also helfen, wenn das Jüngste Gericht stattfindet. So viel Selbstbewusstsein und Leidenschaft fürs Reich Gottes muss man auch erstmal haben.
Uns fehlt diese Leidenschaft zu leiten anscheinend. An über 1.000 Schulen deutschlandweit fehlt eine Schulleiterin oder ein Schulleiter. Auch in der Wirtschaft herrscht ein Mangel an Führungskräften. Eine Studie von 2019 hat zutage gefördert: Gerade mal 7% der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in unserem Land können sich vorstellen, eine leitende Position zu übernehmen. Von denen die bereits eine Führungsrolle innehatten, würden nur 40% auch in Zukunft eine solche bekleiden.
Nun, wer heute in herausgehobener Stellung ist, kann sich zwar über Gestaltungsfreiheit und Entscheidungsmacht freuen. Aber es hat eben auch viele Nachteile: Mehr Arbeit, Stress, schwierige Entscheidungen, die zu treffen sind - das gehört auch zu Leitungspositionen.
Und wenn ich an Ministerinnen und Staatsdiener denke, so muss man bei der Übernahme eines solchen Postens heute außerdem vermehrt mit Anfeindungen, Hassattacken und sogar körperlichen Angriffen rechnen. Will man sich das antun?
„Ihr wisst nicht, um was ihr mich da bittet“, entgegnet Jesus dem Ansinnen der Zebedaiden, wie die beiden Söhne des Zebedäus auch genannt werden. Das bedeutet den „Kelch trinken“ zu müssen, den Jesus trinkt, und „sich taufen lassen mit der Taufe“, mit der er getauft wurde. Sprich: einen gewaltsamen Tod zu erleiden. Ein ziemlich hoher Preis. Doch die beiden sind sogar dazu bereit. Und Jesus glaubt ihnen das, er traut es ihnen zu. Nur, manchmal reicht es nicht, einen hohen Preis zu bezahlen und es unbedingt zu wollen. Es steht nicht in Jesu Hand, die Plätze rechts und links von ihm zu vergeben. Schon gar nicht im Vorhinein, vor Anbruch des himmlischen Reiches. Hier wird nicht gekungelt und kein Vitamin-B ausgespielt. Die begehrten Sitze vergibt ein anderer.
Und da haben die anderen Jünger den Alleingang der Donnersöhne auch schon herausbekommen. Und sie ärgern sich. Da preschen welche vor, die wollen bevorzugt werden. Das kommt nicht gut an. Sie sind doch eine Gemeinschaft Gleichberechtigter, oder etwa nicht?
Jesus ruft die Neider dazu. Was er den beiden zu sagen hat, gilt für sie alle. Gegen den Ehrgeiz an sich und gegen Leitung hat Jesus offensichtlich nichts. Er hebt ja auch den Petrus aus der Schar seiner Anhänger heraus: der Fels, auf dem er seine Kirche baut. Der stets zuerst Genannte. Der Dinge zu ihm sagen darf, die sich sonst keiner traut. Der oft für die anderen spricht.
Aber mehr zu sagen haben als andere – das bedeutet vor allem Verantwortung für und Sorge um andere zu tragen. Oder mit Jesu Worten: Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.
Es gibt in Firmen und Institutionen einen Führungsstil, den man Servant Leadership nennt, dienende Führung. Servant Leader sind Führungskräfte, die sich nicht durch Autorität, sondern Empathie und Wertschätzung für ihre Mitarbeitenden auszeichnen. Sie sichern Erfolge für das Unternehmen, indem sie den Angestellten Raum zur Selbstorganisation und persönlicher Entfaltung geben. Die Devise heißt: befähigen statt befehlen.
Wen ich daran denke, wie Jesus seine Jünger aussendete, das Evangelium zu verkündigen und Kranke zu heilen, dann handelte er nach diesem Prinzip.
Aber wie kann das für uns von Bedeutung sein, die wir nicht alle eine Firma oder eine Abteilung leiten oder eine Lehrkraft sind? Auch dann ist man ja Leitender.
Ich denke in zweierlei Hinsicht ist es bedeutsam:
Zum einen haben manche von uns vielleicht nicht im Beruf, aber im Ehrenamt eine leitende Funktion: sie leiten eine Gruppe oder trainieren eine Mannschaft, haben einen Sitz in einem Vorstand eines Vereins oder organisieren Veranstaltungen. Auch dann übernimmt man Leitung, und das kann man so oder so tun.
Zum anderen sind wir als Mitglieder einer Familie oder einer Freundinnen- oder Freundesgruppe durchaus mal Wortführer und Bestimmerinnen. Wir möchten entscheiden oder wenigstens mitentscheiden, wo es lang geht und was gemacht wird.
Und das können wir immer entweder auf die eine oder auf die andere Art: Entweder wollen wir vor allem Recht habe und unseren Willen durchsetzen, koste es, was es wolle. Das ist der Stil von dem Jesus sagt: „Aber so ist es unter euch nicht.“
Oder aber ich frage bei allen Entscheidungen, was den anderen, meinem Nächsten, und der Gemeinschaft dient. Als innere Haltung, als Prinzip.
Ich denke, nicht nur Ministerinnen und Minister können von Jesus lernen, was dienendes Führen bedeutet.
Jesus fordert das Dienen auch nicht nur von denen, die ihm nachfolgen. Er lebt es auch selbst vor: Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene, bekräftigt er.
Und der Evangelist Johannes erzählt, wie Jesus seinen Jüngern die Füße wusch und sagte: Ein Beispiel gebe ich euch, damit ihr tut, wie ich euch getan habe.
Jesu Dienen geht sogar bis hin zur nicht Selbst-Aufgabe, aber Selbst-Hingabe: bis zum Tod am Kreuz. Denn der Menschensohn ist gekommen, dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
Und der Friede Gottes, der so viel höher ist als all unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.
„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“
Das ist der Text für heute. Nicht meine Idee. Das ist ein Vers des heutigen Predigttextes, vorgeschrieben von der Ordnung gottesdienstlicher Texte. Diese Ordnung ist eine sechs Jahre umfassende Liste, die schon vor langer Zeit festgeschrieben wurde.
„Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“
Unpassender geht es nicht, oder? Als ich das las, war mir sonnenklar: Diesen Sonntag halte ich mich nicht an die Vorschriften. Doch auf der Suche nach einem passenderen Bibeltext spukte dieser Vers immer wieder in meinem Kopf herum. Er klopfte sozusagen immer wieder bei mir an.
„Doch, doch: Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“
Und ich möchte rufen: Nein, jetzt ist gerade die Zeit größten Unheils! Wir haben Krieg in Europa. Menschen kämpfen und sterben. Viele Menschen flüchten bei eisiger Kälte. Die Versorgung der Zurückbleibenden bricht zusammen. Familien werden auseinandergerissen. Und wir wissen nicht, ob der Krieg sich nicht ausweitet. Wo, bitte schön, ist da „Gnade“ und „Heil“?
Liebe Gemeinde, am Freitag hatten wir hier in St. Michael Konfi-Unterricht. Wir haben zu Beginn etwas im Markusevangelium gelesen. Das machen wir jedes Mal. Diesmal war der Beginn der Leidensgeschichte Jesu dran, passend zur Passionszeit.
Und danach haben wir in Kleingruppen überlegt: Wo in unserer Welt, wo um uns herum sehen wir Gott am Wirken? Oder ist er vielleicht gar nicht mehr am Werk? Hat er einmal zu Beginn die Welt erschaffen, die Menschen hineingesetzt, ein paar Regeln klargestellt - wie die vom Baum der Erkennntnis nicht zu essen - und dann den Dingen ihren Lauf gelassen?
Beispiele, wo sie Gott in Aktion sehen, haben die Jugendlichen auf Papier gebracht. Und sie haben daraus kleine Stelen gemacht. Schauen Sie sich die gerne im Anschluss einmal an.
Und am Ende der Konfi-Stunde haben wir eine Friedensandacht gefeiert hier vorne, mit Kerzen. Wir haben gebetet, dass Gott tätig werden möge. Dass er, der selbst so viel gelitten hat, den leidenden Ukrainern nahe ist und hilft. Dass er Frieden schenkt. Dass er die Herzen der Kriegstreiber lenkt.
Denn jetzt ist doch ganz offensichtlich die Zeit der Ungnädigen und jetzt sind die Tage des Unheils! Als ich meine Predigt schrieb, kam gerade die Nachricht, dass die Waffenruhe gescheitert sei, und Russland die Angriffe auf die ukrainischen Städte Mariupol und Wolnowacha fortsetzt. Zivilisten konnten nicht evakuiert werden. Welch ein Hohn, von Gnade und Heil zu sprechen…
Ich weiß natürlich, auch vor letzter Woche Donnerstag, vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine war es nicht überall auf der Welt friedlich, war nicht überall heile Welt. Auch vorher schon herrschte in verschiedenen Teilen der Welt unheilvoll Gewalt und wüteten gnadenlos Naturkatastrophen, bestimmten Hunger und Armut das Leben so vieler. Die Frage, wo da Gott ist, ist so alt wie die Menschheit. Das macht diese Frage nicht kleiner, nicht weniger drängend.
Wo also ist die Gnade Gottes? Wo ist Heil?
Ich kann sie nicht sehen. Ich sehe Feuer und Rauch, Tränen und Trümmer, Panzer und Raketen – wann immer ich die Medien einschalte. Und ich habe das Privileg, ich kann das ausschalten, ich bin weit weg. Menschen in der Ukraine nicht.
Seltsam nah dran ist, was Paulus sonst noch in dem Text für heute aus seinem 2. Brief an die Korinther schreibt, wie er sein Leben beschreibt:
„in Trübsalen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Verfolgungen, in Mühen, im Wachen, im Fasten“ lebt er. Und er sagt, er und seine Mitstreiter seien: „die Unbekannten und doch bekannt, die Sterbenden, und siehe, wir leben, die Gequälten, und doch nicht getötet“.
Zu anderen Zeiten wäre mir das sehr fremd. Jetzt habe ich dabei sofort die Menschen in der Ukraine vor Augen und denke, wie sehr all das leider auch auf sie gerade zutrifft. Wenn auch aus ganzanderen Gründen als bei Paulus.
Paulus ging es dreckig, er war in Gefahr. Anders als ich wusste er, was Verfolgung und Todesangst bedeutet. Ja, und trotzdem spricht er von Gnade, von Heil. „Siehe, jetzt ist die Zeit der Gnade, siehe, jetzt ist der Tag des Heils!“ Trotz allem sagt er das. Oder gerade deshalb.
Licht fällt am Tag nicht auf. Wie oft bin ich schon morgens ins Wohnzimmer gekommen und habe nicht bemerkt, dass die Stehlampe in der Ecke noch angeschaltet war. Ihr Licht fiel in der Sonne nicht auf. Erst im Dunkeln ist es gut zu sehen.
Erst im Finstern ersehnen wir das Licht. Und dann erst entfaltet das Licht seine Kraft.
Genauso ist es mit der Gnade. Geht es uns gut, nehmen wir sie kaum wahr, die Gnade Gottes in unserem Leben, obwohl sie uns so überreich umgibt. Alles scheint uns so selbstverständlich. So handhabbar. Als hätten wir es in der Hand, dass es uns so gut geht, dass wir gesund sind, in Frieden leben, genug von allem haben. Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht, und Gottes Wirken vor lauter Gnade nicht.
Wer ernsthaft erkrankt oder einen Verlust erleidet, dem wird schmerzhaft deutlich, wie flüchtig alles Glück, die Gesundheit, ja, das Leben an sich ist. Diejenige schätzt jeden Lichtstrahl neu und erlebt umso intensiver und dankbarer alle Momente geschenkter Gnade: die Menschen, die Anteil nehmen, treue Freunde, auch ganz praktische Hilfe. Lichtkegel im Dunkeln.
Liebe Gemeinde, wenn ich in diesen Tagen durch Instagram oder Facebook scrolle, das Radio anschalte oder die Zeitung aufschlage: Überall lese und höre ich von Friedensdemonstrationen und Friedensgebeten, von Menschen, die Sachspenden sammeln oder Essen bereitstellen und an die ukrainische Grenze bringen, von Organisationen wie die Diakonie Katastrophenhilfe, die Geldspenden sammeln und damit vor Ort passgenau das Notwendige einkaufen oder es Geflüchteten zum Einkaufen geben, von Planungen, wer wo ukrainische Flüchtlinge hier aufnehmen kann.
Und auch die Menschen in der Ukraine lesen und hören davon und es gibt ihnen Hoffnung. Es ist Gnade in ungnädigen Bedingungen. Heil in unheilvoller Zeit.
Wo immer Menschen den Hungrigen zu essen und den Durstigen zu trinken geben, wo sie die Fremden aufnehmen und die Unbekleideten kleiden, wo sie die Kranken und die im Gefängnis besuchen – da tun sie das, was Jesus Christus von uns verlangt. Da geben sie die Liebe Gottes in Wort und Tat weiter. Da wird die Gnade und das Heil Gottes durch Menschen sichtbar.
Liebe Gemeinde, wenn ich mir den Vers unseres Predigttextes nochmal durch den Kopf gehen lasse, dann lese ich zwei Aufforderungen darin. Zum einen:
Siehe, jetzt ist die Zeit, die Gnade Gottes weiterzugeben, siehe jetzt ist der Tag, Heil denen im Unheil zu bringen.
Und zum anderen: Sieh genau hin, in all dem Leid geschieht auch Gnade. Sieh genau hin, in allem Unheil ist Hoffnung auf Heil. Siehst Du das Licht?
Und der Friede Gottes, der so viel höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. (Offb 1,4)
Es ist genug,
sagt Sylvia. Zwei Jahre Pandemie und kein Ende in Sicht. Der Kleine hat sich infiziert. Nun laufen sie mit Maske in der Wohnung herum.
Sylvia sucht das rechte Maß zwischen tröstender Nähe und ausreichend Distanz. Hoffentlich erwischt es nicht auch sie.
Ihr fallen die Augen zu, so unendlich müde ist sie. Aber bei der Arbeit gibt es so viele Ausfälle. Sie muss immer eine Kollegin vertreten. Freimachen geht gar nicht. Sie weiß nicht, wie sie das noch weiter schaffen soll. Sie weiß es schon lange nicht mehr.
Es ist genug,
sagt Danyla. Die Bomben auf ihre Heimatstadt. Wenn sie die Augen schließt, sieht sie die Trümmer wieder. Sie musste Ihr Zuhause verlassen, von jetzt auf gleich, zusammen mit ihrer Mutter und ihren beiden Töchtern. Ihr Mann, ihr Bruder, die Schwägerin – sie sind geblieben, um zu kämpfen. Die Angst um sie ist unerträglich. Danyla weiß nicht wohin. Wo sollen sie bleiben? Und wie soll wieder Frieden werden?
Es ist genug,
sagt der Prophet Elia und legt sich in der Wüste zum Sterben hin.
Seine Geschichte ist für heute Grundlage der Predigt. Und in dieser Zeit lese ich diese Erzählung aus dem Ersten Testament mit ganz anderen Augen als bisher.
Dieser eine kleine Satz bleibt hängen: Es ist genug. Er ruft in mir ein vielfaches Echo hervor. Er verbindet sich mit den Schicksalen und Lebensumständen von Menschen heute.
Elias Geschichte steht im ersten Buch der Könige, Kapitel 19.
Ich lese die Verse 1 bis 8. (Bibellesung)
„Elia fürchtete sich, machte sich auf und lief um sein Leben.“ Darin treffen sich des Propheten und Danylas Wirklichkeit zwar. Doch: sie will leben. Er will sterben. Und sie hat auch nicht getan, was Elia getan hat. Er hat 450 Gegenpropheten, Propheten des Gottes Baal getötet. Und dennoch sieht er sich weiterhin nur als treuen Diener seines Gottes - und als Opfer. Als Helden.
Liebe Gemeinde, ein direkter Vergleich von Elia und Sylvia und Danyla verbietet sich. Sie eint jedoch die Wüstenzeit. Das verbindet sie auch mit unseren Leben, die wir auch Wüstenzeiten hatten, haben, haben werden: Zeiten der Einsamkeit. In denen wir nicht wissen, wie es weitergeht. Wochen der Überforderung und Kraftlosigkeit. Sorgen, die quälen. Nur noch wegwollen und ausweichen.
Wüstenzeit verbindet die Drei und uns. Und in Wüstenzeiten braucht es Engel. Boten, die Gott uns schickt. Nicht gleich Wunder. Ach ja, nun, die nähmen wir auch gerne. Aber die sind selten. Ein Engel mit Brot und Wasser, eine Zuflucht, eine Pause, das Nötigste fürs Erste. Das wäre schon gut. Das würde mir und ihr und ihm zeigen: Gott sieht mich! Gerade in der Wüste.
Erst gestern spät leider fiel mir ein Lied ein: Das Mottolied zum Kirchentag 2017, dem Jahr des Reformationsjubiläums. So lautet der Text:
Du bist ein Gott, der mich anschaut.
Du bist die Liebe, die Würde gibt.
Du bist ein Gott, der mich achtet.
Du bist die Mutter, die liebt.
- So lautet der Refrain.
Dein Engel ruft mich da, wo ich bin:
Wo kommst du her und wo willst du hin?
Geflohen aus Not in die Einsamkeit
durchkreuzt sein Wort meine Wüstenzeit.
Zärtlicher Klang: „Du bist nicht allein!“
Hoffnung keimt auf und Leben wird sein.
„Gott hört“ – so beginnt meine Zuversicht.
Die Sorge bleibt, doch bedroht mich nicht.
Schauender Gott, wo findest du mich?
Hörender Gott, wie höre ich dich?
Durch all meine Fragen gehst du mir nach
und hältst behutsam die Sehnsucht wach.
Es ist Hagars Lied, Hagar, die auch in die Wüste flieht. Das ist eine andere Geschichte, aus dem 1. Buch Mose. Aber auch da heißt es: Und siehe, ein Engel. Er geht Hagar nach. Denn der schauende Gott lässt sie in der Wüste nicht allein. „Hoffnung keimt auf und Leben wird sein.“
Elias Engel bringt aber nicht nur Lebensmittel, Wasser und Brot, und damit ist der Job erledigt, er macht sich wieder aus dem Staub. Es heißt:
„Und siehe ein Engel rührte ihn an und sprach zu ihm.“ Der Engel berührt den schlafenden Elia und weckt ihn. Er spricht mit dem Propheten. Was er ihm bringt, ist nichts Besonderes: Geröstetes Brot und einen Krug Wasser. Doch seine Zuwendung und dass er es in die Wüste bringt, das macht sein Tun so unglaublich kostbar.
Und siehe, ein Engel. Was würde der Engel tun, fände er vor Sylvia oder Danyla mit ihren Familien? In ihrer Wüste, in der sie gerade, in der so viele sind. Auch ihnen würde er gewiss nicht nur Wasser und Brot hinstellen und wortlos wieder verschwinden.
„Sei ein Engel,“ schrieb eine Kollegin auf Facebook im Blick auf den Predigttext heute, „und schenke Worte wie frisches Wasser und geröstetes Brot“. Menschen wahrzunehmen, die in Krisen stecken, zu uns geflüchtete Menschen anzusprechen, das wären wahre Engelstaten.
Das Gebet für sie, die Spenden, Wohnraum zur Verfügung stellen - eine sichere Zuflucht -, die Teilnahme an Solidaritätsaktionen – auch all das ist geröstetes Brot und ein Krug mit Wasser im heißen Wüstensand.
Es fällt auf, liebe Gemeinde, dass der Engel zweimal kommt. Es braucht wohl einen langen Atem. Eine Engelsgeduld eben.
Überhaupt, wie lange dauert so eine Wüstenzeit? Wenn hier von 40 Tagen in der Wüste die Rede ist, oder von 40 Tagen, an denen Jesus in der Wüste lebt und vom Teufel versucht wird, 40 Tage Sinflut oder 40 Tage der Passionszeit – es gibt noch mehr Beispiele in der Bibel, dann ist dies ein symbolisches Maß: eine sehr lange Zeit, eine nicht einfach zu überblickende und zu sichernde Zeit. Für eine Woche kann ich einschätzen, ob meine Vorräte, meine Kräfte reichen. Für 40 Tage kann ich selbst mit Kühlschrank nicht genügend auf Vorrat haben, ich ahne nicht einmal, was dann sein wird.
Interessanterweise spielt die 40 auch heute noch eine große Rolle: Ein Bundespräsident muss mindestens 40 Jahre alt sein und Quarantäne – ist eigentlich ein 40tägiger Zeitraum, weil man Schiffe, auf denen eine Seuche ausgebrochen war, 40 Tage im Hafen isolierte, ehe man jemanden an Land ließ. Erfahrungsgemäß war dann alles vorbei.
Liebe Gemeinde, als Elia schließlich kräftig genug war und aufstehen konnte, „ging er durch die Kraft der Speise vierzig Tage und Nächte bis zum Berg Gottes, dem Horeb“. Es war dann nicht alles gut, aber er lebte, er ging weiter.
Denn Gott hat ihn gesehen und ihm einen Engel geschickt.
Gott sieht alle Sylvias und Danylas heute, er sieht auch dich und mich. Und er sendet seine Engel. Und jede von uns kann zu solch einem Engel werden. Wie?
Jesus hat einmal gesagt: „Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben, ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben, ich war fremd, und ihr habt mich bei euch aufgenommen. Ich war nackt und ihr habt mir etwas anzuziehen gegeben, ich war krank und ihr habt mich versorgt, ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht. Was ihr für einen meiner geringsten Brüder oder für eine meiner geringsten Schwestern getan habt, das habt ihr für mich getan.“
Jesus hat es uns vorgemacht. Hinzuschauen. Wahrzunehmen. Zu helfen. Nicht um uns selbst gut dastehen zu lassen. Sondern damit sie in der Wüste sagen: Und siehe, ein Engel. Ein Bote Gottes. Und ihn preisen.
Denn wahrlich: es ist genug!
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Ostersonntag 2022
Predigt zu Markus 16,1-8
In St. Martin, Nienburg
Liebe Gemeinde,
wir kommen von Karfreitag her und ersehnen Ostern. Wir kommen aus der Erfahrung des Todes. Des Todes Jesu, unseres Bruders und Freundes, unseres Meisters und Heilandes, eines Menschen und des Sohnes Gottes. Wir feiern Ostern in dem Bewusstsein, dass gerade jetzt Menschen durch Gewalt und im Krieg getötet werden. In der Ukraine, in Syrien, in Mali, an vielen Orten der Welt.
Auch ohne Krieg weiß manche von uns, wie es ist, wenn der Tod eines nahen Menschen im eigenen Leben eine Lücke hinterlässt, nein: einen Krater reißt.
Die drei Frauen wissen es: Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome. Ihr Freund und Meister wurde ihnen gewaltsam genommen, Jesus wurde am Kreuz getötet. Und nun ist da diese entsetzliche Leere in ihrem Leben.
Ich lese das Osterevangelium nach Markus im 16. Kapitel, die Verse 1 bis 8.
161Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 2Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. 3Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? 4Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.
5Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. 6Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. 7Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingeht nach Galiläa; da werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.
8Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.
Liebe Gemeinde, ich bewundere die drei Frauen. Sie verkriechen sich nicht in ihrer Trauer. Sie lassen sich davon nicht lähmen. Sie reagieren pragmatisch. Sie halten fest an dem, was sie haben: an Ritualen, den Leichnam Jesu. Sie wollen ihn noch einmal sehen, einbalsamieren, ihm diesen letzten Liebesdienst erweisen und ihm nahe sein. Seinen Tod zu begreifen versuchen. Doch: Er ist nicht hier! Und sie sind entsetzt und fliehen und schweigen.
So unsäglich - im wahrsten Sinne des Wortes - endet zunächst das Markusevangelium. Mit Angst und dem Schweigen. Und das nicht von ungefähr. Denn der Evangelist schreibt seine Version der Lebensgeschichte Jesu unter dem Eindruck eines Krieges, des ersten Jüdischen Krieges. Markus’ Osterbotschaft ist das leere Grab. Doch das weist noch zurück auf die Leere, die Jesu Tod im Leben seiner Freunde und Familie hinweist. Es deutet den Sieg Jesu über den Tod vorerst nur an. Trotz Engel. Die volle Bedeutung der Auferstehung Jesu dringt nicht zu Markus durch. Wie auch!?
Der römische Kaiser Vespasian schickt zu der Zeit seine Truppen durch das Land. Sie belagern und brennen nieder, morden und zerstören in Jerusalem: Kämpfer wie Zivilistinnen, Wohnhäuser und den Tempel. Nichts ist ihnen heilig, und keiner ist vor ihnen sicher.
Nein, Markus kann die Frauen in seinem Evangelium nicht jubeln lassen. Er schreibt keine triumphierenden Sätze wie Paulus: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“
Wo der Stachel des Todes ist, das sehen, das empfinden wir, das liegt auf der Hand. Die Frage, mit der ich ringe, ist vielmehr: Wo ist Gott in diesem Krieg - und in jenem?
Er ist nicht hier! Und die Frauen sind entsetzt und sagen niemandem etwas. Und wir sind entsetzt und schweigen ebenfalls. Womöglich waren wir dem Schrecken der ersten Zeuginnen der Auferstehung selten näher als heute, da sich die Hölle nur 1500km von uns entfernt auftut.
Als sprachlos, liebe Gemeinde, empfinde ich mich und viele andere, in und außerhalb der Kirche. Es ist, als hörten und wiederholten wir immer wieder nur die Worte des Engels: „Er ist nicht hier! Er ist nicht hier!“ Und blieben dabei stehen.
Doch der Engel sagt außerdem: „Entsetzt Euch nicht. Er ist auferstanden.“ Es ist eine einzelne Stimme. Etwas kläglich und ziemlich leise. Und die, die es hören, laufen davor weg. Zu unglaublich ist das Verkündigte.
Liebe Gemeinde, es ist gut und richtig, dass in diesem Jahr 2022 der erste Schluss des Markusevangeliums der vorgeschriebene Predigttext ist. Kein anderer Text wäre angemessener. Markus gibt der Sprachlosigkeit und dem Entsetzen Raum - und Würde. Ich lerne an diesem Osterfest mit großer Demut: Furcht und Entsetzen und Schweigen haben ihr Recht und dürfen sein! Die stumme Ohnmacht ist eine angemessene Haltung, weil Worte nicht hinreichen, wo solch abgrundtiefer Schmerz ist.
Aber dabei dürfen und können wir nicht stehenbleiben. Das sah schon die auf Markus folgende Generation und ergänzte einen zweiten Schluss in seinem Evangelium. Dort folgt nun auch nicht sofort Freude und Jubel:
Der Auferstandene erscheint darin zunächst der Maria Magdalena. Und nun schweigt sie nicht länger - bloß glaubt ihr jetzt keiner! Danach begegnet Christus zweien seiner Jünger, doch auch ihrem Bericht mag keiner Glauben schenken. Und dann erst, als er zu den Elf geht, glauben sie und sind bereit, aller Welt vom Ostergeschehen zu erzählen. Der Auferstandene sendet sie, und sie können Dämonen austreiben und heilen können sie auch. Also kein Leid und keinen Tod verhindern. Aber Linderung verschaffen, zu einem neuen, geheilten Leben verhelfen. Im Namen Christi. Immerhin das.
Dieser mehrfache, stotternde Markusschluss, wie ihn eine einmal nannte, zeigt: Es braucht Zeit, aus der Erstarrung aufzuwachen und das Entsetzen abzulegen. Es braucht Zeit, mit dem Tod zu leben und diese unfassbare Botschaft der Auferstehung und neuem Leben zu glauben und weiterzutragen.
Liebe Gemeinde, die meisten Ukrainerinnen und Ukrainer sind orthodoxen Glaubens. Ostern ist ihr wichtigstes Fest. An wie vielen nun kaputt gebombten Wohnzimmerwänden wird wohl eine Auferstehungs-Ikone gehangen haben? Also ein Bild der Auferstehung und Höllenfahrt Jesu. Aber nicht so wie in der westlichen Tradition, die darstellt, wie Jesus auferstanden ist. Die Anastasis-Ikone, wie sie auch heißt, konzentriert sich auf die Auswirkung der Auferstehung Jesu: dass Jesus Tod und Hölle besiegt. Zumeist reicht Jesus links Adam, rechts Eva die Hand und reißt sie aus der Hölle.
Liebe Gemeinde, es gibt Grund zu feiern. Ostern ist geschehen. Der Tod hat nicht das letzte Wort, und die, die morden, haben es erst recht nicht. Diesen Triumph, in Entsetzen zu erstarren, gewähren wir ihnen nicht. Wir wenden uns Christus zu, und drehen den Despoten der Welt den Rücken zu. Wir brechen aus in lautem Jubel und singen vom Sieg Gottes. Immer und immer wieder, bis es alle überall auf der Erde hören und auch die, die in der Erde ruhen. Wir singen und beten und hoffen und glauben. Jetzt erst recht. Und stellvertretend für alle, die in ihrem Entsetzen gefangen sind und stumm. Wir singen und beten und hoffen und glauben für unsere orthodoxen Glaubensgeschwister mit und an ihrer Seite und auch für die, die nicht glauben.
Und wir bekennen und verkündigen und tun, was wir tun können: wir heilen und vertreiben Dämonen. Wir verschaffen Linderung und verhelfen zu neuem, geheilten Leben. Denn wir kommen von Karfreitag her, aber wir leben in Ostern. Wir sind Ostermenschen. Wir sind „Protestleute gegen Tod“, wie Christoph Blumhardt sagt. Wir feiern Ostern jeden Tag! Vielleicht mit schwerem Herzen, aber nicht ohne Hoffnung. Und wir wissen: unser Zweifeln und unser Verzweifeln macht die Wirklichkeit des Himmels kein bisschen kleiner. Aber das Wirken des Himmels macht unsere Hoffnung immer größer. Unser Kleinglaube lässt Gott nicht schwächer werden. Aber Gottes Kraft stärkt unseren Glauben. Denn „seine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. Es ist Ostern. Auch in diesem Jahr. Und nicht weniger als sonst. Gott sei dank!
Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Familien unsere Konfis, liebe Gemeinde,
„we shall overcome“ haben wir gerade gesungen. Und ich finde, es ist ein richtiger Ohrwurm. Ich weiß gar nicht, wie bekannt das Lied heute noch ist. Mich würde es aber interessieren. Also, wie ist das bei Euch, die Ihr unter 18 Jahre alt seid: Hand hoch, wer hat das Lied schon mal gehört?
Und wie ist das bei denen zwischen 18 und 60, wer kennt es da?
Und bei denen, die über 60 Jahre alt sind, wer kennt es?
„We shall overcome“: „Wir werden überwinden. Eines Tages. Tief in meinem Herzen glaube ich das. Wir werden überwinden.“ So könnte man die erste Strophe übersetzen. Das haben vor uns Menschen gesungen, die unterdrückt wurden und sich nach einem Leben in Freiheit sehnten.
1901 hat das Lied Charles Tindley geschrieben. Als Sohn eines Sklaven und in Armut aufgewachsen, brachte sich Tindley nachts selbst lesen und schreiben bei. Später wurde erPastor in einem Vorort von Philadelphia und protestierte gegen den alltäglichen Rassismus. Er wurde selbst angegriffen und bedroht. Und wisst Ihr, was er gemacht hat, wenn er sich einsam fühlte oder Angst hatte? Dann setzte sich Tindley nachts hin, und fing an Lieder zu schreiben. Denn Singen tröstete ihn und gab ihm neue Kraft. Er hatte die Melodien im Kopf, die er als Kind mit seinem Vater während der Feldarbeit gesungen hatte. Für eine dieser Melodien schrieb er das Lied «I shall overcome».
Knapp 50 Jahre später hört man im Süden Missouris schwarze Gewerkschaftlerinnen sein Lied anstimmen. Aber sie sangen: «We shall overcome». Aus dem „Ich“ war im Lauf der Zeit ein „Wir“ geworden.
Wieder zehn Jahre später, zur Zeit der US-Bürgerrechtsbewegung, kannte das Lied jeder.
Ich erinnere mich an einen besonderen Tag, an dem ich das Lied gesungen habe. Es war der 28. August 2013. Zusammen mit Zehntausenden stand ich in Washington vor dem Lincoln Memorial und gedachte des Protestmarsches auf Washington. Auf den Tag genau 50 Jahre zuvor hatte Martin Luther King dort seine berühmte Rede „I have a dream“ gehalten.
Am 28. August 1963 war es wie immer im August, ziemlich heiß. Man trug lange Hosen, und es gab kaum Schatten. Der junge Pastor Martin Luther King Jr. war der letzte in einer langen Reihe von Rednern. Man kann sich vorstellen: Es hörte ihm eigentlich kaum einer mehr so richtig zu. Er sprach langsam und auch ein bisschen langweilig. Bis ihm die damals berühmte Sängerin Mahalia Jackson zurief: „Martin, jetzt erzähle ihnen von Deinem Traum.“ Da legte King sein Manuskript zur Seite gelegt und begann: „I have a dream.“ Und er erzählte, wofür sein Herz brennt. Und was er überwinden will. Es ist ein Traum von Versöhnung und Freiheit. Und dass Gottes Herrlichkeit auf Erden sichtbar wird. Und eine andere Sängerin, die berühmte Joan Baez (Baiäß), hat „We shall overcome“ gesungen.
In der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wurde „We shall overcome“ zur Friedenshymne schlechthin. Was Tindley als Ausdruck seiner Hoffnung und seines Glaubens niedergeschrieben hatte, wurde in allen Straßen gesungen und von allen Dächern gerufen: „We shall overcome“.
Aber auch die Menschen in Südafrika haben es zu ihrem Protestlied gegen die Apartheid gemacht und sich damit ermutigt: „We shall overcome“. Der Kampf für Frieden und für Menschenrechte wird nicht vergeblich sein!
Und er war es auch nicht: die Apartheit als stattlich festgelegte Rassentrennung ist Geschichte. Gleichwohl es Rassismus und soziale Ungerechtigkeit noch lange nicht sind.
„We shall overcome“. Das klingt wie ein Traum. Das klingt wie eine ferne Zukunft, eine Verheißung, ein Versprechen. Und auch heute fällt mir jede Menge ein, was wir hoffentlich überwinden werden. Und ich weiß, dass es auch Dinge gibt, über die Ihr Jugendlichen Euch Sorgen macht. Beim Schreiben der Fürbitten für den Taufgottesdienst in St. Michael fielen Euch sofort ganz konkrete Dinge ein, für die Ihr die Gebete schreiben wolltet. Dinge, die wir zu überwinden haben: Krieg und Armut, Klima- und Umweltzerstörung. Benachteiligung und Hass.
Liebe Gemeinde, Jesus hat etwas versprochen. Und zwar allen Menschen, die auf Frieden und Gerechtigkeit hoffen, die dafür beten und sich dafür tatkräftig einsetzen. Er hat gesagt:
Euer Engagement und Eure Hoffnung wird einst belohnt.
Glücklich, ja selig werdet ihr sein,
- die ihr nach Frieden und Gerechtigkeit dürstet.
- Selig werden die sein, die in dieser Welt nichts gelten,
- die sich gewaltlos wehren,
- die Erbarmen haben mit Menschen in Not
und sich für ihre Rechte einsetzen.
- Glücklich, die schwach sind und wissen, dass sie Gott brauchen.
- Selig, die jetzt traurig sind und leiden und hoffen.
Denn sie werden von Gott getröstet werden. Sie werden Gerechtigkeit erfahren.
„We shall overcome“
Wir haben mit Euch Konfis wegen Corona nicht viel singen können, aber ein bisschen dann doch. Beim Tauftag, mit Bärbel Hug. Lieder, von denen wir morgen bei Eurer Konfirmation einige singen werden.
Und wir haben in einer unserer ersten Stunden über die ganz alten Lieder der Bibel gesprochen, die Psalmen. Auch das sind zum Teil Protest- und Hoffnungslieder, die Menschen in Angst und Bedrängnis geschrieben haben.
Man muss ja nicht die Inhalte dieser Psalmen oder der modernen Lieder alle behalten. Aber wenn wir Euch sozusagen einen „Ohrwurm der Hoffnung“ mitgegeben haben, dann bin ich froh. Wenn Ihr Folgendes mitnehmt mit aus dem Konfer, dann ist es gut:
Dass da mehr ist zwischen Himmel und Erde, als wir sehen und begreifen können.
Da ist einer ist, der mein Lied hört, Tag und Nacht.
Ihm ist nicht egal, wovon ich träume.
Es lohnt sich zu dem zu stehen, was mich bewegt.
Denn Gott stärkt mir den Rücken.
Ich glaube und zweifle nicht allein.
Gott hält eine Zukunft für mich und uns bereit.
„We shall overcome“
Warum singen wir das heute, bei Eurem ersten Abendmahl? Wir haben darüber gesprochen, dass das Abendmahl mehrere Bedeutungen für uns Christinnen und Christen hat. Es ist nicht nur Erinnerung an Jesu letztes Mahl mit seinen Freunden. Wir feiern: Christus ist hier Er stärkt uns. Und wir sind bei aller Verschiedenheit eine Gemeinschaft, die zusammen Hoffnungslieder singt, für Frieden eintritt und auf das Reich Gottes wartet.
We shall overcome. Ein Ohrwurm, ein „sticky song“ wie man im Englischen sagt, ein Lied mit einer Vision, die kleben-, die hängenbleibt.
Jesus und die Propheten vor ihm haben uns das Bild einer Welt in Frieden vor Augen gemalt. Und damit einen Grund gegeben, an unserer Hoffnung auf Versöhnung und Liebe unter den Menschen festzuhalten. Etwas, worin wir uns verankern können.
Denn Jesus hat einmal gesagt: „In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“
Jesus hat die Welt überwunden und den Tod besiegt. Deshalb können Menschen bis heuteMut schöpfen und singen: Auch wir, we shall overcome. We are not afraid. Black and white together. We shall live in peace some day.
Amen.
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
„Sie ist Sinnbild für internationales Entsendungsmanagement. Sie steht für Wandel und Neubeginn, für Entdeckung und Reise sowie Freiheit und Aufbruch.“ Die Pusteblume.
Zum einen ist da das einzelne Samenkorn, das sich sicher und geschützt am Schirmchen auf die Reise begibt. Es landet oft weit entfernt von der Pflanze auf neuem Boden und dort bilden sich neue Pflanzen.
Zum anderen bleibt aber die Ursprungspflanze zurück, wächst weiter, manchmal durch den härtesten Asphalt, und bildet im nächsten Sommer erneut prächtige gelbe Blüten und neue Pusteblumen, deren Samen sich dann wieder auf die Reise begeben. Eine äußerst clevere Strategie, die die Natur hier verfolgt.“
Und: „wir begleiten und unterstützen das Unternehmen ebenso wie die entsendeten Mitarbeiter – sprich Samenkörnern - auf ihrer spannenden Reise und bei ihrer Entwicklung.“
Diesen Text, liebe Gemeinde, habe ich von einer Homepage einer Umzugsfirma für Unternehmen. Ich finde auch: Das ist eine äußerst clevere Strategie, die die Natur mit der Pusteblume verfolgt.
Habt Ihr Konfis das als Kind auch so gerne gemacht? Also früher? Pusteblumen pflücken und pusten, dass die Samen ganz weit fliegen und keine einzige mehr am Stil klebt? Also, ich mach das ehrlich gesagt immer noch gerne. Wenn keiner hinguckt.
Heute morgen soll die Pusteblume ganz bestimmt nicht Sinnbild für ein internationales Entsendungsmanagement sein. Sondern für Euch als Konfis. Eine Gruppe aus 25 sehr verschiedenen, selbstständigen Wesen. Alle kurz vor dem Flüggewerden.
Ihr Konfis - nicht nur Ihr zwölf heute, sondern auch die fünf, die schon vorletzten Sonntag in St. Michael konfirmiert worden sind und die acht, die wir letzten Sonntag konfirmiert haben - Ihr wart eine besondere Gruppe! Ihr wart besonders freundlich und aufmerksam. Ihr wart sehr unterschiedlich, und doch habt ihr gut zusammengearbeitet.
Ihr wart keine Gruppe, in der sich schon von Anfang an viele kannten. Viele kamen allein, ohne Klassenkameradinnen oder Freunde. Und da wir wegen Corona auch dieses Jahr keine Wochenendfreizeit machen konnten, war es auch kaum möglich, neue Freundinnen oder Freunde zu finden geschweige denn sich wirklich kennenzulernen. Wir saßen immer mit Maske auf Abstand. Wie soll man sich da beschnuppern oder miteinander flüstern? Das haben wir sehr bedauert! Und ich habe auf Euren Feedbackbögen gesehen: Euch ging es genauso.
Als Gruppe kamt Ihr mir daher vor wie eine Pusteblume: Ein filigranes und empfindliches Gebilde. Ich fürchtete immer, wenn ein unerwarteter Windstoß käme, würde es Euch auseinandertreiben.
Aber Ihr wart durchaus selbstbewusst! Ich erinnere mich: relativ am Anfang haben wir an einem Samstag zum Vaterunser Stühle gestaltet. Wir machen auch immer etwas mit den Händen. Da wurde deutlich: Ihr wart eine Gruppe, die viel selbst entscheiden wollte. Ihr habt bestimmt, welche Zuschnitte des Vaterunsers Ihr auf einem Stuhl gestaltet, welchen Halbsatz noch die einen zu ihrem Stuhl dazu nahmen oder die anderen. Ihr musstet und habt Euch in Euren Gruppen geeinigt, was Ihr malt und wer was macht. Das war Teambuilding mit zum Teil ganz Fremden. Und es hat richtig gut geklappt.
Statt der Konfifahrt haben wir hier einen Tauf-Samstag gestaltet mit Stationen wie z.B. dem goldenen Raum um den Taufstein herum. Und wir haben eine Kerzenandacht in der dunklen Kirche gefeiert.
Die Teamer haben Euch in Kleingruppen wild zusammengewürfelt. Ihr durftet nicht wählen, mit wem Ihr arbeitet. Ich war skeptisch. Aber dann hat es mich echt berührt, wie Ihr miteinander ins Gespräch gekommen seid. Wie Ihr einander Eure Konfirmationssprüche vorgelesen und erzählt habt, warum Ihr sie ausgesucht habt. Und Ihr habt Euch miteinander auf Fürbitten geeinigt.
Nicht nur da hat jeder und jede von Euch hat seine, ihre Gaben eingebracht. Und wir haben so viele tolle Begabungen in Euch entdeckt. Vielleicht fragt Ihr Euch jetzt: „Was für Begabungen? Ich kann doch nichts besonders gut!“ Doch, das kannst Du. Jede Menge sogar! Und wir könnten zu jedem und jeder von Euch was erzählen, womit Ihr uns beeindruckt habt. Dann würden wir allerdings noch lange hier sitzen…
Zum Thema Gaben möchte ich stattdessen einen Text vorlesen, den der Apostel Paulus an die Gemeinde in der Stadt Korinth geschrieben hat. Die waren auch ziemlich wild zusammengewürfelt und sehr verschieden. Sie haben aber nicht so gut zusammengearbeitet wie ihr.
Ich lese aus dem 1. Korintherbrief Kapitel 12:
„So verschieden die Gaben auch sind, die Gott uns gibt, sie stammen alle von ein und demselben Geist. 5 Und so unterschiedlich auch die Aufgaben in einer Gemeinde sind, so ist es doch derselbe Herr, der uns dazu befähigt. 6 Es gibt verschiedene Wirkungen des Geistes Gottes; aber in jedem Fall ist es Gott selbst, der alles bewirkt.
7 Wie auch immer sich der Heilige Geist bei jedem Einzelnen von euch zeigt, seine Gaben sollen allen zugutekommen. 8 Dem einen schenkt er im rechten Augenblick das richtige Wort. Ein anderer kann durch denselben Geist die Gedanken Gottes erkennen und weitersagen. 9 Wieder anderen schenkt Gott durch seinen Geist unerschütterliche Glaubenskraft oder unterschiedliche Gaben, um Kranke zu heilen. 10 Manchen ist es gegeben, Wunder zu wirken. Einige sprechen in Gottes Auftrag prophetisch; andere sind fähig zu unterscheiden, was vom Geist Gottes kommt und was nicht. Einige reden in unbekannten Sprachen, und manche schließlich können das Gesagte für die Gemeinde übersetzen. 11 Dies alles bewirkt ein und derselbe Geist. Und so empfängt jeder die Gabe, die der Geist ihm zugedacht hat.
Liebe Konfis, ok, gut, vielleicht hat keine von uns die Gabe bekommen Wunder zu wirken. Obwohl. Manchmal braucht es da nicht viel. Im rechten Augenblick das rechte Wort – oder im richtigen Moment schweigen und zuhören. Das kann Wunder wirken. Und Ihr seid einfach schon ein Wunder, so wie Ihr seid. Fragt mal Eure Eltern!
Eine jede und ein jeder von euch hat von Gott großartige Gaben empfangen. Die Stilleren und Schüchternen ganz genauso wie die Lauteren und Mutigeren. Und die Begabungen der einen sind nicht bedeutsamer als die des anderen. Sie sind gleich wichtig!
Beim Malen stachen die einen heraus, beim Debattieren die anderen, wenn es um Wissensfragen ging wieder andere als beim Philosophieren über Tod und ewiges Leben. Die einen hatten eine Gabe Videoclips zu drehen. Andere konnten sich gut in die Gebetsexperimente vertiefen. Und wieder andere konnten gut erfassen, was in den biblischen Texten gemeint war, die wir gelesen haben. Ich denke an unser Markusevangelium, das wir einmal ganz durchgelesen haben – naja, zumindest fast.
Dreimal lobt der Apostel unsere Verschiedenheit. Das ist ihm wichtig: Es ist gut, dass wir so verschieden sind. Bitte, seid stolz und Gott dankbar für genau Eure Stärken. Schaut nicht ständig auf das, was ihr nicht könnt oder habt. Vergleicht euch niemals mit anderen!
Dreimal sagt Paulus auch: Es ist Gott, der uns unsere Talente geschenkt hat. Es ist der Heilige Geist, der sie in uns bewirkt.
Nun, wie gehst Du mit einem richtig guten Geschenk um? Wenn Ihr was Tolles zum Beispiel zur Konfirmation bekämt und würdet es in die Ecke stellen und nie benutzen – dann wäre die Person, die Euch beschenkt hat, ziemlich geknickt. Sie würde sich fragen: Wozu habe ich ihr oder ihm dieses tolle Geschenk denn gemacht?
Jesus hat einmal gesagt: „Man zündet doch kein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, also einen Eimer, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind.“
Es wird von einem Rabbi, Rabbi Sussja, erzählt, er habe gesagt: „In der kommenden Welt wird man mich nicht fragen: Warum bist du nicht Mose gewesen? Man wird fragen: Warum bist du nicht Sussja gewesen?“
So werdet auch Ihr nicht gefragt werden, warum Ihr nicht Mutter Teresa oder Dietrich Bonhoeffer wart, sondern ob Ihr die Euch anvertrauten Gaben entfaltet, Euer eigenes Leben mit all seinen Möglichkeiten angenommen und gelebt haben.
Liebe Konfis, Gott schuf jede und jeden von Euch mit wunderbaren und wichtigen Gaben. Und in Eurer Taufe wurdet Ihr aufgenommen in die weltweite Gemeinschaft der Christinnen und Christen. Heute sagt Ihr „Ja“ zu Gott und dieser Gemeinschaft, bekräftigt, dass Ihr weiter dazugehören wollt. Aber nicht mehr als Kinder. Heute hebt Ihr ab wie die Samen einer Pusteblume. Ihr werdet religionsmündig.
Wir laden Euch ein und ermutigen Euch: Setzt Eure Gaben ein, zum Nutzen Eurer Gemeinde und Eurer Kirche, für unsere Gesellschaft. Versteckt sie nicht, achtet sie nicht gering. Stellt Euer Licht auf einen Leuchter, dass es alle in diesem Haus sehen. Bringt Euch ein! Wir warten genau auf Euch!
Ihr habt nicht nur als einzelne gezeigt, dass Ihr so viele tolle und wichtige Gaben habt. Sondern Ihr habt auch als Gruppe gezeigt: Ihr könnt in einer sehr vielfältigen Gemeinschaft zusammenarbeiten und Euch einbringen. Das ist eine heute unschätzbare Eigenschaft.
Also, liebe Gemeinde, um nochmal auf den Anfang zurückzukommen: Mir hat der Text von der Umzugsfirma so gut gefallen, ich glaube, ich übernehme den auch für unsere Homepage von St. Martin. Mit folgenden kleinen Veränderungen:
„Die Pusteblume ist Sinnbild für unsere Konfigruppe. Sie steht für Wandel und Neubeginn, für Entdeckung und Reise sowie Freiheit und Aufbruch.
Zum einen ist da die einzelne Konfirmandin, der einzelne Konfirmand, die oder der sich sicher und geschützt unter Gottes Schirm auf die Reise begibt. Er oder sie landet oft weit entfernt von dem, was er oder sie früher mal dachte und glaubte, auf ganz neuem Boden. Und dort bilden sich neue Gedanken und Ideen, Werte und Interessen, finden sich neue Freunde und Freundinnen.
Zum anderen bleibt aber die Kirchengemeinde, entwickelt sich weiter, manchmal durch den härtesten Asphalt, und empfängt im Sommer erneut eine prächtige Konfi-Gruppe, deren Mitglieder sich dann ein Jahr später auch wieder auf die Lebens- und Glaubensreise begeben. Eine äußerst clevere Strategie, die wir mit Gottes Hilfe verfolgen.
Wir begleiten und unterstützen unsere Konfis auf ihrer spannenden Reise und bei ihrer Entwicklung.“
Und der Friede Gottes, der so viel höher ist als all unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Manchmal, liebe Gemeinde, wünschte ich, ich wäre eine Schnecke. Dann könnte ich mich in so Zeiten wie jetzt in mein Schneckenhaus verkriechen.
Da wäre ich geborgen und geschützt. Da würde ich nichts von Krieg lesen und nichts von Teuerung spüren und nichts von Kindesmissbrauch hören. Da wäre keine Einsamkeit und kein Verzweifeln, kein Leiden und kein Sterben.
Ich bin sicher: Gott weiß um meine Sehnsucht und Angst. Und er weiß, Gott sei dank, vor allem um die Sehnsucht und Angst derer, die einsam oder verzweifelt sind, die wirklich leiden und viel mehr Angst haben.
Manchmal, liebe Gemeinde, da will ich mich aber auch aus Scham verkriechen. Weil ich wieder Fehler gemacht habe, die mich ärgern. Weil ich anderen nicht gerecht geworden bin. Weil ich meinen Ansprüchen und denen anderer Menschen nicht genügen kann.
Am liebsten Augen zu und nicht dran denken. Vielleicht, wenn ich die Augen schließe, ist es einfach nicht wahr? So wie ein Kind sich die Augen zuhält und hofft, dass dann weg ist, wovor es Angst hat. So komme ich mir dann vor.
Nun, das funktioniert leider nicht. Aber es tut gut und schützt, sich mal abzuwenden, Ruhe zu haben. Und zu horchen, auf die leisen Töne in einem selbst. Die Bedürfnisse und Ängste. Auch die eigenen Stärken und das, was einem Freude macht. Dem Raum zu geben.
Und manchmal baue ich mir dann mein Schneckenhaus selbst: in unserem Wohnzimmer oder Garten, mit Mauern aus ganz viel Terminen oder wunderbaren Büchern.
Noch lieber würde ich mich aber in Christus bergen. Dort wäre ich sicher.
Wie im Schneckenhaus. Gott zum Verkriechen sozusagen. Denn Gott weiß, was ich brauche. Jesus nimmt mich sicher auf.
„In Christus“, sagt Paulus in seinem Brief an die Römer. Und überhaupt sagt er das oft. Weil ihm das wichtig ist. Wer „in Christus ist, der wird nicht verdammt“ und nicht verurteilt. Römer 8, unser Predigttext für heute.
„So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ Keine Verdammnis. Nun, die drängt es nicht aus dem Leben, die haut es nicht um. Die schüttelt das Leben zwar kräftig durch, oh ja! Aber sie bleiben geschützt. In diesem Schneckenpanzer. „In Christus Jesus.“ In seinem Haus kann mich nichts angreifen und nichts verletzen. Nichts kann mich zerstören. Und sein Schutz ist sogar stärker als der Tod.
In Christus leben wir durch den Geist Gottes. Er macht uns sogar frei vom Tod. Oder mit Paulus Worten gesprochen: „So gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind. Denn das Gesetz des Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus,
hat dich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.“ Obwohl wir weiterhin sterblich sind.
Manchmal, liebe Gemeinde, verkröche ich mich am liebsten in meinem Schneckenhaus und hörte nicht mehr hin. Nicht auf meine eigene Stimme, die mich anklagt, nicht auf die Stimmen derer, den es schlecht geht. Weil es anstrengend ist. Ja, und auch auf Gottes Stimme mag ich nicht immer hören. Auch wenn Paulus mir zusagt: „Es gibt es nun keine Verdammnis für die, die in Christus Jesus sind.“ Kurz gesagt: Keiner verurteilt Dich für nichts! Oder mit Paulus: „Der Geistes, der lebendig macht in Christus Jesus, hat dich frei gemacht vomGesetz der Sünde und des Todes.“ Ja, frei gemacht vom Tod. Oft ist mir das so fern und die Bedeutung dieser Worte dringen nicht zu mir durch.
Aber, liebe Gemeinde, jede Schnecke verlässt auch ihr Haus. Auf der Suche nach Nahrung. Es drängt sie hinaus ins Leben. Ins eigene und das anderer Schnecken. Wenn sie genug ausgeruht, wenn sie neue Kraft gesammelt hat. Drinnen. Dann möchte sie wieder heraus.Nicht allein sein. Nicht nur das Eigene sehen. Sich nicht nur immer um sich selbst drehen.
Und draußen ist es dann schön. Lauter wunderbare Sachen und andere Schnecken gibt es dort. Und sie trinken den Tau und essen Beeren und Salat. Und ärgern damit die Gärtnerinnen. Salat finde ich auch wunderbar. Und Grillen oder Spargel, Eiscreme oder Erdbeeren. Die ganz normalen Freuden des Alltags eben.
Manchmal, liebe Gemeinde, nein, eigentlich ganz oft, da möchte ich raus aus dem Schneckenhaus ins Leben. Und ich will immer daran denken: Ich kann mich trotzdem in Christus bergen. Immer. Aus seinem Haus muss ich nicht raus. In ihm kann ich geborgen sein wie in einem Schneckenhaus und bin doch zugleich mitten im Leben. Geschützt von seinem Panzer.
Liebe Gemeinde, wir feiern Pfingsten, und ich rede von Schnecken und Schneckenhäusern – weil die Jünger sich damals nach Jesu Tod und Auferstehung, nach seiner Himmelfahrt auch verkrochen haben. „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen“, hatte Jesus ihnen versprochen – und dann verschwand er. Aber er sandte seinen Geist tatsächlich, „den Geist der Wahrheit“ und „den Tröster“, wie Johannes sagt.
Und Gottes Geist kam an Pfingsten über sie und blieb bei ihnen. Gott war fortan in seinem Heiligen Geist immer um sie und in ihnen und über ihnen und unter ihnen. Wie ein unsichtbares Schneckenhaus. Und der Geist trieb sie raus.
Denn als Christinnen sind wir nicht der Welt abgewandt, sondern gesandt, in sie hinauszugehen. Und wir können das auch. Wie die Jünger. Sie gingen raus in alle Welt und erfüllten Jesu Auftrag und waren seine Zeugen. Denn sie waren gepanzert, sie waren stets „in Christus“ – geborgen. Sie fühlten seine Gegenwart. Sie hörten seine Stimme. Sie wurden getragen von seiner Kraft und beflügelt von seinem Geist.
Wenn ich Menschen erlebe, die sich was trauen für andere, die dableiben, wenn es hart wird, dem Schrecken standhalten, die nicht zuerst an sich denken – dann berührt mich das. Dann sehe ich Gottes Geist am Werk. Dann begeistert es mich. Dann springt was über von dem Funken der Liebe Gottes, die da am Werk ist. Ich denke an Hospizhelferinnen und -helfer, an in der Gemeinde Engagierte und in der Kirche Mitarbeitende. Und an viele andere.
Liebe Gemeinde, ich nehme das heute mit, das unsichtbare Schneckenhaus. Wer in Christus ist, der trägt einen Panzer und ist zugleich mitten im Leben. Der ist befreit, von aller Verurteilung, ja selbst vom Tod, obwohl wir sterben müssen. Denn der Geist Gottes ist in mir und um mich herum, über mir, um mich zu schützen und unter mir, um mich zu tragen. Und sie, die Geistkraft Gottes, sie ist in euch und um euch herum.
Und über und unter dem Dasein-Hospiz und seiner Kirche. Halleluja.
Liebe Jubelkonfirmandinnen und -Konfirmanden, liebe Gemeinde,
ich bin neulich Zug gefahren und habe an Sie gedacht, die Sie vor 50 Jahren und mehr in St. Martin konfirmiert wurden. Und ich habe an Musik gedacht - und welche Eisenbahnlieder ich eigentlich so kenne. Das 1982 getextete Lied vom „Sonderzug nach Pankow“ von Udo Lindenberg, das ist mir als erstes eingefallen. Aber das ist ja erst 40 Jahre alt. Ich kenne auch „Es fährt ein Zug nach nirgendwo“ von Christian Anders. Das war 1972 ein Hit, im Jahr der Konfirmation unser Goldkonfirmandinnen und -konfirmanden. Erinnern Sie sich daran?
Dank einer Suchmaschine weiß ich, dass witzigerweise auch 1962 ein Eisenbahnlied in den Charts zu finden war: „Und dein Zug fährt durch die Nacht“ von Peter Beil. Ich kenne es nicht; ist Ihnen das bekannt?
Ja, sogar 1942 gab es einen Bahn-Hit unter den Topschlagern: „Liebe kleine Schaffnerin“von Rudolf Carl.
Nun, zugegeben, in den anderen Jahren wurde ich nicht fündig; 1952 waren irgendwie mehr Lieder von Schiffen und Kapitänen in.
Aber unsere Deutsche Bahn, die spielt nicht nur in der Hitparade eine große Rolle für uns. Sie wird ja rege genutzt, wie ich auf meiner Fahrt feststellen, und die ich in vollen Zügen genießen konnte. Und das ist nicht erst seit dem 9-Euro-Ticket so.
Als ich mit besagtem Zug unterwegs war, kam ich an etlichen Stellwerken vorbei: Türmen oder emporragenden Häusern in Bahnhofsnähe, mit Fensterfront zu den Schienen.
Auch wenn dort keine Weichenwärter mehr auf die Gleise hinunterschauen, und auch wenn die Weichen nicht mehr durch riesige Hebel gestellt werden – es gibt sie weiterhin: die Weichenwärter oder Fahrdienstleiterinnen, die bestimmen, welcher Zug wo die Spur wechselt. Sie oder er hat dabei immer das Gesamtgefüge, alle Züge, die in einem bestimmten Bezirk unterwegs sind, im Blick.
Wie so ein Weichenwärter, liebe Festgemeinde, kommt mir unser Gott vor. Wenn ich hier über Züge und Weichen, Stellwerke und Lieder über die Bahn spreche, geht es mir doch um Gott. Es geht um unseren Glauben und unser Leben - und um einen Bibeltext. Ich lese aus dem Buch der Sprüche, Verse Kapitel 16 (Verse 1-3 und 6-9):
1 Der Mensch denkt über vieles nach und macht seine Pläne, das letzte Wort aber hat Gott. 2 Der Mensch hält sein Handeln für richtig, aber Gott prüft seine Beweggründe. 3 So vertraue Gott deine Pläne an, er wird dir Gelingen schenken.... 6 Wer Gott treu ist und Liebe übt, dem wird die Schuld vergeben; und wer Ehrfurcht vor Gott hat, der meidet das Böse. 7 Wenn dein Handeln Gott gefällt, bewegt er sogar deine Feinde dazu, mit dir Frieden zu schließen. 8 Besser wenig Besitz, der ehrlich verdient ist, als großer Reichtum, durch Betrug erschlichen. 9 Der Mensch plant seinen Weg, aber Gott lenkt seine Schritte.
„Der Mensch denkt über vieles nach und macht seine Pläne“, aber letzlich…. „Der Mensch denkt, Gott lenkt“, so sagt man.
Und so werden Fahrstrecken geplant und Fahrpläne geschrieben. Der Lokführer oder die Lokführerin fährt den Zug. Aber ob die Reise wirklich dort lang geht, wo man es geplant hat, das entscheidet sich im Stellwerk. Wir merken es als Fahrgäste nicht. Aber dort werden die Weichen gestellt. Nur der Fahrdienstleiter im Stellwerk hat den Überblick aus seiner erhöhten Position. Er weiß von allen Zügen und verhindert Zusammenstöße. Letztlich bestimmt er, wo die Reise langgeht, und das ist auch besser so. Der Lokführer, die Lokführerin hat nicht denselben Überblick.
Liebe Jubelkonfirmandinnen und -konfirmanden, Sie waren 14 Jahre alt, als Sie hier vorne vor dem Altar gekniet und den Segen empfangen haben. Für manche von Ihnen begann nach der Konfirmation eine Lehre. Viel mehr als heute war die Konfirmation eine Zäsur. Auch heute ist man mit 14 Jahren kein Kind mehr und beginnt mehr und mehr eigene Wege zu gehen. Man erhält Rechte, kann Patin werden. Man wird nicht nur voll religions- sondern auch bedingt strafmündig.
Aber so ganz schalten und walten, wie man will – nein, das kann man mit 14 nicht. 14, das ist das Alter, in dem die Eltern komisch werden. Zuhause muss man einige Kämpfe ausfechten, um den Erwachsenen klarzumachen, dass man kein Kind mehr ist. Und wenn sie es nicht verstehen, dann macht man manches heimlich. Erinnern Sie sich an diese Zeit?
„So vertraue Gott deine Pläne an, er wird dir Gelingen schenken.... Wer Gott treu ist und Liebe übt, dem wird die Schuld vergeben; und wer Ehrfurcht vor Gott hat, der meidet das Böse.“
Irgendwann ist es soweit. Der Weg ist klar. Alle Hebel sind in Bewegung gesetzt, es kann endlich richtig losgehen. Und das Leben nimmt Fahrt auf. Die Landschaft und alles gleitet im Höchsttempo an einem vorbei. Eine „Liebe kleine“ oder große „Schaffnerin“, ein lieber Schaffner mit an Bord. Leben auf der Überholspur. Immer weiter vorwärts. Am Tag und auch „Durch die Nacht fährt dein Zug“. Mit wenig Halten.
Nun ja, immer wieder gibt es auch Richtungswechsel. Ungeplante Umleitungen sind notwendig, manchmal sogar Vollbremsungen.
Nicht ohne den, der die Weichen stellt! Crashs wären die Folge.
Liebe Jubilare, Sie wurden 21 Jahre alt und erwachsen. Die Adoleszenz. Sie erlernten einen Beruf.
Von Plänen und ihrem Gelingen ist die Rede in unserem Bibeltext. Von Liebe und Treue. Vielleicht verliebten Sie sich, fanden eine Partnerin, einen Partner und gründeten eine Familie. Manche bauten sich ein Haus, Sie richteten sich ein. Eine aufregende Zeit. Eine Zeit der Blüte.
Und Ihr Glaube? Wuchs der auch und wurde erwachsen? Oder geriet er ins Hintertreffen? Wie haben Sie Gott erlebt auf Ihrem Weg? War Ihnen Seine Nähe und sein Wirken sozusagen im Hintergrund bewusst?
„Wer Ehrfurcht vor Gott hat, der meidet das Böse.“ Ist das gelungen?
Es gehört wohl auch zu einem jeden Leben dazu, schuldig zu werden an anderen und vor Gott. Egal wie sehr man sich bemüht.
„Wenn dein Handeln Gott gefällt, bewegt er sogar deine Feinde dazu, mit dir Frieden zu schließen. Besser wenig Besitz, der ehrlich verdient ist, als großer Reichtum, durch Betrug erschlichen. Der Mensch plant seinen Weg, aber Gott lenkt seine Schritte.“
Viele Stationen hat man bereist. Immer häufiger braucht es inzwischen eine Reparatur. Die Geschwindigkeit ist gedrosselt. Ja, andere überholen einen jetzt. Die angepeilten Ziele sind bescheidener geworden, die Strecken kürzer.
Und häufiger kreisen die Gedanken über den Zielbahnhof, als das zu Beginn der Reise noch der Fall war. „Fährt (m)ein Zug nach nirgendwo“ oder liegt ein Ziel vor mir? Und wie sieht das aus?
Man blickt auf eine lange Fahrt zurück, hat viel gesehen, viel erlebt. Vor so vielen Unglücken wurde man bewahrt, so manches hat man überlebt. Einige bittere Abschiede musste man nehmen.
Auf dieser Etappe kann man wissen: Wie lebenswichtig der da oben in seinem Stellwerk ist, der die Weichen in meinem Leben richtig stellt. Der weiß, warum es manche Umleitung brauchte. Der weiß, wohin die Reise geht. Der verheißt, dass am Ende ganz großer Bahnhof auf uns wartet.
Liebe Festgemeinde, die Familienphase ist vorbei, der Ruhestand ist im Blick oder schon lange da, man kann es langsamer angehen lassen. So manches schaut man schon bilanzierend an: Wie sind wir mit unserer Schuld und der anderer uns gegenüber umgegangen? Gab es Versöhnung? Keine unwichtige Frage, wenn man sich fragt: Was ist in meinem Leben gut gelungen, wo bin ich gescheitert?
Und Gott? Welche Rolle spielt Jesus Christus, zu dem ich mich einst in der Konfirmation bekannt habe?
Ich glaube gewiss, der Verfasser unseres Predigttextes aus dem Buch der Sprüche ist kein Sprücheklopfer. Er ist weise und hat Recht: „Der Mensch denkt, aber Gott“ - stellt die Weichen.