Predigten

Predigten von Superintendentin Dr. de Vos

Gnade sei mit uns und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt. Amen.

Liebe Gemeinde,

„Früher war alles besser“. Ich denke, dass alle, die hier sind, diesen Satz schon mal gehört haben.

„Früher war alles besser“: Warum sagen Menschen das?

Jugendliche, die das hören, verdrehen häufig die Augen. Sie können mit dem „Früher“ wenig anfangen, sodass dieser Satz eine Kluft entstehen lässt zwischen den Älteren, die das sagen, und ihnen.

Manchmal wecken Menschen, die das sagen, den Eindruck, als würden sie nicht gerne im Heute leben, als hätten sie Sehnsucht nach alten Zeiten. Verklären sie damit die Vergangenheit?

Und dann kommt man in ein Alter, in dem man sich selbst ab und zu selbst bei diesem Gedanken erwischt … dass zumindest manches früher besser war. Ich bekenne mich „schuldig“

Wofür steht diese Äußerung? „Früher war alles besser“ Heißt das, dass jemand verunsichert ist? Dass er oder sie sich nicht zurechtfindet oder nicht zurechtfinden mag in den heutigen Lebensbedingungen?

War früher manches klarer? Oder wird die Vergangenheit verklärt, weil nur noch die angenehmen Erinnerungen vor Augen stehen und das Schwere vergessen ist?

Vermutlich stimmt von manchem ein wenig. Sicher ist: Diese Äußerung ist nicht neu.

Früher hat man auch schon gesagt, dass früher alles besser war….

Ein Zitat gebe ich Ihnen zum Besten: „Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte“. Klingt doch ganz und gar nicht angestaubt, oder? Dabei stammt dieses Zitat von einer Tontafel aus der Kultur der Sumerer ungefähr 3000 Jahre vor Christus; das sagt man also schon seit mindestens 5000 Jahren.

Lassen Sie uns einmal anders schauen auf diesen „Lebensseufzer“, denn Anlass für meine Bemerkungen bietet der Text aus dem Alten Testament, den wir vorhin gehört haben.

Unser Predigttext ist ein Zeugnis, das ebenfalls schon einige tausend Jahre alt ist, bei dem sich eine ganze Gruppe von Menschen dem sehnsuchtvollen Blick nach der Vergangenheit hingibt und am liebsten zurück will, zurück in die alten Zeiten.

Ganze sechs Wochen sind sie unterwegs, seit sie aus Ägypten fliehen konnten. Eineinhalb Monate. Wenn sie gewusst hätten, dass aus diesen sechs Wochen vierzig Jahre werden würden…? Aber das ist nur ein Gedanke zwischendurch.

Das Volk beschwert sich bei seinen Anführern. Die Menschen haben Hunger. Es gibt nichts zu essen. Nachvollziehbar, dass sie dann murren. Und klar, dass die Menschen zu ihren Anführern, zu Mose und seinen Bruder Aaron, gehen. Bloß, was sie jetzt sagen, ist trotzdem bemerkenswert: „Früher haben wir an den Fleischtöpfen gesessen und genug Brot zu Essen gehabt. Ach, wären wir doch in Ägypten geblieben!“

Wohl gemerkt: Ägypten, das war das Land, aus dem sie geflohen waren, weil die Ägypter sie als Sklaven gehalten hatten. Aus dieser bedrängten und bedrohlichen Situation hat ihr Gott sie gerettet. Ihr Gott, der Gott des Volkes Israel, hatte Mose als Anführer ausgewählt und die Menschen befreit. Er hatte ihnen die Flucht ermöglicht. Gerade erst hatte sein Volk auf wunderbare Weise trockenen Fußes durch das Schilfmeer wandern lassen, während die Wassermassen über den Verfolgern wieder zusammenschlugen.

Ein paar Tage später dann der Seufzer „früher war es besser“, mehr noch: „Wären wir doch in Ägypten gestorben, statt hier in der Wüste zu hungern.“

Was auffällt: die Menschen haben all das offenkundig vergessen, das dieses „Früher“ gar nicht so gut dastehen lässt: Sie waren unterdrückt, der Pharao hatte sogar Säuglinge töten lassen. Sie waren gefangen in Sklaverei, abgesehen davon, dass es sehr fraglich ist, ob sie als Sklavinnen und Sklaven überhaupt viel von den ägyptischen Fleischtöpfen abbekommen haben.

So verständlich es ist: Hunger ist quälend, aber nur weil die Gegenwart schwer ist, war die Vergangenheit noch lange nicht besser!

Wie ging es weiter? Gott sorgte für seine Menschen. Er schickt offenkundig zuerst sogar Fleisch! Wachteln fallen einfach vom Himmel – das klingt nach Schlaraffenland (wenn Sie sich nicht vegetarisch ernähren…). Das Eigentliche geschieht am nächsten Morgen, als sie am Boden etwas Fremdes sehen und sagen „Man hu“? – das ist Hebräisch und heißt schlichtweg „was ist das?“. Die Bezeichnung Manna in der Wüste stammt von diesem Ausruf.

Die Menschen sammelten das Manna – aber sie sollten ausdrücklich nicht mehr sammeln als sie brauchten. Und wer sich nicht daran hielt, konnte erfahren, dass alles, was übrig blieb, verschimmelte, das Sammeln von Vorräten brachte gar nichts.

Diese Geschichte ist eine große Herausforderung, nämlich wie man Enttäuschungen bewältigt, wie man sich öffnet, wie man lebt im Hier und Jetzt und dabei Vertrauen entwickelt!

Bildlich lässt sich vieles von den Erfahrungen in der Wüste auf unsere Lebensbedingungen übertragen:

Gott befreit uns von den must have-Vorstellungen, von dem, was so unbedingt sein muss, von dem, wie Dinge laufen müssen, weil wir uns sonst übergangen oder überfordert fühlen.

Gott befreit uns, damit wir unseren Blick auf die aktuelle Situation richten können, ohne dass die Trauer um die Vergangenheit uns lähmt. Dazu gehört allerdings Vertrauen.

War früher alles besser? Da ich diese Redeweise von der Kanzel aus in Erinnerung rufe, darf ein Blick auf unsere Kirche nicht fehlen. Denn auch über die Kirche höre ich immer wieder „früher war alles besser“. Früher gehörten mehr Menschen zur Kirche, früher hatte die Kirche in der Gesellschaft einen ganz anderen Status, früher – diese Reihe ließe sich weiter fortsetzen.

Ich möchte Ihnen persönliche Erfahrungen schildern: In den letzten Monaten habe ich vor Gottesdiensten, Veranstaltungen oder Sitzungen häufiger bei anderen nachgefragt, wie was in dieser Gemeinde oder jenem Gremium üblicherweise gehandhabt wird. Schließlich bin ich noch kein Jahr hier als Superintendentin und kenne nicht alle Vorgänge. Wenn ich also pragmatisch klären wollte, wie wir dies oder jenes jetzt tun, dann bekam ich häufiger als Antwort: Ja, früher waren wir ja mehr Leute, da haben wir das so und so gemacht. Aber das geht ja nicht mehr. – Auf meine pragmatisch gemeinte Frage kam mir ganz viel Trauer entgegen. Als würde es schwer fallen, miteinander zu überlegen, wie wir eine konkrete Aufgabe anpacken, weil anlässlich dieser Frage alle Erinnerungen hochkommen an andere Zeiten, in denen wir mehr Leute waren. Zeiten, in denen vieles besser war. Mich stimmt das sehr nachdenklich. Wenn Trauer um Verlorenes uns daran hindert, unser Leben heute anzupacken: wenn das Verlusterlebnis frisch ist, dann ist das völlig normal. Dann braucht man erst einmal Kraft und Mut, die nächsten Schritte unter ganz neuen Bedingungen zu gehen. Aber die Trauer darf uns als Gemeinde, als Kirche nicht lähmen!

Sicher, die Kirche war bei Gottesdiensten voller: Aber nicht alle, die da saßen, waren aus freien Stücken da. Erwartungsdruck anderer ließ manche zur Kirche gehen, deren Herz für das Evangelium nicht automatisch offen war. Und so lassen sich weitere Beispiele aufzählen. Was ich sagen will: Es gibt sicher vieles, das früher besser war. Aber es wäre je genau zu klären, wann dieses früher war und unter welchen Bedingungen das wirklich besser war.

Früher war zum Beispiel die gesellschaftliche Rollenverteilung klarer, jede Person wusste leichter, wo ihr Platz ist. Andererseits durfte noch zu meinen Lebzeiten eine Frau nicht ohne Zustimmung ihres Mannes arbeiten gehen oder ein Konto eröffnen. Das kann ich nicht besser finden!

Ma na? Was ist das? Was ist das heute? Wie können wir umgehen mit all den individualisierten Entscheidungszwängen, mit Unfrieden und Unklarheiten?

Ma na? Was ist das? Wie können wir umgehen mit einer kleiner werdenden Kirche? Die neuesten Prognosen sagen, dass die Mitgliederzahl im Kirchenkreis Nienburg zwischen 2010 und 2035 um knapp die Hälfte zurückgehen wird, von 40.000 auf 21.000.

Früher, ja früher…

Wie können wir heute damit umgehen? Wie wollen wir in die Zukunft gehen?

Für das Heute bekommen wir Manna: Denn die gute Nachricht ist, dass die Botschaft des Evangeliums in ihrer Kraft nicht abnimmt. Unser Gott wird nicht halbiert, wir dürfen weiter jeden Schritt von Gott begleitet gehen. Immer genug für jeden einzelnen Tag. Weder Vorräte sammeln noch gebannt zurückschauen hilft für das Heute.

Was ich mich für uns als Kirche frage: Wenn viele Menschen so viel Trauer im Herzen haben um das, was nicht mehr möglich ist – wo ist der Raum, um diese Trauer zu bearbeiten? Welche Wege gibt es, um sich miteinander der Gegenwart zuzuwenden?

Die vollen Kirchen zu sonntäglichen Gottesdiensten sind ebenso Vergangenheit wie die Fleischtöpfe Ägyptens.

Was ist das heute? Denn Manna – im übertragenen Sinne – hat Gott für uns ebenso bereit wie für sein Volk damals in der Wüste. Für jeden Tag genug, um vertrauensvoll, bewusst im Heute zu leben. Lasst uns die Augen und Herzen offenhalten und miteinander entdecken, welche Wege wir gehen können! Dazu gehört sicher auch Mut und Nüchternheit, dazu gehört aber ebenso, dass wir uns – verschieden wie wir sind – unterstützen und austauschen über Ideen, Erfahrungen und Hoffnungen.

Manna, das war etwas zu essen, das die Israeliten vorher noch nie gesehen oder geschmeckt hatten. Sie wurden mit etwas Neuem beschenkt. Ich bin sicher, auch bei uns kann Neues entstehen. Dafür möchte ich gerne zusammen mit Ihnen die Augen und Herzen offenhalten, um miteinander im Hier und Jetzt lebendige Kirche zu sein. Es gibt zahlreiche Ideen, wie das aussehen könnte. Aber es ist vielleicht Manna und nicht das altgewohnte Frühstücksbrötchen, um noch einmal das Bild zu bemühen.

Gott hilft uns, in der Gegenwart zu leben und bewusst unser Leben als eines zu erfahren, das er uns ermöglicht. Von der Hand in den Mund hat das Volk Israel in der Wüste zu leben gelernt. Dann wird er uns auch nicht allein lassen.

Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Predigten von Pastorin Schmid-Waßmuth

Lalalaaaala lalalalalaa – ja, danke auch für den Ohrwurm! Jetzt werde ich dieses Lied nicht mehr los!

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe Schulgemeinde,

ein Abschieds-Lied habt Ihr im Chor gesungen! Oder eher: ein Wiedersehens-Lied:

"It’s been a long day without you my friend. And I’ll tell you all about it when I see you again. We’ve come a long way from where we began. Oh I’ll tell you all about it when I see you again."

Das Lied ist so gut, ich war kurz versucht, meine Predigt zu rappen. – Aber keine Sorge, ich verschone Euch. Rappen gehört nicht zu meinen Stärken.

Ich musste bei dem Lied und angesichts Eures Abschiedes, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, an mein erstes Klassentreffen nach dem Abitur denken. Es fand nach 20 Jahren statt. Und ich hatte keinen meiner ehemaligen Mitschüler in der Zwischenzeit wiedergesehen.

Und wisst Ihr, was irre war? Die Klassenkameradinnen hatten sich zwar total verändert. - Naja, einige auch irgendwie überhaupt nicht! Die sahen noch so aus wie früher und die verhielten sich auch noch so! - Aber sie lebten jetzt alle ein sehr anderes Leben, z.T. weit weg. Waren im Beruf, hatten Familie, trugen Verantwortung.

Aber die Zuneigung, die freundschaftlichen Gefühle, dieses Auf-derselben-Wellenlänge-Sein – das war mit denen sofort wieder da, mit denen man sich damals auch super verstanden hat. Ich konnte auch nach zwei Jahrzehnten mit alten Freundinnen in Erinnerungen abtauchen und über die damaligen Lehrer ablästern – und für andere weiter schwärmen. Und auch andere Gefühle von damals waren wieder sofort da: Das Misstrauen dem einen gegenüber, das nicht so richtig ernst nehmen können dem anderen, - die Distanz und die Nähe, das Vertrauen und die Abneigung. Alles wie früher! Sofort wieder da, als hätte es die Zeit dazwischen nicht gegeben. Manches bleibt, auch wenn die Gesichter faltiger werden.

Aber vielleicht dauert es bei Euch nicht so lange, bis Ihr Euch wiederseht. Vielleicht kommt Ihr mal zum Altstadtfest nach Nienburg zurück, für die einen noch Semesterferien, für andere zumindest Wochenende. Wie schön, wenn man dann an den Stand von ASS und St. Martin hier vor der Kirche kommt und dort erinnert sich jemand an dich: Remember me, when I am gone.

Vermutlich wisst Ihr das: Der Soundtrack „See you again“ zum Film „Furious 7“ ist auch eine Hommage gewesen für einen, der viel zu früh verstorben ist, für Paul Walker. Und es steckt in den Liedzeilen die Hoffnung, ihn einst wiederzusehen. Am anderen Ende. Jenseits von allem, was war und was ist.

Es gibt am Ende des Films eine Szene am Meer, in der Paul Walker glücklich auf die am Strand spielende Familie zurückschaut und sich dann umdreht und geht. Da geht es auch ganz viel um die Bedeutung von Zuhause und um Abschied.

Und ich muss an unseren Psalm denken, Psalm 139. Wir haben Verse daraus in der Lesung vorhin gehört: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand, Gott, mich führen und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein –, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag.“ Also: Nichts kann mich schrecken, denn Gott hält mich.

Mich würde interessieren, wie es Euch heute geht: Wer von Euch kann es gar nicht erwarten, loszugehen in ein neues Leben. Lieber heute als morgen! Hand hoch! (Vier melden sich, davon eine Person deutlich hinter der Reihe der Schülerinnen und Schüler)

Äh, nee, ich meinte jetzt nur die Abiturientinnen und Abiturienten! Alle anderen bleiben hier?

Segen mit Euch, die Ihr es kaum erwarten könnt!

Aber vielen von Euch scheint es Angst zu machen. Oder es erzeugt so ein Ziehen im Herz, Trauer, dass die gute Zeit in der Schule vorbei ist, dass Ihr den einen oder die andere vielleicht nicht mehr sehen werdet.

Dann erst recht: Segen mit Euch!

Denn ob Ihr wollt oder nicht, ob Ihr geht oder bleibt: Ihr trennt Euch – von Eurer Kindheit. Ihr verlasst – die Geborgenheit Eurer Heimat und Familie und der Freunde, wo man alles kennt und alles seinen vertrauten Gang geht, vorhersagbar, einschätzbar. Ihr macht eine Trennung durch.

Und nicht nur Ihr, Eure Mütter und Väter, Eure Geschwistern und Großeltern ebenso. Und auch wenn es wahnsinnig schwerfällt: Das ist gut so. Das ist richtig. Das war schließlich das Ziel vom ganzen Großziehen: dass Ihr erwachsen und eigenständig werdet.

Wie gut zu wissen: Da ist jemand, der verlässt Euch nicht. Die-der versteht eure Gedanken von ferne, wie ein guter Freund, eine gute Freundin. Gott geht immer mit. Trennt sich nie von Euch. „Ich gehe oder liege, so bist du um mich“ - selbst „am äußersten Meer“ wird Gottes „Hand Dich führen“ und seine „Rechte Dich halten“.

Jetzt würde ich Euch am liebsten Eure Handys abnehmen. Ich würde jedem und jeder eine App runterladen: nämlich die Bibel. Damit Ihr die immer dabeihabt. Denn die ist genau für solche Leute wie Euch geschrieben worden: für Menschen, die auszogen und ausziehen werden. Nicht nur aus Ägypten. Sondern auch aus Nienburg. (Ah einige signalisieren, sie haben sie schon. Reli-Leitsungskurs... Alles klar, sehr gut!)

52mal heißt es in der Bibel „Fürchtet Euch nicht“, „fürchte dich nicht“, „vertrau auf Gott und hab keine Angst“. Einmal für jede Woche. Also nimm deine Bibel mit. Und lass dich daran einmal die Woche erinnern, dass Gott zu Dir sagt: „Fürchte dich nicht. Ich bin mit dir! Weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“ Jes 41,10

Denn als Christin und Christ hast du mit Christus schon immer deinen besten Freund mit dabei. Du bist Deinen Ängsten nicht ausgeliefert. Die haben nicht das letzte Wort über Dich. Benenne sie, banne sie: Sag deinem Gott: „Ich habe Angst!“ Und sag deiner Angst: „Ich - habe Gott.“

Sag deinem Gott: „Ich habe Angst!“ Und sag deiner Angst: „Ich - habe Gott.“

Du hast einen Freund, eine Liebe, die stärker ist.

Kennt Ihr das Video zu dem Song von Khalifa? Man sieht erst kurz das Meer. Dann eine Straße, die der Sänger alleine entlanggeht.

Lalalalaala lalalalalaa… "It’s been a long day without you my friend. And I’ll tell you all about it when I see you again. We’ve come a long way from where we began. Oh I’ll tell you all about it when I see you again."

"And what’s small turned to a friendship, a friendship turned to a bond. And that bond will never be broken, the love will never get lost. The love will never get lost." Amen.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, es war in meiner ersten Gemeinde, bei einem Trauerbesuch. Dem Herrn, den ich besuchte, liefen die Tränen über die Wange, als er von seiner verstorbenen Frau erzählte.
Seine Tochter war auch da. Sie sagte nichts. Manchmal gibt es keine Worte, die trösten können. Manchmal ist es besser zu schweigen.
Aber sie strich ihrem Vater mit einer sanften Handbewegung über sein Gesicht und wischte ihm die Tränen fort. Er weinte daraufhin noch mehr. Doch seine Tochter nahm ein Taschentuch und fing immer wieder mit zärtlicher Berührung seine Tränen auf. Und er ließ es geschehen. Und nach und nach wurde er ruhiger.

Mich berührte diese Geste so sehr, dass ich sie noch gut in Erinnerung habe.

Von dem, der unsere Tränen trocknet, handelt der biblische Text, der heute der Predigt zugrunde liegt. Ich lese aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, Kapitel 21, die Verse 1 bis 5:

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde,

denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen,

und das Meer ist nicht mehr.

Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem,

von Gott aus dem Himmel herabkommen,

bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.

Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her,

die sprach: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen.“

Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein,

und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;

und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen,

und der Tod wird nicht mehr sein,

noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein;

denn das Erste ist vergangen.

Und der auf dem Thron saß, sprach: „Siehe, ich mache alles neu!“
Und er spricht: „Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!“

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

Das ist mein Lieblingssatz hier. Das ist meine Hoffnung. Dass Gott selbst uns tröstet. Ein schöner, zärtlicher Moment. Eine kleine Handbewegung nur, doch voller Fürsorge und Liebe.

– Aber, sie steht ja schon in einem seltsamen Kontrast zu den übrigen Bildern: Das ist von einem neuen Himmel und einer neuen Erde und einer neuen Stadt die Rede – das ist gleich richtig groß, darunter macht es Johannes nicht.

Siehe, ich mache alles neu, sagt Gott.

Nicht das Alte wird repariert, da entsteht etwas völlig Neues, Anderes.
Denn dass das Alte irgendwie wieder gut und heil und lebendig wird, das kann nicht sein, das weiß Johannes. Seine Welt, wie er sie kannte, war untergegangen, die gab es so nicht mehr. Damals, zu seiner Zeit, als die christlichen Gemeinden erstmals verfolgt wurden.

Bedroht, verfolgt, bestraft: Johannes wurde verbannt auf die Insel Patmos. Dort im Exil hatte er Visionen. In manchen Teilen seines Buches, der Offenbarung, sind es sehr merkwürdige Bilder, die ihm erscheinen, furchteinflößende. Er stand ja noch ganz unter dem Eindruck der erlebten Jagd auf die Glaubensgeschwister und der Ermordung unzähliger.

Doch Johannes war es gegeben weiter - oder tiefer - sehen zu können. Er schrieb auch Worte der Hoffnung für die, die in Bedrängnis waren, in Angst, in Verzweiflung. Sätze, die auch uns Hoffnung machen können. Die Bilder, die er dabei benutzt, malt er sozusagen nur in groben Pinselstrichen, deutet nur an, nimmt kaum Farbe.
Aber großformatige Bilder sind es!

Letztes Wochenende war ich in einem Museumsdepot. Dort gab es riesige Bilder, die in keinen Aufzug und durch keine normale Tür passen. Eins war 17 mal 3m.

Ein bisschen so kommen mir Johannes Bilder auch vor. Zu groß, um wahr zu sein. Bilder, die alles sprengen: unser Vorstellungsvermögen, unsere Möglichkeiten, sie in Worte zu fassen, die Wirklichkeit, die wir kennen. Er will uns Einblick geben in Gottes Zukunft für uns. In die Ewigkeit. In der alles ganz anders sein wird. Anders als alles, was wir uns denken können. Eine Welt, in der Christus regiert. Wo Gerechtigkeit und Frieden sich küssen.

Alles anders, neu, ganz neu. Aufregend neu. Schön. Wo Glücksgefühle uns durchströmen. Wie bei einer Hochzeit. Auch die Lesung für heute handelte schon von einem Hochzeitsfest. Wenn auch mit einem anderem Fokus.

Erinnern Sie sich noch an die Ihre, falls sie geheiratet haben? Stellen wir uns nicht auch deshalb Hochzeitsfotos auf, von uns als Braut und Bräutigam, um uns an die schöne Feier und das Glück der Anfangszeit zu erinnern?

So schön und froh und voller Liebe wird es sein, will uns Johannes mit seiner Vision sagen. Kein Tod, kein Leid, kein Geschrei und keine Schmerzen wird es dann mehr geben.
Denn das Erste ist vergangen. Siehe, ich mache alles neu.

Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

So mancher von Ihnen hat in den letzten Wochen und Monaten viele Tränen vergossen. Sie haben am Krankenbett geweint und am Sarg. Ganz im Verborgenen oder gemeinsam mit anderen. Leise oder laut.
Tränen um einen Menschen, der nun fehlt.
Vielleicht auch Tränen der Erleichterung, weil das unerträgliche Leiden endlich vorbei ist.
Tränen, weil es einfach so furchtbar weh tut, ohnmächtig daneben zu stehen und nichts tun zu können.
Tränen der Verzweiflung: Wie soll es weitergehen?
Tränen um versäumte Momente, um das, was nicht war und doch hätte sein können.
Es ist gut, wenn wir weinen können, liebe Gemeinde. Tränen machen, dass die Trauer nicht erstarrt. Tränen, die fließen, helfen, im Schmerz lebendig zu bleiben.

Und dann ist Gott da und sagt:
Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. So erzählt es der Prophet Jesaja (Jes 66,13). Und er wischt unsere Tränen von unseren Wangen.

Ich frage mich, wie sich das wohl anfühlt, wenn Gott mir die Tränen abwischt? Wenn Gott mich in den Arm nähme, ganz behutsam und liebevoll. Ich stelle mir vor, er sähe mich an und sähe mir tief ins Herz. Er würde jede einzelne Träne auffangen. Nicht eine ginge verloren. Auch die ungeweinten Tränen kennt Gott, und die unterdrückten.
So zugewandt kann nur einer sein, der behutsam ist. Der mich kennt.
Der um meine Verletzlichkeit weiß. Der mir wirklich nahe ist.

Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, heißt es in unserem Predigttext. Gott richtet sich bei uns ein. In einer Hütte. Wörtlich steht da: in einem „Zelt“. Gott schlägt mitten unter uns sein Zelt auf.

Mit einem Zelt ist man beweglich. Gott geht uns nach, schlägt sein Zelt immer dort auf, wo wir sind. Das ist wirklich nah. Nur durch eine Zeltwand ist Gott von uns getrennt. Er schottet sich nicht ab. Er ist in Hör-, ja, Reichweite.

Gott kommt mir nah. Sieht meine Tränen. Trocknet sie, wie die Tochter die Tränen ihres Vaters auffängt. Geduldig und liebevoll. Liebe Gemeinde, das ist mir viel wert.

Und wenn ich wie Johannes auf meiner Insel sitze, verzweifelt, traurig und voller Angst, dann möchte ich am liebsten wie er weitersehen. Oder wenigstens weiterahnen. Dann möchte ich hineinglauben, mich und uns, in Gottes neue Wirklichkeit, die er für uns bereit hält: in den neuen Himmel und die neue Erde. Wo Gott wohnt. Wo es keinen Krieg und keine Gewalt mehr gibt. Keine Krankheit und auch der Tod nicht mehr sein wird, weder Leid noch Schreien noch Schmerzen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn. Amen.

Liebe Gemeinde, heute fürchte ich mich nicht.

So oft hat Gott es den Engel in die Dunkelheit hineinrufen lassen.
Jahr für Jahr hören wir seine Worte:

„Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude,
die allem Volk widerfahren wird.“

Und ich höre auch das „Ja, aber“ und „von wegen Freude“ und „doch wohl kaum allem Volk auf dieser Erde“. „Bleiben wir doch mal realistisch...“ Ja, ich weiß auch, wie es ist. Krise über Krise, das kann einem schon Angst machen.

Aber heute höre ich auf den Engel - und nicht auf mich und nicht auf euch. Heute lasse ich nicht zu, dass die Engelsbotschaft in der Weite der Felder verklingt. Heute fange ich sie ein und halte sie fest, ganz fest bei mir, seine Botschaft. Heute fürchte ich mich nicht! Trotz allem. Ich habe keine Angst um mich, nicht um Sie und Euch und nicht um unsere Welt.

Um mich und die meisten hier muss man sich Gott sei dank auch nicht sorgen. Weil es uns vergleichsweise richtig gut geht.

Aber auch wenn wir nicht in Krieg und Elend leben: auch bei uns haben Menschen beängstigende Diagnosen bekommen, andere trauern um ihre lieben Verstorbenen, manche stehen vor den Scherben einer Beziehung oder sorgen sich um ihre Kinder oder ihre älter werdenden Eltern.

Ich fliehe nicht vor den schlechten Nachrichten. Ich finde es wichtig, hinzusehen und wahrzunehmen, mitzuleiden. Ich habe genauso wenig Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit wie alle anderen. Es ist nicht heile Welt! Aber - es ist der Heiland in der Welt.

Da war zum Beispiel diese fröhliche Stimme am Telefon, die gleich nach der Begrüßung freudestrahlend sagte: „Ihr Gebet hat geholfen.“ Es ist für mich diese eine gute Nachricht von beginnender Genesung, die es Weihnachten in mir werden lässt. Die Nachricht von einem Weihnachtsfest im Krankenzimmer nach vielen Tränen und Ängsten, von erleichterten Kindern und so vielen, die sich mit ihnen freuen. Babykleine gute Nachricht. Aber frag mal die, die es betrifft. Für die ist sie riesengroß.

Darum weiß ich: Es stimmt, was die Engel den Hirten gesagt haben.

Uns ist „große Freude“ „widerfahren“, denn uns „ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids“. „Und das habt zum Zeichen“, das und andere gute Nachrichten mehr. Sie alle haben diesen einen Grund.

Gewiss, es gibt noch immer genügend Gründe zur Sorge und zum Zweifeln gar zum Verzweifeln. Trotzdem, heute Nacht, heute fürchte ich mich nicht. Heute höre ich der Engel Botschaft, wie die Hirten sie gehört haben, damals auf dem Feld. Sie waren nicht misstrauisch, nicht gleichgültig, nicht ungläubig. Sie vertrauten dem Boten Gottes und beschlossen: „Lasst uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist.“ Aktiv suchen sie nach dem Heil, das in die Welt gekommen ist.

Dabei hätten sie allen Grund gehabt, enttäuscht zu sein. Auf den Heiland, den Retter der Welt haben sie gewartet, auf Fanfaren und Armeen und einen siegreichen Aufstand. Stattdessen – ein Baby in einem Stall, was ein Witz. „Ja, aber“ hätten sie sagen können. Und „von wegen Freude“ und „doch wohl kaum allem Volk“. „Bleiben wir doch mal realistisch…“ Und überhaupt, was ist mit uns? Nichts an ihren Lebensumständen wurde besser für sie in dieser Nacht und nicht in der Nacht danach und auch die Jahre darauf nicht.

Und ich ahne ja nur, wie viele Menschen wie sie auf Veränderung hoffen, schon so lange, aber es ändert sich nichts. Vergebliches Hoffen auf Verbesserung der Lebensumstände oder Genesung, auf Liebe oder Anerkennung. Aber keine Engel kommen, keine Zeichen zu sehen.

Es ist diese Gleichzeitigkeit, die wohl ein Christenleben ausmacht.

Die Theologin und Autorin Christina Brudereck hat das einmal so formuliert. Sie werden das Zitat vom Gottesdienstbeginn darin wiederfinden:

 

Wir leben mit vielen Krisen.

Und trotzdem feiern wir.

Denn ja, auch die Weihnachtsgeschichte

begab sich zu einer Zeit,

als die Sehnsucht nach Frieden riesig groß war.

Nach Gerechtigkeit.

Ausgleich, Trost und Güte.

Damals erließ der erste römische Kaiser

einen Volkszählungssteuerbescheid.

 

Immer schon diese Gleichzeitigkeit.

Düster, Grausam-, Hoffnungslosigkeit.

Schnitt.

 

Plötzlich Sterne. Funken.

Lichter himmelweit.

Schnitt.

 

Ganz gemeines Leid.

Menschen auf der Flucht.

Nach Bethlehem. Ein Paar, zu zweit.

Schnitt.

 

Guter Hoffnung. Geburt.

Zu dritt. Ein Baby. Gott geweiht.

Schnitt.

 

Kein Platz. Gewalt. Kontrolle. Neid.

Schnitt.

 

Lauter Schnitte.

Und Verbundenheit – der krassen Gegensätze.

Himmel grüßt die Erde.

Wort wird wahrhaftig Mensch.

Mit Haut und Haaren.

Lungenflügeln, großem Herzen.

Ein Neugeborenes übernimmt.

Bruder Mensch aus Liebe.

Befreit. Seligkeit.

Nacht wird Weihnacht.

Dämmerung und früher Morgen.

Vom Stall zu Herden.

Und zu Trümmern.

Große Fragen und ein Lied

von Glanz und Gloria.

So viel Ungereimtes und alte Zeilen zum Geleit.

 

Wer weiß,

ob nicht der Schnee von gestern

morgen fällt?!

Wer weiß,

ob nicht mein Kinderglaube

das letzte Wort behält?!

Eva Zeller

 

Gleichzeitigkeit.

Immer schon.

Gegensätze, Widersprüche, Schnitte und Wunden.

Verbundenheit.

Große Krisen, Krieg,

Weltjahres-Dankbarkeit.

Wir traurig und bedrückt.

Dann wieder glücklich.

Mal verzweifelt.

Dann zuversichtlich.

Alles auf einmal.

Und alles angemessen.

 

Weihnachten wirkt manchmal

irgendwie unpassend.

Kommt aber vielleicht auch

gerade rechtzeitig.

Liebe Gemeinde, auch heute Nacht ist keine heile Welt. Doch der Heiland ist in der Welt. Darum „fürchtet euch nicht“, heute nicht. „Denn siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird, denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus.“

Endlich, liebe Gemeinde, bleibt es länger hell. Inzwischen kann man auch um 16 Uhr noch rausgehen zum Spazierengehen, ohne sofort in die Dämmerung hineinzulaufen. Es wird heller.

 

Von Licht, genauer vom Erscheinen Gottes in einem Feuer, einem brennenden Dornbusch erzählt der alttestamentliche Lesungstext für heute. Wir haben ihn gehört.

 

Vom Licht aus der Dunkelheit handelt der Predigttext für heute, den ich nachher lesen werden.

 

Licht ins Dunkel, liebe Gemeinde, brachte die am Donnerstagmittag veröffentlichte ForuM-Studie. Sie beschäftigt mich sehr, und vielleicht geht es Ihnen ähnlich. Die Studie führt uns in die finsteren Abgründe menschlichen Leidens und schrecklicher Verbrechen in unserer Kirche. Denn sie zeigt, dass es in der evangelischen Kirche in Deutschland in den vergangenen 80 Jahren erschreckend viele Fälle sexualisierter Gewalt gegeben hat. Nicht weniger als in der katholischen Kirche.

 

Überrascht haben mich die Zahlen und Hochrechnungen nicht. Aber entsetzt und wütend gemacht. Es ist gut, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Sie muss uns demütig machen. Und sie spornt mich an, dass wir in unserer Gemeinde alles dafür tun, dass unsere Räume sichere Räume sind für alle. Wir kommen auf dieses Thema im Laufe des Gottesdienstes später noch einmal zurück.

 

Auch am Donnerstag, abends, war ich bei einer Lesung. Der Radiomoderator und Musiker Eckert Stieg aus Hannover hat aus seinem Leben erzählt. Es war lange überschattet von seinem Alkoholismus und dem Tod naher Menschen: erst seiner Freundin, dann seiner Ehefrau und seiner Eltern. Schonungslos und offen hat er sich schließlich seiner Sucht, seinem Scheitern und seiner Trauer gestellt. Das hat mich sehr beeindruckt.

 

Was er erlebt hat, mag extrem sein. Aber ein paar Stufen herunter gedreht wird es auch anderen bekannt vorkommen. Ich habe vor diesem Hintergrund den Bibeltext für die heutige Predigt nochmal ganz anders gelesen.

 

Am heutigen Sonntag sind Verse aus dem 2. Brief des Apostel Paulus an die Gemeinde in Korinth dran, Kapitel 4, 6 bis 10. Ich lese aus der Übersetzung der Guten Nachricht Bibel:

 

Gott hat einst gesagt: »Licht strahle auf aus der Dunkelheit!«

So hat er auch sein Licht in meinem Herzen aufleuchten lassen

und mich zur Erkenntnis seiner Herrlichkeit geführt,

der Herrlichkeit Gottes, wie sie aufgestrahlt ist in Jesus Christus.

Ich trage diesen Schatz in mir als einem ganz gewöhnlichen,

sehr zerbrechlichen Gefäß. Denn es soll deutlich sichtbar sein,

dass das Übermaß an Kraft, mit dem ich wirke, von Gott kommt

und nicht aus mir selbst.

Ich bin von allen Seiten bedrängt, aber ich werde nicht erdrückt.

Ich weiß oft nicht mehr weiter, aber ich verzweifle nicht.

Ich werde verfolgt, aber Gott lässt mich nicht im Stich.

Ich werde niedergeworfen, aber ich komme immer wieder hoch.

Ich erleide fortwährend das Sterben, das Jesus durchlitten hat,

an meinem eigenen Leib. Aber das geschieht, damit auch das Leben,

zu dem Jesus auferweckt worden ist, an mir sichtbar wird.

 

Liebe Gemeinde, viele, viele, viele machen genau diese Erfahrungen: von allen Seiten bedrängt zu sein, nicht mehr weiter zu wissen, ja: auch verfolgt zu werden, zu Boden geworfen. Aus den unterschiedlichsten Gründen.

Und manche dürfen dann auch ein „Aber“ erfahren: aber ich werde nicht erdrückt, aber ich verzweifle nicht, aber ich komme wieder hoch: denn Gott lässt mich nicht im Stich! Wenn das geschieht, wird Gottes Kraft sichtbar und spürbar. Dann weicht das Dunkle, es wird heller in unserem Leben.  

 

Der Bibeltext spricht von uns Menschen als ganz gewöhnlichen, zerbrechlichen Gefäßen. Ich sehe da gleich einen Krug vor mir, aus Ton oder Steingut. Beige mit Henkel, praktisch, schön geformt. Lasiert, damit er wasserdicht ist. Aber nichts Besonderes, so von außen jedenfalls. Hinzu kommt auch noch, dass er etwas angeschlagen ist. Schaut man genau hin, sieht man Macken und feine Risse. Vielleicht sehen Sie ein ganz anderes Gefäß vor Ihrem inneren Auge...

 

Eine Freundin hat mich auf den Jugendroman „Margos Spuren“ von John Green aufmerksam gemacht. Er ist 2008 erschienen und erhielt drei Jahre später den Deutschen Literaturpreis, verfilmt wurde er auch, 2015. Darin heißt es an einer Stelle:

„Vielleicht ist es mehr so, wie du vorhergesagt hast, dass wir Risse bekommen. Am Anfang sind wir alle wasserdicht, aber dann passieren Dinge: Leute verlassen uns, lieben uns nicht oder verstehen uns nicht, oder wir verstehen sie nicht, und wir verlieren und scheitern und tun einander weh. Und so bekommen wir Risse. (…)

Und vielleicht ist gerade das die Zeit, in der wir einander sehen können und durch die Risse der anderen in sie hinein.

Wann haben wir uns das erste Mal richtig wahrgenommen? Als du durch meine Risse gesehen hast und ich durch deine. Davor haben wir nur die Bilder angesehen, die wir voneinander hatten. Erst wenn wir Risse haben, kommt das Licht herein. Und das Licht kann heraus.”

 

Und ich glaube, genau das meint unser Bibeltext. Etwas geschieht, widerfährt uns. Wir scheitern, tun einander, tun uns selbst weh. Wir bekommen Risse - unser Bild nach außen, unser Bild von uns selbst. Und wir stellen fest: Ich bin nicht gefeit, ich bin verwundbar, zerbrechlich, sterblich. Jeder Riss erinnert daran, so haarfein er auch sein mag.

 

Gott weiß darum und sieht es, hat uns ja nicht aus Stahl oder Plastik gemacht, sondern irdene Gefäße hat Gott geschaffen, quasi aus Erde, also Blut, Muskeln, Gewebe – keine Ahnung. In Bio war ich nie so gut. Wir sind darauf angelegt, Risse zu bekommen. Keine ist ohne. Und das soll so sein.

 

Bloß: wie damit leben, mit den eigenen Rissen und den, der anderen?

 

Eckert Stieg hat außerdem von einem Freund erzählt. Es war der einzige, der sich traute, ihm von Anfang an die Wahrheit zu sagen, als seine Alkoholsucht sichtbar und seine Arbeit immer schlechter wurde. Und es war der einzige, zu dem er während des Entzuges und später noch Kontakt hielt und dessen Freundschaft ihm blieb. Der hatte den Mut hinzuschauen. Und der hat offensichtlich mehr gesehen, als nur das Kaputte, Unschöne.

 

Ich finde den Gedanken so tröstlich, liebe Gemeinde, und ungemein bestärkend: Dass Gott ihr oder sein Licht in mir aufleuchten lässt.

Gott schenkt mir einen Schatz, und statt den in eine richtige Schatztruhe zu legen oder einen wehrhaften Tresor, legt Gott den Schatz in ein ganz gewöhnliches und sehr zerbrechliches Gefäß mit deutlichen Rissen.

Ja, durch diese kann das Licht erst in den Menschen hineinkommen.

Und nur so wird Gottes Herrlichkeit sichtbar. Durch die Risse und Löcher, die wir so haben, hindurch. In einer Schatzkiste würde es niemand sehen. Es braucht sie wohl, unsere Macken, das Unperfekte.

 

So wie damals in Bethlehem im Stall, wo Gottes Herrlichkeit durch die Bohlen des grob gezimmerten Bretterverschlages hinausleuchtete. Wer hätte sie in einem Futtertrog, einer Krippe vermutet?  

So ist Gottes Licht in uns sichtbar. Gebrochen fällt es durch unsere Risse und Lücken, bescheint auch das Hässliche und Kaputte. Es ist Gottes Kraft und Geist, die in mir das Gute vollbringen und mich strahlen lassen. Ich sehe es als ein unverdientes Geschenk.

 

Angesichts des sehr musikalischen Gottesdienstes ist es, denke ich, angemessen, mit einem Zitat aus einem Lied die Predigt zu beenden, nämlich aus dem Song “Anthem” von Leonard Cohen. Der Refrain lautet:

Ring the bells that still can ring.
Forget your perfect offering.
There is a crack, a crack in everything.
That's how the light gets in.

Vor einiger Zeit am Bahnhof Berlin-Spandau. Ich warte auf meinen Zug. Eine Mutter kommt mit Ihrem Sohn, zwei Koffer und ein Rucksack. Sieht mehr nach Auszug aus als nach Urlaub. Er ca. 18 Jahre alt, es ist Semesterbeginn – klare Sache: Erstsemester, kombiniere ich. Auszug von Zuhause und Studienbeginn.

Ein IC fährt ein, es ist noch nicht mein Zug. Letzte Ermahnungen und eine lange Umarmung von der Mutter, dann steigt der Jüngling ein.

Der Zug fährt aus dem Bahnhof, die Frau sieht ihm nach. Und dann - setzt sie sich ein paar Sitzplätze weiter auf die Bank. Und dort sitzt sie einfach. Ich denke noch: Sie ist wohl zu traurig und matt, um direkt zu gehen. Vielleicht wird ihr gerade bewusst, dass sie gleich in eine leere Wohnung kommt?

So oder so wird die ein und der andere von uns das auch schon erlebt haben. Vermutlich können Sie dieses Gefühl zurückzubleiben nachempfinden. Im besten Falle nur auf Zeit getrennt zu sein von den Lieben. Doch leider kennen wohl viele von uns auch das endgültige Verlassen-Sein viel zu gut.

Die Gemeinde des Lukas, der die Apostelgeschichte geschrieben hat, kannte diese Situation. Sie gehörte zur ersten nachjesuanischen Generation. Ihre Eltern oder Großeltern waren noch Zeitzeugen Jesu gewesen. Sie selbst hatten Jesus nicht mehr erlebt. Von der Begeisterung für Jesus, von alledem, was er gewirkt und erzählt hatte, hörten und spürten sie noch den Nachhall.

Ihnen zum Trost und zur Ermutigung erzählt der Evangelist, wie Jesus von seinen Jüngern Abschied nimmt. Er erzählt die Zwischengeschichte, die Brücke von Ostern zu Pfingsten. Warum und wie es gleich nach der Auferstehung Jesu eigentlich weiterging und schließlich zu dieser Be-Geisterung an Pfingsten kommen konnte. Wir haben diese Brückengeschichte in der Lesung gehört.

Ein letztes Mal lässt Jesus sich sehen, und das gleich vierzig Tage lang. Vierzig Tage von Ostern bis Himmelfahrt. Wohl mehr eine symbolische Zahl. Es ist aber auch egal, wie viele Tage es nun genau waren. Auf jeden Fall nochmal geschenkte Zeit mit Jesus. Als sie schon dachten, er sei für immer weg. Kostbare Zeit.

Kennen Sie das, diese wertvollen letzten Tage vor dem Abschied? Wenn man das letzte Lebewohl immer wieder hinauszögert? Wenn man fragt: „Sehen wir uns nochmal?“, weil man es nicht packt, endgültig „Tschüß“ zu sagen. Wenn man sich von einer letzten Begegnung zur allerletzten tröstet? Als könne man das Unausweichliche aufhalten.

Aber das geht nicht. Zwei, drei Jahre lang ist Jesus mit seinen Freunden unterwegs gewesen. Eine Zeit intensiver Gemeinschaft war das. Sie haben miteinander gefeiert und gestritten. Sie haben zu seinen Füßen gesessen, und er hat ihnen die Füße gewaschen. Sie haben ihn Wunder vollbringen sehen, und er hat sie ausgesandt, es ebenso zu tun. Und dann essen sie ein letztes Mal miteinander. Es wäre nicht Jesus, wenn es nicht ein letztes gemeinsames Zu-Tisch-Sitzen gegeben hätte.

Er verspricht ihnen den Heiligen Geist zu schicken, und dann ist er weg. Vor ihren Augen löst er sich quasi in Luft auf. So endet die Geschichte mit Jesus.

„Und nun?“ Ich stelle mir vor, wie seine Gefolgschaft zurückbleibt, sehe die Fragezeichen in ihren Gesichtern: „Was jetzt?“ Pfingsten kommt erst  noch, das Fest, an dem die Kirche sich feiert. Der Heilige Geist ist nur angekündigt, nichts ist schon losgegangen.

Das Alte ist vergangen, die intensive Zeit mit Jesus ist vorbei. Der Abschiedsschmerz ist noch sehr präsent.

Und das Neue? Der Neubeginn? Steht bevor, ist aber noch nebulös.

Sie sollen sich bereithalten, in Stellung bringen, hatte Jesus gesagt. „Bleibt in Jerusalem und wartet.“

„Rücken Sie vor bis auf Los.“ Kennen Sie diese Anweisung? Wer ein Monopolyspiel hat, hat das auf Ereigniskarten schon gelesen. „Und ziehen Sie nicht DM 2.000 ein.“ Wir haben keine ganz aktuelle Ausgabe... Wie auch immer. Man muss alles stehen und liegen lassen und auf den Anfang gehen. Sofort. Vom „Losfeld“ startet man dann neu.

Manchmal ist man jedoch noch gar nicht bereit dazu - und muss es doch. Die Jesus folgten, waren es nicht, aber mussten es. Manche heute muss es nach einem freiwilligen oder unfreiwilligen Abschied auch.

Und ich frage mich: Wäre ich bereit? Bereit, auf Los vorzurücken, bereit für einen neuen Anfang? Bereit zu wirklich großen Veränderungen? Voller Zuversicht, Lust und Vertrauen auf Gott? Hätte ich die Traute? Für einen neuen Lebensabschnitt, eine neue Aufgabe, was auch immer? Wären Sie es?

Und ich frage mich, sind wir als Kirche bereit? Können wir das gut, solche Abschiede nehmen? Bleiben wir deprimiert sitzen und verkriechen uns, zögern Unvermeidliches hinaus oder rücken wir weiter „vor bis auf Los“?

Manche Gemeinden in unserem Kirchenkreis gehen gerade mutige Schritte voran. Da geht so manches Neue los. Und in allen unseren Gemeinden starten in diesen Wochen neue Kirchenvorstände. Das ist wirklich wie ein Vorrücken auf Los, der Beginn nicht eines komplett neuen Spiels, aber einer ganz neuen Runde!

Und auch wenn wir keine DM 2.000 einsammeln dürfen, starten wir nicht blank durch, und die Jünger damals auch nicht.

Denn Jesus lässt etwas zurück. Nicht nur Erinnerungen an einen beeindruckenden Menschen und eine gute Zeit. Das auch. Nicht nur sein Erbe, seine Botschaft und seinen Auftrag, dieselbige weiterzutragen. Das auch. Sondern vielmehr: er schickt den Heiligen Geist. „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen“, sagt Jesus. Und ich denke: Ja, bitte, her damit!

Der Evangelist Johannes nennt den Heiligen Geist: den Tröster und den Geist der Wahrheit.

Vor knapp 100 Jahren hat der niedersächsische Theologe Philipp Spitta das Lied gedichtet: „O komm, du Geist der Wahrheit und kehre bei uns ein, verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein“.

Ach, wie oft habe ich mir das gewünscht in den vergangenen vier Jahren voller Krisen, Kriege, Katastrophen. Angesichts der vielen Abschiede, die wir nehmen mussten. Von Menschen, die wir kannten und schätzten, und die gestorben sind. Von einer großen Zahl Gemeindeglieder, die der Kirche den Rücken gekehrt haben. Von Ehrenamtlichen, die alle aus guten Gründen ihren Dienst nicht mehr weiterführen.

Wie oft habe ich mir gewünscht und wünsche es mir noch, dass Gottes Geistkraft zu Besuch kommt. Ich würde ihr auch bei uns ein Zimmer fertig und es ihr gemütlich machen und hoffen, dass sie lange bleibt.

Und als Gastgeschenke hätte sie Spittas „Licht und Klarheit“ dabei, das wäre fein: Immer ein paar Hoffnungsschimmer in der Ungewissheit. Feste Orientierungspunkte, wenn ich nicht mehr weiter weiß.

Vielleicht war sie auch schon da, die Geistkraft, auf Stippvisite zumindest. Letztens in dem ermutigenden Gespräch, und neulich, als mir jemand sagte: Wir beten regelmäßig für deinen Dienst.

Bestimmt ist sie da in den Gottesdiensten und Gebeten und in der Musik. Ich war in Hamburg nicht dabei, einige von Ihnen schon; aber schon die Videos vom Deutschen Evangelischen Posaunentag haben mir das Herz aufgehen lassen. Jetzt weiß ich, was Flächengold ist…

Ich bin überzeugt, Gottes Geist ist immer da, wo wir uns mit und in Christus verbunden wissen. Wenn Mutlosigkeit weicht und man gar nicht weiß, wo die Kraft gerade herkommt, die einen durchströmt. Wenn man Abschied von Liebgewonnenem und Gewohnten und Privilegien nehmen und sagen kann: Jetzt geht es eben anders weiter, aber das ist auch gut! Wenn ich Segensworte nicht nur höre, sondern den Segen spüre.

Ach, viel zu selten geschieht das. Und es ist eben etwas, was „geschieht“, sich ereignet. Dingfest machen kann man den Heiligen Geist nicht. Er kommt nicht auf Bestellung.

Die Geistkraft liebt nun einmal ihren Gaststatus und ist immer nur auf der Durchreise. Aber Jesus verspricht, ganz sicher: „Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen und werdet meine Zeugen sein“. Bloß immer wieder warten müssen wir darauf. Die Gemeinde des Lukas und die Kirche heute. 

A propos warten. Damals in Berlin-Spandau. Endlich kommt mein ICE. Wir beide stehen auf, die Frau, die ihren großen Sohn weggebracht hat, und ich. Ich will sie noch beim Einsteigen vorlassen. Doch sie schüttelt - inzwischen wieder lächelnd - den Kopf und meint: „Nee, danke, ich steige gar nicht ein. Ich habe meinen Ältesten weggebracht und hole jetzt meine Jüngste ab.“ Und ich denke noch: Welch ein tröstlicher Tausch.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen

Selig sind, die Gottes Wort hören und danach handeln. Amen.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten,

als Eure Schulzeit begann, hat man Euch gesagt: „Jetzt beginnt der Ernst des Lebens.“

Heute endet Eure Schulzeit. Kommt jetzt das Spiel des Lebens? (Titel des Gottesdienstes)

Vermutlich nicht. Aber bevor es noch ernster wird, kommt jetzt durchaus eine Zeit, in der Ihr mehr Freiheit genießen werdet, als Ihr sie je zuvor hattet und so bald wieder haben werdet. Ihr Glücklichen…

Wobei: Seid Ihr glücklich? Hand hoch: Wer von Euch Abiturientinnen und Abiturienten sagt heute: „Ja, ich bin richtig, richtig glücklich!“

Und wer von Ihnen, liebe Eltern, Geschwister und Großeltern, wer von Euch aus der Schulgemeinschaft kann heute aus tiefem Herzen sagen: „Ich bin glücklich“?

Ich kann mir vorstellen, dass Sie als Eltern heute für und mit Ihren Kindern glücklich sind.

Sie denken heute bestimmt an den gemeinsamen Weg zurück, den Sie mit Ihrem Kind gegangen sind – von der Geburt bis heute. Erinnern Sie sich noch, damals – 2.850 +/- Gramm pures Glück im Arm? (Meine Tochter Paula ist unter den Abiturientinnen und wog so viel.)

In all den Jahren – nun ja, da schoben sich auch mal Stress, Sorgen und die Arbeit vor das Glück. Aber im Grunde wuchs das Glück doch mit den Kindern mit. Und heute: Glück pur, und Stolz, und vielleicht dabei eine Prise Wehmut.

Was macht Euch Abiturientinnen und Abiturienten ganz allgemein glücklich? Das habe ich Euch vor dem Gottesdienst gefragt. Und das Ihr habt gesagt:

- Musik, Motorrad fahren, Kunst, Fußball, Familie, Haustiere, Gemeinschaft, gutes Wetter, gutes Essen, Tiere, schlafen, feiern, singen, ein schönes Pils - oder Weizen. 

Es waren unter Euren spontanen Antworten nicht dabei:

„Glücklich macht mich, arm zu sein, zu trauern, sanftmütig zu sein oder nach Gerechtigkeit zu hungern und zu dürsten.“ Es hat auch keiner gesagt: „Ich bin glücklich, wenn ich barmherzig bin, weil ich ein reines Herz habe, Frieden stifte oder gar, weil mich andere verfolgen und über mich herziehen.“

Das hätte auch keiner von uns anderen hier geantwortet.

Jesus aber schon. In seinen Seligpreisungen.

Ihr habt jetzt aber auch nicht das Gegenteil von Jesu Glückssätzen genannt.

Ihr habt nicht gesagt: „Mich macht nur Materielles glücklich.“

„Mich macht nichts so froh, wie anderen gnadenlos zu zeigen, wer hier die Stärkere ist“. Oder „Ich bin glücklich, wenn ich einen Streit anfange.“

Das sind Seligpreisungen unserer Gesellschaft: Einer Gesellschaft, die Glück „produziert“ und verspricht, dass man sein Glück im Materiellen findet. Einer Gesellschaft, die daran so viele unglücklich werden lässt, weil sie dieses Ideal nie erreichen: Mein Haus, meine Familie, mein Auto.

Diese Gegen-Sätze sind Seligpreisungen einer Welt, in der jeder seines eigenen Glückes Schmied ist. Und wer es nicht schafft, wohlhabend, erfolgreich und gesund zu sein, gilt als Versager, als uninteressant.

Das ist doch aber nicht das Glück, das Ihr sucht. So seid Ihr nicht!

Jesus traut Euch mehr zu. Es ist, als sage Jesus: „Hey, in Dir steckt mehr, als Du denkst! Wenn Du in deine Seele hineinschaust, dann entdeckst Du da alles, was in den Seligpreisungen steht. Vielleicht füllt es bereits dein Herz, vielleicht muss es erst noch wachsen.

Und das, was Du hast und was Dich ausmachst, sollst du nutzen, um denen, die durch die Hölle gehen, den Himmel nahe zu bringen.

Und dann macht es Dich glücklich, sagt Jesus, mit wenig auszukommen und dein Glück nicht von Besitz abhängig zu machen.

Glücklich wirst Du, wenn Du trauern und loslassen kannst.

Glücklich wirst Du, wenn Du sanft und mutig sein kannst.
Wenn Dir Gerechtigkeit wichtig ist und Du Dich für Frieden einsetzt.

Und richtig aus tiefsten Herzen Glück empfinden kannst Du wohl nur, wenn Du auch das Gegenteil mal erfahren hast: Unglück, Gemeinheit und Verfolgung.

Die Seligpreisungen können Euch wie uns, jungen wie älteren Menschen Wegweiser und ethisch-moralischer Kompass sein.

Stellt euch die Seligpreisungen als Melodie vor!

Ihr Abiturientinnen und Abiturienten habt ja richtig Ahnung von Musik. Ihr kennt das, wenn man einen Ohrwurm hat, der einem ständig im Kopf rumgeht. Und auch wenn man ihn eine Weile vergisst, braucht es nur einen Takt des Liedes und der ganze Song ist wieder da.

Ich bräuchte nur die ersten drei Töne eines bei uns in der Familie damals beliebten Kinderliedes über den Jahreskalender anzusingen, und zack hätte meine Familie für den Rest des Tages wieder einen Ohrwurm. Vermutlich reicht es sogar, hier davon zu reden…

Die Seligpreisungen wollen so ein Ohrwurm sein. Ein Lied, das von dem singt, was schon ist. Und das besingt, was noch nicht ist. Und darum ist es ein Lied, das immer und immer weiter gesungen werden muss. Auch wenn, ja gerade weil es zeitweise von unheilvollem Gegröle und von Schmerzensschreien übertönt wird. Hört Ihr nicht auf, dieses Lied zu singen!

Es macht einem auch selbst Mut. Als Ihr klein wart, habt Ihr vielleicht gesungen, wenn Ihr in den Keller gegangen seid, um Euch Mut im Dunkeln zu machen. Wegen der Monster, die da leben. Oder Eure Eltern haben an Eurem Bett gesungen, und das ließ Euch geborgen sein.

Singt das Lied Jesu, wenn Ihr in die Abgründe des Lebens steigt. Denn so sehr wir Euch das wünschten: Euer Leben wird nicht immer ein „glückliches“ sein im Sinne von „frei von Schmerz und Unglück“. Aber es kann ein glückliches, sinnvolles Leben im Sinne der Seligpreisungen sein.

Ihr Beat hilft die Welt zu verändern

Lasst Euch nie, nie einreden, Ihr könntet die Welt nicht friedlicher, sanfter, gerechter und barmherziger machen!

Lasst diese Haltung der Seligpreisungen hören und Euch ansehen.

Schaut dabei auf den, der es uns vorgemacht hat. Der durch die tiefsten Tiefen gegangen ist und in die höchste Höhe erhoben wurde.

Schaut auf zu Jesus, zu Gott, in den Himmel.

Ein Vater empfiehlt seinem Kind "Keep lookin' up” in dem Lied, das wir nun von Katie Kay und Tobias Jentsch hören. „Keep looking up. Don't let the world bring you down. Keep your head in the clouds and your feet on the ground". Amen.

(Beim anschließenden Lied 'Keep looking up' schweben plötzlich von oben riesige weiße Luftballons (1m Durchmesser) von hinten über die Köpfe der BesucherInnen. Auf ihnen stehen die Seligpreisungen. Ein Bild davon ist auf der Startseite der Homepage zu sehen. Es war eine Überraschung. Sanft tippten die Besucher die Ballons weiter durch den gesamten Kirchraum.)

Gnade sei mit Euch und Frieden von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, „Ehre wem Ehre gebührt“ heißt es im Predigttext heute. Diese wie so viele Redensarten stammt aus Luthers Bibelübersetzung.

Ob Jugendliche noch diese Redensart kennen? Ich habe neulich zwei 17-Jährige gefragt, ob sie den Ausdruck „wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen“ kennen. Denn sie hatten sich für eine Halloweenparty als Hase und Fuchs verkleidet und ich holte sie mit dem Auto ab und wir fuhren durch eine Gegend unseres Landkreises, die sehr ländlich war. Sie kannten die Redensart nicht. Allerdings musste ich umgekehrt passen, als es um die Bedeutung der Jugendwörter "Talahon" und "Schere" ging. „Schere“, so viel weiß ich inzwischen, sagt man, wenn man Entschuldigung meint. Ich weiß auch nicht, warum.

Wieso heißt es „Ehre, wem Ehre gebührt“? Das werden wir heute sehen.

Am liebsten, liebe Gemeinde, hätte ich Ihnen zwar den für heute vorgeschlagenen Predigttext vorenthalten. Denn er hatte eine fatale Wirkungsgeschichte. Ich lese ihn aber doch vor. Er steht im Römerbrief (13,1-7). Ein Wort vorweg: Gewalt bedeutet hier Macht.

1 Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat.
Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. 2 Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen. 3 Denn die Gewalt haben, muss man nicht fürchten wegen guter, sondern wegen böser Werke. Willst du dich aber nicht fürchten vor der Obrigkeit, so tue Gutes, dann wirst du Lob von ihr erhalten. 4 Denn sie ist Gottes Dienerin, dir zugut. Tust du aber Böses, so fürchte dich; denn sie trägt das Schwert nicht umsonst. Sie ist Gottes Dienerin und vollzieht die Strafe an dem, der Böses tut. 5 Darum ist es notwendig, sich unterzuordnen, nicht allein um der Strafe, sondern auch um des Gewissens willen. 6 Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. 7 So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, wem der Zoll gebührt; Furcht, wem Furcht gebührt; Ehre, wem Ehre gebührt.

Liebe Gemeinde, mit Berufung auf diese Bibelstelle hat Martin Luther 1525 den Krieg der deutschen Fürsten gegen die aufständischen Bauern gerechtfertigt.

Mit Berufung auf den Apostel Paulus konnte im protestantischen Preußen die berüchtigte Untertanenmentalität entstehen. Gehorsam wurde zur Staatsdoktrin.

Und diese paulinischen Sätze haben den religiös motivierten Widerstand im Nationalsozialismus gelähmt.

Und das sind nur drei Beispiele. Der Text hat nicht viel Gutes bewirkt.

Wie können wir den Text heute und auf dem Hintergrund unserer Erfahrungen hören? Ich bleibe besonders an dem „Ehre, wem Ehre gebührt“ hängen.

Was heißt denn „Ehre“? Ein Begriff, der unter jüngeren Menschen wieder viel stärker benutzt wird. Mir ist er abgesehen von “Gott ehren“, also im Gottesdienst loben und danken, eher nicht so nah. Es ist klar, dass Ehre mit Hierarchie zu tun hat. Nicht umsonst ist die Anrede „Euer Ehren“ im angelsächsischen Sprachgebrauch Richtern vorbehalten.

Ich verstehe es hier mehr im Sinne von Respekt. Wem gebührt Respekt? Der Obrigkeit, sagt Paulus. Den Regierenden und ihren ausführenden Organen. Der Legislative, Judikative und Exekutive in unserer Gewaltenteilung. Das verwundert. Haben die Oberen Paulus nicht oft genug auspeitschen und einsperren lassen?

Ich ahne, dass der Apostel keinen blinden Gehorsam und kein unmündiges Untertanentum predigt. Aber es ist ihm wichtig, dass es eine staatliche Ordnung gibt und dass davon keiner ausgenommen ist. Es geht um Gerechtigkeit: Keiner kann ungestraft Verbrechen begehen, wie er will. Von Steuern soll sich keiner freimachen können. Und es braucht Respekt denen gegenüber, die die gesellschaftliche Ordnung zu wahren beauftragt sind. Denn ohne eine Ordnung, ohne Regeln und Institutionen kann keine Gesellschaft bestehen.

Paulus schränkt die Macht der Obrigkeit aber auch ein. Er stellt ihr eine Bedingung: Zu ehren ist sie, wenn sie Gott dient und dem Menschen zugute handelt. Nur dann. Er sagt: „Sie ist Gottes Dienerin, dir zugut.“ Das heißt: Sie kann und darf nicht willkürlich und nicht menschenverachtend handeln. Sie muss die Würde des einzelnen achten. Sie hat ihre Grenzen. Sie darf nicht Gott spielen und muss sich an Gottes Regeln halten. Regeln, die die Schwachen schützen und Gerechtigkeit und Barmherzigkeit als Leitlinien haben.

Liebe Gemeinde, ich stamme aus Wuppertal, genauer aus Barmen. Dort wurde die Barmer Theologische Erklärung verfasst. Eine Erklärung von evangelischen Christinnen und Christen aus dem Jahr 1934, die sich dagegen wehrte, die evangelische Kirche der Diktatur Hitlers anzugleichen. Damit setzte sich die Bekennende Kirche von den Deutschen Christen ab. In der 5. These dieser Erklärung heißt es: Ja, Kirche erkennt den Staat als Institution an, die für Recht und Frieden sorgen soll. Aber, so heißt es darin: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch die Bestimmung der Kirche erfüllen.“

Das ist eine Auslegung von Römer 13, die mir nach wie vor einleuchtet. Wir sind auf eine Ordnung angewiesen und es braucht beauftragte Menschen, die sie garantieren und durchsetzen. Aber ihre Macht ist auch immer durch Gesetze begrenzt und bedarf der kritischen Überwachung. Damit sie sich nie wieder selbstständig macht und vergisst, dass sie nicht Gott ist, sondern dass sie den Bürgerinnen und Bürgern zugute handeln soll. Gott sei dank leben wir in einer Demokratie, die uns Freiheit garantiert und die Macht vom Volk ausgehen lässt, die Macht, die Regierenden zu wählen.

Wir gedenken am 9. November der Menschen, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden oder denen ihre Würde, ihr Hab und Gut und ihre Heimat geraubt worden sind.

So wichtig dieser Gedenktag schon immer war, nie in all den Jahren meines bewussten Erlebens hatte er eine so bedrückende Aktualität wie in diesem Jahr. Jüdische Menschen, die in Deutschland leben, haben wieder Angst und werden angefeindet.

Synagogen werden schon seit einigen Jahren von der Polizei bewacht. Aber ich habe mich an den Anblick nicht gewöhnt und möchte mich nicht daran gewöhnen müssen.

Ich bin dankbar für den Schutz durch Polizistinnen und Polizisten, auch wenn diese nicht immer frei von schwarzen Schafen in ihren Reihen sind. Ich finde es zutiefst erschreckend, wenn der Respekt ihnen wie auch Feuerwehr und Sanitäterinnen gegenüber abnimmt und sie in der Ausübung ihres Dienstes angepöbelt und angegriffen werden. Vielleicht war es mir immer zu selbstverständlich, in einer Demokratie zu leben, sie schien mir nie bedroht. Aber das hat sich geändert.

Ich glaube, liebe Gemeinde, dass wir als Christen etwas tun können und müssen, die Demokratie in unserem Land zu stärken. Sich an die Gesetze zu halten, ist das eine. Ich glaube, dass es außerdem unsere Aufgabe ist, die gegenseitige Achtung zu fördern. Denen gegenüber, die Verantwortung tragen, die Recht sprechen und die beauftragt sind, Ordnung zu wahren zu unserem Schutz. Und die sich ja allermeist redlich mühen. Aber auch allen anderen Menschen gegenüber. Wenn ich Jesu Auftrag der Nächstenliebe ernst nehme, dann verdient jedermann und jede Frau und jedes Kind ebenso Respekt. Weil sie Ebenbild Gottes und seine Kinder sind. Unendlich wertvoll und geliebt.

Lasst uns den Tendenzen wehren, manche Bevölkerungsgruppen auszugrenzen, die einen wichtiger zu nehmen als die anderen – womöglich aufgrund von Herkunft, Religion oder Geschlecht.

Wem gebührt Ehre? Nun in wenigen Wochen, am 1. Advent lesen wir im Gottesdienst den Psalm 24 und fragen mit seinen Worten: Wer ist der König der Ehre? Es ist der Herr, stark und mächtig.

Gott zu ehren ist unsere Freude und höchste Priorität. Doch Achtung und Respekt verdienen alle seine Ebenbilder, seine Kinder.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Menschen gibt’s. Da gibt es die einen, die laufen jetzt bei dem Schmuddelwetter in dicke Jacken eingemummelt umher. Sie haben die Kapuzen oder Mützen tief ins Gesicht gezogen. Sie ziehen den Kopf ein und die Schultern hoch. Ihr Blick ist nach unten gerichtet; sie nehmen nur das bisschen Weg vor sich wahr, das gerade so vor ihren Füßen liegt.

Und dann gibt es anderen, die gehen mit stets erhobenen Kopf und einem offenen Blick durch die Gegend und durchs Leben. Die schauen sich interessiert um und nehmen alles wahr. Treffen sich die Blicke, sehen sie nicht weg, manchmal lächeln sie. Sie sind 5 oder 40 oder 80 Jahre alt. Sie sind weiblich oder männlich oder divers. Sie sind arm oder reich oder etwas dazwischen. Sie sind hier oder woanders aufgewachsen. Es sind aufrechte Menschen. Sie wirken unerschütterlich. So voller Vertrauen in sich, ins Leben, vielleicht in Gott.

Zu welcher Kategorie gehören Sie?

„Seht auf und erhebt eure Häupter“, schreibt der Evangelist Lukas. Über diesen Vers predige ich heute. Wir singen ihn, so wie er im Gesangbuch unter der Nummer 21 vertont ist.

Eg 21: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht, weil sich eure Erlösung naht.

Der Evangelist Lukas schreibt:

„Und es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen, und auf Erden wird den Völkern bange sein, und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres, und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge, die kommen sollen über die ganze Erde; denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.

Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“

Von kosmischen Zeichen spricht der Evangelist und von Geschehnissen auf der Welt, die vielen Menschen das Fürchten lehren. Düstere Zukunftsprognosen.

Man braucht nicht viel Fantasie, um solche bedrohlichen Geschehnisse in unserer – und vermutlich in jeder – Zeit zu finden. Ich denke heute beispielsweise an den wachsenden Antisemitismus in unserem Land und bei unseren europäischen Nachbarn. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass heute jüdische Mitbürger wieder Angst haben müssen, in die Synagoge zu gehen und sich zu ihrem Glauben zu bekennen.

Ich denke an die Klimakatastrophe: Geschieht, was vor einem Monat in Valencia geschehen ist, nächstes Jahr bei uns? Volle Keller hatten wir vor einem Jahr ja schon. Reißen bei den nächsten Unwetttern die Wassermassen Autos mit sich und machen unsere Häuser unbewohnbar? Zerstören die Ernten und töten die Tiere auf den Höfen?

Dies und manches andere finde ich beunruhigend. Ich hätte unzählige andere Beispiele wählen können.

Manchmal möchte ich auch nur vor mich hinschauen und nicht in die Zukunft. Am liebsten würde ich mich darauf konzentrieren, ein bisschen Advent zu feiern und mich auf Weihnachten in der Gemeinde und Familie vorzubereiten und gut ist. Das würde mir reichen. Ja, viel zu oft gehöre ich zu denen, die den Kopf einziehen und die Schultern hoch. 

Nein, sagt Lukas. Das reicht nicht. „Wenn aber dies anfängt zu geschehen“, schreibt er, „dann seht auf“ von Eurem Alltagsleben: Dann schaut hin. Beschäftigt euch damit, duckt euch nicht weg. Ignoriert die Herausforderungen und die Not anderer nicht. Sagt nicht: Das wird schon, so schlimm ist das nicht. Oder: Ich kann da sowieso nichts tun.

Lasst euch vielmehr anrühren. Fragt euch: Wer braucht mich? Was kann ich tun?

Bleibt wachsam. Oder wie der Apostel Paulus sagt: „Seid wachsam im Glauben, mutig und stark. Alle Dinge lasst in der Liebe geschehen!” Aus diesen Versen ist das Motto des Kirchentages 2025 in Hannover entlehnt: “Mutig, stark, beherzt.” (1. Korinther 16,13.14)

Wir singen:

Eg 21: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht, weil sich eure Erlösung naht.

Ich möchte von zwei Situationen erzählen, wo es Menschen nicht egal war, wie es anderen geht, wo sie aufgeschaut haben, über den eigenen Tellerrand hinaus. Wo sie anderen halfen. Wohl wissend, dass sie vielleicht nur wenig bewegen können. Doch das Wenige ist für einige Menschen sehr bedeutsam, lebensverändernd. Und vielleicht macht ihr Beispiel ja Schule.

Auf dem Kirchentag in Nürnberg habe ich Julia kennengelernt. Auf dem Podium im Zentrum Seelsorge. Sie ist Teamerin in der Jugendarbeit ihrer Gemeinde. Und sie macht Peer-to-peer-Seelsorge. Das heißt sie hat ein offenes Ohr für die Sorgen Gleichaltriger. Im direkten Gespräch oder oft auch über Chat, das heißt man kann Ihr Nachrichten schreiben und sie schreibt zurück. Julia hat dafür eine Ausbildung gemacht. Sie möchte für diejenigen da sein, die sich keinem Erwachsenen anvertrauen mögen und ihr Anliegen auch keiner Freundin, keinem Freund sagen können. Ich finde das stark von Julia. 

Das zweite Beispiel: Unser Landesbischof hat von einer Gruppe von Christinnen und Christen im Libanon erzählt. Ehemalige und aktive Lehrerinnen und Lehrer. Sie haben sich getroffen und beschlossen: Wir müssen den syrischen Kindern, die in den Libanon geflüchtet sind, helfen. Sie können nicht in die Regelschulen gehen, weil dort zumeist auf Englisch unterrichtet wird, sie aber bisher nur Unterricht auf Arabisch hatten. In den Räumen ihrer kleinen christlichen Gemeinde organisieren sie privaten Unterricht für unzählige Kinder und Jugendliche, damit diese überhaupt Unterricht haben, weiterkommen und im besten Falle auf eine libanesische Schule wechseln können. Hut ab vor solch einem Engagement!

Mag sein, liebe Gemeinde, dass solche Initiativen nicht alle Not lindern und die aktuellen Bedrohungen entschärfen. Aber solches Handeln beweist Solidarität und richtet einzelne Menschen wieder auf. Es zeigt ihnen: Du bist mir nicht egal. Und: Gott hat dich nicht vergessen.

Da geschieht etwas, das in die richtige Richtung geht. Und das macht mir Mut. Davon zu erzählen ist wichtig. Solche Mutmachgeschichten und -beispiele brauchen wir, finde ich. Sie sind wie das Substrat, das unsere Pflanzen zuhause regelmäßig bekommen: sie sind Dünger für unsere Seele.

Wir singen:

Eg 21: Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht, weil sich eure Erlösung naht.

Aufschauen sollen wir, und hinschauen. Aber nicht nur auf das Elend, die Konflikte dieser Welt und die Zerstörung allerorten. Noch viel höher soll unser Blick gehen, noch mehr können wir uns aufrichten, noch weiter schauen. Weil sich doch unsre Erlösung naht.

Wir sehen noch mehr als nur die Probleme dieser Welt. Wir sehen nicht nur die Verzweiflung, sondern auch die nahende Erlösung. Sie ist auf lange Sicht unsere Perspektive. Und sie am Horizont zu sehen oder oft nur zu ahnen, das befreit uns zum konkreten Handeln hier und jetzt.

Liebe Gemeinde, es ist Advent. Das heißt ja: er kommt. Der, der erlöst. Der alles, was noch so verfahren ist, frei-setzt. Alle Konflikte löst. Aus allem Elend befreit.

Mit dem Advent, das ist wie auf den Bahnhof zu gehen, weil man einen ganz lieben Gast abholen will, eine beste Freundin oder eine Geliebte. Man ist ganz aufgeregt und freut sich. Aber nun ja, Sie wissen ja, wie das heute ist mit der Deutschen Bahn, nicht wahr?! Ach, man weiß nie, wann und mit welchem Zug der Erwartete letztendlich kommt. Aber irgendwann klappt es ja sicher. Man reckt und streckt den Hals, man kann es kaum erwarten. Kommt er da nicht? Da vorne?

Gott kommt zu uns. Ganz sicher. Irgendwie, irgendwann. Und Christsein heißt, auf dem Bahnhof zu stehen. Nach dem Zug Ausschau zu halten und den Gast zuversichtlich zu erwarten, trotz aller Verspätung. Sich auf die Ankunft zu freuen. Mit hüpfenden Herzen. Sich vorzustellen wie es sein wird, wenn Gott endlich da ist. Sich vielleicht zu fragen: Wie soll ich dich empfangen und wie begegne ich dir?

Liebe Gemeinde, „seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Amen.

 

Liebe Gemeinde, in den letzten Tagen vor Heiligabend lagen ungewöhnlich viele Briefe in unserem Briefkasten. Nicht die länglichen, von denen man gleich weiß: Krankenkasse, Arbeitgeber oder Rechnung. Nein, es waren diese C6-Umschläge, manche auch in rot oder grün, einer war beige mit aufgeklebten Sternchen.

Wie schön, im Zeitalter von WhatsApp und Emails auch mal Handgeschriebenes zu bekommen! Und nicht mit einer Anrede wie in den genannten Langformat-Umschlägen: „Sehr geehrte Frau“ am Anfang und „mit freundlichen Grüßen“ am Ende. Ja, schon bei Umschlag und Anrede zeigen wir, in welcher Beziehung wir zueinander stehen.

Ist der Umschlag grün oder rot oder wenigstens beige, dann findet sich darin mit großer Wahrscheinlichkeit eine handschriftliche Anrede und ein persönlicher Gruß, mit Tinte geschrieben: „Liebe Cordula“, „ihr lieben Waßmuths“, „mit herzlichen Grüßen“ und „auf ein Wiedersehen in 2025“.

Ich mag sie, die Weihnachtspost. Wenn Menschen Bilder aus ihrem Jahr oder vom diesjährigen Christbaum schicken und wenn sie erzählen, was sie in den letzten Monaten erlebt haben. Sie bringen mich auf den neusten Stand und lassen mich an ihrem Leben teilhaben. Sie zeigen mir, dass ich dazugehöre und ich ihnen wichtig bin. Das ist schön!

Und ganz viel steht auf den Karten und in den Rundbriefen, was da gar nicht steht. Das liest man zwischen den Zeilen! Sorgsam verborgene Gefühle, weil der Schreiber einen damit zu Weihnachten nicht belasten will. Oder weil der Rundbrief an so viele geht, und nicht alle geht es an, wie es einem wirklich geht.

Da schreiben die Freunde vom ersten Heiligabend ohne ihre erwachsen gewordenen Kinder, dass das ja auch mal ganz schön sei nur so zu zweit. Und im langen Rundbrief der Freundin ahne ich zwischen der ganzen geäußerten Dankbarkeit, wie schwer das Jahr seit der Krebsdiagnose tatsächlich für sie war.

Wir hängen zuhause die ganzen Karten und Rundbriefe auf eine lange Leine, die wir durch unseren Eingangsbereich gespannt haben. Da sehe ich sie mehrmals am Tag und freue mich über die Verbundenheit zu all den Menschen über viele Kilometer und über Jahre hinweg.

Über die Feiertage hat man ja nun Muße zu überlegen, wie man sich bedankt für die Grüße. Besonders, wenn man dem Absender vor Heiligabend selbst nicht geschrieben hat… Sternchen hätte ich noch und einen beigen Umschlag auch.  

Die Briefe des Apostel Paulus, liebe Gemeinde, waren auf beigefarbenen Papyrus geschrieben, mit rußhaltiger Tinte. Einem Schreiber hat er sie zwar diktiert, aber die Abschlussworte schrieb er immer selbst. Und dann wurde der Brief zum Versenden gerollt oder gefaltet. Einen Umschlag brauchte es nicht, die Adresse kam einfach außen drauf. Briefmarken hat er sicher nicht aufgeklebt, und Sternchen gewiss auch nicht.

Schon gar nicht auf seinen Brief an die christliche Gemeinde in Rom. Denn tatsächlich waren dem Paulus diese Adressaten zumeist unbekannt. Die Gemeinde in Rom hatte nicht er gegründet. Den Römern musste er sich in seinen ersten Sätzen erst einmal vorstellen. Ich lese aus seinem Briefanfang mit Worten aus der Guten Nachricht Bibel:

„Diesen Brief schreibt Paulus“, beginnt er, „der Jesus Christus dient, zum Apostel berufen, und dazu erwählt Gottes Gute Nachricht bekannt zu mache. Diese gute Nachricht hat Gott durch seine Propheten in den Heiligen Schriften schon lange angekündigt. Es ist die Botschaft von seinem Sohn Jesus Christus, unserem Herrn. Als Mensch geboren ist er ein Nachkomme des Königs David. Durch die Kraft des Heiligen Geistes als Erster vom Tod erweckt, ist ihm die Macht übertragen, die ihm als Sohn Gottes zusteht.“

In einem Satz die Weihnachtsbotschaft und Ostern gleich noch dazu. Sachlich und knapp. Paulus beschränkt sich auf das Wichtigste. Denn der Apostel will vor allem seine Verbundenheit mit den Adressaten ausdrücken: Das, unser Glaube an Jesus Chrtistus, ist unsere gemeinsame Basis. Er schreibt in seiner Eröffnung etwas später noch Folgendes:

Ich bin berufen zum Apostel und „auch ihr seid berufen von Jesus Christus“. Darum schreibe ich „an alle Geliebten Gottes und berufenen Heiligen in Rom.“ Und „ich danke meinem Gott für euch alle, dass man von eurem Glauben in aller Welt spricht“.

„Ich gedenke eurer ohne Unterlass.“ Und "ich flehe in meinen Gebeten, ob es sich wohl einmal fügen möchte durch Gottes Willen, dass ich zu euch komme. Denn mich verlangt euch zu sehen. Ich habe mir oft vorgenommen, zu euch zu kommen, wurde aber bisher gehindert. “

Und das klingt dann wieder wie Weihnachtspost von heute: Schade, dass es mit einem Besuch in diesem Jahr nicht geklappt hat. Aber nächstes Jahr dann hoffentlich!

Ich frage mich, was bei Paulus zwischen den Zeilen steht? Er hofft wohl auf Unterstützung seiner Reisepläne nach Rom. Und dass sie ihm wohl gesonnen bleiben, auch wenn es leider noch etwas dauern kann, bis Paulus kommt.  Gerade deshalb ist es ihm wichtig, schon mal auf diesem Wege von sich hören zu lassen. Zu schreiben, was er macht, was er denkt. Den Gemeindegliedern in Rom an seinem Leben Anteil zu geben. Den Dialog zu suchen. Das verbindet, auch über viele Kilometer und sogar Jahrhunderte hinweg. 

Eine alte Freundin hat mir eine Weihnachtskarte geschrieben. Als ich den Umschlag im Briefkasten entdeckte, habe ich mich gefreut. Ich habe ihn gleich geöffnet und überlegt, wann unser letztes Treffen war. War das in Köln 2019? Muss ja, war vor Corona. Während ich die Karte las, rief ich mir in Erinnerung, was wir zusammen erlebt haben. Wir haben damals in derselben Gemeinde gearbeitet und unsere Kinder mehr oder weniger gleichzeitig bekommen.

Die Karte zeigt ihre Familie, wie sie, ihr Mann und die Kinder heute aussehen. Ich staune, wie groß die beiden Töchter geworden sind und dass die Freundin selbst sich überhaupt nicht verändert hat. Ihr Mann dagegen ist deutlich grauer geworden…

Sie hat von Hand geschrieben mit Füller, wie schön. Ob ich altmodisch bin, dass ich das von Jahr zu Jahr mehr schätze?

Letztes Jahr habe ich noch zwei Leinen gespannt und habe sie auch voll bekommen. Dieses Jahr bekäme ich die zweite nicht mehr ganz gefüllt. Mehr und mehr Freunde und Bekannte, die bisher Weihnachtsgrüße per Post versandten, posten inzwischen nur noch einen Gruß auf Facebook oder Instagram. Das spart Geld, Zeit und Papier. Gewiss. Aber das Band zwischen uns dünnt es aus, wenn da keine persönliche Anrede mehr und kein handschriftlicher Gruß mehr rüberkommen.

Paulus Brief ist auf beigem Papyrus, aber ohne Sternchen und ohne Foto von ihm. Klar. Aber hochwertig ist er dennoch! Es ist kein kurzer Facebook-Post, kurz geschossen und hochgeladen. Vielmehr schreibt er 16 Kapitel – und hoppla, dafür einen Schreiber zu bezahlen – das hat er sich ganz schön was kosten lassen!

Also, wenn die Gemeinde in Rom eine Leine gespannt hätte für ihre Briefe: Der hätte sich gelohnt dort aufzuhängen und aufzuheben! Damit ihn alle sehen und lesen können zu jeder Zeit, auch später noch, mit mehr Ruhe, denn er hat es in sich. Nur überfliegen kann man die 16 Kapitel nicht. Sie sind mehr als ein Gruß, mehr als ein Zeigen: in diesem Glauben sind wir verbunden. Fast schon ein Vermächtnis. Eine Zusammenfassung seiner Theologie. 

Am Ende schreibt die Freundin von früher übrigens noch: „Bleibt alle gesund und froh – alles Gute für 2025 und hoffentlich bald mal ein Wiedersehen!“ Ja, das wäre schön. Vielleicht kann ich das einrichten, wenn ich nächstes Jahr eh an den Rhein fahre?

Denn mir ist das wichtig, in Kontakt zu bleiben und mich auszutauschen mit alten Freundinnen und Bekannten, mit denen ich Leben und Arbeit geteilt habe. 

Für Paulus sind es nicht gemeinsame Erlebnisse. Es ist der Glaube, der ihn mit den Christinnen in Rom verbindet. Und Glaubensgeschwister sollten zusammenhalten! Das ist nicht nur seine Aufgabe als Apostel, Kontakt zu halten. Vielmehr geht es um gegenseitige Unterstützung: praktischer und geistlicher Natur. 

Ich muss an die Nachrichten denken, die gerade in Corona-Zeiten zwischen den Glaubensgeschwistern in Südafrika und uns hier im Kirchenkreis hin und her gegangen sind. Die Beziehung bekam eine geistliche Tiefe, weil wir uns mehr über unser Leben in den Gemeinden ausgetauscht haben, als die Jahre davor. Und weil wir füreinander gebetet haben. Und dieses Jahr war dann auch endlich wieder ein Besuch möglich, Gottt sei dank! 

Ja, ohne persönliche Begegnung geht Beziehung auf Dauer nicht, das ist Paulus klar, deshalb will er auch ganz bald nach Rom reisen.

So gibt er den Mitchristen in Rom gleich zu Briefbeginn einen herzlichen Gruß mit auf dem Weg, der so schön ist, dass wir ihn in fast jedem Gottesdienst zu Predigtbeginn zitieren. Er könnte aber auch am Ende jeder Weihnachtspost so wie am Ende einer Weihnachtspredigt stehen: Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater

und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde, bald ist es soweit: in vier Monaten ist Konfirmation. Für unsere Konfis stehen das letzte Drittel Ihres Unterrichts an. Dazu gehört auch bald, sich den Konfirmationsspruch auszusuchen. Das macht jede für sich, aber wir machen es im Unterricht mit einer bewährten Methode zusammen. 

 

Wenn Sie, liebe schon Konfirmierte unter uns, heute Ihren Konfirmationsspruch neu für die kommenden Jahre aussuchen dürften, welchen würden Sie nehmen?

 

Ich glaube, ich nähme den Vers, der in der Mitte des für heute vorgeschriebenen Predigttextes steht: Römer 12,12, und den wir schon gesungen haben. In der Lutherübersetzung steht:

„Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“

Und bei diesem Vers möchte ich es in der Predigt heute belassen. Ich finde, darin steckt schon so viel.

 

Beim Tippen meiner Predigt habe ich versehentlich „Grübsal“ geschrieben. Das Wort gibt es nicht. Aber ich finde, man sollte es neu in den Duden aufnehmen: Grübsal, eine Mischung von grübeln und Trübsal.

Geläufiger ist sicher das Wort „Bedrängnis“, das unsere Vertonung von Röm 12 benutzt. Oder auch „Not“, oder „Leiden“.

„Freut euch über die Hoffnung, die ihr habt“, übersetzt die Neue Genfer Bibelübersetzung, „wenn Nöte kommen, haltet durch. Lasst euch durch nichts vom Gebet abbringen.“

 

Ich finde, diese drei Aufforderungen fassen am besten zusammen, wie wir als Christinnen und Christen leben sollen. Nur das Gebot der Nächstenliebe steht noch darüber.

Deshalb würde ich heute diesen Vers des Apostel Paulus als Konfirmationsspruch 2.0 auswählen.

 

 

 

 

 

Neulich, ein Treffen an der Kaffeemaschine.

Während wir warten, das der Kaffee in unsere Tassen läuft, fragt mein Gegenüber: Worüber predigst du am Sonntag?

Ich: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“

Er: „Kann ich mir eins davon aussuchen?“

Ich: „Nein. Die gehören zusammen. Das eine geht nicht ohne das andere. Ja, die bauen geradezu aufeinander auf. Und wenn ich länger darüber nachdenke: Sie bilden sogar einen Kreislauf, der in beide Richtungen funktioniert.“

 

Ich erkläre ihm, wie ich das meine. Es gehört für mich alles drei zusammen, und keins von den Dreien darf in meinem Glauben fehlen. Sonst wird der Kreis, sonst wird mein Glaube instabil.

 

Fehlt die Hoffnung, dann gehöre ich zu den allerelendsten, sagt Paulus schon, im Korintherbrief. Dann gibt es keine Hoffnung auf Verbesserung im Leben und nicht auf ein Leben nach dem Tod. Dann ist da auch keine Freude mehr und alles ist letztendlich sinnlos.

 

Fehlt die Bedrängnis, also die Anfechtung, der Zweifel, dann hat der Glaube keine Tiefe. Dann beschränkt sich das Gebet sich aufs Loben. Es verliert mit der Zeit an Relevanz, an Dringlichkeit und Ernsthaftigkeit.

 

Und ohne Gebet – habe ich keine lebendige Verbindung zu dem, der der Grund meiner Hoffnung ist. Dann wird die Hoffnung grundlos, beliebig, schwebt davon. Und ich habe nichts mehr, was ich der Not entgegenhalten kann und bin im Leiden ganz auf mich allein gestellt.

Es braucht einfach alles Drei. Und das eine bedingt das andere. Wie in einem Kreislauf. (Kreislauf mit Pfeilen von einem zum anderen und in beide Richtungen ist auf den Liederzetteln aufgemalt.)

Mein Gebet nährt die Hoffnung. Und meine Hoffnung gibt dem Beten erst einen Sinn.

Die Hoffnung hilft mir in Trübsal. Sie ist das Licht im Dunkeln und hilft mir auszuhalten, was ich nicht ändern kann. Ohne Not bräuchte ich keine Hoffnung, dann wäre ja schon immer alles gut.

Zur Hoffnung gelange ich durch mein Gebet: Ich bete zu Jesus Christus, dem Grund meiner Hoffnung. Und das Gebet wäre flach ohne die Not.

Beim Workshop zum Thema Fairer Handel und Schokolade am letzten Donnerstag mit den Katjes, unseren Vorkonfirmandinnen, war eine Konfirmandin dabei. Sie hat dort - wie Lisa und Kate heute hier - ihr Praktikum gemacht. In der Küche beim Aufräumen erzählte sie mir, dass sie ihren Konfirmationsspruch schon gefunden hat. Er lautet: „Nun aber bleiben, Glaube, Liebe, Hoffnung, diese drei. Aber die Liebe ist die Größte unter ihnen.“

Auf der Konfifreizeit in Hanstedt haben wir dazu Schlüsselanhänger gebastelt. Aus Filz haben wir ein rotes Herz ausgeschnitten für die Liebe, ein blaues Kreuz für den Glauben und einen grünen Anker für die Hoffnung. Der Anker als Symbol für die Hoffnung stammt aus der Bibel selbst. Im Hebräerbrief (6,19) heißt es: Wir sollen festhalten an der Hoffnung. „Die Hoffnung haben wir als einen sicheren und festen Anker unserer Seele.“

Mir gefällt das Bild des Ankers. Ich stelle mir vor: Die Wellen, die stürmische See, alles, was einem den Boden unter den Füßen wegzureißen droht: Das ist die Bedrängnis, die Not, der Zweifel, „Grübsal“ eben. Der Anker ist die Hoffnung, Er hält mich am Grund meines Sein, an Christus fest, verbindet mich mit ihm. Und an meiner Hoffnung halte ich fest mit Hilfe des Gebets, sie ist die Ankerkette. (Siehe Zeichnung auf dem Liedzettel)

Und besonders schön, liebe Gemeinde, finde ich, dass dieser, mein Konfirmationsspruch 2.0 in unserem Nienburger Gebetsleuchter „verewigt“ ist.  Wer immer in unserer St. Martinskirche für etwas oder jemanden betet und eine Kerze am Leuchter entzündet, liest dort in goldenen Buchstaben: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“ Möge uns das stets gelingen. Dazu helfe uns Gott.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus. Amen.  

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da war, der da ist und der da kommen wird. Amen.

Wir haben Besuch aus Südafrika. Und wir haben uns im Partnerschaftsausschuss darauf vorbereitet: die gemeinsamen Aktivitäten geplant - und die Mahlzeiten. Die sind wichtig. Nicht nur, weil der Mensch halt essen muss, sondern auch weil sie Ausdruck unserer Kultur sind. Sie zeigen etwas von dem, was wir haben und mögen. Wir in Nienburg und um zu sind Spargelgebiet beispielsweise. Wir Deutsche lieben Brot in vielfältigen Formen, gestern Morgen in St. Michael sogar in Schafform. Und wir können Schokolade!

Wir haben gefragt: wer verträgt was, wer mag was nicht? Vegan, vegetarisch und mit Fleisch, gluten- und zuckerfrei haben wir also geplant. Besonders unser Abschiedsessen am morgigen Dienstag, ehe die Gäste am Mittwoch weiterziehen.

Die Mahlzeiten sind auch deshalb wichtig, weil sie Begegnung garantieren. Gemeinsam Gottesdienst zu feiern ist wunderbar. Gemeinsam etwas zu besichtigen ist ebenfalls schön. Aber gemeinsam an einem Tisch sitzen und zu essen bedeutet: Zeit zu haben einander wahrzunehmen, sich auszutauschen und sich kennenzulernen.

Liebe Gemeinde, im heutigen Predigttext geht es ebenfalls um ein Essen, ein Festmahl. Kein Abschiedsmahl wie Jesu Mahl an Gründonnerstag. Ich lese beim Propheten Jesaja aus dem 25. Kapitel die Verse 6-9.

Jesaja 25,6–9

Gott gibt ein Fest für alle, und alle meint tatsächlich alle: für Gottes Volk Israel, aber ebenso für alle anderen Völker, für die Menschen, die vor uns waren, die, die gegenwärtig sind, und die, die kommen werden. Sprachen spielen keine Rolle, Grenzen spielen keine Rolle, ob es große oder kleine Völker sind,ist egal, ja sogar die Religion ist nicht relevant vor Gott.

Und von den Festvorbereitungen ist die Rede, die Gott trifft. Sie erinnern mich an zwei Bilder, die ich vor vielen Jahren einmal in einem Buch gesehen habe, ich weiß nicht mehr wo. Ich habe sie auch online nicht wiedergefunden. Das erste Bild: ein dunkler Raum mit dunklen alten, schweren Möbeln. Regale ahnt man an den Wänden, Schränke, Sessel, Kommoden, ein Spiegel. In der Mitte ein großer Tisch. Dinge stehen darauf. Doch alles ist abgedeckt mit Tüchern, der Tisch und alle Möbel, wie in einem verlassenen Schloss. Die Fensterläden zu, Spinnweben und Staub lassen ahnen, dass dies schon lange so ist.

Bild 2: Auch hier sind die meisten Möbel im Halbdunkeln. Die Läden und das Fenster stehen offen, Sonnenlicht scheint hell herein. Es erleuchtet aber nur die Raummitte! Der Tisch in der Mitte ist abgedeckt, das Tuch liegt auf dem Boden. Und der Tisch ist reich gedeckt mit den herrlichsten Früchten und Brot steht da, Wasser und Wein und anderes mehr, viele Schüsseln und Schalen und Teller. Ein hoher Kerzenleuchter mittendrin, die Kerzen darauf brennen.

Ich weiß, liebe Gemeinde, Jesaja spricht nicht davon, dass ein Tisch, ein Festmahl verhüllt gewesen sei. Gott nimmt die Decke weg, die auf den Völkern liegt, auf seinem Volk wie auf allen anderen. Das Festmahl, das Gott bereitet hat ist für sie. Es ist sichtbar aufgebaut. Sie sehen es aber nicht, weil sie selbst zugedeckt sind.

Gott nimmt weg, was ihnen vor Augen ist und die Sicht nimmt. Damit sie sehen, was schon längst offen da ist, nur scheinbar verhüllt. Gott hält es für sie schon bereit. Zu Ohren hat Gott es sie schon längst kommen lassen und uns ebenso, so viele Male schon durch die Propheten. Doch die Völker haben es nicht gehört. So will Gott es sie nun sehen lassen und auch riechen und schmecken. Einen Schritt weiter geht Gott also und nimmt die Decke von ihren Köpfen. Wie bei einem Kind, das beim Topfschlagen trotz aller Rufe „heiß“ und „kalt“ den Topf einfach nicht finden kann. Dann nimmt man ihm irgendwann die Binde ab.

Aber das reicht noch nicht. Nun können alle nicht nur hören, sondern auch sehen, was schon so oft verheißen wurde: das Leben in Fülle, das auf uns wartet. Schon hier und jetzt und noch viel herrlicher einst in Ewigkeit in seinem Schloss. Leben, das schmeckt, allen schmeckt. Das uns nährt und stärkt und erfreut. Leben, das wir teilen, ohne dass uns Grenzen und Sprachen trennen, Vorbehalte und Waffen. Einst sehen wir uns alle wirklich in die Augen, lernen einander kennen und schätzen. Und Gott lässt Frieden werden an diesem Tisch.  Davon träume ich zusammen mit Jesaja, an diesem Ostermontag einmal mehr als sonst. Denn an so einem Festtag fehlen einem diejenigen, die verstorben sind, besonders. An so einem Festtag mit Besuch genießen wir auch das Schöne einmal mehr, ach wäre es doch immer so und für alle. Die Sehnsucht ist groß an so einem Tag wie heute.

Die Hülle, die Gott wegnimmt, die ist übrigens nicht nur dafür verantwortlich, dass wir nicht sehen, was Gott längst für uns bereithält: das gute Leben in Fülle. Diese Decke, von der der Prophet spricht, hat auch noch eine andere symbolische Bedeutung: Wer in Trauer ist in Israel, verdeckt sein Haupt, zieht sich zurück. Wir kennen zumindest das Gefühl, wenn man traurig ist, dass man sich zurückziehen mag. Und auch dass man sich dunkel kleidet. Und es fühlt sich an, als säße man im Dunkeln. Diese Decke scheint manchmal so schwer zu sein, dass man sie nicht einmal anheben geschweige denn ablegen kann. Und es ist unerträglich, wenn Menschen einen auffordern, sie doch einfach wegzulegen. Nein, das geht nur Stück für Stück und mit einem Vor und Zurück. Doch Gott kann das, diese Mantel der Trauer und Traurigkeit lüften, mehr und mehr. Und allein das ist schon ein Ostergeschehen, doch eins, das Zeit braucht. Doch was ist schon Zeit vor Gott…

Und darum, liebe Gemeinde, dieses Wegnehmen der Decke von den Völkern und von einem jeden einzelnen von uns – das geschieht nicht mit einem Ruck, sondern es benötigt Zeit, viel Zeit.

Nun ist das alles schön und gut: dass Gott uns sehen lässt, was verborgen war, dass Gott nimmt, was uns beschwert. Aber das wirklich Großartige und Wunderbare ist ein Drittes: Gott verschlingt den Tod auf ewig. Er wischt alle Tränen ab, denn mit Christi Sieg über den Tod gibt es keinen Grund zum Weinen mehr. Hier berühren sich prophetische Verheißung und das Geschehen am Ostermorgen.

Und „die Schmach seines Volkes in allen Landen“ wird Gott aufheben. Und ich bin neugierig, ob und wie die App das übersetzt! Unsere Gäste nutzen nämlich gerade eine App auf dem Handy, die den deutschen Text der Predigt ins Englische simultan übersetzt. Für das Wort „Schmach“ brauchen wir auch als Deutsche eine Übersetzung…

Ich sehe es heute so: Vor 80 Jahren endete der 2. Weltkrieg. Und damit wurde auch dem Grauen der Konzentrationslager ein Ende gesetzt. Doch dem Antisemitismus in unserem Land ist dadurch kein Ende gesetzt worden, im Gegenteil, er lebt seit einiger Zeit beschämenderweise wieder auf. Mögen die unseligen Anfeindungen Jüdinnen und Juden gegenüber doch endlich ein Ende haben! Bei uns und überall. Diese „Schmach“ hat erst dann ein Ende, wenn kein Jude mehr Angst haben muss, beleidigt und angegriffen zu werden, wenn er mit einer Kippa das Haus verlässt. Wenn keine Synagoge mehr Polizeischutz benötigt. Wenn es keine antijüdischen Straftaten mehr gibt und der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung arbeitslos wird.

Dann erst, wenn all das Genannte geschehen ist und so viel mehr, dann beginnt das Fest. Dann setzen wir uns hin, alle gemeinsam an den einen Tisch. Gottes Volk und alle Völker. Und dann feiern wir. Mit den besten Speisen. Und sie werden allen schmecken. Mit Musik und Lachen, mit Gesprächen zwischen Menschen jeglicher Herkunft und Religion.

Ein ferner Traum, von dem Jesaja und auch die beiden beschriebenen Bilder erzählen? Nein, nicht nur Erzählung und Traum. Einen Blick auf das Festmahl werfen wir schon jetzt, wie durch eine geöffnete Tür.

Die Jünger, die nach Emmaus gingen, können davon sogar ein wenig schmecken. Sie sitzen mit dem Fremden am Tisch. Und plötzlich, unverhofft realisieren sie: „Der Herr ist wahrhaftig auferstanden.“ Und er ist schon jetzt mitten unter uns. Die Verheißung wird wahr!

Gewiss, noch ist er da, der Tod, schmerzlich. Und doch schon besiegt durch Christus, der als erster auferstanden ist von den Toten. Noch ist es da, das Dunkel in den Ecken unseres Lebens. Doch schon jetzt sind die Fensterläden und Türen aufgestoßen, der Tisch ist gedeckt, die Hoffnung lebt: Wir hören und sehen und riechen schon jetzt: Gottes Festmahl wartet auf uns. Es ist bereitet. Und einst werden wir mit Christus am Tisch sitzen und im Angesicht Gottes feiern – mit allen, die vor uns waren, mit uns sind und nach uns kommen. Sie kommen von Süden und Norden, Osten und Westen.  

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre eure Herzen in Christus Jesus. Amen.

 

 

Gnade sei mit Euch und Frieden

von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Festtagsgemeinde,

„muss ich denn alles dreimal sagen?“ – so lautet eine häufige rhetorische Frage von Eltern. Wer von Euch Jugendlichen hat sie noch nie zuhause gehört? Hand hoch. - Dachte ich mir.

„Muss ich denn alles dreimal sagen?“ Das hat Jesus auch geseufzt. Dreimal hat er seinen Jüngern angekündigt, was da auf ihn und sie alle zukommt: dass er gefangen genommen und getötet würde. Dreimal hat er ihnen auch erklärt, warum das so kommen musste. Es hat nicht viel genützt. Sie haben es nicht wirklich verstanden. Nicht verstehen können. Wie soll man das auch?

Aber aller guten Dinge sind drei, sagt der Volksmund.

Und ich verrate Ihnen was, wir Theologinnen, wir haben manchmal den Hang, dasselbe dreimal hintereinander mit jeweils anderen Worten zu sagen. Das ist so ein Pastorending…

Solche Dreierschritte seien aber eine Todsünde, hat uns die Senderbeauftragte des ZDFs erklärt, als wir unseren Fernsehgottesdienst vorbereitet haben. Und sie hat alles, was nur in die Nähe einer dritten Wiederholung kam, rigoros gestrichen. Naja, Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist – das war natürlich erlaubt.

Und dann das: Kirchentag vor den Toren unserer Stadt, in Hannover, unter dem Leitvers: „Mutig, stark, beherzt.“ Was mich ein wenig an die Rittersport-Werbung erinnert. Ihr kennt die, nicht wahr? „Quadratisch – praktisch – gut.“

„Mutig, stark, beherzt“ - ist das ein Werbeslogan für unsere evangelische Kirche? Für uns als Christinnen und Christen? Würde ich mir das guten Gewissens auf ein Shirt drucken lassen? Würde ich mich trauen, es auf ein Schild zu schreiben, das ich an die Kirchentür hänge? Wäre oft nicht passender „zögerlich – kraftlos – bürokratisch“? Das würde auch stimmen. Wäre aber auch unfair, weil es nicht die ganze Wahrheit ist.

Wie habt Ihr Konfis unsere Kirchengemeinden St. Michael und St. Martin in den vergangenen 11 Monaten erlebt?

Und wie habt Ihr Euch in unseren Gemeinde gefühlt? Zum Beispiel wenn wir miteinander zu Beginn jedes Konfitreffens Andacht hier im Chorraum oder in St. Michael gefeiert haben? Wenn wir in der Großgruppe im Kreis saßen oder zusammen mit Teamer in Kleingruppen gearbeitet haben? Und dann, als wir auf Freizeit gefahren sind? Ein bisschen was darüber habt Ihr uns auf Euren Feedbackbögen am Freitag dazu aufgeschrieben, danke dafür. Wir haben das mit Interesse gelesen!

Vor einem Jahr waren wir einander noch sehr fremd, spätestens beim Wochenende in Hanstedt hat sich das aber geändert. Da wurdet Ihr mutiger.

Beim Besuch im CJD – Christliches Jugenddorfwerk Deutschland – haben wir Euch als mutig Fragende erlebt. Und beim Thema „Feindesliebe“ – wie gehe ich mit meinen Feinden um – als mutig Diskutierende und sich Positionierende. Wisst Ihr noch?   

Ihr wart echt stark beim Graffiti-Workshop auf dem Friedhof, beim Gärtnern und beim Gestalten Eurer Taizé-Andacht. Die ging allen ans Herz, die zahlreich gekommen waren.

Es war uns eine Freude zu lesen, dass ihr sie gern gestaltet und dass manchen als Praktikum sehr gerne im Gottesdienst Lesungen gehalten oder Gebete vorgelesen haben. Das war auch mutig!

Es war toll zu sehen und zu hören, mit wie viel Herz Ihr Euch beim Speed Dating mit den Ehren- und Hauptamtlichen unterhalten habt. Die waren auch so begeistert, dass die das im nächsten Jahrgang wieder machen möchten. Das ist etwas, was aus Eurem Jahrgang bleibt, und nicht das Einzige.

„Mutig – stark – beherzt“. Den Slogan hat sich übrigens nicht der Kirchentag ausgedacht, sondern der Apostel Paulus. Naja, mehr oder weniger. Folgende zwei Sätze hat Paulus geschrieben in seinem ersten Brief an die christliche Gemeinde in der Stadt Korinth: „Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!“

Daraus ist dann als Kurzform entstanden: Seid „mutig, stark, be-herzt“. In dem „beherzt“ steckt auch Mut drin, dass sich jemand ein „Herz fasst“ und sich was traut. Und „Herz“ ist da natürlich drin und daher eben „Liebe“.

„Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!“ Das schreibt der Paulus am Ende seines ersten Briefes an die Gemeinde. Zwischen Abschiedsgrüßen und Ermahnungen. Die letzten Dinge eben, die er noch mitgeben wollte, ehe er den Briefumschlag zuklebt. Ich dachte, das passt doch ganz gut in einen Konfirmationsgottesdienst.

Es ist aber kein Abschied für immer. Bei Paulus folgt ein zweiter Brief. Und ich glaube, auch was Euch und uns angeht, gibt es eine Fortsetzung.

Heute möchten wir Euch erstmal das mitgeben, den Wunsch und die Ermutigung: dass Ihr mutig, stark und beherzt im Leben weitergeht.

Dass ihr mutig, stark, beherzt an Jesus Christus glaubt.

Dass Ihr weiter vertraut, auch wenn Zweifel kommen.

Ihr braucht nicht immer stark zu sein. Paulus hat auch einmal gesagt: „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Wenn Ihr Euch klein und schwach fühlt, nichts gelingt und Ihr fühlt Euch ohnmächtig: Dann wisst, Gottes Kraft macht Euch wieder groß. Gott ist längst schon am Werk.

Ihr werdet es sehen.

Und wir ermutigen Euch: Zeigt immer Herz. Auch dazu braucht es manchmal Mut. Aber Ihr könnt das. Solange Euer Herz schlägt, könnt Ihr auch beherzt sein. Euer Herz schlägt doch nicht nur für Euch, um zu leben. Es schlägt für Eure Familie und Eure Freunde, für Eure Hobbies, für alles, was Euch Freude macht. Ein Kollege hat mal gesagt: Jeder Herzschlag ist ein Anklopfen Gottes. Als wolle Gott zeigen: Schau, ich bin da!

Mitgeben möchten wir Euch das, ermutigen, nicht dazu auffordern.

Man kann jemanden, der Angst hat, nicht auffordern: Sei mutig!

Man kann jemanden, der schwach ist, nicht zurufen: Sei stark!

Man kann jemanden, der nichts fühlt, schlecht sagen: Hab ein Herz.

Also, kann man schon machen. Bringt aber nichts.

Man kann aber er-mutigen. Stärken. Und ein Herz schenken.

Ich denke an die beiden Frauen am Ostermorgen, aus unserer Lesung. Da bebte die Erde. Ein Engel kam vom Himmel. Steine wurden weggerollt. Und es leuchtete wie ein Blitz. Und die Feinde bekamen Angst und fielen um. Da war was los…

Das passiert einem eher selten. Aber es geschehen schon mal Dinge, die einen total erschüttern. Im traurigen Sinne. Aber auch im schönen. Es begegnen einem auf jeden Fall Engel im Leben, jede Menge.

Wenn Ihr Euch mit den Augen einer glaubenden Person umschaut, entdeckt Ihr sie auch.

Und es kann passieren, dass schwere Hindernisse von alleine den Weg freigeben. Wie von Zauberhand. Aber ich verrate Euch was: Da war dann Gott am Werk.

Und dass man Gedankenblitze hat, das passiert auch. Mit einem Mal sieht man glasklar, was Sache ist, was man jetzt tun muss und was richtig ist.

Tja, und dass die, die einem übel wollten, aufgeben und sich trollen, auch das geschieht manchmal.

Und all das geschieht normalen Menschen, wie diesen beiden Frauen am Ostermorgen. Und Maria aus Magdala und die andere Maria sind sicher nicht total mutig und stark zum Grab gegangen sind. Aber sie sind gegangen. Im fast-noch-Dunklen. Mutlos. Sind trotzdem los. Denn Mut ist nicht Abwesenheit von Angst. Sondern ein Handeln trotz Angst.

Und: sie haben sich zusammengetan, keine musste alleine gehen. Und auch danach wussten sie, wo sie hingehen konnten und wohin sie Jesus ja auch geschickt hat: zu den anderen Jüngern und Anhängerinnen Jesu. Der Fanclub Jesu ist ziemlich groß. Und man hat immer und überall solche eine Gemeinschaft – christliche Gemeinde – zu der man laufen kann.

Zu dieser weltweiten Gemeinschaft gehört Ihr, liebe Konfis. Seit Eurer Taufe. Und heute bekräftigt Ihr das mit Eurem Ja. Dass Ihr weiter an Jesus Christus glauben, ihm folgen wollt, und zu seinem Fanclub gehört.

Ups, jetzt habe ich es wieder getan. Den Dreierschritt. Gemerkt? Hach, das sollte ich doch lassen! Muss man mir auch alles dreimal sagen?!

Ja, manches ja. Weil ich es selbst auch für mich nicht oft genug hören kann. Ich sage es jetzt noch einmal, weil ich es jedem einzelnen von Euch und uns wünsche. Nein, bei Euch weiß ich es sogar:

Du bist mutig. Du bist stark. Du bist beherzt.

Paulus beendet seinen Brief und ich diese Predigt mit seinen Worten: „Unsere Liebe gilt euch allen. Durch Jesus Christus sind wir miteinander verbunden.“ Amen.

Liebe Festgemeinde, haben Sie das früher auch gespielt?

Es war so eine Art Mutprobe.

Wir schlichen zur Tür der Nachbarn und klingelten.

Aber wir wollten gar nicht zu denen. Im Gegenteil.

Wir klingelten und rannten schnell weg.

Und wir freuten uns königlich, wenn hinter uns die Tür aufging, und wir waren schon außer Sichtweite.

Klingeltürchen haben wir das in Wuppertal-Barmen genannt. Ich weiß nicht, welche Namen Sie für den Klingelstreich kennen.

Es gibt einen Vers im Neuen Testament, da geht es auch ums Klingeln, naja, eigentlich ums Anklopfen. Und ums Suchen und Bitten. Er schließt gut an die Lesung aus dem Buch des Propheten Jeremia von eben an. Da hieß es ja: „Wenn Ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.“

Der Evangelist Matthäus erzählt:
Jesus ging auf einen Berg, setzte sich und forderte seine Jünger auf:

Bittet, so wird euch gegeben.

Suchet, so werdet ihr finden.

Klopfet an, so wird euch aufgetan.

Denn wer da bittet, der empfängt;

Und wer da sucht, der findet.

Und wer da anklopft, dem wird aufgetan.

Liebe Festgemeinde, ganz ehrlich: So funktioniert das doch nicht. Gott ist kein Automat, der unten liefert, was ich oben als Gebet reinwerfe.

Wie oft habe ich Gott inständig um etwas gebeten, und habe es nicht empfangen.

Wie oft haben Sie in Ihrem Bereich, beruflich oder ehrenamtlich nach Lösungen für drängende Herausforderungen gesucht?
Wir haben so vieles versucht, Menschen besucht. Haben angeklopft und geklingelt. Aber alle Türen blieben verschlossen.

Manche geben dann auf. Sie ziehen sich in ihr Schneckenhaus zurück und hören auch auf zu beten. Sie glauben nicht mehr an ein gutes Ende.

Denn die Nachrichten verunsichern, die Angst ist groß und lähmt.

Ich kann das nachvollziehen.

Aber Gott setzt dem etwas entgegen: „Gedanken des Friedens und nicht des Leides habe ich über euch“, sagt Gott, „dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung“.

Gestern Abend im Theater - und auch eben in Ihrem Grußwort - sagten Sie, lieber Herr Gauck: Es ist in Ordnung Angst zu haben und sie zuzugeben. Aber sich von ihr leiten zu lassen, ist keine gute Idee.

Wie groß die Angst ist, das wurde mir gestern nochmal auf meiner Bahnfahrt von Hannover nach Nienburg klar. 

Eine Frau klagte ihrem Bekannten, dass Putin bestimmt bald unser Land angreife. Und dass wir Deutschen nirgendwohin flüchten könnten. „Uns nimmt doch keiner“, sagte sie.

Und sie fuhr fort: sie plane schon, im Notfall zu Verwandten nach Griechenland zu gehen und Melonenpflückerin zu werden.
Eine andere Frau saß mit ihrem kleinen Sohn daneben. Sie schaltete sich ins Gespräch ein und sagte: „Ich habe Familie in Kanada, dorthin würden wir ziehen.“ Und vermutlich haben sich viele auch von uns insgeheim schon ganz ähnliche Gedanken gemacht.

Was meinen Sie, liebe Festgemeinde, woran mangelt es uns als Gesellschaft derzeit am meisten? An Stärke, wirtschaftliche oder militärische? Ist der Fachkräftemangel unser größtes Problem? Oder die erstarkenden rechtsextremen Kräfte?

Ich glaube als Pastorin, uns fehlt vor allem Zuversicht!

Die Hoffnung auf eine positive Entwicklung.

Das Vertrauen darauf: es wird!
Ja, schon die Vorstellungskraft, wie es gut sein könnte.

Vertrauen wir noch auf uns als Zivilgesellschaft?

Und Christinnen und Christen, vertrauen wir noch auf Jesus Christus, der uns doch schon erlöst hat?

Erwarten wir religiöse Menschen noch etwas von Gott?

Mir ist noch unser Landesbischof im Ohr. Im Fernsehgottesdienst hier in St. Martin vor zwei Monaten hat Ralf Meister am Ende seiner Predigt gesagt: „Du musst mit allem rechnen. Auch mit dem Schönem!“

Zuversicht, genauer: „Zuversicht beim Beten“ ist die Überschrift über die Verse aus der Bergpredigt, die ich Ihnen vorgelesen habe.

Und eben nicht „Gott der Automat“.

Ja, wenn man mit Gott unterwegs ist, braucht man einen langen Atem. Aber wie viel Geduld braucht Gott erst mit uns!!

Bloß, wir sind schnelle Bedürfnisbefriedigung gewohnt:

Ich bitte – und der Bestellservice liefert direkt am nächsten Tag.

Ich suche nach Informationen – und KI antwortet in Sekundenschnelle.

Ich klopfe an – und das Geschäft ist 24/7 oder in Mittelzentren wie hier immerhin 14/6 geöffnet.

Das prägt eine Erwartungshaltung, die sich auch auf existentiellere Dinge überträgt.

Vielleicht vergessen wir manches Mal in unserer Ungeduld und Hoffnungslosigkeit, wie unglaublich gut es uns doch insgesamt geht! Ja, das war zu lange zu selbstverständlich – gerade für meine Generation und die meiner Töchter. Wir sind in Friedenszeiten und Wohlstand geboren und aufgewachsen.

Wir blicken hier in Nienburg auf 1.000 Jahre zurück. Und nie ging es den Bewohnerinnen und Bewohnern unserer schönen Stadt so gut wie jetzt! Darum haben wir als Grundton für den Gottesdienst Lob und Dank gewählt. Darum haben wir dieses Wochenende viel Grund zu feiern.

Ich bitte Euch, liebe Mitbürgerinnen, liebe Mitbürger:
Lasst uns weiterhin mit Geduld und immer wieder aufs Neue, beharrlich unserer Stadt und der ganzen Gesellschaft Bestes suchen.

Dabei kommt es auf jede Einzelne an, ganz unabhängig von Herkunft und Religion, Alter und Geschlecht.

Lasst uns miteinander bitten und beten, gemeinsam nach Lösungen suchen und sie finden, an jede Tür klopfen und in Kontakt mit jedem kommen.

Denn es braucht die Gemeinschaft aller.

Jeremia wie Jesus benutzen nicht zufällig den Plural: „Suchet“, „bittet“… Keiner kann und keine muss das allein tun. Auch unser Bürgermeister Jan Wendorf nicht.

Gott sei dank haben wir hier schon viele hochengagierte Menschen in den Vereinen und Gemeinden, in den Geschäften und Firmen, Institutionen und Behörden.

Und ja, auch beten ist aktives Tun! Und es ist gut, das gemeinsam zu tun und sich gegenseitig dazu zu ermutigen.

Denn wer nicht bittet, dem kann auch nichts gegeben werden.

Wer nicht sucht, der findet auch nichts.

Und wer sich nicht auf den Weg macht und an Türen klopft, der wird auch nicht erleben, wie sie sich öffnen.

Wir haben uns das in unseren Gebetsleuchter da hinten und sozusagen ins Stammbuch geschrieben: „Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.“ Ein Vers aus dem Römerbrief.

Also, lasst uns hartnäckig bleiben. Im Engagement und im Gebet. Lasst uns alles tun. Nur das Eine bitte nicht: weglaufen. Amen.

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten!

„seid ihr bereit - für Risiko und Hoffnung?“ (Welch ein schöner Satz aus Eurem Anspiel!)

Vor euch liegt kein „Escaperoom“, sondern „nur Entscheidungen“. Wobei ich nicht weiß, was furchteinflößender ist…

Lebensentscheidungen. - Ich würde euch gerne eins vorneweg fragen: Wer von euch weiß jetzt schon, was er macht oder wo sie Ende des Jahres sein wird? Hand hoch. (Es melden sich ca. 1/3 aller Abiturienten.)

Und die zweite Frage: Wer freut sich heute einfach nur, egal was jetzt ansteht oder noch offen ist, und will einfach nur losgehen ins neue Leben? (Es melden sich viellleicht 15%.)

Ein bisschen Wehmut, Unsicherheit ist auch da, nicht wahr?

Aber hoffentlich auch Erleichterung und Dankbarkeit für das Geschaffte. Und das vielleicht nicht nur bei euch, sondern auch bei euren Eltern und Familien. Die haben euch in den letzten Monaten des Lernens und der Prüfungen begleitet, haben innerlich mitgelitten und gebangt und sich mit euch gefreut.

Und ich weiß: ähnlich erging es übrigens auch euren Lehrerinnen und Lehrern, denn ihr seid – naja, ich muss jetzt sagen: „wart“ auch ein bisschen ihre Kinder.

Wir haben diese wunderbare Musik der Chöre und Ensembles in diesem Gottesdienst. Und wir haben die Texte und das Anspiel, die die Zwölfer aus dem Religionskurs mit Frau Heydorn vorbereitet haben! Und ihr Zwölfer gebt, so habe ich es wahrgenommen, den 13ern zwei Dinge mit auf den Weg: Eine Warnung und eine Ermutigung.

Anna hat mit dem Bibeltext aus dem 1. Brief des Paulus an Timotheus eine klare Warnung ausgesprochen. Der Apostel warnt vor der Versuchung, geldgierig zu werden. Reichtum als höchstes Ziel im Leben zu sehen. Denn das – und man könnte das Streben nach Macht noch ergänzen – sei die Wurzel alles Bösen.

Ein gutes, reich gesegnetes Leben braucht keinen Reichtum. Das hat auch sehr beispielhaft der Namensgeber eurer Schule so gesehen und gelebt.

Der höchste Gewinn, denn wir haben können, so der Bibeltext, ist der Glaube, das Vertrauen auf Gott. Etwas, worum man immer wieder ringen muss, weil es so schnell abhandenkommen kann. Aber es bereichert das Leben sehr! Und das ist schon das zweite und wichtigere, was wir euch mitgeben wollen: die Ermutigung auf Gott zu vertrauen, von Gott etwas zu erwarten.

 

Zunächst zur Warnung.

Gerade weil es euch nicht um Reichtum geht, seid ihr beim Anspiel auch nicht mit Geld in der Tasche ins Casino gegangen.

Dennoch sind eure Einsätze hoch. Es geht um alles. Ihr setzt ein:

Eure Zweifel, eure Angst, eure Freiheit, euren Glauben in euch selbst und eure Berufung… Das legt ihr auf den Tisch, das setzt ihr ein.

Kein Spiel mehr, das ist Ernst.

Amalia, die den Glauben einsetzt, und Gott haben eins gemeinsam:

Sie glauben an den Menschen. Gott lässt uns machen, greift nicht ein. Leider, muss man ja oft sagen. Gott setzt immer wieder Hoffnung in uns, dass wir es hinkriegen, das mit dem Frieden und mit der Bewahrung des Lebens und der Schöpfung. Welch ein Vertrauen! Und wie oft enttäuschen wir das…

Gott traut uns eine Menge zu, und wir können Gott vertrauen.

 

Und damit zur Ermutigung.

„Lass dich fallen“ – hat Erik eben für euch und für uns alle so wunderbar gesungen, liebe Schulgemeinde. Lass dich fallen, die Einladung gilt euch nun ehemaligen und allen Noch-Schülerinnen und Schüler, allen Lehrkräften und dem Direktor, allen Eltern und Großeltern, Gemeindegliedern, Pastorin und Küster. Einfach allen.

„Ich sag das viel zu wenig, wie dankbar ich bin. Ich lass mich nur noch treiben, und wer weiß, wohin.“ „Lass dich fallen, lass dich fallen.“

Ein Lied von Freiheit und Vertrauen. Denn fallen lassen kann sich nur, wer weiß, dass er, dass sie aufgefangen wird.

Um es mit einem anderen Liedvers zu sagen: „Du kannst nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.“ Das ist für mich als Christin eine Gewissheit, die mich durchs Leben trägt.

Das Lied, das Erik gesungen hat, ist von Jeremias, eine Band mit dem Namen eines biblischen Propheten. Das gefällt mir.

Frei seid ihr. Frei sind wir – ist seine Botschaft, und auch die der Bibel. Frei und zugleich geborgen. Kein anderer soll über dir herrschen, keiner hat die absolute Macht über dich. Frei sollst du sein, sagt Gott, frei zu entscheiden, wohin dein Weg dich führt. Frei, wonach du dich richtest, was dich bestimmt. Befreien sollst du dich von dem, was dich hält und fesselt: von Gier und anderen Versuchungen, von Süchten und Verstrickungen, nichts soll dich niederdrücken. Und das kannst du im Vertrauen auf den, der größer ist. Der in Christus sogar die Macht des Todes gebrochen hat.

Angst haben wir alle und Zweifel und mangelndes Selbstvertrauen… Doch lähmen sollen sie dich nicht, dich nicht bestimmen.

Denn im letzten sind wir frei - und zugleich gehalten von Gott.

Ich möchte euch also ermutigen, liebe Glückssucherinnen und Glückssucher. (Ich kann nicht beurteilen, inwieweit das Abi ein Glücksspiel war…) Auch das Leben mag einem manchmal wie ein Glücksspiel vorkommen. Ihr, wir haben Glück gehabt, hier in Nienburg aufgewachsen zu sein. Hier jetzt zu leben.

Aber es ist nicht nur Glück und Zufall. Es ist Geschenk.

Ich möchte euch also ermutigen, zu vertrauen. Einerseits auf euch, ja. Auf eure Gaben und Talente. Auf alles, was ihr mitbringt.

Setzt sie ein. Denn gewiss seid ihr berufen, einen unverwechselbaren Sinn fürs Leben zu finden. Vielleicht in der Berufswahl, vielleicht in anderen Rollen, Engagements und Zielen, die ihr für euer Leben wählt.

Vor allem möchte ich euch ermutigen, darüber hinaus auf Gott zu vertrauen. Ein großer, ja der größte Gewinn, denn man machen kann, sagt der Apostel: ist der Glaube.

Gott helfe euch und gebe euch die Kraft, trotz Angst den ersten Schritt zu gehen. Den Zweifel ernst zu nehmen, ohne sich von ihm ausbremsen zu lassen. Die Freiheit zu sehen und zu nutzen, als Chance.

Ein erster Schritt ist gemacht.

Für alle weiteren braucht es den Segen von oben. Den ganz handfesten. Und der Segen von oben kommt ja manchmal ganz unverhofft und unerwartet.

Lasst euch in eurem Leben davon überraschen und rechnet immer mit Gott.

Amen.

(Beim Folgelied regnete es Papiertropfen von oben mit Segenssprüchen aus der Bibel.)

Liebe Nienburgerinnen und Nienburger, liebe Alteingesessene und Zugezogene, liebe hier Stationierte, sehr geehrte Damen und Herren.
Wir gedenken heute der Opfer von Gewalt und Krieg,
Kinder, Frauen und Männer aller Völker.

Der erste Volkstrauertag 1922 war allein den Toten des 1. Weltkriegs gewidmet.

Im Nationalsozialismus wurde er zum Heldengedenktag.
Bis 1960 nahm man ausschließlich gefallene Soldaten der beiden Weltkriege in den Blick.

Doch nach und nach wurden im Totengedenken,
das seit Theodor Heuss der jeweilige Bundespräsident an Volkstrauertag verliest, weiterer Gruppen gedacht: Vertriebener und Geflohener, Menschen, die getötet wurden, weil sie einem anderen Volk oder einer anderen Religion angehörten oder einer anderen Rasse zugerechnet wurden, weil sie Teil einer Minderheit waren oder weil ihr Leben wegen einer Krankheit oder Behinderung als lebensunwert eingestuft wurde.

Wir gedenken an diesem vorletzten Sonntag des Kirchenjahres inzwischen auch der Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, der Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, von Rassismus und Antisemitismus in unserem Land.

Wir gedenken der Soldatinnen und Soldaten, die in Ausübung ihres Dienstes umgekommen sind. Mehr als 3.400 waren es in den letzten 32 Jahren, seitdem es bewaffnete Auslandseinsätze gibt.

Seit diesem Jahr nimmt das bundespräsidiale Totengedenken ausdrücklich Polizistinnen und Polizisten und andere Einsatzkräfte auf, die im Einsatz gestorben sind.
2025 wird auch erstmals aller gedacht, die wegen ihrer sexuellen oder geschlechtlichen Identität verfolgt und getötet wurden.


Wir gedenken.
Gedenken, meine Damen und Herren, ist nicht das Gleiche wie Erinnern.  

Vor 80 Jahren endete der zweite Weltkrieg. Bis heute erinnern sich jedes Jahr am Volkstrauertag Menschen an Angehörige, die damals umgekommen sind.
Eine über 90jährigen Dame, die ich kenne, erinnert sich noch dunkel an ihren Vater, der aus Stalingrad nicht mehr zurückkam.
Der inzwischen 88jährige Herr aus unserer früheren Nachbarschaft hat nachwievor das ausgeblichene Foto seines älteren Bruders auf der Kommode stehen. Er ist damals bei einem Bombenangriff ums Leben gekommen.
Eine kürzlich verstorbene Grundschullehrerin von mir hatte uns immer wieder von ihrer Mutter erzählt, die eines Tages abgeholt wurde. Sie selbst war zu der Zeit als Kind bei Verwandten. Mich hat das früher umgetrieben, was sie damit wohl meinte: “abgeholt worden”. In ihrer Stimme schwang geschehenes Unheil mit, das quais in der Luft hing. Wir wussten damals nicht, dass ihre Mutter Jüdin war. Wir waren noch zu jung, um die dunklen Hintergründe zu kennen.


Noch immer denken Menschen an damals getötete Verwandte.
Doch die Erinnerung verblasst mit den Jahren und vergeht mit dem Tod.

Was wir heute tun, ist zum Teil erinnern.
Gerade wenn wir an die denken, die vor noch nicht so vielen Jahren gewaltsam umgekommen sind.
Aber ich kenne beispielsweise niemanden persönlich, der Opfer einer der genannten Gewalttaten geworden ist.

Und trotzdem ist mir wichtig, was wir heute tun. Denn es ist so viel mehr als erinnern: es ist ein Gedenken.

Was ist der Unterschied?

Gedenken geht weiter. Ich brauche keine persönliche Erinnerung zu haben, um zu gedenken. Gedenken beinhaltet eine Haltung der Würdigung.

Erinnerung bleibt bei dem stehen, was war. Gedenken schließt das Lernen für die Zukunft ein. Gedenken spricht auch immer eine Mahnung aus, ein “Nie wieder”.

Gedenken ist oft ritualisiert: hat eine feste Zeit, einen festen Ort, bestimmte Symbole und Handlungen. So wie hier und heute. So gerät es nicht in Vergessenheit, wird nicht leichtfertig verschoben. So kann es tradiert, weitergegeben werden.

Aber – Gedenken ist in seiner Form und seinem Inhalt nicht für immer festgelegt. Es kann sich wandeln, es muss sich weiterentwickeln, um anschlussfähig zu sein.
Doch verschwinden darf es nicht.   

Denn Gedenken ist eine aktive und öffentliche Auseinandersetzung mit dem, was war. Immer wieder, mit immer neuen Perspektiven und wechselndem Fokus.

Das Gedenken hält die Augen offen für das, was das Vergangene dem Heute zu sagen hat. Und darum, finde ich, sind Gedenkveranstaltungen nicht von gestern, sondern wichtig für morgen.

Das ist der Grund, warum ich heute ein Plädoyer für das Gedenken halte. Gedenken ist relevant, nicht für die Vergangenheit, sodnern für unsere Gegenwart und Zukunft.

Was sagt das Gedenken unserem Heute konkret?

Es sagt vor allem: Lasst uns wachsam sein. Wehret den Anfängen. Widersteht ihnen – jetzt!

Denn blicke ich auf das Heute, bin ich - wie vermutlich viele von Ihnen - beunruhigt. Der durch Russland gebrochene Frieden. Die von rechtsextremen Kräften bedrohte Demokratie. Der erstarkende Antisemitismus. Rassismus. Fremdenfeindlichkeit. Ich muss nicht alles aufzuzählen, was mich heute verunsichert und mir Sorgen macht. Da fällt jeder selbst genug ein.  

Ich möchte aber ermutigende Worte unseres Bundespräsidenten vom 9. November zitieren. Er sagte: “Zeit zu verlieren haben wir nicht. Wir müssen handeln. Wir können handeln! Unsere Demokratie ist nicht dazu verurteilt, sich auszuliefern! Die Demokratie kann sich wehren!

Wie wir uns wehren dazu hat die Evangelische Kirche Anfang dieser Woche in ihrer neue Friedensdenkschrift etwas gesagt. Sie erkennt an, dass als ultima ratio auch Gewalt notwendig sein kann zum Schutze der Bevölkerung. Und sie sagt klar: Wir kommen aus dem Dilemma nicht heraus: Wer Gewalt anwendet, um sich gegen Agressoren zu wenden, macht sich schuldig. Wer keine Gewalt anwendet und dadurch gegebenenfalls Menschen nicht ausreichend schützt, macht sich ebenfalls schuldig.

Wir brauchen heute nur “Selbstbewusstsein und Zuversicht” meinte Steinmeier vergangenen Sonntag. Und dass wir zusammenstehen in der Zivilgesellschaft.

Ja, Recht hat er, finde ich. Aber für mich braucht es noch mehr in diesen Zeiten. Nämlich Gottvertrauen! Ich gedenke der Hilfe Gottes. Die Hilfe, die Gott so viele Male mir und anderen vor mir hat angedeihen lassen. Und auch dieses Gedenken, von der in der Bibel vielfach die Rede ist, ist mehr als erinnern. Denn die Rettung Israels aus Ägypten oder die Auferstehung Jesu von den Toten – das kann ich nicht erinnern, aber dessen gedenken. Denn es hat eine Bedeutung für mich bis heute.
 

Liebe Anwesende, ich brauche Gottvertrauen. Deshalb schließe ich mit dem Bibelvers, der auf dem Giebel unseres Gemeindehauses von St. Martin steht, den jeder sieht, der den Kirchplatz überquert: “Gott hat uns nicht gegeben einen Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.”

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.   

Predigten von Pastorin Dorothea Luber

Liebe Gemeinde,

am Freitag bin ich von einer einwöchigen Fortbildung zurückgekehrt. Es war die letzte Einheit einer dreijährigen Langzeit-Weiterbildung. Und so war diese Kurseinheit auch ein Zurückblicken auf die gesamten drei Jahre der Weiterbildung. Dabei wurde mir bewusst, wie viel in diesen drei Jahren passiert ist – nicht nur in dieser Weiterbildung. Nein! Wie sehr sich die gesamte Welt verändert hat! 

Im November 2019 habe ich die Weiterbildung begonnen. Da hatte ich den Namen Corona bislang nur als Bier-Sorte gehört. Nie hätte ich es mir nicht vorstellen können, dass es wenige Monate später zu einer weltweiten Pandemie kommen würde. Wie viel und wie schnell sich verändert hat – 

Dass Maske-Tragen zu einer Selbstverständlichkeit wurde, Abstand halten, Verzicht auf Händeschütteln. Geschlossene Geschäfte – Geschlossene Kirche – selbst am Ostersonntag.

Vor drei Jahren war all das außerhalb meiner Vorstellungskraft! Unvorstellbar, dass mitten in Europa ein furchtbarer Krieg beginnen und fortdauern könnte. Dass die Gefahr eines Atomkrieges plötzlich wieder da ist. Und ein US-amerikanischer Präsident von der Gefahr eines Armageddon spricht. Vor drei Jahren unvorstellbar für mich. Und die Selbstverständlichkeit, dass wir mit Gas und Strom versorgt sind – sind eben keine Selbstverständlichkeit mehr. Sondern schwankende Fragezeichen. Betriebe, die nicht mehr wirtschaften können und aufgeben müssen. Menschen, die ihre Miete und Nebenkosten nicht mehr bezahlen können. Auch wir als Kirchengemeinden werden sparen müssen. Die Kirchen werden kalt bleiben – weil das normale Heizen der großen Kirchengebäude schlicht nicht zu bezahlen wäre. 

Ich bin nicht dafür, alles schwarz zu malen. Und manches Mal denke ich: Vielleicht ging es uns viel zu lange viel zu gut - ohne dass wir das wirklich wertgeschätzt haben. Das meiste haben wir doch als Selbstverständlichkeit genommen haben. Und gejammert wurde auf ziemlich hohem Niveau.

Für viele Menschen auf der Erde war die Welt schon vor drei Jahren mehr eine Katastrophe: Wie viele Menschen haben schon da unter furchtbaren Krankheit-Epidemien gelitten. Wie viele Menschen können von fließend Wasser, Gas und Strom nicht einmal träumen. Wie viele Menschen leben, leiden und sterben seit Jahren! in Bürgerkriegen. Und das meiste davon schafft es noch nicht einmal in unserer Nachrichten. Ja, denke ich dann: Uns ging es lange Zeit unglaublich gut- und es geht uns noch immer gut! 

Und dennoch kann ich die Sorgen und Ängste verstehen. Mich selber packt oft genug die Angst in dieser Zeit. Ich spüre, wie sehr mein Grundgefühl von Sicherheit erschüttert ist. Die Zukunft sieht nicht rosig aus – sondern manches Mal erscheint sie mir bedrückend schwarz.

„Kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.“ Diese Worte schreibt der Verfasser des Epheserbriefes in der Bibel. Sicher waren die die Sorgen und Probleme, die die christlichen Gemeinden damals umtrieb ganz andere, als unsere heute. Aber dieses Gefühl spricht für mich auch in unsere Zeit: „Kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.“ 

Ich lese aus dem Epheserbrief im 5. Kapitel:

So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse. Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist. Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen. Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen 20 und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.                                            Epheser 5, 15-20

Kauft die Zeit aus –  Was heißt das eigentlich? Andere Übersetzungen formulieren: Nutzt die Zeit. 

Macht etwas Sinnvolles daraus. Also: Verplempert Eure Zeit nicht gedankenlos. Danach folgt eine ganze Liste an guten Ratschlägen und Ermahnungen: Weise sollen wir sein – und nicht unweise.

Verständig – und nicht unverständig. Und bitte nicht so viel Alkohol. „Sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt“  Ich widerstehe der Versuchung, diese Anti-Alkohol-Ermahnung einfach mit einem Schmunzeln beiseite zu wischen. Ich fange an zu fragen: Womit lasse ich mich im Leben volllaufen, das mich benebelt und mir den Weg zu Gott versperrt?

Das muss ja nicht der Alkohol sein. Vielleicht sind es die vielen schlechten Nachrichten, die Tag für Tag auf mich einprasseln, wenn ich Nachrichten schaue, Zeitung lese, die Schlagzeilen im Netz verfolge. Manchmal spüre ich, wie mich dann Sorgen und Angst in eine Spirale ziehen. Dann schaue ich bewusst keine Tagesschau. Und lese nicht jede Schreckensmeldung, die über meinen Bildschirm tickert. Weil ich vieles davon eh nicht verändern kann. Und mich nur lähmt und mir den Blick verstellt auf das, was ich tun kann. Es kann nämlich auch bequem sein, mich in den ganzen Schreckensnachrichten zu „suhlen“. Und nur noch zu sagen: Wie schrecklich! Und ich kann ja gar nichts machen. Ja, dann lasse ich mich nur „volllaufen“ mit Schreckensnachrichten. 

Vielleicht ist es aber auch meine eigene Betriebsamkeit. Mein Glaube, dass ich die Welt retten muss. Dass ich mache, mache, mache. Und nicht innehalte, um einmal zu fragen: Was will eigentlich Gott? Vielleicht lasse ich mich volllaufen mit Aktionismus. Und mein Größenwahn, dass ich die Welt retten will, verstellt mir den Blick darauf, dass Gott die Welt in den Händen hält und nicht ich. 

Vielleicht ist es auch etwas ganz anderes? Womit lasse ich mich „volllaufen“  womit lasse ich mich „berieseln“ Was wird zu einem Hindernis, das sich zwischen mich und Gott stellt. 

Was ist da vielleicht in meinem Leben, das mir eigentlich schadet und mich wegführt von Gott?

„Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.

Sauft euch nicht voll Wein –  Sondern lasst euch vom Geist erfüllen.“ 

Nach Gottes Willen fragen – auf den Heiligen Geist hören – und danach handeln. Das ist der Kern unseres Glaubens.

Immer wieder – und immer wieder neu. Auch in dieser Zeit – mit all ihren Umbrüchen und Unsicherheiten. 

Auch in der Kirche verändert sich viel und wird sich noch viel, viel mehr verändern. Wir stehen noch ganz am Anfang von gewaltigen Umbrüchen. Christ zu sein ist auch in unserem Land längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Gemeinden werden kleiner, das Geld wird weniger. 

Die Pastoren und Pastorinnen werden in den kommenden Jahren deutlich weniger werden. 

Viele Pfarrstellen werden nicht mehr zu besetzen sein. Kirchengebäude werden verkauft werden. Gemeinden zusammengelegt.

Ich wünsche mir, dass wir uns als Kirche von all dem nicht lähmen lassen. Dass wir uns nicht „volllaufen“ lassen mit Zukunftssorgen. Weil ich ganz sicher bin, die Kirche wird bleiben.

Auch wenn Kirchengebäude verschwinden werden. – So weh das tut. Und manche schmerzhafte Veränderung noch anstehen wird. Aber die Kirche als Gemeinschaft der Christen wird bleiben. 

Weil wir die Kirche nicht machen. Und weil es nicht unsere Kirche ist – sondern die Kirche Jesu Christi. 

Ich wünsche mir für unsere Zukunft als Kirche mehr Geist! Ein bewusstes Fragen danach, was Gottes Wille ist. Immer wieder. Dazu braucht es Gebet, Stille, Hinhören. Und ein Sich-darauf-einlassen, dass unsere Vorstellungen und Wünsche nicht immer Gottes Wünsche und Vorstellungen sind. 

Im Epheserbrief steht zum Schluss noch etwas ganz Wichtiges: „Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern“ 

Ja, auch das wünsche ich mir: Dass wir uns gegenseitig Mut machen. Gerade dann wenn es schwierig wird. Und die Zukunft eben nicht rosig sondern dunkel erscheint. Dass wir einander davon erzählen, was uns Mut macht und stärkt. Dass wir miteinander teilen, was uns im Leben und im Glauben trägt. Wenn ich mich selber in meine Sorgen vergrabe, dann brauche ich das, dass jemand kommt und mich wieder rausholt. Dafür braucht es gar nicht viel. Oft reicht es schon, wenn ich spüre: Da ist jemand, der hört mir zu und trägt meine Sorgen mit. 

„Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern“ Der Gottesdienst kann dafür ein Ort sein: Gemeinsam zu singen, zu beten, auf Gottes Wort zu hören. Füreinander und für andere zu beten. Und auf Gottes Gegenwart zu vertrauen. 

„Und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.“ 

In allen Schwierigkeiten und Veränderungen dieser Zeit, ist genau das für mich wichtig und heilsam: Immer wieder auch ins Danken zu kommen. Den Blick zu lenken auf das, was immer noch gut ist und schön. Und da ist noch immer ganz vieles schön und wunderbar. Da ist so vieles, wofür ich Gott von ganzem Herzen danken kann. 

Das ist keine blauäugige Sicht und auch keine Weltflucht. Das Danken schenkt mir neue Kraft, um mich auch den dunklen Seiten des Lebens zu stellen. Es gibt mir Mut, die Zeit „auszukaufen“ – meine Leben fröhlich zu leben, und sinnvoll zu gestalten – Im Hören darauf, was Gottes Wille ist. 

Und im Vertrauen darauf, dass Gott mitgeht. In guten wie in bösen Tagen. 

Ich lese noch einmal die Worte auf dem Epheserbrief. 

[Epheser 5, 15-20]

Liebe Gemeinde,

am letzten Abend des Jahres feiern wir Gottesdienst. 

Erinnern Sie sich noch, wie das war vor einem Jahr? Als Sie in das Jahr 2022 gestartet sind?

Mit welchen Wünschen und Hoffnungen, vielleicht auch Sorgen sind Sie ins Jahr 2022 gestartet?

Und jetzt? Wie schauen Sie zurück auf das Jahr, das jetzt zu Ende geht? Haben sich Wünsche und Hoffnungen erfüllt? Hat sich manches oder vieles anders entwickelt, als gedacht? 

Ganz sicher ist 2022 im Großen ein einschneidendes Jahr gewesen:  Mit dem russischen Angriffskrieg, der im Februar begonnen hat und fortdauert. 

Wie sehr dieser Krieg das Leben für die Menschen in der Ukraine verändert hat, das können wir kaum richtig erahnen. Kaum vorstellbar ist das, wenn man es selber nicht erlebt und erleidet. 

Zugleich hat der Krieg auch vieles bei uns verändert. Vieles, das auf festem, sicheren Boden stand, ist wackelig, geworden. Ich kann es für mich sagen: Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben in mir ein Grundgefühl der Sicherheit ins Wanken gebracht. 

Und anders als in anderen Jahren gehe ich mehr mit gemischten Gefühlen in die Silvesternacht. 

Da ist nicht nur das Gefühl von Neugier auf das  neue Jahr. Sondern auch ein sorgenvolles Gefühl. Was kommt auf mich; auf uns zu, im neuen Jahr?

Und dann schaue ich auf die Jahreslosung, die für das Jahr 2023 ausgelost wurde:  „Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Hagar spricht diese Worte, die Dienerin von Sarah, der Frau Abrahams. 

Wir sind damit ziemlich am Anfang der Bibel. Im 1. Buch Mose, Kapitel 16. In den sogenannten „Vätergeschichten“. Dass es auch Müttergeschichten sind, wird in der Geschichte von Sarai und Hagar deutlich. Die Erzählung ist aus heutiger Sicht in vielen Teilen problematisch. 

Sarai und Abraham bekommen keine Kinder.  „Sarai war unfruchtbar und hatte kein Kind“ heißt es in der Bibel. Zur damaligen Zeit eine Katastrophe. Weil das Frau-Sein definiert war über das Mutter-sein. Aus heutiger Sicht mehr als problematisch, Frauen so sehr auf die Mutter-Rolle einzuschränken. 

Sarai schickt ihre Dienerin Hagar zu Abraham, damit er mit ihr ein Kind zeugt. Es war damals kein ungewöhnlicher Plan. Aus heutiger Sicht natürlich umso mehr. Abraham, der ohne Zögern Sarais Plan in die Tat umsetzt. Und Hagar, die gar nicht erst gefragt wird. Und zur Leihmutterschaft gezwungen wird. 

Hagar wird schwanger und fühlt sich damit plötzlich Sarai gegenüber überlegen. 

Und Sarai kann es nicht ertragen, wie Hagar jetzt auftritt. Die sie spüren lässt, dass sie sich als vollwertige Frau sieht, weil sie das Kind erwartet. Und eben nicht Sarai. 

Sarai lässt ihre Wut und Verzweiflung an ihrer Dienerin aus. 

„Da demütigte Sarai sie, so dass sie vor ihr floh“. heißt es in der Bibel. Und weiter heißt es:

Der Engel des HERRN fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste.

Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen.  Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.

Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.  Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der HERR hat dein Elend erhört. 

Und sie nannte den Namen des HERRN, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht.

 Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat.

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ Mit dieser Jahreslosung gehen wir in das neue Jahr. 

Reicht das als Trost, als Glaubensstärkung für das, was kommen wird? Ein Gott, der uns sieht?

Reicht es für die Menschen, die in vom Krieg zerstörten Häusern hocken, ohne Strom, ohne Heizung? Reicht es für die, die hier bei uns in ihren Wohnungen sitzen und nicht wissen, wovon sie Strom und Heizung bezahlen sollen? Reicht es für die, die den liebsten Menschen verloren haben und mit einsamen Herzen auf das neue Jahr schauen?

 „Du bist ein Gott, der mich sieht“ Für Hagar ändert sich nichts grundlegend. Der Engel, der mit ihr spricht, löst die Situation nicht auf, in der sie feststeckt. „Kehre wieder  um zu deiner Herrin“. sagt der Engel. 

Und dennoch ändert sich etwas. Hagar bekommt Gottes Segen mit auf den Weg. Sie ist damit die erste Frau überhaupt, der  in der Bibel eine solche Segensverheißung zugesprochen wird. 

Und Hagar fühlt sich von Gott gesehen. Wahr-genommen. 

Ihre Geschichte, ihr Schicksal wird ernst genommen, für wahr - genommen. Sie wird gesehen. 

Das löst ihre Probleme nicht auf. Aber sie ist nicht mehr allein. Gott ist bei ihr. Gott sieht sie. Sie ist angesehen. 

Wenn ich Menschen in Krisensituationen begleite, fühle ich mich auch als Pastorin oft hilflos. 

Was sage ich einer Familie, deren Haus gerade abgebrannt ist? Die mit den Leben davon gekommen sind. Aber mit nichts in der Hand. 

Was sage ich einer jungen Frau, deren Mann bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist und was ihrem Kind?

In solchen Situationen fehlen auch mir die Worte. 

Aber ich erlebe, wie wichtig es ist, dass ich trotzdem da bin. In meiner Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit. Wie wichtig das ist, gesehen und gehört zu werden im eigenen Leid und in der eigenen Not. Manchmal ist es das Wichtigste überhaupt: Einfach nur gesehen zu werden. 

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ Mit dieser Jahreslosung gehen wir in das neue Jahr. 

Der Glaube an Gott ist für mich auch eine Anfechtung. Weil da immer auch Fragen bleiben, warum vieles so ist in der Welt, wie es ist. Und wie das sein kann, wenn Gott uns Menschen und die Welt erschaffen hat und liebt und nicht aufhört zu lieben. 

„Siehe es war alles sehr gut.“ Und dann schaue ich in die Welt und so vieles ist gar nicht gut. 

Der Glaube an Gott ist für mich aber auch ein trotziges Dennoch. 

Ein trotziges Vertrauen darauf, dass Gott da ist und bleibt. Dass Gott mich sieht. Und die anderen. Und die ganze Welt. Diesen Glauben kann ich nicht machen. Oft ist er für mich ein Wunder: Dass ich spüren kann, dass Gott da ist. Dennoch. Wenn ich das spüre, ist es für mich immer ein Geschenk, dieser Glaube in mir. 

Und es stärkt mich, von andere ihre Glaubensgeschichte zu hören. Oft ist es ein Glaube gegen Widerstände und Anfechtungen. Hagar, die in allen Schwierigkeiten erlebt, dass Gott sie ansieht und segnet und stärkt. Dietrich Bonhoeffer, der im Gefängnis oft verzweifelt und doch immer wieder auch etwas spürt von Gottes Nähe. 

„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ 

An diesem Dennoch-Glauben will ich festhalten, auch im neuen Jahr. Amen. 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem HERRN Jesus Christus.

Liebe Gemeinde,

ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Pastorin meine erste Trauung hatte. Genauer gesagt, ich war noch im Vikariat – also Pastorin in der Ausbildung. Wie das so ist in der Ausbildung, macht man viele Dinge zum ersten Mal. Und so kam also die erste Trauung auf mich zu. Und ich war ganz schön aufgeregt: Schon beim Vorbereitungsgespräch mit dem Brautpaar. Im Gespräch habe ich dem Paar erzählt, dass es nicht nur für sie, sondern auch für mich eine Premiere wird. 

Und da meinte das Paar ganz entspannt: Ach, Sie sind Pastorin. Sie machen das schon! 

„Sie sind Pastorin. Sie machen das schon.“ Als die beiden das so gelassen und überzeugt aussprachen, war ich irgendwie baff. Und es hat mich damals großartig gestärkt.

Dass sie mich so ohne Frage als die Pastorin ansahen, und überzeugt waren, dass ich die Trauung schon gut machen werde. Für mich im Stillen fand ich das gar nicht so selbstverständlich. Und als Vikarin fühlte ich mich auch noch nicht so richtig als fertige Pastorin. Aber ich nahm diese Worte des Brautpaares mit: „Sie sind Pastorin. Sie machen das schon.“ Und ich dachte mir: Gut. Ich bin Pastorin. Und ich mache das schon. 

Mir wird dabei bewusst, welch große Wirkung Worte haben können. Worte können stärken und bestärken. Und mitunter können sie so etwas wie eine neue Wirklichkeit erschaffen. 

„Sie sind Pastorin. Sie machen das schon:“ Diese Worte machten mich gewissermaßen zu der Pastorin, „die das schon macht“. 

 „Ich glaube an die Wunder der Worte, die in der Welt wirken und die Welten erschaffen.“  schreibt die Schriftstellerin Rose Ausländer in ihrem Gedicht „Glauben“. 

In der Bibel ist es Gottes Wort, das wirkt und erschafft. In der Schöpfungsgeschichte spricht Gott - und mit seinem Wort erschafft Gott die Welt. Und Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht.“ 

Später im Johannesevangelium ist es Jesus Christus, der als das Wort Gottes beschrieben wird. 

Und auch im 2. Jesajabuch wird Gottes Wort in den Mittelpunkt gestellt. 

Ich lese aus Jesaja im 55. Kapitel: [Jesaja 55, 6-11]

Suchet den HERRN, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so wird das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.

Da ist zunächst der große Unterschied zwischen Gott und uns Menschen, der mir auffällt:

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanke als eure Gedanken.“ 

Ich kann Jesaja verstehen. Gottes Gedanken und Gottes Wege sind für mich oft weit weg. Weil ich so vieles in der Welt nicht verstehe. Und vieles mich bedrückt oder mir Angst macht. 

Ich denke an den Krieg in der Ukraine. Ich denke an das Erdbeben in Syrien und in der Türkei. Und so vieles gibt es, das ich nicht verstehe und wo ich Gott nicht sehe und nicht spüre.  

Ich tue mich mehr schwer damit, gleichzeitig noch von Gottes Allmacht zu sprechen. Weil ich nicht verstehen kann und verstehen will, wie all das Schreckliche in Welt zusammengeht mit einem allmächtigen Gott. 

Aber vielleicht ist es auch der falsche Ansatz, dass ich Gott in allem verstehen möchte. Vielleicht ist das auch viel zu groß gedacht von mir und viel zu klein von Gott. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege.“ Ja ich bin überzeugt davon, dass wir Gott nicht im Ganzen erfassen können. Dafür ist Gott zu groß. Und ich viel zu klein. 

Aber zugleich ich bin davon überzeugt, dass wir Gott im Kern, in seinem Wesen erfassen können. 

Und der Kern meines Glaubens ist es, dass Gott Liebe ist. Dass Gott ein Gott ist, der uns liebt und es gut mit uns meint. 

Ich sehe Gott nicht als den mächtigen Herrscher, das alles im Griff hat und das Leid in der Welt in Luft auflösen kann. Ich sehe Gott in Jesus Christus. Ein Gott der mitleidet. Der mit uns geht. 

Ein Gott der selber Mensch wird, der selber leidet und in den Tod geht, damit wir wissen: Auch im dunkelsten Dunkel sind wir nicht allein, weil Gott selber in dieses Dunkel hinabgestiegen ist und an unserer Seite geht. 

„Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege.“ 

Ich kann es nicht fassen, nicht begreifen, dass Gott diesen Weg gegangen ist:

Hinunter vom Himmel auf die Erde. Von der Göttlichkeit in die Menschlichkeit. 

Und ganz hinunter in den Tod, in die Gott-Verlassenheit. 

Für mich ist das zu groß, unbegreiflich. 

 „So viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“ spricht Gott.

Ich kann Gott nicht im Ganzen erfassen.

Aber ich glaube, spüre und erlebe, dass Gott da ist. Und dass Gott mitgeht. Und dass Gott mich liebt. Davon erzählt die Bibel. Davon erzählt Gottes Wort, das zu mir spricht. 

„Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen…

So wird das Wort, das auch meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.“ 

Auch das sind Gottes Wege: Dass Gott nicht mit der Faust auf den Tisch haut. Sondern sein Wort regnen lässt, sanft wie der Schnee oder ein warmer Sommerregen, der auf die Erde fällt. 

In der Natur, im Wachsen und Gedeihen braucht es Geduld und einen langen Atem. Da geht es selten von jetzt auf gleich. 

Wenn in einem heißen Sommer der Boden ausgetrocknet ist, dann bringt es nichts, mit Gewalt Wassermassen auf die Erde zu kippen. 

Im Gegenteil, das viele Wasser würde den Erdboden ausspülen. Weil die Erde viel zu trocken ist, um so viel Wasser mit einem Mal auszunehmen. Da braucht es Geduld und sanften, leisen Nieselregen, der die Erde ganz langsam durchfeuchtet und wieder zu fruchtbarer Erde macht. 

Und manche Pflanzensamen gibt es, die nicht gleich aufgehen. Manche Pflanzensamen brauchen Wochen oder gar Monate. Ja, es gibt sogar Pflanzen, bei denen die Samen Jahre im Boden liegen, bevor sie irgendwann doch keimen. 

Ja, es gibt auch die Aussaat, die gar nicht gelingt. Das Gleichnis vom Sämann haben wir vorhin als Lesung aus dem Lukasevangelium gehört. Es erzählt davon, wie Gottes Wort auf unterschiedlichen Boden fällt. Vieles fällt auch schlechten Boden, wo es überhaupt nicht wachsen kann. 

Die Worte von Jesaja haben einen anderen Blickwinkel. Es ist die große Verheißung, dass Gottes Wort wirkt. Dass Gottes Wort nicht leer zurückkehrt, sondern tut, was Gott gefällt. 

Gott spricht: „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt […]so wird das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen.“ 

Wir Menschen können das nicht machen. Aber wir können darauf  vertrauen,  dass Gottes Wort wirkt: In uns und in der Welt. Manchmal geschieht das anders, als wir uns das vorstellen. Und manchmal braucht es Zeit, bis etwas aufgeht und wächst und Wurzeln schlägt. 

Aber ich möchte der Verheißung vertrauen, dass Gottes Wort nicht ohne Wirkung bleibt. 

Ich denke zurück an das erste Brautpaar, das ich damals trauen durfte.

„Sie sind Pastorin. Sie machen das schon.“ Und sie hatten recht: Genauso war’s. 

Ich denke an die vielen Worte aus der Bibel, die von Gottes Liebe erzählen. Nicht immer fallen sie bei mir auf guten Boden. Manchmal sind in mir Zweifel und viele Fragen. Aber immer wieder erlebe ich, wie Gottes Wort mich doch erreicht. Und dass Gottes Wort mich verändert.

Es gibt so viele Worte in der Welt, die mich bedrücken und ins Dunkel ziehen. 

Worte, die klein machen, die verletzten und zerstören. Worte die von Hass reden und Gewalt und Krieg. 

Gerade gegen all das Dunkle ist mir Gottes Wort so wichtig. Vieles kann ich nicht verstehe. Gottes Wege und Gottes Gedanken sind oft weit weg für mich. Aber Gottes Wort erzählt davon,

dass Gott Liebe ist und dass Gott da ist und mitgeht. Und dass Gott mich liebt. 

Diese Worte aus der Bibel brauche ich – immer wieder – wie einen sanften Sommerregen, der langsam die Erde durchfeuchtet, so dass Gottes Wort in meinem Herzen ankommen kann und Wurzeln schlägt. Amen. 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!

 

Liebe Gemeinde, 

Hauptsache gesund! Das ist ein Ausspruch, der mir häufig begegnet.

Oft regt sich in mir dabei Widerstand. Mir liegt aus der Zunge zu fragen:

Ist Gesundheit wirklich das Wichtigste? Gibt es nicht Dinge, die wichtiger, entscheidender sind für ein gutes, glückliches Leben?

Aber natürlich weiß auch ich, wie wichtig Gesundheit ist und wie einschneidend, wenn sie nicht mehr da ist. Wer von einer schweren Krankheit betroffen ist, weiß, wie sehr die Gedanken, Gefühle, das gesamte Leben um die Krankheit und die Sehnsucht nach Gesundheit kreisen. In der Bibel erzählt das 2. Königebuch die Geschichte von Naaman. Ein einflussreicher General, der schwer erkrankt. Verzweifelt sucht er Hilfe, gegen seine Erkrankung. Ich lese aus dem 2. Königebuch aus dem 5. Kapitel. (2. Kön 5, 1- 15a)

 

Naaman war der Heerführer des Königs von Aram. Sein König schätzte ihn sehr und hielt große Stücke auf ihn. Denn der Herr hatte bewirkt,dass er für Aram siegreich war. Er war ein Kriegsheld, litt aber an Aussatz. Die Aramäer überfielen das Land Israel immer wieder.

Einmal hatten sie ein junges Mädchen verschleppt, das jetzt im Dienst von Naamans Frau stand. Dieses Mädchen sprach zu ihrer Herrin: »Ach, wäre mein Herr doch beim Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz heilen.« Da ging Naaman zu seinem Herrn und König und berichtete ihm: »Das und das hat das Mädchen aus Israel gesagt.« Darauf sagte der König von Aram: »Geh dorthin! Ich werde dir ein Schreiben mitgeben. Es ist für den König von Israel bestimmt.«Naaman ging los und nahm Geschenke mit.

So kam er zum König von Israel und übergab ihm das Schreiben. Darin stand: »Wenn du dieses Schreiben erhältst, weißt du: Ich habe meinen Knecht Naaman zu dir geschickt, damit du ihn von seinem Aussatz heilst.« Als der König von Israel das Schreiben gelesen hatte, zerriss er seine Kleider. Er sagte: »Bin ich denn Gott? Kann ich töten oder lebendig machen? Da schickt dieser mir einen Mann, den ich vom Aussatz heilen soll! Merkt ihr es? Er sucht nur einen Anlass für Krieg!« Elischa, der Gottesmann, hörte davon, dass der König von Israel seine Kleider zerrissen hatte. Deshalb schickte er eine Botschaft zum König:» Warum hast du deine Kleider zerrissen? Naaman soll zu mir kommen. Dann wird er erkennen, dass es in Israel einen Propheten gibt!« So kam Naaman mit Pferden und Wagen zu Elischa und hielt vor der Tür seines Hauses. Elischa schickte einen Boten zu ihm hinaus: »Geh und wasch dich siebenmal im Jordan! Dann wird deine Haut gesund und du giltst wieder als rein.« Doch Naaman wurde zornig. Er wollte weggehen und sagte: »Ich dachte, er selbst kommt zu mir heraus und stellt sich vor mich hin. Dann ruft er den Namen des Herrn an, seines Gottes, erhebt seine Hände und betet in Richtung des heiligen Ortes. Und so heilt er mich vom Aussatz. Die Flüsse von Damaskus, sind die nicht viel besser als alle Gewässer Israels? Dann hätte ich mich gleich dort waschen können, um wieder gesund zu werden!« Voller Zorn drehte er sich weg und wollte gehen. Da traten seine Diener an ihn heran und sagten zu ihm: »Herr, was wäre gewesen, wenn der Prophet etwas Großes von dir verlangt hätte? Hättest du es dann nicht getan? Doch er sagte nur: ›Wasch dich und du wirst gesund.‹ Warum tust du das dann nicht?« Also stieg er doch zum Jordan hinab und tauchte siebenmal unter, wie es der Gottesmann gesagt hatte. Da wurde seine Haut gesund wie die Haut eines Kindes, und er galt wieder als rein. Darauf kehrte er wieder zum Gottesmann zurück, zusammen mit seinem ganzen Gefolge. Er trat vor ihn hin und sagte: »Nun weiß ich, dass es nirgendwo einen Gott gibt außer in Israel. Er ist der einzige Gott auf der ganzen Welt.

 

Naaman – Kriegsheld, die rechte Hand des Königs. Mächtig, angesehen, erfolgreich. Doch sein Leben gerät aus den Fugen.  Eine fiese Hauterkrankung erwischt ihn. Er leidet an Aussatz – so schildert es die Bibel. Was für eine Hautkrankheit genau das war, wissen wir heute nicht. Aber sicher ist: Naaman leidet. Er, der immer sportlich, stark und durchtrainiert war, mag nicht mehr in den Spiegelschauen. So schlimm sieht er aus. Entstellt kommt er sich vor. Er mag nicht mehr unter Leute. Und seine Karriere beim König? Wie lange würde es noch dauern, bis man ihm, unter einem Vorwand, kündigen würde.

So vieles hat Naaman schon versucht. Spezialisten aufgesucht und Heiler. Diverse Therapien probiert. Aber vergeblich. Nichts schlägt an. Und so greift Naaman auch nach dem letzten Strohhalm. Ein junges Mädchen aus Israel erzählt seiner Frau von einem Propheten in ihrem eigenen Land. „Ach wäre mein Herr doch beim Propheten in Samaria! Der könnte ihn von seinem Aussatz heilen.“

Eine steile Aussage. Wo Naaman schon so vieles versucht und so viele Experten aufgesucht hat. Soll er wirklich auf dieses fremde Mädchen hören? Aber die Worte gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Eigentlich wahnwitzig, absurd. Er, der General, der im Krieg dieses Land besiegt hat. Er soll jetzt ausgerechnet dort hinreisen. Als Bittsteller. Und bei einem Heiler aus dem besiegten Land um Hilfe bitten? Doch vielleicht ist es seine letzte Chance. Und vielleicht, vielleicht, kann dieser Prophet ihm wirklich helfen? Naaman lässt sich darauf ein. Er macht sich auf den Weg und reist ins fremde Land.

 

Doch bevor wir weiter auf Naaman und sein Schicksal schauen, möchte ich einen Blick werfen auf die namenlose junge Frau. In einem Satz steckt knapp geschildert ihr furchtbares Schicksal: „Einmal hatten sie ein junges Mädchen verschleppt, das jetzt im Dienst von Naamans Frau stand.“

Eine Kriegsgefangene, verschleppt und versklavt. Von ihrem weiteren Schicksal erfahren wir nichts. Ob Naaman sie nach seiner Heilung und Rückkehr anders behandelt hat? Vielleicht, dass er ihr sogar die Freiheit zurückgegeben hat, so dass sie zurückkehren konnte in ihr eigenes Land? Ich hoffte und wünschte es für diese namenlose junge Frau.

Sie war es, die den Stein ins Rollen brachte, der Naaman letztlich gesund werden ließ.

 

Naaman jedenfalls ist bereit, sich auf Neues, Fremdes einzulassen. Eigene Vorstellungen über Bord zu werfen. Und auf das Unbekannte zu vertrauen. Auch wenn dieser Weg nicht immer geradlinig und einfach ist. Mehrmals ist Naaman soweit, das Handtuch zu werfen und zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter!

Da ist also dieser Prophet, Elischa. Der Wunderheiler, der ihn gesund machen soll. Nachdem Naaman lange gezögert hat, setzt er alles auf eine Karte. Mit Pferden und Wagen hält er vor Elisas Tür. Ein würdiger Auftritt. Er, Naamann, ist schließlich nicht irgendwer.

Und er verdient er, würdig empfangen zu werden. Doch das Gegenteil passiert. Der Prophet macht sich noch nicht mal die Mühe, selbst vor die Tür zu treten; geschweige denn Naaman angemessen zu empfangen. Nichts davon. Er schickt einen Diener, der auch nur eine knappe Therapieverordnung gibt: „Geh und wasch dich siebenmal im Jordan! Dann wird deine Haut gesund und du giltst wieder als rein.“

Verständlich, dass Naaman wütend ist und enttäuscht. Er fühlt sich veralbert. Dafür ist er über seinen eigenen Schatten gesprungen. Dafür hat er diese Reise auf sich genommen. Um sich so abspeisen zulassen. Ein Bad nehmen!  Das hätte er besser und bequemer zu Hause erledigen können!

Und doch lässt sich Naaman auch diesmal neu überzeugen. Er überdenkt seinen Ärger und seine Ablehnung. Die Diener sprechen mit ihm: Was hat er schon zu verlieren. Nichts! Warum also es nicht einfach versuchen.Vielleicht zweifelnd, vielleicht lustlos, aber er lässt es darauf ankommen und badet.

Und er wird maßlos überrascht: Von seiner Heilung. Von einem Gott, der ihm fremd und unbekannt war. Von Gottes Wegen, die oft auf krummen Pfaden in die richtige Richtung führen.

Manchmal sind es auch die Menschen, die mich irritieren, mich vielleicht sogar erstmal abstoßen, die es gut mit mir meinen und die mich auf einen guten Weg bringen. Manchmal sind die Wege, die mich erstmal in eine falsche, unbequeme Richtung führen, am Ende doch die goldrichtigen. Im Glauben erlebe ich das, dass Gottes Wege oft andere sind, als ich auf den ersten Blick einschlagen würde.

Naaman wagt es, neue Wege zu gehen. Er lässt sich auf Fremdes ein, auf fremde Menschen,

ja, auf einen fremden Gott. Und er erlebt seine Heilung und kehrt als Neugeborener zurück.

 

Ein simples Bad, das Naaman zunächst ablehnt, führt zum Gesundwerden. Vielleicht habe ich auch das schon erlebt: Dass Gott gar nicht mit riesigen Wundern wirkt, sondern durch kleine Dinge im Alltag. Kleine Dinge, die doch so vieles verändert und zum Guten wenden, wenn ich mich darauf einlasse.

Und noch etwas steckt darin: Die Therapie von Elisa bedeutet, dass Naaman selbst aktiv wird.

Das ist nicht bequem. Auch ich ertappe mich dabei, dass ich mir beim Orthopäden eher eine Salbe wünsche, anstelle der ärztlichen Verordnung: mehr Bewegung und Sport gegen die Rückenschmerzen.

 „Ich dachte, er selbst kommt zu mir heraus und stellt sich vor mich hin. Dann ruft er den Namen des Herrn an, seines Gottes, erhebt seine Hände und betet in Richtung des heiligen Ortes. Und so heilt er mich vom Aussatz.“ Ja, das wäre so viel einfacher und bequemer.

Aber bequem und einfach ist eben nicht immer der richtige Weg.

Ich bin von Herzen froh und dankbar, dass in diesen Tagen so viele aufstehen und protestieren gegen rechts. Weil wir alle Verantwortung tragen für ein friedliches, gutes Miteinander. Für Frieden und für Menschenrechte.

Und ich wünsche uns, dass wir uns von Naaman ermutigen lassen: Der es geschafft hat, über seinen eigenen Schatten zu springen: Neues zu wagen, fremde Wegen einzuschlagen, Rat anzunehmen. Und selber aufzustehen und aktiv zu werden. Um so zu erkennen, dass Gott mit ihm ist. Und ihn heil werden lässt.

Amen.

Alle in einem Boot –

Na gut, wir sitzen nicht wirklich alle in einem Boot. Aber wir sind alle hier im Theater.

Und damit ein Theater überhaupt funktioniert, braucht es Leute, die ins Theater gehen. Das Publikum. Sonst würde es ja keinen Sinn machen, dass die Schauspieler und Schauspielerinnen ein Stück auf die Bühne bringen.

Umgekehrt braucht es ebenso die Schauspieler – sonst könnten wir als Publikum gar nicht ins Theater gehen und ein Theaterstück erleben.

Und es braucht das Theater – sonst könnten die Stück gar nicht aufgeführt werden.

Und es braucht die Menschen hinter der Bühne, an der Technik, dem Licht und dem Ton. Und noch vieles mehr.

Viele verschiedene Menschen braucht es, damit ein Theaterstück funktioniert und gelingt.

Auf der Bühne, vor der Bühne, hinter der Bühne –

alle sitzen gemeinsam in einem Boot. Und gemeinsam kann das Theater für alle eine tolle Sache werden.

Liebe Katjes, auch Ihr sitzt nun einem Boot. Gemeinsam seid Ihr an Bord aufs Katjes-Schiff gegangen. Als Gruppe sind wir gemeinsam unterwegs, um den christlichen Glauben zu entdecken und zu erleben. Die zweite Stunde hattet Ihr am Donnerstag. In der Ihr das Kirchenschiff – die Kirche-  von St. Martin erkundet habt.

17 Katjes seid Ihr. Einige von Euch kennen sich gut, andere lernen sich gerade kennen.

Und der eine oder die andere fühlt sich vielleicht noch nicht 100% wohl, mit so vielen unbekannten Gesichtern.

Alle in einem Boot. Das kann auch mal ein doofes Gefühl sein: Dass man nicht einfach aussteigen kann. Und erstmal gezwungenermaßen mit anderen in einem Boot sitzt.

Ich hoffe, dass Ihr als Katjes-Jahrgang in den nächsten Wochen und Monaten gut zusammenwachst. Dass wir uns immer besser kennenlernen, viel zusammen lernen und erleben und dabei auch viel Spaß haben. Das wünsche ich Euch und uns. 

Alle in einem Boot.

Das ist so im Theater. Das ist so als Katjes-Gruppe. Und ja, im Grunde gilt das für alle von uns. Wir sind aufeinander angewiesen. In der Familie, in der Gesellschaft. In der Gemeinschaft. Wir sind nie einfach nur für uns. Wir sitzen alle in einem Boot.

Auch dann, wenn es um die Probleme und Herausforderungen in unserer Gesellschaft geht.

Ich denke an die Wahlen in Sachsen und Thüringen.

Ich denke an die Erderwärmung und den Klimawandel.

Ich denke an unsere Gesellschaft, hier in Nienburg, in Deutschland und ich denke an die Menschheit weltweit.

Wir können uns nicht davon stehlen oder einigeln und die Probleme in der Welt außen vor lassen. Wir sitzen in einem Boot.

Das kann anstrengend sein, nervig, frustrierend. Gerade, wenn man ganz unterschiedliche Meinungen hat und nicht auf einen gemeinsamen Nenner kommt. Oder wenn man mit seiner eigenen Ansicht alleine ist auf weiter Flur.

Ihr Katjes, Ihr habt das am Donnerstag ein bisschen erlebt, als wir Obstsalat gespielt haben.

Da stand immer eine in der Mitte und hat etwas genannt, was sie gerne mag. Und alle, die das auch toll finden, mussten dann aufspringen.

Aber wenn denn gar keiner aufgesprungen ist –und man mit seiner Sache ganz alleine da stand-  naja, dann war das irgendwie nicht so toll.

Alle in einem Boot.Das kann aber auch richtig großartig sein.

Wenn alle gemeinsam anpacken. Wenn man eine starke Gemeinschaft ist.

Dann muss keiner alles können. Und niemand muss alles alleine schaffen.

Jeder macht das, was er gut kann; Jede bringt sich ein, mit dem, was sie hat;

und gemeinsam wird das Segel gesetzt.

Alle in einem Boot. Im Glauben an Gott glauben wir, dass wir nicht alleine sind –

Wir glauben daran, dass Jesus bei uns ist – So wie die Jünger es erleben, dass Jesus mit ihnen im Boot unterwegs ist.

Das ist für mich ganz wichtig und entscheidend im Glauben: Dass ist weiß: Ich bin nicht allein. Egal wo ich bin, egal was passiert, egal, was ich tue: Jesus ist bei mir und begleitet mich. Auch wenn ich ihn nicht sehen kann.

Ja, das geht es uns mitunter vielleicht wie die Jünger, die Freunde von Jesus. Die mit Jesus im Boot sind, als dieser große Sturm losgeht. Die Wellen schlagen ins Boot – und Jesus?

Jesus liegt hinten im Boot und schläft! Sie müssen ihn erst rufen, aufwecken, damit er ihnen hilft. Vielleicht kennen wir das auch aus unserem Leben: Dass wir uns fragen: Warum hilft Jesus denn nicht und greift ein? Schläft er etwa?!

 

Die Jünger müssen Jesus erst aufwecken, aufrütteln.

Merkwürdig, dass Jesus nicht schon vorher merkt, dass seine Freunde Hilfe brauchen, oder?

Oder hat er vielleicht gar nicht wirklich geschlafen? Kam es seinen Freunden nur so vor, dass er sich gar nicht kümmert? Oder hat er so ruhig geschlafen, weil er doch wusste, dass Gott sie trotz Sturm und Wellen sicher wieder ans Land bringen würde?

Mitunter fühle ich mich so wie die Freunde von Jesus: Da habe ich große Angst. Da mache ich mir viele Sorgen. Und die Sorgen und Ängste türmen sich auf wie große Wellen.

Ich fühle mich wie in einem Sturm.

Die Jünger wenden sich im Sturm an Jesus. Sie wecken ihn auf und rufen ihm zu:

„Hilf uns! Jesus, hilf uns, wach auf!“

Wir können das ganz ähnlich machen. Auch wir können Jesus unsere Ängste und Sorgen hinhalten und zu ihm rufen: Jesus, hilf uns!

Die Freunde von Jesus hatten Angst, sie würden untergehen, mitten im Sturm. Aber Jesus ist bei ihnen. Er lässt sie nicht im Stich. Sie brauchen keine Angst zu haben.

Auch wir erleben Sturm und Wellen im Leben. Manchmal haben wir das Gefühl, wir sind ganz allein. Aber auch wenn wir ihn nicht sehen können: Jesus ist da. Er ist mit uns im Boot. Er geht mit uns durchs Leben. Und Jesus sagt zu uns: Hab keine Angst! Ich bin bei dir.

Mit mir zusammen wirst Du nicht untergehen. Amen.

Ich lese aus dem Galaterbrief im 3. Kapitel die Verse 26-29:

Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus. Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Nachkommen und nach der Verheißung Erben.

 

„Ihr seid allesamt eins in Christus Jesus.“ Ich finde das etwas ganz Entscheidendes für die Gemeinschaft der Christen. Das uns etwas verbindet, das größer ist als wir: Der Glaube an Jesus Christus. Und das unterscheidet uns von einem Verein, wo man eher durch eine äußere Sache verbunden ist. Zum Beispiel im Männergesangverein, dass man ein Mann ist und gerne singt. Oder im Tennisclub, dass man eben: gerne Tennis spielt. Und im Kaninchenzüchterverein ist man, na klar: Weil man sich für Kaninchenzucht begeistert.

Der christliche Glaube aber, das Bekenntnis zu Jesus Christus, weist über uns selbst hinaus.

Wenn ich Ernst mache mit dem Glauben, dann ist er die Basis, die Grundlage von allem und für alles in meinem Leben. Es ist das Fundament meines Lebens. Und auf diesem Fundament steht alles andere. Übertragen gesagt: Mein Glaube bestimmt dann auch, wie ich handle und mich verhalte: Im Männergesangverein oder im Tennisclub oder bei den Kaninchenzüchtern… Oder eben wo auch immer in meinem Alltag.

 

„Ihr seid alle ein in Jesus Christus.“ Der christliche Glaube verbindet und er setzt Menschen auf Augenhöhe – über alle Unterschiede und alles Trennende hinweg. Der Galaterbrief macht deutlich, dass dies schon in den Anfängen des Christentums prägend war; ein Wesensmerkmal des christlichen Glaubens:

Menschen mit ganz unterschiedlichen Hintergründen haben sich dort versammelt und miteinander verbunden. So dass da Menschen unterschiedlicher Herkunft waren: Juden und Griechen. Männer und Frauen. Damals durchaus noch ungewöhnlicher als heute, dass Frauen eine bedeutende Rolle gespielt haben. Ja, zum Teil sogar christliche Gemeinden geleitet haben. Und dann auch: Sklaven und Freie. Also Menschen mit unterschiedlicher, ja gegensätzlicher gesellschaftlicher Stellung.

Das war das Erstaunliche und Bedeutende: Dass in der christlichen Gemeinschaft die gesellschaftliche Stellung keine Rolle spielte. Der christliche Glaube verbindet alle – über alles Trennende hinweg – zu einer Gemeinschaft – zu einer Gemeinde.

Das Verbundensein in Christus ist stärker und zählt mehr als alle Unterschiede: Mann oder Frau oder divers. Lehrer, Ärztin, Bäcker, Reinigungskraft. Multimillionär oder Ein-Euro-Job. Alle sind gleich!

 

Wobei – das sei direkt mit dazu gesagt: Schon durch die Briefe von Paulus blitzt deutlich hindurch: Auch damals war diese Einheit im Glauben oft mehr Wunsch und Anspruch als wirklich Realität. Und da gab es immer wieder doch Streit und Grenzen und Abgrenzung. Auch damals hat es nicht so funktioniert, wie es hätte sein sollen.

Das ist so. Und das ist– leider – zutiefst menschlich. Aber der Anspruch war und ist da.

Dass der christliche Glaube verbindet, über alle Unterschiede und Grenzen hinweg.

 

Auch deshalb ist es so absurd, wenn von der „Verteidigung des christlichen Abendlandes“ gesprochen wird. Dem christlichen Glauben geht es nie darum, Grenzen zu verteidigen, sondern Grenzen zu überwinden.

Ohne Ansehen der Person – Oder, so finde ich es eigentlich schöner formuliert: Mit Ansehen der Person – Im Sinne von: Den anderen ansehen als Mensch, von Gott geschaffen, als Gottes Kind, geliebt und gewollt.

Das sollte unser Anspruch sein, immer wieder: Als christliche Kirche, als Kirchengemeinde, als einzelner Christ. Und auch wenn das in der Realität oft nie im Ganzen gelingt, so erlebe ich es im Kleinen doch immer wieder, dass der Glaube Grenzen überwindet –

räumliche und sprachliche Grenzen, äußere Grenzen und Grenzen im Kopf.

Und das finde ich angesichts von so viel Spaltung in der Gesellschaft so wichtig. Auch angesichts vom Erstarken der Rechtsradikalen und der AfD. Wo es immer wieder um das Abgrenzen geht. Das Absichern von Landesgrenzen; das sich Abschotten vor Fremdem.

Gerade da ist es so wichtig zu zeigen, dass im christlichen Glauben genau das Gegenteil passiert:

Die Verbindung über alles Trennende hinweg. Ja, das im gemeinsamen Glauben Grenzen überwunden werden.

 

Ich denke daran, wie ich vor Jahren, als Jugendliche in Taizé eine Schweige-Woche mitgemacht habe. Dort habe ich mit Jugendliche aus anderen Ländern, mit ganz unterschiedlichen Hintergründen: Einige Tage gemeinsam geschwiegen, gesungen, gebetet.

Und das hat unglaublich verbunden: Zu wissen, zu spüren und zu erleben, ganz ohne Worte, dass wir verbunden waren im christlichen Glauben. Das war großartig.

Und ich fand es faszinierend zu erleben, wie vertraut mir die anderen Menschen in diesen Tagen geworden sind. Auch wenn es etwas übertrieben und pathetisch klingt: Ich habe erlebt, wie ich diese „fremden“ Menschen lieb gewonnen habe. Obwohl ich sie eigentlich gar nicht kannte. Und außer einer kurzen Vorstellungsrunde zu Beginn habe ich mit ihnen in diesen Tagen in Taizé ja gar nicht gesprochen. Aber wir waren auf einer besonderen Ebene miteinander verbunden.

Vielleicht gerade, weil wir schweigend im Alltag miteinander umgegangen sind. Wir haben uns schweigend das Essen gereicht, haben uns schweigend angelächelt. Und vor allem aber haben wir miteinander Andachten gefeiert, gebetet und gesungen.

Am Ende der Schweige-Woche kam dann die Abschlussrunde, wo wir wieder geredet haben und miteinander mehr und mehr in Smalltalk kamen. Und da habe ich gemerkt, wie mir manche aus der Runde anfingen unsympathisch zu werden.

Und ich habe gedacht: Wie seltsam. In dem Moment, wo wir anfangen zu reden und uns über Meinungen auszutauschen, da tun sich Grenzen auf.

Aber in dem Moment, so wir einfach zusammen Gottesdienst feiern und beten, da ist es möglich, dass wir über alle Grenzen hinweg im Glauben miteinander verbunden sind.

Ich fand das eine faszinierende, bewegende Erfahrung!

 

Ich weiß, dass das seine Grenzen hat!

Immer nur schweigen geht nicht – und ist auch nicht gut. Auch der Austausch und die Auseinandersetzung sind wichtig. Und es gibt Meinungen und Ansichten, die ich auch gar keinen Fall schweigend stehen lassen will.

Ein gemeinsames Schweigen darf nicht zu einer falschen Weichspülerei werden. Nach dem Motto: Wir haben uns alle lieb, weil wir über bestimmte Dinge, politische Ansichten und Meinungen einfach nicht diskutieren, sondern schweigen. Das wäre falsche Bequemlichkeit, um Diskussionen und Konflikten aus dem Weg zu gehen oder unter den Teppich zu kehren.

Aber zugleich glaube ich, dass auch das wichtig ist und etwas bewirken kann: Das einfache gemeinsame Beten, verbunden mit Gott. Zu erleben und zu spüren, wie der Glaube Grenzen und Unterschiede überwinden kann.

Ich bin mir sicher, wenn das gelingt: Dass man ehrlich miteinander im Gebet verbunden ist, miteinander und mit Gott – dass das auch etwas im menschlichen Miteinander verändert. Dass man sich dann auch im Alltag anders sieht und wahrnimmt – über alle Grenzen und Unterschiede hinweg.

 

Angesichts von vielen Spaltungs-Tendenzen in der Gesellschaft ist es mir besonders wichtig, dass der christliche Glaube zutiefst Grenzen überwindet und über Grenzen hinaus verbindet.

Das ist eine Botschaft, die wir weitertragen und weiterleben sollen, müssen, dürfen.

 

Ja, wie ist das eigentlich mit dem „Sollen -  Müssen  Dürfen“?

Die Basis – die Quelle – ist immer Jesus Christus. Und Gottes Liebe in Jesus Christus.

Durch Jesus bin ich Gottes Kind –

Von Gott gewollt, geliebt und gesegnet.

Ich bin Gottes Kind und Gottes Erbe.

Das heißt: Ich bin es immer schon. Ich muss es mir nicht erst verdienen, erarbeiten.

Ich bin Erbe – Ich bin Gottes Kind –

Gott hat sich mit mir unverbrüchlich verbunden.

Gott liebt mich – ein für alle Mal und bis in alle Ewigkeit.

Wenn ich das wirklich verinnerliche, kann die Angst wegefallen, ich müsste mir mein Recht erkämpfen, ich müsste mich gegen anderen behaupten und abgrenzen, damit ich nicht zu kurz komme. Wenn ich alles habe – geschenkt von Gott –

Dann kann ich doch anderen auch alles gönnen, oder?

Gnade sei mit Euch, von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

ich lese aus dem Markusevangelium im 4. Kapitel:  [Predigttext Markus 4, 35-41]

Und am Abend desselben Tages sprach Jesus zu seinen Jüngern: Lasst uns ans andre Ufer fahren. 36 Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. 37 Und es erhob sich ein großer Windwirbel, und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. 38 Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? 39 Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme! Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille. 40 Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben? 41 Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!

Jesus und seine Jünger im Sturm. Die sogenannte Sturmstillung. Das ist ein bekannter Text.

Bei meiner Gottesdienstvorbereitung habe ich auch zurückgedacht an den Theatergottesdienst im letzten September. Dort haben wir den neuen Katjes-Jahrgang aus St. Martin und St. Michael begrüßt. Die Katjes- die 4.Klässler-Konfirmand:innen, die wir in zwei Wochen nun wieder verabschieden werden. So schließt sich ein Kreis. Denn beim Begrüßungsgottesdienst der Katjes stand genau diese biblische Erzählung im Mittelpunkt: Die Sturmstillung. Dieser Erzählung wird in allen drei synoptischen Evangelien, bei Matthäus, bei Lukas und hier bei Markus berichtet.

Der Evangelist Markus schildert knapp. Wie er überhaupt meistens knapp und sparsam erzählt. Nicht ohne Grund ist das Markusevangelium das kürzeste von allen vier Evangelien.

Markus berichtet knapp, aber unglaublich lebendig.

Wenn ich diese Geschichte von Jesus und seinen Jüngern lese, läuft sie wie ein Film vor meinem inneren Auge ab.

 

Da ist zunächst, was vorher war: Es ist ein voller Tag, von dem Markus im 4. Kapitel seines Evangeliums berichtet. Jesus ist mit seinen Jüngern am Ufer des galiläischen Meeres, dem See Genezareth. Dort am Ufer predigt er und erzählt viele Gleichnisse.

Zu Beginn des 4. Kapitels heißt es:

Jesus fing abermals an, am Meer zu lehren. Und es versammelte sich eine so große Menge bei ihm, dass er in ein Boot stieg, das im Wasser lag und er setzte sich; und alles Volk stand auf dem Land am Meer. Und er lehre sie vieles in Gleichnissen.

 

Natürlich lässt sich heute nicht mehr sagen, ob der Tag historisch so abgelaufen ist. Aber ich stelle mir vor, dass viele Tage für Jesus so oder so ähnlich gewesen sind: Mit vielen Menschen um ihn herum den ganzen Tag. Jesus spricht zu den Menschen; erzählt ihnen vom Gottes Reich.

 

Tage mit vielen Menschen, mit vielen Taten von Jesus, mit vielen Worten von Jesus. Tage einfach mit viel. Lange und volle Tage. So stelle ich es mir vor.

Als es Abend wird, zieht Jesus sich mit seinen Jünger zurück. Zurück von der Menschenmeng, zurück auf das Boot. Auf den See, auf das Wasser.

 „Am Abend des Tages sprach Jeus zu den Jünger: Lasst uns ans andre Ufer fahren.“

Ich stelle mir vor, dass Jesus am Ende des Tages einfach auch müde ist und erschöpft.

Als der Sturm unterwegs losbricht, ist Jesus hinten im Boot und schläft. Der Evangelist Markus schildert dazu ein Detail, das in den anderen Evangelien nicht erwähnt wird. Jesus schläft auf einem Kissen. Ich mag dieses Detail, dieses Kissen in der Geschichte. Weil ich selber auch lieber mit einem Kissen schlafe, als ohne. Und weil es für mich die Menschlichkeit Jesu deutlich macht und ja, irgendwie auch ein Stück Gemütlichkeit, Geborgenheit ausdrückt. Inmitten dieser Sturm-Gewalt.

Und es macht den Kontrast so deutlich: Dass Jesus dort auf einem Kissen schläft, während um ihn herum der Sturm tobt. 

 

Sturm und Wellen. Kenne ich das aus meinem Leben: Dieses Gefühl, mitten im Sturm zu stehen?

Wellen, die sich auftürmen. Das Gefühl, die Wellen schlagen über meinem Kopf zusammen;

Es wächst mir alles über den Kopf?

Kenne ich das aus meinem Leben: Das Gefühl, unter zu gehen: In Sorgen, in Problemen, in Aufgaben und Anforderungen? Kenne ich dieses Gefühl: Mitten im Sturm zu stehen?

Und wie erlebe ich dann meinen Glauben? Erlebe ich da die Nähe Gottes?

Erinnere ich mich an Situationen, in denen ich das Gefühl habe, Jesus schläft?

Das Gefühl, Gott um Hilfe anzuschreien. Mit der Bitte, dem Flehen, doch endlich einzugreifen….

Und vielleicht auch das Gefühl, das Erleben: Dass Gott eingreift und hilft und den Sturm stillt?

 

Die Jünger erleben das ganz konkret, dass sie zu Jesus schreien und ihn aufwecken.

Und Jesus reagiert auf ihre Hilfeschreie. Und Jesus handelt.

 „Er bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme!“

„Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille.“

Nach dem lauten Getöse, nach dem großen Sturm: Eine große Stille. Es ist, als ob jemand den Ton abgedreht hat. Große Stille.

Und die Jünger? Sie reagieren nicht mit Erleichterung, großer Freude, Jubel. So könnte man es sich ja auch vorstellen. Aber stattdessen: „Sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind.“

 

Wie ist das bei mir? Wenn ich erlebe, dass Gott hilft; dass Gott eingreift?

Kenne ich das, dass mich im Gegenüber zu Gott eine Ehrfurcht packt? Weil Gott so groß ist, so mächtig. Ehrfurcht vor Gott – darin steckt auch die Furcht. Nicht im Sinne von Angst. Aber doch ein Zurückschrecken. Ehrfurcht.

 

Wer ist dieser Jesus? Dieser Jesus, der da eben noch erschöpft nach einem langen Tag auf dem Kissen schläft. Verständlich und so menschlich.

Jetzt steht er da – bedroht den Sturm – und bringt die Naturgewalten zum Schweigen.

Eine große Stille tritt ein. Und die Jünger schrecken zurück: Wer ist der?

„Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind.“

 

Wer ist der? Das ist eine Frage, die sich durchs Markusevangelium durchzieht. Immer wieder erleben die Jünger etwas von der Göttlichkeit Jesu. Und doch bleibt immer auch das Nichtverstehen, das Nichterkennen, und die Frage: Wer ist der?

 

Wir als Christen heute sind nicht die Jünger von damals. Wir stehen im Kirchenjahr zwischen der Weihnachtszeit und der Passionszeit. Wir gehen zu auf Karfreitag und auf Ostern.

Jesus Christus – gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes,
am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel;
So werden wir es nach der Predigt mit den Worten des Glaubensbekenntnisses bekennen.

Wir haben die Osterbotschaft, die uns den Rücken stärkt. Und mit der Osterbotschaft schauen wir auf Jesus.

 

Aber die Frage: Wer ist Jesus?  Wer ist Jesus für mich? Diese Frage können auch wir uns heute stellen.

Schaut man ins Neue Testament, dann gibt es dort eine Vielfalt an Namen und Titel, mit denen Jesus benannt wird. Auf der Rückseite des Psalmblatts habe ich einige Namen und Titel für Jesus aus der Bibel aufgeschrieben.

Michael Kählke wird gleich Musik auf dem Flügel spielen. Und wer mag, kann sich die Zeit nehmen und diese Namen und Titel lesen und auf sich wirken lassen. Vielleicht schauen Sie, welcher Name Sie besonders anspricht. Vielleicht ist da ein Titel, der besonders gut zum Ausdruck bringt, wer Jesus für Sie ist. Vielleicht kommen Ihnen auch andere Namen, eigene Beschreibungen in den Sinn, die für Sie und Ihren Glauben passend sind.

Wer ist Jesus für mich? Wie würde ich Jesus für mich beschreiben und benennen.

Vielleicht ist das eine Frage, die Sie mitnehmen und die Sie begleiten kann in der neuen Woche.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Liebe Gemeinde, 

um Freundschaft soll es also heute in der Predigt gehen.

Nehmen wir uns zu Beginn einen Moment und denken an die Freundschaften, die uns im Leben bislang begleitet haben oder noch begleiten.

Erinnern Sie sich / Erinnerst Du Dich an die erste Freundschaft in der Kindheit?

Der Sandkastenfreund vielleicht oder die Kindergarten-Freundin? Gibt es eine Freundschaft, die Dich schon viele Jahre begleitet? Oder eine Freundschaft, die noch ganz neu ist, die noch im Wachsen ist?

Gibt es umgekehrt Freundschaften, die auseinander gegangen sind?  Vielleicht weil sich die Wege mit der Zeit auseinandergelebt haben. Vielleicht gab es aber auch einen schmerzhaften Bruch.

Oder der andere hat den Kontakt abgebrochen. Ohne ein Warum.

Vielleicht geht Ihnen jemand durch den Sinn, zu dem Sie den Kontakt verloren haben. Und gerne würden Sie diesen Kontakt wieder aufnehmen?

Vielleicht denken Sie auch an bestehende Freundschaften. Freundinnen und Freunde, die Euch begleiten. Vielleicht ist dieser Gottesdienst ein guter Anlass, einem guten Freund eine Nachricht zu schreiben. Oder eine liebe Freundin anzurufen. Um zu hören wie es ihm oder ihr geht und dem anderen zu zeigen, wie wichtig mir diese Freundschaft ist.

Auch Jesus hatte Freunde. Und ich glaube, dass diese Freundschaften wirklich wichtig waren für ihn und sein Leben und seinen Weg, den er gegangen ist. Die Zwölf Jünger, die in der Bibel erwähnt werden, waren mit Sicherheit nicht nur Anhänger, sondern auch Vertraute für Jesus. Es waren Freunde, die das Leben und den Alltag mit Jesus geteilt haben. Sie waren gemeinsam unterwegs. Und Jesus hat seine Freunde oft ins Vertrauen gezogen. Sie haben, wie man so sagt, Jesus wirklich hautnah erlebt. Im Johannesevangelium im 15. Kapitel sagt Jesus zu seinen Jüngern Folgendes:

Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch aufgetragen habe.

Ich nenne euch nicht mehr Diener; denn einem Diener sagt der Herr nicht, was er vorhat. Ihr aber seid meine Freunde; denn ich habe euch alles anvertraut, was ich vom Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt. Ich habe euch dazu bestimmt, dass ihr euch auf den Weg macht und Frucht bringt – Frucht, die bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, worum ihr ihn in meinem Namen bittet.                                                                              [Johannes 15, 14-16]

„Ich nennen euch nicht mehr Diener. Ihr seid meine Freunde“ sagt Jesus.

Jesus zeigt mit seinem Leben, dass Gott uns seine Freundschaft anbietet. Es ist ein großartiges Geheimnis, warum Gott das tut. Denn selbstverständlich ist das eigentlich überhaupt nicht.

Dass wir für Gott so wichtig sind, dass er uns so viel Nähe schenkt. Dass Gott sich auf uns – auf eine Beziehung – eine Freundschaft mit uns einlässt. Ich bin überzeugt: Gott könnte ohne uns auskommen.

Aber Gott will nicht ohne uns auskommen. Und ein unglaubliches, göttliches Geschenk.

Gott schenkt uns seine Freundschaft. In Jesus Christus begegnet uns Gott auf Augenhöhe. Als Mensch. Und Jesus zeigt uns, wie wichtig wir Gott sind.

Ich möchte noch einmal einen Schritt zurückmachen und darauf schauen, wie Freundschaften eigentlich entstehen.

Vielleicht triffst Du jemanden und Ihr seid Euch auf Anhieb sympathisch. Und fast sofort seid Ihr echte Freunde.

Vielleicht triffst Du auch jemanden und findest ihn erstmal… naja, geht so. Und erst beim näheren Kennenlernen findet Ihr Euch sympathischer und am Ende entsteht eine Freundschaft.

Für mich sind Freundschaften immer ein Geschenk. Weil ich es ja nicht machen kann, dass ich mich mit dem anderen gut verstehe. Und weil es so wichtig ist, Menschen zu haben, denen ich vertraue.

Menschen, bei denen ich mich innerlich „fallen lassen kann“. Wo ich einfach so sein kann, wie ich bin; Und sagen kann, was ich denke. Ohne darüber nachzudenken: Kann ich das jetzt sagen?

Freundschaften sind ein Geschenk. Und ja, wir können es nicht machen, dass wir uns mit anderen gut verstehen. Aber wir können doch eine Menge tun. Wir können nämlich eine Freundschaft pflegen.

Oder wir können eine Freundschaft auch einschlafen lassen.

Um eine Freundschaft zu pflegen, muss man nicht ständig aufeinander hocken. Ich finde das gerade das Schöne an einer echten Freundschaft: Auch wenn man sich eine Weile nicht sieht und hört, weiß man. Der andere ist da. Und wenn ich ihn brauche, ist er oder sie für mich da. Also, man muss nicht ständig Zeit miteinander verbringen. Aber Zeit füreinander muss man sich schon nehmen.

 

Freundschaft ist für mich ein Nehmen und eine Geben. Es ist keine Freundschaft, wenn ich immer nur nehme. Wenn ich mich nur melde, wenn ich Probleme habe, wenn ich Hilfe brauche. Oder wenn ich dem anderen ständig mit meinen Sorgen in den Ohren liege, ohne mal zu fragen, wie es ihm oder ihr geht! Eine Freundschaft besteht aus Nehmen und Geben.

Und das gilt auch umkehrt: Eine Freundschaft geht auf Dauer nicht gut, wenn ich nur gebe. Es gibt Menschen, denen fällt das besonders schwer: Von anderen etwas anzunehmen. Nicht nur dem anderen zu helfen, sondern auch mal selber Hilfe anzunehmen. Nicht nur ein offenes Ohr haben für die andere, sondern auch einen offenen Mund, und von den eigenen Sorgen und Problemen zu erzählen. Nur so kann es eine Freundschaft auf Augenhöhe sein, gleichberechtig. Wo beide geben und nehmen.

Für mich gibt es noch etwas, was mir für eine echte Freundschaft wichtig ist: Es kann Situationen geben, in denen ich den anderen nicht verstehe. Vielleicht ärgere ich mich richtig, oder lehne es ab, was der andere sagt oder tut. Ich finde es wichtig, sich dann nicht einfach abzuwenden, sondern als Freund/ als Freundin da zu bleiben. Vielleicht miteinander zu diskutieren, ja miteinander zu ringen zu streite. Aber eben im Gespräch, im Kontakt miteinander zu bleiben.

„Ich nennen euch nicht Diener. Ihr seid meine Freunde“ sagt Jesus.

Gott schenkt uns seine Freundschaft. Oder besser gesagt: Gott bietet uns seine Freundschaft an.

Und auch eine Freundschaft mit Gott muss wachsen. Und wir müssen diese Freundschaft pflegen, damit sie lebendigt bleibt.

Das heißt: Wir müssen uns Zeit nehmen für Gott. Gar nicht so sehr, weil Gott sonst beleidigt wäre, weil wir keine Zeit für ihn haben. Sondern eher, weil es für uns wichtig ist, dass wir diese Freundschaft mit Gott pflegen.

Und wenn wir mit Gott sprechen, im Gebet – dann ist das auch ein Nehmen und ein Geben – wie in einer richtigen Freundschaft eben: Im Gebet kann ich mir alles von der Seele reden. Ich kann Gott erzählen, was mich beschäftigt, was mich bewegt. Aber dann ist es auch wichtig, dass auch ich auf Gott hören. Dass ich innehalten und frage: Gott, was hast Du mir vielleicht zu sagen? Das ist nicht so leicht. Weil man bei Gott genau hinhören muss. Aber ich bin überzeugt: Wenn wir uns Zeit nehmen und bewusst lauschen und hinhören, dann erfahren wir auch etwas von Gott.

Und eine Sache gehört auch zur Freundschaft mit Gott: Manchmal kommen Situationen, in denen wir Gott nicht verstehen. Es passieren Dinge, die aus unserer Sicht völlig falsch laufen. Es kann Situationen geben, in denen wir zweifeln, vielleicht sogar verzweifeln im Glauben. Aber auch das können wir Gott sagen im Gebet: Als Klage, oder sogar als Anklage an Gott.

Mir ist das im Glauben sehr wichtig: Dass wir mit Gott auch ringen dürfen, kämpfen und streiten.

Dass wir Gott im Gebet auch Widerworte geben dürfen.

Es geht im Glauben nicht darum, dass wir zu allem Ja und Amen sagen. Entscheidend ist, dass wir im Kontakt bleiben mit Gott. Dass wir Gott nicht die Freundschaft aufkündigen. Sondern sagen: Gott, ich kann Dich gerade nicht verstehen.Aber ich will trotzdem an Dich glauben und  Dir vertrauen.

Gott macht es genauso mit uns: Ganz sicher findet Gott vieles, was wir machen oder tun oder sagen überhaupt nicht gut. Trotzdem steht Gott immer zu uns. Gott kündigt uns die Freundschaft niemals auf. Jesus macht das deutlich, wenn es sagt: „Ihr seid meine Freunde! Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ Gott bietet uns eine Freundschaft hat. Ein Leben lang.  Amen.

Liebe Gemeinde,

Ihr, liebe Konfis, habt Euch auf den Weg gemacht.

Vor vier Jahren sind die meisten von Euch in die Katjes-Zeit gestartet. Die erste Etappe auf dem Weg zur Konfirmation. Und jetzt startet Ihr in die zweite Etappe: Das Konfer-Jahr, das im nächsten Mai mit Eurer Konfirmation enden wird.

Wir Pastorinnen, Frau Schmid-Waßmuth und ich, wir freuen uns auf diese Zeit mit Euch. Wir freuen uns darauf, mit Euch gemeinsam unterwegs zu sein.

Und wir sind ja auch schon gestartet, mit den ersten beiden Konfer-Stunden. Mit Andacht in der Kirche, Kirchenrallye und Pizza backen.

Gemeinsam seid Ihr unterwegs als Gruppe. Viele von Euch kennen sich untereinander, andere noch nicht. Die Konfer-Zeit und auch die Konfi-Freizeit im August in Cuxhaven werden hoffentlich dazu beitragen, dass Ihr auch als Gruppe besser kennenlernt. Und vielleicht entstehen da neue Freundschaften, die auch über die Konfer-Zeit hinaus bestehen.

 

Unterwegs werdet Ihr auch sein in unseren beiden Kirchengemeinden und darüber hinaus.

Der Konfirmandenunterricht wird im Wechsel in St. Martin und St. Michael stattfinden. Aber Ihr werdet nicht nur die Gebäude kennenlernen sondern auch das Leben der Kirchengemeinden. Die Menschen, die sich bei uns engagieren und das, was an Angeboten, an Gruppen und Kreisen und Veranstaltungen in unseren Gemeinden stattfindet.

 

Unterwegs und auf dem Weg seid Ihr auch im Glauben.

Und das ist mir wichtig, zu betonen: Dass der Glaube nie fertig ist.

Mit der Konfirmation nicht, aber auch später nicht.

Wer schon länger im Glauben unterwegs ist, wird das sicher bestätigen können:

 Der eigene Glaube verändert sich immer wieder im Leben. Da gibt es Zeiten im Leben, in denen man ganz fest im Glauben steht und Zeiten, wo man sich vielleicht unsicherer fühlt oder auch Zeiten, in denen der Kontakt zu Gott einfach nicht so im Vordergrund steht. Weil andere Dinge im Leben sich in den Vordergrund mischen.

 

An Gott zu Glauben heißt, mit Gott unterwegs zu sein.

Der Glaube an Gott ist nichts Festes, Starres; nichts, was ich nehmen und in die Hosentasche stecken kann. Nach dem Motto: So, jetzt habe ich den Glauben, ein für alle Mal und da ändert sich nichts mehr.

 

Nein, Glaube ist immer ein Weg, der sich auch verändert.

Glaube heißt: Mit Gott unterwegs zu sein.

 

Und das Wichtigste ist eigentlich: Dass wir uns auf den Weg machen.

Dass wir uns auf das Abenteuer des Glaubens einlassen.

 

In der christlichen Tradition gibt es schon lang das Bild vom Labyrinth.

Es gibt ja Irrgärten und es gibt Labyrinthe.

Umgangssprachlich wird das oft nicht unterschieden.

Ein Mais-Labyrinth zum Beispiel. Das ist eigentlich ein falscher Name. Eigentlich müsste es Mais-Irrgarten heißen.

Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen einem Irrgarten und einem Labyrinth. Ein Irrgarten ist dafür angelegt, dass man sich darin verirren kann.

Da gibt es manche Wege, die in Sackgassen führen, wo man schlicht nicht weiter kommt.

Ein Labyrinth dagegen ist anders angeordnet. Es ist so angeordnet, dass man immer ans Ziel kommt. Durchaus auch mit verschlungenen Wegen. Die Wege führen durchaus auch erstmal weiter weg vom Ziel. Aber am Ende führt der Weg im Labyrinth immer in die richtige Richtung und man kommt am Ende immer am Ziel an.

 

Das Labyrinth ist ein schönes Bild für den Glauben und was es heißt im Glauben, mit Gott unterwegs zu sein.

In einem Labyrinth gibt es nur zwei Möglichkeiten, nicht ans Ziel zu kommen:

Das ist: Entweder stehen zu bleiben und nicht weiter zugehen. Oder den Rückweg anzutreten.

Wenn ich das auf den Glauben übertrage: gibt es zwei Wege, nicht zu Gott zu kommen:

Entweder, wenn ich den Glauben hinter mir lasse, mich umdrehe, mich vom Glauben ganz abwende und den Kontakt zu Gott komplett abbreche.

Oder aber auch, wenn ich stehen bleibe und sage: Ich weiß alles schon. Ich habe die fertigen Antworten und mir kann keiner mehr was erzählen. Und ich weiß auch ganz genau wer und wie Gott ist. Dann bin ich quasi „fertig mit Gott“.

 

Wenn ich mich aber auf den Weg mache und meinen Weg gehe im Glaube, dann kann ich eigentlich nichts falsch machen. Wie in einem Labyrinth: Ich muss nur losgehen und weitergehen, dann komme ich ans Ziel.

 

In der Bibel, beim Propheten Jeremia gibt es die schöne Verheißung von Gott.  

Gott sagt: „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.“

Das ist für mich Glaube:

Dass ich auf dem Weg bin, unterwegs. Und das Gott mir verspricht: Wenn ich mich auf den Weg mache, dann wird Gott sich auch von mir finden lassen.

 

Uns allen und ganz besonders Euch Jugendlichen, die Ihr jetzt ins Konfer-Jahr gestartet seid, wünsche ich ganz viel Neugier und Freude am Entdecken.

Den Glauben zu entdecken; die Kirchengemeinden besser kennenzulernen.

Vor allem aber eine Neugier auf Gott, auf Jesus.

Eine Neugier, den christlichen Glauben, die christliche Botschaft noch mehr kennenzulernen.

Ihr alle fangt dabei nicht bei null an. Es ist ja nicht so, dass Ihr noch nie von Gott und Jesus gehört habt.

Aber die Konfer-Zeit ist eine Zeit, sich nochmal bewusst und intensiv auf den Weg zu machen und sich mit dem Glauben auseinander zu setzen.

Und, auch das gehört für mich ganz klar mit dazu: Durchaus auch mit einer kritischen Neugier unterwegs zu sein.

Es geht nicht darum, dass Ihr zu allem „Ja und Amen“ sagt. Und es geht auch nicht darum, dass Ihr  immer brav nickt zu dem, was Frau Schmid-Waßmuth und ich Euch im Konfer erzählen werden.

Sondern es geht darum, dass Ihr Euch eine eigene Meinung bildet. Und dass Ihr Euren eigenen Weg im Glauben findet und dann auch geht.

 

Und da beziehe ich nochmal uns alle ein:

Das gilt für uns alle: Es keinen Glaubensweg, der genauso ist wie der andere.

Aber gleichzeitig ist es für uns alle ein Weg. Glaube heißt nie, dass ich fertig bin. Sondern dass es immer wieder neu ist. Und dass es immer wieder auch eine Entscheidung ist:

Dass ich mich auf Gott einlasse, dass ich auf Gott vertraue. Auch wenn ich Dinge nicht verstehe, die passieren. Wenn manches in der Welt und auch in meinem Leben passiert, was eigentlich gegen den Glauben und gegen Gott sprechen würde.

Dass ich trotzdem an Gott festhalte und mich entscheide: Ich vertraue auf Gott – ich glaube an Gott.

Das ist ein unterwegs sein – im Glauben – jeden Tag neu.

Und Gott schenkt uns das Versprechen:

Wenn wir Gott suchen von ganzem Herzen, dann wird Gott sich finden lassen von uns. Amen.

 

Predigt – 4. Sonntag nach Trinitatis - 12. Juli 2025

Ich lese aus dem Lukasevangelium im 6. Kapitel.  [Lukas 6, 36-42]

Jesus sagt: Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist. Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen. Jesus sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen? Der Jünger steht nicht über dem Meister; wenn er vollkommen ist, so ist er wie sein Meister. Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr? Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

 

Liebe Gemeinde,

ein angesehener Mensch – wer wünscht sich das nicht, von sich sagen zu können: Ich bin ein angesehener Mensch. Wir alle streben auf die eine oder andere Weise nach Anerkennung und brauchen immer wieder die Bestätigung von anderen: Ja, das was Du machst, ist richtig. Ja, so wie Du bist, bist Du in Ordnung.

Es ist ein gutes Gefühl, wenn wir merken: Wir sind von anderen angesehen. Wir sind etwas wert. Wir werden von anderen wert-geschätzt. Was andere von uns denken, ist uns eben nicht egal.

Und: Sich selber gut verkaufen können - Das ist eine Fähigkeit, die in der heutigen Zeit immer wieder gefordert und meist auch belohnt wird. Sei es bei der mündlichen Abschlussprüfung, oder im Bewerbungsgespräch für eine neue Arbeitsstelle. Wer sich selbst gut darstellen kann, hat oft schon halb gewonnen. Und ob das alles immer 100% der Wahrheit entspricht… naja, das ist am Ende dann nicht so wichtig. Da darf man ruhig ein bisschen übertreiben mit den eigenen Stärken und Fähigkeiten. Und die eigenen Fehler und Schwächen –, die packt man lieber unter und nicht auf den Tisch.

Aber ganz ehrlich: Das ist ja nicht nur bei einem Bewerbungsgespräch so, oder? Wer tut das denn schon gerne: Offen einen Fehler einzugestehen? Fröhlich und selbstbewusst zu sagen: Ja! Da habe ich etwas falsch gemacht! Ja, ich habe mich geirrt, das war mein Fehler!

Wenn man sich gut kennt, wenn man Vertrauen zueinander hat, dann fällt es leichter, eigene Fehler einzugestehen. Aber sonst? Oft ist es doch leichter, schnell abzulenken und lieber auf die Fehler der anderen hinzuweisen: Also nein, was der schon wieder angestellt hat! Ja, klar, macht jeder mal Fehler, aber was die sich gestern geleistet hat! Dagegen sind die eigenen Fehler doch wirklich nicht der Rede wert.

Die Versuchung ist so menschlich: Andere in den Schatten zu drängen, um selbst im Licht zu erscheinen. Auf die Fehler und Schwächen anderer zu deuten, um von den eigenen abzulenken.

Andere schlecht zu machen, aus Angst, sonst vielleicht selbst schlecht dazustehen. 

Denn wenn ich zugebe, was für ein fehlerhafter Mensch ich letztlich bin, dann verliere ich wohlmöglich mein Ansehen bei den anderen.

 

Wer du auch immer sein magst - in deinen Augen -und in den Augen anderer Menschen:

Gott sieht dich an, darum bist du zuallererst  ein angesehener Mensch

 

Ein angesehener Mensch – Hier in dem Gedicht von Sabine Naegeli bekommt diese Formulierung plötzlich einen neuen Akzent. Da geht es auf einmal nicht mehr um mein Können und meine Leistungen, die ich erbringen muss, um vor anderen gut dazustehen und als ein angesehener Mensch zu sein.

Gott sieht mich an. Und Gott sieht mich mit Augen der Liebe und Barmherzigkeit an. Und darum bin ich immer schon ein angesehener Mensch. 

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ So sagt es Jesus in seiner Feldrede im Lukasevangelium. Diese Feldrede hat viele Parallelen zur Bergpredigt im Matthäusevangelium, die vielen bekannter sein dürfte. In beiden geht es um unser menschliches Tun und um Gottes Tun.

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Für mich ist dieser Vers wie eine Überschrift, die über allem dann Folgenden steht. Die Barmherzigkeit Gottes gilt uns. Uns allen und allen Kreaturen. 

Die Barmherzigkeit Gottes ist der göttliche Grundton, der sich durch unser ganzes Leben zieht. Vor Gott müssen wir uns nicht gut verkaufen und besser machen als wir eigentlich sind. Gott kennt und liebt uns – so wie wir sind. Auch mit unseren Fehlern und Schwächen, die wir lieber gerne verstecken würden.

Gott sieht barmherzig auf uns – und darum sind wir schon immer und für immer – angesehene Menschen.

 

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ So sagt Jesus in seiner Feldrede im Lukasevangelium – Und dann heißt es dort weiter:   „Richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben. Gebt, so wird euch gegeben.“

Auf den ersten Blick scheint das eine einfache Gleichung zu sein. Wie Du mir, so ich Dir. Wenn Du nett zu den anderen bist, dann sind die anderen auch nett zu Dir. Wenn Du etwas gibst, dann bekommst Du auch etwas zurück.

Ich helfe einer Freundin beim Umzug, dann kann ich später auch auf ihre Hilfe rechnen, wenn ich meine Wohnung renoviere. Ich schaue bei den Nachbarn nach dem Rechten, wenn sie im Urlaub sind. Und dann tun das die Nachbarn später auch bei mir, wenn ich selber verreist bin. Geben und Nehmen. Mit dem Maß gemessen werden, mit dem wir selber messen. Eine einfache Gleichung. Doch dann kommt Gottes Barmherzigkeit mit ins Spiel. Und plötzlich geht diese Gleichung nicht mehr auf. Denn Barmherzigkeit lässt sich nicht mit normalen Maßstäben messen und verrechnen. Das macht Jesus deutlich mit dem Bild vom vollen, gedrückten, gerüttelten und überfließenden Maß.

 

Stellen wir uns das einmal bildlich vor: Ein Händler füllt Getreide ab. Er nimmt einen Tonkrug und  füllt ihn mit Weizenkörnern. Der Krug ist gut gefüllt, bis an den Rand. Doch der Händler belässt es nicht dabei: Mit der Hand drückt er die Körner in dem Gefäß zusammen, so dass er schließlich noch etwas mehr Getreide hineinschütten kann. Der Krug ist voll. Doch der Händler gibt sich noch immer nicht zufrieden. Er nimmt den gefüllten Krug in seine Hände und schüttelt ihn kräftig. Die Körner fallen durcheinander, rutschen zusammen. Und siehe da: Es ist noch ein bisschen Platz im Krug, der schnell  mit noch mehr Weizenkörnern aufgefüllt wird. Und dann, als wäre der Krug nicht wirklich schon prallt gefüllt bis an den Rand, gießt der Händler weiter Körner in das Gefäß, bis es überfließt. Ein überfließendes Maß – mehr geht wirklich nicht!

Und Jesus sagt: Mit einem solchen überfließenden Maß werden wir von Gott bemessen. Gott misst uns nicht nach unseren Leistungen und auch nicht mit dem Maß unseres eigen Gebens, sondern mit dem Maß seiner göttlichen Barmherzigkeit. Und dieses göttliche Maß ist viel mehr als reichlich, es ist ein überfließendes Maß. Gottes Barmherzigkeit ist eine maßlose Barmherzigkeit. Ja, geradezu mit Maßlosigkeit erbarmt sich Gott, erbarmt sich Jesus über die Sünder. Das mag anstößig klingen.

Und es stimmt: Gottes Barmherzigkeit ist durchaus anstößig. Jesus hat von dieser Barmherzigkeit Gottes erzählt und hat sie mit seinem Leben auf der Erde gelebt. Jesus hat sich mit maßloser Barmherzigkeit Menschen zugewandt, die völlig am Rand standen. Und ja, viele Menschen haben das schon damals nicht verstanden. Und viele haben Anstoß daran genommen.

Gottes Barmherzigkeit ist eine anstößige und maßlose Barmherzigkeit. Sie reicht so viel weiter, als wir das verstehen und begreifen können.

„Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“

Ich glaube, im Kern kann das nur gelingen, wenn ich im ersten Schritt Gottes Barmherzigkeit für mich wirklich annehme. Wenn ich mir Gottes Barmherzigkeit gefallen lasse. Und mit meinem Herzen begreife:

Gott in seiner Barmherzigkeit gibt mir mehr, als ich mir jemals verdienen kann. Gott schenkt mir ein „volles, gedrücktes, gerütteltes – ja ein überfließendes Maß“ an Barmherzigkeit.

Wenn ich das wirklich annehmen für mich, dann kann sich auch mein eigenes Messen und Bemessen verändern. Dann wird es möglich, dass ich anderen Menschen mit Barmherzigkeit begegnen kann.

Dann muss ich nicht mehr den Splitter im Auge des anderen in den Vordergrund stellen, sondern kann zum Balken in meinem eigenen Augen stehen. Wenn ich Gottes Barmherzigkeit wirklich im Herzen annehmen, kann ich selber barmherzig sein. Dann muss ich keine Angst mehr haben, selber zu kurz zu kommen. Denn ich werde ja schon mit einem vollen – nein einem überfließenden Maß bemessen und bedacht. Von Gottes Barmherzigkeit. Amen.

Predigt zum Tag des offenen Friedhofs –

Zum 225 jährigen Bestehens des Nordertor Friedhofs

 

Ausgang und Eingang, Anfang und Ende, liegen bei Dir Herr, füll Du uns die Hände. (EG 175)

Dieser Kanon gehört zu meinen Lieblings-Kirchenliedern. Für mich steckt in diesen wenigen Worten ein großer Zuspruch: Alles, wirklich alles, hält Gott in seinen Händen. Und das heißt für mich: Ich kann mich fallen lassen –ich darf mich vertrauensvoll in Gottes Hände legen. Weil ich weiß: Egal was ist und egal war kommen wird: Gott ist bei mir. Ich bin nicht allein. Gott hält mich fest.

Ausgang und Eingang, Anfang und Ende – Bei diesem Lied muss ich immer auch an einen Dozenten aus  meiner Vikariats-Ausbildung denken – der praktischen Ausbildung zur Pastorin.
Zum Abschluss unserer Ausbildungszeit haben wir unseren Lehrer für Seelsorge zur Hause besucht. Er hatte uns zu einem Grill-Abend eingeladen. Und dort in seinem Garten zeigte er uns seinen Grabstein. Er hatte selber einen Stein behauen, der sein Grabstein werden sollte. Erst fand ich das befremdlich. Aber dann hat mich dieser Stein fasziniert und berührt. Denn wenn man von vorne auf den Stein blickte, sah man die Worte: Das Ende. Wenn man aber einen Schritt machte und auf die Rückseite des Steins blickte, stand dort: ist der Anfang.

Das Ende – ist der Anfang. Ein ganz schlichter Satz – in dem zugleich ganz tief die christliche Botschaft steckt. Das Ende – ist der Anfang. Der Tod ist nicht das Ende – Es ist der Beginn eines neuen Anfangs – eines neuen Lebens bei Gott.

Hier in der Lutherkapelle haben unzählige Menschen Abschied genommen. Abschied von einem gestorbenen, geliebten Menschen. Ich finde das so wichtig, dass wir Kapellen und Friedhöfe haben – Orte des Trauerns, des Gedenkens und hoffentlich immer wieder auch Orte der Hoffnung.

Dass Gottes Liebe das letzte Wort behält. Und dass das Ende eben nicht das Ende ist, sondern ein neuer Anfang.

Die Lutherkapelle hier auf dem Nordertor Friedhof hat aber noch eine wunderbare Besonderheit.

Denn lange Zeit ist sie nicht nur für Beerdigungen genutzt worden, sondern sie war Gottesdienst-Ort. Hier fanden nicht nur Trauergottesdienste statt, hier wurden auch ganz normale Gemeindegottesdienste gefeiert. Bis 1957 wurden hier für das Nordertor die Sonntagsgottesdienste gefeiert. So lange bis die Michaelskirche gebaut und eingeweiht wurde.

Hier in der Lutherkapelle wurden Sonntagsgottesdienste gefeiert und hier wurden auch Taufen gefeiert. Fest steht hier vorne das Taufbecken in der Kapelle.

Menschen, ganz am Lebensanfang, sind hier als Babys getauft worden.

Ich selber habe schon mehrere Mal hier in der Lutherkapelle Menschen mit einem Trauergottesdienst verabschiedet, die zugleich hier als Kleinkind getauft worden sind.

Jedes Mal berührt mich das. Weil es so wunderbar deutlich macht:

Hier in der Kapelle hat Gott das Leben in der Taufe gesegnet. Und hier in der Kapelle legen wir das Leben eines Menschen zurück in Gottes Hand.

Bei jeder Trauerfeier, die ich hier erlebe, blicke ich auch auf das Taufbecken und erinnere mich daran: Ausgang und Eingang- Anfang und Ende – liegen bei Dir, Herr – füll Du uns die Hände.

Und darum ist es richtig und wichtig, dass wir heute hier den Geburtstag des Nordertor Friedhofs feiern. Weil Gott alles umfasst –das  Leben in seiner ganzen Bandbreite.

Mit dem Schönen und dem Schweren. Dem Dunklen und dem Hellen. Dem Anfang und dem Ende.

Wir dürfen feiern und wir dürfen darauf vertrauen, dass auch das Ende ein neuer Anfang ist bei Gott.

 

 

Predigten von Prädikantin Dr. Johanna Gronau

„Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. Denn der Herr verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.“

Der Predigttext für heute, er stammt aus dem Buch der Klagelieder, Kapitel 3.

„Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“ Das hört sich nicht nach einer Klage an oder einem Klagelied. Vielmehr nach einem Lied, das Hoffnung macht und viel ver- spricht: Gottes Barmherzigkeit, nie endende Treue: jeden Morgen neu! Wir haben eingangs ein Lied gesungen, das diesen Text als Grundlage hat.

All Morgen ist ganz frisch und neu
des Herren Gnad' und große Treu;
sie hat kein End' den langen Tag,
drauf jeder sich verlassen mag.

Ein Mut machender Text - eine fröhliche Melodie. Beide stammen aus dem 16. Jahrhundert, aus einer spätmittelalterlichen Welt, geprägt von Kriegen, von Epidemien wie der Pest und Glaubensstreitigkeiten. In diese Welt bricht in der Reformation ein neuer Glaube auf, der sich den Schrecken des Daseins stellt und gleichzeitig solch ein Lied entstehen lässt: Ein Mut ma- chender Text - eine fröhliche Melodie. - Auf mich wirkt das alte Lied frisch wie der Morgen. So hatte ich übrigens den Text ursprünglich verstanden: All Morgen – also: jeder Morgen ist ganz frisch und neu – klar, der Morgen ist frisch, frisch wie frisch gebrühter Kaffee, wie die frischen Brötchen, frisch, wie die frisch gedruckte Zeitung und die Luft, wenn man morgens das Haus verlässt. Wer bewusst auf die folgende Zeile achtet, merkt aber, dass etwas anderes gemeint ist: All Morgen ist ganz frisch und neu ... und weiter: des Herren Gnad' und große Treu; GottesGnade und große Treu, frisch ausgeteilt am Morgen: darum geht ́s. Es lohnt sich also, weiter

zu hören, über den ersten Eindruck hinaus, sonst kommt es leicht zu Missverständnissen. Ganz typisch bei Liedern übrigens, man versteht nur die Hälfte vom Text und reimt sich irgendwas zusammen.

Unser Predigttext wird auch als Lied bezeichnet. Auch hier sollte man nicht nur weiterhören, sondern auch einmal davor schauen. Auf die Frage, warum denn Klagelied, bekommt man so schnell eine Antwort. Direkt vor unserer fröhlichen Morgengnade finden sich Zeilen, die es in sich haben:

Ich bin der Mann, der Elend sehen muss
durch die Rute seines Grimmes.
Er hat mich geführt und gehen lassen in die Finsternis
und nicht ins Licht.
Er hat seine Hand gewendet gegen mich
und erhebt sie gegen mich Tag für Tag.
Er hat mir Fleisch und Haut alt gemacht
und mein Gebein zerschlagen.
Er hat mich ringsum eingeschlossen
und mich mit Bitternis und Mühsal umgeben.
Er hat mich in Finsternis versetzt wie die,
die längst tot sind.
Er hat mich ummauert,
dass ich nicht herauskann,
und mich in harte Fesseln gelegt
.“

So geht es über insgesamt 21 Verse bis sich dann der Ton wendet und es schließlich heißt: Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“ Das Lied, was hier gesungen wird, klingt als Ganzes etwas anders. Tatsächlich haben wir es mit einer engen Verzahnung von ergreifender Klage und Trostworten zu tun. Im hebräischen Original bilden alle Abschnitte des Klageliedes eine Einheit. Es ist ein Alphabetgedicht, dessen Verse in einer kunstvollen po- etischen Form zusammenwirken. Das eine kann man nicht vom anderen lösen. Manches Mal und so auch hier merke ich auf, wenn ich das Häppchen betrachte, das aus den Bibeltexten als Predigttext herausgeschnitten wurde. Und frage mich, ob das so sinnvoll ist. Vielleicht wollte man es für uns verdaulicher machen. Schöne, tröstende Worte sind gefragt, - die kla- genden davor klammert man aus. Ist das eigentlich eine gute Idee? Wie ist das, wenn ein Mensch Trost braucht? Wie soll ein Mensch echten Trost finden, wenn er nicht klagen darf? Oder andersherum: Wie kann ein trauriger Mensch - von mir, von Ihnen - getröstet werden, wenn wir nicht auch seine Klage anhören?

Es gibt da einen kleinen Witz zum Thema: Treffen sich zwei Staatsanwälte, fragt der eine: Wie geht ́s? Der andere: Kann nicht klagen! - Der erste wiederum: Was, so schlimm?

„Kann nicht klagen!“ Das ist so eine norddeutsche Redewendung, ein Spruch eines bescheide- nen Menschen, dem es im Grunde genommen gut geht, der aber damit nicht prahlen möchte. Schön für ihn oder sie. Es ist aber auch okay, wenn man etwas zu klagen hat, dies auch zu tun. Aus mehreren Gründen. Zum Einen: Wer klagt, der rechnet damit, dass sich etwas ändern kann. Er rechnet mit einem guten Ausgang. Er hat den Anspruch an die Situation, dass sie sich zum Guten wende. Er rechnet mit Unterstützung! Er zieht - wenn es gut geht - aus der Klage die Kraft, die Ärmel hochzukrempeln, um seinen Beitrag zu leisten. Das ist der Unterschied zum Jammern. Der Jammerer hat Freude am Rumgejammer und möchte im Grunde gar keine Veränderung.

Es ist okay, wenn man etwas zu klagen hat, dies auch zu tun. Ein weiterer Grund spricht dafür: Es tut einfach gut, einer vertrauten Person mal richtig die Ohren voll zu heulen, alles abzula- den. Das mutet man nicht jedem zu. Wohl dem, der einen Vertrauten hat, bei dem das möglich ist. Bei dem man sich fallen lassen kann, nicht stark sein muss. Keine Fassade aufrechterhalten muss. Wohl dem, der eine Vertraute hat, die selbst stark genug ist, mein Leid mitzutragen, mich zu ertragen. Das ist so tröstlich. So ein Vertrauter ist für den Beter unseres Klageliedes: Gott. Ihm kann man alles zumuten. Ihm mutet er alles zu. Ihn selbst klagt er an. Und doch: Gottes Ohren, sein Herz, dabei immer offen, immer freundlich zugewandt. So hat es der Beter empfunden. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt.

Sich einem guten Herz anzuvertrauen, ist eine Sache, intim, persönlich. Sie hat ihren Raum im Gespräch unter vier Augen, im stillen Gebet. Es gibt auch die gemeinsame öffentliche Klage. Das hat man in Leipzig Anfang des Jahres in einem ökumenischen Gottesdienstprojekt ver- sucht. Ich habe Bilder davon im Netz gefunden: In der katholischen Propsteikirche stapeln sich vor dem Altar rote Hohlziegel. In deren Öffnungen stecken kleine Zettelchen. Menschen ha- ben darauf ihre Nöte geschrieben und sie in die "Klagewand" gesteckt. Ebenso in der evange- lischen Peterskirche wenige hundert Meter entfernt. Das Ritual lässt an die Klagemauer in Jerusalem, an die jüdische Tradition denken. Im wöchentlichen Wechsel fand in beiden Kir- chen über 10 Wochen immer freitags eine "Klagezeit" statt. Per Livestream und Chatfunktion konnte jeder daran teilnehmen und seine Worte mit einbringen. Hier wurde der Wert der Klage erkannt. Und sie hat ein eigenes Format bekommen. Wie in unserem kunstvoll kompo- nierten biblischen Klagelied. Auch das ist eine Möglichkeit: Die Klage in eine Form zu gießen, ihr einen Ort und eine Zeit zu geben. Sie ernst zu nehmen, gleichzeitig nicht ausufern zu lassen und ertragbar zu machen.

Für viele findet das persönliche Klagelied seinen Platz, seinen Ort und seine Zeit im Abendge- bet. Da kommen auch manchmal Tränen, und man mag sich gar nicht dem Schlaf hingeben. Gut kann ich mich erinnern, wie ich als Kind schließlich doch weinend und vor Erschöpfung eingeschlafen bin. Irgendwann schläft man immer ein. Und dann passiert mitunter über Nacht eine wunderbare Verwandlung. Der Morgen kommt, man erwacht, und irgendwie, ist alles leichter. Die Probleme sind nicht weggewischt, nein, das könnte keiner behaupten. Aber sie fühlen sich kleiner an, leichter. Ich selbst bin leichter geworden. Das Morgenlicht hat mich geweckt. Der Kaffee duftet, der Frühstückstisch ist gedeckt. Ich öffne die Fenster und spüre die kühle Morgenluft. Ich spüre eine neue Kraft in mir wachsen. Gottes frische Morgengnade hat mich ergriffen. Gottes Treue hat mich neu gefunden. In dieser Nacht, an diesem Morgen: Ich habe nichts gemacht und nichts geleistet. Und doch spüre ich diese neue Kraft, in die Welt zu gehen und mich der Welt zu stellen. Gottes Gnade: Sie reicht vom Morgen bis zum Abend, im Leben und über unser Leben hinaus.

All Morgen ist ganz frisch und neu
des Herren Gnad' und große Treu;
sie hat kein End' den langen Tag,
drauf jeder sich verlassen mag.

Zu wandeln als am lichten Tag,
damit, was immer sich zutrag,
wir steh'n im Glauben bis ans End'
und bleiben von dir ungetrennt.

Amen.

Wann beginnt eigentlich der neue Tag? Als Grundschulkind war für mich die Sache relativ klar. Meine Mutter weckte uns, in dem sie die Tür zu den Kinderzimmern öffnete und rief: Aufstehen, Schule! Das war das Signal. Als ich dann selbst Mutter wurde, patschte mir manchmal eine Kinderhand fröhlich ins Gesicht. Halb sechs. Das Baby ist munter! Der Tag beginnt. In der Winterzeit, so wie heute, beginnt der Arbeitstag nicht selten im Dunkel. Da fällt einem das Aufstehen schwer. Ein neuer Tag, da sollte es hell sein, finde ich! Licht macht mich munter. Wann beginnt eigentlich der neue Tag genau? Im Judentum gibt es eine ganz eigene Sicht auf die Frage: Der neue Tag beginnt immer am Vorabend. Schabat, der heilige Feiertag der Woche dauert von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Eintritt der Dunkelheit am folgenden Samstag. Das ist ja erstaunlich, habe ich gedacht, als ich davon zum ersten Mal hörte. Meine Sicht auf die Zeiteinteilung hielt ich für unverrückbar, für gegeben, ich hielt sie für wahr. Sollte ein Tag vielleicht auch wann ganz anders beginnen können? Eine vergleichbare Tradition zur jüdischen Vorstellung finden sich bei uns Christen in der Heiligen Nacht, die wir am Vorabend von Weihnachten feiern.

Bleiben wir erst einmal beim frühen Morgen. Am schönsten beginnt man sein Tagwerk natürlich ausgeschlafen, nach traumlosem, ruhigem Schlaf. Aber nicht wenige unter uns kennen auch die anderen Nächte. Solche, die sich unendlich ziehen. Man liegt wach und lauscht in die Stille. Wann wird es endlich dämmern? Sorgen halten einen wach. Knochen schmerzen. Grübelnde Gedanken kreisen. Wieviel Uhr mag es sein? Eine Autotür klappt, eine Turmuhr schlägt. Erst 4 Uhr, oder schon 5? Ein Lichtstreif unter dem Rollo. Die Dämmerung wird herbei gesehnt. Das aufgehende Licht ist wie ein Kipppunkt, der ein neues Leben einleitet.

Jochen Klepper hat in seinem Gedicht „Die Nacht ist vorgedrungen“ genau diese Zeit, solch eine Zwischenzeit beschrieben. In der eine Wende fällt, ein Kipppunkt zwischen Nacht und Tag. Ein „In-der-Nacht-sein“ und gleichzeitig schon den Tag spüren. Sein Gedicht wurde von Johannes Petzold vertont und ist für diesen Sonntag als Lied des Tages vorgeschlagen. Im Gesangbuch die Nummer 16. Lassen Sie uns gemeinsam die ersten beiden Strophen singen, Strophe 1+2.

1) Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern!
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.

2) Dem alle Engel dienen,
wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen
zur Sühne für sein Recht.
Wer schuldig ist auf Erden,
verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden,
wenn er dem Kinde glaubt.

Wann beginnt eigentlich der neue Tag? Es ist wohl so, dass man es nicht genau wissen kann. Schon gar nicht, bevor es tatsächlich passiert. Klepper nimmt uns in seinem Gedicht erst einmal ganz tief in diese Nacht mit hinein. Die Nacht ist vorgedrungen, das hört sich für mich nach tiefster Finsternis an. Es ist ein Bild für eine Lebenssituation, in der sich ein Mensch hilflos und ohnmächtig empfindet. Der Moment, in dem man nur noch schwarzsieht und keinen Ausweg mehr weiß. Für Klepper war es das Dunkel des nationalsozialistischen Unrechtsregimes, das ihn selbst, seine jüdische Frau und seine Stieftochter verfolgt hat. Aber schon im zweiten Halbsatz „der Tag ist nicht mehr fern“ öffnet Klepper einen Horizont, in einen neuen Tag hinein! Wie ist das möglich? Das Weihnachtsgeschehen, der Stern von Gottes Geburt, der helle Morgenstern, leuchtet in dieser Dunkelheit hinein. Die Engel, das Kind im Stall: Gott wird Mensch, ist bei uns auf Erden: Die Erinnerung an das Weihnachtsgeschehen gibt ihm Trost und Hoffnung. Ganz tief ins Dunkel hineinsteigen, und im Glaubenslicht in den neuen Tag zu treten: Das ist das Motiv des Liedes.

Ich denke an die menschliche Erfahrung, dass es mitunter ganz tief unten nach unten geht, vielleicht gehen muss, bevor es auch wieder aufwärts gehen kann. In dieser Zwischenzeit, dieser Zeit zwischen Depression und neuem Lebensmut passiert etwas. Es geht einem sozusagen ein Licht auf. So kann es nicht weitergehen. Vielleicht waren Sie selbst einmal in einer solchen Lage. Vielleicht während einer Beziehung. Oder im Beruf. Da ist ein Mensch chronisch überfordert. Aber er hat das Gefühl, den Erwartungen des Partners und der Gesellschaft entsprechen zu müssen. Er oder sie hat das Gefühl, es irgendwem schuldig zu sein. Macht weiter, hält durch und hofft, dass es irgendwie von selbst besser wird. Bis es dann nicht mehr weitergeht. Manchmal ist es eine Krankheit, ein einschneidendes Ereignis, was einen zur Besinnung bringt. Man besinnt sich darauf, was einem wirklich wichtig ist und gut tut. In der vorher ausweglosen Situation zeigen sich im neuen Licht plötzlich ganz neue Möglichkeiten. Jochen Klepper sieht die Weihnachtsbotschaft als Versprechen Gottes, dass unser Leben in aller Tiefe immer eine Chance hat, heil zu werden. Wir singen die Strophen 3+4.

3) Die Nacht ist schon im Schwinden,
macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden,
das aller Zeiten Lauf
von Anfang an verkündet,
seit eure Schuld geschah.
Nun hat sich euch verbündet,
den Gott selbst ausersah.

4) Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.

Schwierige Lebenssituationen lösen sich nicht selten zum Guten auf. Gott sei Dank! Doch das Happy End ist kein Dauerzustand. Noch manche Nacht wird fallen. Das Leben zeigt sich als ein Auf und Ab von Traurigkeiten und freudigen Erlebnissen und. Nicht selten liegen sie kurz hintereinander, oder sogar übereinander und ineinander verwoben. Bangen und hoffen, weinen und lachen. Wie es auch kommt, eines ist sicher: Der Stern der Gotteshuld begleitet unsere Lebensreise. Eine Wende zum Guten ist jederzeit möglich.

Zeit zwischen Nacht und Tag. Eine solche Wendezeit ist im Kirchenjahr der Advent. Wir richten uns neu aus, hin zum Licht von Betlehem, zum Kind in der Krippe. Eine Wende hin zum guten Auskommen mit sich selbst und mit seinen Mitmenschen. Dafür ist der Advent die richtige Zeit. Viele Menschen spüren das. Sie schmücken ihre Wohnungen, sie hängen Lichterketten auf und stellen Leuchtbögen in die Fenster. Man mag es belächeln, aber ich habe beschlossen, mich schlicht daran zu freuen. Denn hinter der Dekoration steht auch der Wille, die Welt etwas schöner und besser zu machen. Nicht nur für sich, auch für die anderen. Wenn ich bedenke, dass immer wieder Menschen mich im Advent mit Keksen und Karten und kleinen Geschenken bedenken, oftmals steht noch nicht einmal der Name an den Päckchen. - Nicht umsonst ist der Advent die Zeit der Spenden. Im Pandemiejahr 2020 stiegen die Spendeneinnahmen besonders stark. Die Deutschen haben unglaubliche 5,4 Milliarden Euro gespendet. (Das ist das zweitbeste Ergebnis seit Beginn der Erhebung.) Am meisten gespendet wurde in den Monaten des Lockdowns und - im Dezember. Eine Lebenswende hin zum Guten. Das wünsche ich mir für Sie, für mich. Für unser Land. Gerade auch in diesem „Corona-Advent“. Ich wünsche mir, dass die neue Bundesregierung Kraft findet, die Jahrhunderthemen Klimaschutz und Soziale Gerechtigkeit anzupacken. Ich wünsche mir, dass es gelingt, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Ich wünsche mir mehr Impfstoff und mehr Impfwillige und Achtung für Andersdenkende. Und ich wünsche uns allen die Erkenntnis, dass es letztlich nicht unser eigenes Licht ist, das die Welt bescheint, sondern Gottes Licht. Lassen Sie uns die Letzte, die 5. Strophe singen:

5) Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt.
Als wollte er belohnen,
so richtet er die Welt.
Der sich den Erdkreis baute,
der lässt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute,
kommt dort aus dem Gericht.

Auch in der letzten Strophe lässt Klepper nicht ab von seinem zentralen Motiv: Hineinbegeben in das Dunkle und gleichzeitig dort ein Licht entzünden. Gott will im Dunkeln wohnen. Ein starker Satz! Gott will gerade bei denen sein, denen es schlecht geht und die verzweifelt sind. Wenn Gott dort wohnen will, dann müssen wir - im Advent! - auch da rein gehen und unsere Augen nicht verschließen! Gott wohnt bei den Ausgebrannten, bei den Obdachlosen unter der Brücke und er wohnt in den Flüchtlingslagern auf Lesbos und an der Grenze von Belarus und Polen. Gott als Mitbewohner ist kein tatenloser. Alle Menschlichkeit, die in diese Situationen hineingetragen wird, ist ein Licht Gottes, das das Leben erhellt. Jedes Stück Brot, jedes gute Wort ist ein Stück Brot aus Gottes Hand, ist ein Wort aus göttlichem Mund, ist ein Engel, der in die Tiefe der Nacht tritt und spricht: Fürchte dich nicht!

Wann beginnt er denn nun, der neue Tag? Für mich? Vielleicht jetzt? Vielleicht gerade jetzt! Ja, dann möchte ich es nicht verpassen. Dann muss ich jetzt unbedingt, ja, Schluss machen. Und hinabsteigen von der Kanzel. Singen. Eine Kerze anzünden. Den alten Onkel nicht vergessen! Mich selbst nicht vergessen. Ich wünsche Ihnen einen frohen, einen leuchtenden Advent! Amen.

Als Wissende wurden sie bezeichnet. Viel hatten sie sich angeeignet. Sie hatten gelernt und geforscht, gelesen und nachgedacht. Ihr Wissensdurst war unerschöpflich. Doch dann ein Rätsel. Konnte es möglich sein? Sie schauten in den Himmel, es war ganz deutlich. Gestern war er noch nicht da und heute überstrahlte er alles. Ein neuer Stern! - Sie mögen Freunde/Kollegen gehabt haben, ebenso wissbegierig, ebenso gelehrt. Doch diese blieben in ihrem Hamsterrad der alltäglichen Gewissheiten. Sie nicht! Sie, die drei Weisen aus dem Morgenland. Packten ihre Sachen und machten sich auf den Weg. Folgten dem Stern. Wussten nicht, wohin der Weg sie führen würde, wann sie ankommen würden oder ob überhaupt.  Es drängte sie, dem Geheimnis hoch am Himmel auf die Spur zu kommen. Nichts konnte sie auf ihrem Weg aufhalten.

Liebe Brüder und Schwestern! Die drei Weisen, die nichts weiter hatten als den Stern am Himmel und eine alte Prophezeiung, erreichten ihr Ziel. Ohne Sicherheitsnetz, ohne einen Beweis, dass ihr Vorhaben auch Erfolg haben würde, gingen sie dem Geheimnis nach. Sie erreichten ihr Ziel, sie fanden das Kind, doch war damit alles klar? Was für ein geheimnisvolles, unerklärliches Geschehen! Gott wird Mensch. Gott kommt zu uns - als Kind - in einem Stall, bedürftig und gleichzeitig mit aller Macht versehen. Alles das ist auch für uns noch ein Geheimnis. Wer könnte das mit seinem Verstand erfassen? Und wie können wir davon erzählen?

Paulus schreibt dazu an die Gemeinde in Korinth (Kapitel 2, die Verse 1-10):

1Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. 2Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. 3Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, 5auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. 6Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. 7Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« 10Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.

Wissen oder Glauben, liebe Schwestern und Brüder? Neben dem Geheimnis, was verborgen und doch offenbart ist, bringt Paulus ein weiteres Thema zur Sprache: die Weisheit, Menschenweisheit. Andere Worte für diesen Begriff wären: Bildung, Wissen, Gelehrtheit, aber auch Erfahrung und Erkenntnis. Ich denke, die meisten unter uns sind stolz und froh, eine Schulbildung erhalten zu haben. Dazu meist eine Ausbildung, vielleicht konnten Sie auch studieren. Für mich jedenfalls ist Bildung ein wichtiges Thema. Ursprünglich bin ich Naturwissenschaftlerin, geübt in Logik, Zahlen, Struktur, Beweisen und Nachweisen. Dieses Denken prägt bis heute meine Wahrnehmung der Welt. 

Für Paulus hat im Glauben alles Wissen der Welt keine Bedeutung. Auch nicht das Super-Spezialwissen, das die Herrscher der Welt vorgeben zu haben. All diese Herrscher werden früher oder später verschwinden. Ob wir sie mögen oder nicht, gewählt oder verflucht haben: Die Obamas, die Trumps, sogar Helmut Kohl, der ewige Kanzler meiner Kindheit und eine Angela Merkel: Sie vergehen, und mit ihnen ihre Erfahrung. Herrscher vergehen, das Wissen der Welt vergeht. Was ist mein Wissen über Schule oder über die Berufswelt noch wert angesichts der rauschenden Veränderungen, in der unsere Kinder bestehen müssen. Paulus findet, man sollte sich nicht zu viel auf sein Wissen einbilden. Allein Jesus Christus ist es, woran er sich festhält. Jesus Christus, der Gekreuzigte. Treu bis in den Tod hinein und darüber hinaus. 

Wer kann das verstehen? Ein Gelehrter oder vielleicht eher - ein Kind? Mir kommt da Mattes in den Sinn. Mattes, ein Freund meines Sohnes, saß als Fünfjähriger bei uns am Frühstückstisch. Ostern stand kurz bevor und Mattes hatte eine Erkenntnis, die er uns Cornflakes kauend und so ganz im Nebenbei mitteilte: O-Ton Mattes: Wisst ihr was: Sie haben ihn umgebracht. Und jedes Jahr steht er wieder auf!  - Hmh. Okay?! Meine Einwände angesichts dieser Kindertheologie habe ich runtergeschluckt. Jedes Jahr, na ja, das kann man so nicht sagen. Das musst du so verstehen:… Nein, lieber nichts sagen. Und staunen. In einem Satz zusammengefasst: Passion und Auferstehung. Sie haben ihn umgebracht. Keine hohen Worte. Und jedes Jahr steht er wieder auf! Keine große Rhetorik. Diese Vorstellung erschien Mattes gewaltig und gleichzeitig war es für ihn beruhigend.

Schwach und unwissend wie ein Kind stellt sich Paulus da. Ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern. Dabei war er ein hochgebildeter, vielsprachiger, weitgereister Mann. Ebenso wie die Weisen hatte er sich aufgemacht, das Geheimnis zu ergründen und davon in aller Welt zu berichten. Bildung hat er nicht grundsätzlich verachtet. Es war wohl die Erkenntnis, klein zu sein angesichts der Größe seiner Aufgabe. Demütig fühlte er sich angesichts der Bedeutung und des Inhaltes der Botschaft. Nie würde er alles verstehen können. Nie würde er alles so rüberbringen können, dass ihn die Welt verstünde. Gutes Aussehen, kluge Worte und geschliffene Rhetorik: Das war es nicht, was er mitzubringen hatte. Er kam mit einen gewichtigen, starken Inhalt. 

In einer Welt, in der eine gelungene Selbstdarstellung so viel bedeutet, ist das auch heute eine Besonderheit. Klar, die Stars und Sternlein werden überwiegend für ihre Optik bezahlt. Für das perfekte Outfit und den flotten Spruch. Aber auch in anderen Bezügen ist eine gefällige Oberfläche und Rhetorik gefragt. Nicht zuletzt in der Ausbildung von Pastoren und Prädikantinnen. Liturgische Präsenz nennt man das. Ja, auch ich mag das. Ein sympathisches Äußere ist mir angenehm, die gesetzte Rede gut zu hören. Aber was ist mit dem Inhalt, dem Gehalt der Aussagen? Früher oder später werden wir doch am Inhalt unserer Aussagen gemessen. Ich finde, es ist ein gutes Zeichen für unsere Gesellschaft, wenn sich bei uns immer wieder leitende Politikerinnen oder prominente Wissenschaftler dem Druck der perfekten Selbstdarstellung entziehen. Sie erscheinen mit den ewig gleichen Klamotten oder einer unmöglichen Frisur vor der Kamera, und erklären in eintönigem, unaufgeregtem Tonfall ihre Position. Meist sind das die gleichen Personen, die auch erkennen, wo ihre Grenzen sind und die gehen, wenn ihre Zeit abgelaufen ist. 

Wer Inhalte vertritt, wer wirklich etwas weiß und Gewichtiges zu sagen hat, der kennt auch die Grenzen seines Wissens. Des Wissens überhaupt. Der erkennt auch, dass man irgendwann mehr braucht als Menschenweisheit. Nämlich: Vertrauen, Hoffnung, Glaube, Liebe, auch Vergebung. Denn das passiert auch immer wieder. Man stößt mit all seiner Weisheit und Lebenserfahrung an seine Grenzen. Ich bin mit meinem Latein am Ende. Da gibt es keine Daten und Fakten mehr, die mir weiterhelfen und keine Prognose, die verlässlich ist. Meine Jahresplanung und vielleicht sogar meine Lebensplanung sind hinfällig. An so einem Punkt im Leben kommen die meisten irgendwann. Es ist dann wunderbar zu erfahren, dass hier nicht Schluss ist. Sondern, dass das, was Gott uns zugesprochen hat, weiterhin gilt. 

Ich bin bei dir alle Tage bis ans Ende der Welt. 

Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.

Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.

Sei getrost, deine Sünden sind vergeben.

Ich muss gar nicht alles wissen und auch gar nicht so tun, als ob ich etwas wüsste. Fehler unterlaufen mir immer wieder. Das gehört zu mir und darf so sein. Und trotz allem und gerade deswegen erfahre ich Liebe und Zuwendung. Und bin selbst in der Lage, Zuwendung zu geben. Ich erkenne, dass Gottes Liebe ein wunderbares Geheimnis ist, das mir nicht völlig verborgen ist, sondern sich zeigt. Ganz vorsichtig lüftet sich der Vorhang, hin und wieder. Paulus erklärt uns am Ende seines Briefes noch einmal dieses Geschehen:

12Jetzt sehen wir alles nur wie in einem Spiegel und wie in rätselhaften Bildern. Wenn ich jetzt etwas erkenne, erkenne ich immer nur Bruchstücke, einen Teil des Ganzen. Aber eines Tages werden wir ´Gott` von Angesicht zu Angesicht sehen; dann aber werden wir alles so erkennen, wie Gott uns jetzt schon kennt.

Bruchstücke kannten auch nur die drei Weisen aus dem Morgenland. Weise Männer waren sie, denn sie waren sich ihrer Unwissenheit bewusst. Sie hatten nichts weiter als einen Stern und eine alte Verheißung. Sie vertrauten den alten Worten und gingen voran. Tatsächlich wissen wir schon mehr als die Weisen damals. Wir wissen wie die Geschichte weitergeht mit Jesus. Vieles bleibt uns weiterhin verborgen. In vielem bleiben wir unwissend und schwach. Das muss uns nicht sorgen. Denn die allumfassende Erkenntnis ist da, wo sie hingehört. Geborgen bei Gott, im Geheimnis des Glaubens. Amen.

Liebe Gemeinde, die Bibel ist ein richtig dickes Buch. Tatsächlich sogar ein Sammelband von 66 Büchern, geschrieben von unterschiedlichen Autoren. Um sie durchzulesen braucht es Wochen, wenn nicht ein ganzes Jahr. Am Ende hat man vieles wieder vergessen, verstanden hat man wenig. Man muss aber nicht verzweifeln, im Gegenteil. Es gibt Texte, die sind wichtiger als andere. Zentrale Texte des Christentums. Dazu gehört zweifelsohne die Bergpredigt. Da steht eigentlich schon alles drin. Und es gibt Texte aus der Bergpredigt, die sind schöner als andere. Man kann sie selbst lesen, oder man kann sie sich vorlesen lassen. Das möchte ich jetzt gerne für Sie tun. Matthäus 5. Kapitel, die Verse 1-10: Als er aber das Volk sah, ging er auf einen Berg. Und er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf, lehrte sie und sprach: Selig sind die Armen im Geiste, denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden. Selig sind die Machtlosen, denn sie werden das Land erben. Selig sind die Hungernden und Dürstenden nach Gerechtigkeit, denn sie werden satt werden. Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erfahren. Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. Selig sind die Frieden schaffen, denn sie werden Söhne (und Töchter) Gottes heißen. Selig sind die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn das Himmelreich gehört ihnen. Acht Seligpreisungen sind es, die zusammengehören. Für meine Ohren klingen die Worte klar und gleichzeitig geheimnisvoll. Zart und kraftvoll zugleich. Wie ein Gedicht. Gedicht: Verdichtete Sprache ist es tatsächlich, gar nicht weiter zu kürzen. Manche Theologen nennen sie Telegramme, das klingt für mich aber zu nüchtern. Ich bin mir sicher, sie sollen ins Ohr gehen und ins Herz treffen, ein Ohrwurm, den man nicht vergessen kann. Die Seligpreisungen stehen ganz am Anfang der Bergpredigt. Jesu wichtigste öffentliche Rede. Sie sind wie eine Präambel zu allem, was dann folgt. Und in der Bergpredigt folgt Bedeutsames: Die Anleitung zum Beten, das Vaterunser, zum Almosengeben, zur Vergebung, zur Feindesliebe. Eine lange Anweisung zum ethisch richtigen Leben. Davor, vor allen diesen Lebensregeln, hört man einen anderen Ton: Selig sind die Armen, denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig sind die Trauernden, selig die Machtlosen, die Hungernden und Dürstenden, selig die Barmherzigen, die reinen Herzens, die Frieden schaffen, selig die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten. Ein achtfaches Selig. Was bedeutet dieses Wort? Luther hatte damit einfach nur glücklich gemeint, so war der Sprachgebrauch zu seiner Zeit. So wie ein Kind selig lächeln oder selig 2 schlafen kann. Es war damit keine religiöse Aufladung verbunden und keineswegs war eine Sphäre nach dem Tod gemeint, wie bei dem Wort Seligsprechung. Ganz genau übersetzt müsste man sogar sagen: Zu beglückwünschen sind die Armen, zu beglückwünschen sind die Trauernden, denn das Wort im griechischen Originaltext (Makarios) ist eine gebräuchliche Gratulationsformel. Jetzt müsste eigentlich der erste Widerstand kommen, von Ihnen, von mir, von jedem, der das hört: Denn was kann das bedeuten: Zu beglückwünschen sind die Armen? Ist das nicht zynisch? Diese Irritation lassen wir stehen. Ich bleibe bei Luthers selig. Selig sind die Armen im Geiste, denn ihnen gehört das Himmelreich. Das ist der wichtigste Vers der Seligpreisungen. So wie die Seligpreisungen die Präambel für die Bergpredigt ist, so ist dieser erste Vers der wichtigste Satz, die Überschrift für alle folgenden Verse. Denn es geht Jesus um diese Armen. Ganz sicher sind alle anderen Gruppen, die im Folgenden genannt werden, Arme: Die Trauernden, die Machtlosen, die Hungernden, sind arm. Das ist zunächst im wirtschaftlichen Sinn gemeint. Armut war Alltag in Palästina zur Zeit Jesus. Die Gruppe, griechisch: Ptochos, die Jesus anspricht, sind die Allerärmsten. Es sind Bettler, Sklaven, körperlich und psychisch Behinderte, chronisch Kranke, Witwen, verwaiste Straßenkinder. Menschen, die nichts besitzen außer dem einfachen Gewand am Leibe. Menschen, die keinen Grund und Boden haben, um sich selbst zu versorgen, kein Handwerk ausüben können. Bettelarme Gestalten, die unbedingt auf die Hilfe und die Almosen anderer angewiesen sind. Sie sind nicht nur wirtschaftlich arm, sondern auch seelisch verwundet. Denn Armut führt schließlich zum Verlust der Selbstachtung, der Perspektive und letztlich auch der Lebensenergie. Diese fehlende Lebenskraft, das eigene Leben aktiv zu gestalten, das ist gemeint mit „Armen im Geiste“. Die Bedeutung dieser Formulierung „Armen im Geiste“ ist immer wieder falsch verstanden worden. Es geht ausdrücklich nicht um verminderte Intelligenz, auch nicht um solche Menschen, die Gottes Geist nicht erreicht. Esgeht um vom Leben geschlagene Menschen, um die, die alles, auch ihre Lebensfreude, ihren Antrieb verloren haben. Auch in den folgenden Versen geht es um sie. Die Trauernden sind nicht nur einfach traurig, sie trauern, weil sie einen Menschen verloren haben. Der Tod ist alltäglich in der Armut. Die Kindersterblichkeit ist hoch, die Lebenserwartung niedrig. Arme haben viel zu oft Grund zum Trauern. Der Tod des Ernährers verschärft die Armut. Ein Teufelskreis. Die Menschen fühlen Ohnmacht. Dass sie hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, das ist nur allzu verständlich. Jesus stellt also diese Gruppe in den Vordergrund. Er schaut nicht weg, er schiebt nicht beiseite, er schiebt sie nicht ab, er holt die Menschen hervor aus dem Dreck und weg von der Straße und macht große Zusagen: Ihnen gehört das Himmelreich! Sie werden getröstet werden! Sie werden das Land erben! Sie werden satt werden. Satt! Ich denke an die ausgemergelten Gestalten, die Geiseln, die die letzten Wochen von der Hamas herausgegeben wurden. Satt. Das waren sie seit Jahren nicht geworden. Täglich gefangen in dunklen Tunnel, der Erniedrigung und dem Hunger ausgesetzt. Gerechtigkeit! Das ist ihr Verlangen. Trost! Eine der Geiseln hat seine Frau und zwei kleine Kinder in der Geiselhaft verloren. Wer vermag diesen Mann zu trösten? Jeder menschliche Trost ist kümmerlich und ungenügend. 3 Hunger und Armut: Denken wir an die Kinder im Gazastreifen, ohne Wohnstatt, ohne sauberes Wasser und ausreichend Nahrung, ohne Krankenversorgung. UNICEF sammelt aktuell Spenden für die Versorgung dieser Menschen, fürs Allernötigste, Wasser, Decken, PolioImpfstoff, Essen. Sie werden das Land erben, sagt Jesus. Welches Land, möchte man fragen, wohin sollen sie? Ich habe meinen Assoziationen spontan freien Lauf gelassen. Mir sind die Geiseln in den Sinn gekommen, wahrscheinlich Juden. Und Palästinenser, wahrscheinlich Muslime. Gilt denn der Blick der Seligpreisungen auch ihnen?Der Theologe Professor Siegfried Zimmer hat zu den Seligpreisungen drei Beobachtungen herausgestellt, die ich Ihnen weitergeben möchte. Prüfen Sie selbst im Text! Die erste Beobachtung: Die Weite des Textes, sein Horizont. Jesus war ein Jude, aber diese Worte haben nichts jüdisch nationales, nichts Regionales. Sie sind auch interreligiös zu verstehen. Es geht nicht um Kirche, Gemeinde, nicht um Jünger. Es ist eine weltweite Sprache. Arme, Trauernde, Machtlose und Hungernde sind weltweit verbreitet. Die Seligpreisungen sind nach Zimmer mehr als ein christlicher Text, sie sind ein Menschheitstext. Die zweite Beobachtung: Hier gibt es keine Ermahnung, keinen Apell, keine Aufforderung. Die Seligpreisungen leben ausschließlich von der Zusage: Ihr werdet Barmherzigkeit erfahren, euch gehört das Himmelreich, ihr werdet getröstet werden, ihr werdet satt. Die dritte Beobachtungen: Alle diese Zusagen haben keinerlei Bedingung. Sie gelten unbedingt, bedingungslos. Es sind keine Belohnungen für Wohlverhalten. Es heißt gerade nicht: Selig sind die Trauernden, denn sie werden getröstet werden, sofern sie Jesus nachfolgen. Oder sofern sie die Gebote halten. Oder an Jesus als Gottes Sohn glauben. Die Beziehung der Menschen zu Jesus oder Gott hat keinen Einfluss auf die Zusage. Die Zusage gilt allen Menschen, einschränkungslos, egal, ob es Juden, Buddhisten, oder unreligiöse Menschen sind. Sie nehmen keinerlei Bezug auf Nationalität oder Religionszugehörigkeit. Sie gelten allen Trauernden, allen Machtlosen. Die Zusagen sind unverdiente, überraschende, schöpferische, beglückende Worte ohne jede Einschränkung und Verengung. Das muss man erst einmal sacken lassen. Jesus hat revolutionäre Worte gesprochen, die ihresgleichen suchen. Er hat die untersten nach oben geholt und ins Licht gestellt und alle religiösen und gesellschaftlichen Grenzen durchbrochen. Ich habe zunächst über die vier ersten Verse gesprochen. Sie bilden die erste Strophe. In der Bibelwissenschaft wurde erkannt, dass die Seligpreisungen die Struktur von zwei Strophen haben. Wie in einem Lied. Die ersten vier Verse gehören zusammen und die Verse fünf bis acht. In der ersten Strophe geht es um die Menschengruppe, die unfreiwillig in eine schlechte Lebenssituation gestürzt wurde. Die zweite Strophe leitet über zu denen, die angesichts dieser Situation handeln. Die Barmherzigen, die reinen Herzens sind, die Frieden schaffen, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten. Zunächst wird das Leid gesehen. Zunächst wird wahrgenommen: der Hunger, die Trauer. Ohne eine Sensibilität für das Leid kann nicht gehandelt werden. Es geht nicht um schnelle Vertröstungen, nicht um ein Kopf hoch, wird schon wieder, du schaffst das schon. Es wird genau hingesehen und das Leben der Geschlagenen ernst genommen. Das alles geht nur mit einer Haltung der Barmherzigkeit. Die Barmherzigkeit steht über allem, sie leitet die zweite Strophe ein und ist zugleich der Leitgedanke. Ethik beginnt immer mit Barmherzigkeit. Ohne Barmherzigkeit ist jedes ethisch richtige Handeln nichts. Wer nicht ein Herz hat, das sich erbarmt, wer sich nicht rühren lässt von dem Anblick der Gebeugten, der kann auch nicht helfen. Gottes erste Eigenschaft ist Barmherzigkeit. Jesus zitiert später, im 9. Kapitel Matt: “Barmherzigkeit will ich, keine Opfer". An dieser Stelle komme ich zum Ende. Die letzten Verse, die großen Worte Frieden und Gerechtigkeit, die überfordern diese kleine Predigt. Bleiben wir bei Barmherzigkeit. Barmherzigkeit scheint mir kein Zustand zu sein, sondern eine Übung. Wenn wir auf Arme schauen, und uns in Barmherzigkeit üben, dann wäre viel geschafft. Und Übung ist nötig, jeden Tag ein bisschen mehr, ein Training wie im Sport. Keine Verurteilung, sondern Barmherzigkeit. Wohnungslose, Barmherzigkeit. Suchtkranke, Barmherzigkeit. Hinsehen, hinfühlen, Barmherzigkeit üben. Vielleicht schaffen wir es ja, in diesem Jahr, unser barmherziges Handeln zu verdoppeln. Das wäre eine Aufgabe. Und dann bricht sie an, diese Welt, in der sich das Himmelreich ein Stück mehr verwirklicht. Können wir die Verse der Seligpreisungen verstehen? Sicher nie ganz, doch immer ein Stückchen mehr. Ihr Geheimnis geben sie nicht vollständig frei. Die Worte sind ein funkelnder Schatz. Für alle Menschen, auch für mich. Auch für Sie. Amen.

Predigten vom Geistlichen Vizepräsidenten i.R. Arend de Vries

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. 

Wir hören den Predigttext für den Sonntag Invokavit, dem ersten Sonntag der Passionszeit, aus dem 2. Korintherbrief des Paulus: 

Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt.
Denn er spricht: »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! 

Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber alle- zeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben. 

Liebe Gemeinde, 

Die Farbe der Passionszeit ist das Violett. Blau ist darin und rot.
Das Göttliche und das Menschliche.
Das Meer ist blau und vor allem der Himmel. Weit und groß. Ich kann ihn nicht erfassen, wenn ich nur eben einmal nach oben schaue. Ich muss mir Zeit nehmen, den Blick schweifen lassen von einem Ende des Horizontes bis zum anderen. Himmelblau. Gottesblau. 

Rot ist die Farbe des Menschen. Unser Blut ist rot und unser Mund. Die Lippen, die Zunge. Mit dem Mund essen wir und reden und küssen wir. Er ist warm und rot. Rot steht für das menschliche Leben, mit allem was dazugehört: Für das Glück, reden zu dürfen und küssen zu können. Aber auch für die Gefahr, sich zu verletzen oder verletzt zu werden, Blut zu schme- cken statt eines Kusses. 

Das Gottes-Blau und das Menschen-Rot kommen zusammen im Violett. In der Farbe der Pas- sion. Sie vermischen sich und werden etwas Neues. Eine neue Farbe. Ein neues Sein. Es be- trifft beide: Gott und Mensch. In der Passionszeit lernen wir, Gott neu zu sehen. Im Gekreu- zigten ihn zu sehen. Wir lernen, uns mit anderen Augen zu sehen. Bedürftiger als wir dach- ten. Geliebter als wir vermuteten. 

Paulus beschreibt im Brief an die Korinther, wie sich das neue Sein für ihn anfühlt. Als einer, der der dem Gekreuzigten nachfolgt. Er schreibt von Angst und von Hunger, von Gefängnis-aufenthalten und durchwachten Nächten. Das ist die eine Seite.
Von dem anderen schreibt er auch. Von Gnadengeschenken: Von Erkenntnis, innerer Stärke und der Fähigkeit zu selbstloser Liebe. 

Und dann bringt er beides zusammen. Eine sonderbare, fast befremdliche Mischung: Wir sind die Unbekannten und doch bekannt. Sterbende, die leben. Traurig, doch voller Freude. Habenichtse – die doch alles haben. 

Wie passt das zusammen? Das möchte ich gerne verstehen. Ich möchte verstehen, wie bei- des zusammengehört: Das Gottesblau und das Menschenrot. Die Traurigkeit und die Freude. Besitzlos zu sein und doch ungeheuer reich. Und deswegen werde ich heute Morgen mit Ihnen in einigen Geschichten umhergehen, die zur Passionszeit gehören. Vierzig Tage lang. In den Geschichten von Jesus und von Paulus. In den Passions-Geschichten von heute. 

Ich gehe in den Passionsgeschichten umher, suche die Freude in der Traurigkeit. Den Reich- tum im Mangel. Und ich finde Jesus in der Wüste. Er hat vierzig Tage gefastet. Er hat Hunger. Einige von uns wissen, wie sich das anfühlt, tagelang nichts oder fast nichts zu essen. Es zehrt an den Kräften. Aber es schenkt auch etwas: Leichtigkeit und Freiheit. Und du spürst eine Macht in dir. Das kann zur Versuchung werden. 

Jesus ist seinen Dämonen in der Wüste begegnet. Es ging um Macht. Jesus hat mit den Dä- monen gekämpft. Und ihnen widerstanden. Er war geschwächt nach dem langen Fasten. Das angebotene Brot wurde zur Versuchung. Und dennoch hat in ihm das Nein gewonnen. Er hat Nein gesagt zu dem dämonischen Angebot. Nein zur Versuchung, die eigene Macht zu miss- brauchen. Jesus hat den Dämonen widerstanden. 

Aber weg waren sie danach nicht. Sie tauchen immer einmal wieder auf in seiner, in unserer Geschichte. 

Eine dieser Dämonen, die die ganze Menschheitsgeschichte geprägt haben, ist der Dämon der Macht. Der Glaube daran, dass der Freiheitswille von Menschen und Völkern unterdrückt werden könne, beherrschbar sei. Und dass diese Beherrschung mit Gewalt, mit Waffen möglich sei. 

Sie tauchen immer wieder auf, diese Dämonen. Auch in den letzten Tagen in Jerusalem. Jo- hannes erzählt, dass es der Dämon aus der Wüste war, der von Judas Besitz ergriff, kurz vor dessen Verrat. Und es war wohl auch eine dämonische Macht, mit der Jesus im Garten Ge- thsemane gekämpft hat, als er noch die Chance hatte, dem Leiden auszuweichen. Und er widerstand. 

Es ist wohl auch eine dämonische Macht, die uns einreden will, dass wir als Christen- menschen gesund und erfolgreich sein werden, so wie es manche Wohlfühlprediger behaupten. Nein, weder das Wasser der Taufe noch die Wegzehrung des Mahles noch der zuversichtliche Glaube bewahren davor, dass ich angefochten, krank, beschädigt werde, gezeichnet von einer Welt und einer Zeit, die noch weit entfernt ist von der Vollkommenheit des Reiches Gottes. 

Und auch der Hunger wird Jesus weiter begleiten. Jesus und die, die mit ihm unterwegs sind, haben oft nicht genug, um satt zu werden. 

Dann versuchen sie, eine Einladung zu bekommen oder sie klauben sich ein paar Getreide- körner zusammen vom Rand eines Feldes. Den Hunger wird Jesus nicht los auf seinen Wan- derungen. Und doch: Nach allem, was uns die Bibel erzählt, konnte er auch Hunger stillen. Menschen satt machen. Mit Brot und Fisch. Mit Geschichten. Oder einfach dadurch, dass er sich zu ihnen setzt und sie so wieder hineinholt in den Kreis der geliebten Töchter und Söhne Gottes. Jesus hat so gut wie nichts in seinen Taschen. Kaum Geld, um sich Essen zu kaufen und weiß am Nachmittag noch nicht, wo er die Nacht verbringen wird. Nichts haben. Und doch so reich, dass er andere beschenken kann. 

Und Paulus? - Manche lachen über ihn in Korinth. Sie lachen, weil er nichts hermacht, schon rein äußerlich. Weil sie in Korinth inzwischen christliche Missionare kennengelernt haben, die viel beeindruckender sind als er: Charisma- tischer, eloquenter, bessere Performer. Solche, die gut durch das Leben kommen – ohne dauernd in Konflikte zu geraten mit den eigenen Leuten. Diese Angriffe werden Paulus ge- schmerzt haben. 

Auch das ein Dämon, den manche von uns wohl nur zu gut kennen.
Menschen, die sich mit der Frage quälen, ob sie gut genug sind für das, was sie tun. Menschen, die an ihren Fehlern und Schwächen leiden und sich selbst nichts verzeihen können. Menschen, die immer wieder anecken, auch in der Kirche. 

Paulus gibt eine Antwort an die, die ihn infrage stellen und vermutlich sagt er es auch sich selbst: Ja, genauso! So, wie ich bin: So unvollkommen und manchmal sogar lächerlich – ge- nauso nimmt mich Gott in seinen Dienst. Denn Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig. In den Mangelhaften und Ungenügenden. In den Geschundenen. In den Traurigen. In den Ar- men. Sie war mächtig in Jesus, dem hungrigen unbequemen Wanderprediger. Sie ist sogar mächtig in einem wie mir. 

Passionsgeschichten. Mehrdeutig sind sie alle. Gemischt aus Freude und Schmerz, Ohnmacht und Kraft, Weite und Verletzbarkeit, aus Gottesblau und Menschenrot. Aber so, dass man eines nicht mehr vom anderen trennen kann. Ich gehe in diesen violett leuchtenden Geschichten umher. In den Geschichten von Paulus, von Jesus. Auch in meinen eigenen. 

Ich suche. Und ahne. Taste. Erwäge.
Passionen eben. Aber auch das ist kein eindeutiges Wort. Es meint nicht nur Schmerzen, sondern auch Hingabe, Leidenschaft und Begeisterung. 

Schaue ich auf die Passionsgeschichte der Ukraine, dann ist da beides: das Leiden, die Schmerzen der Opfer, der Ausgebombten. Und zugleich die Leidenschaft, die Hingabe, das eigene Leben, die Freiheit zu verteidigen. Und ein oft belächelter Präsident, der zu einem Helden wird. 

Passionen. Leid und Schmerz. Und Hingabe und Leidenschaft.
Ich gehe nicht schleppend durch diese Geschichten. Aber langsam. Tastend. Zweifelnd. Und doch gewiss. Und je länger ich umhergehe, desto klarer wird mir: Ich gehöre dazu. Ich bin Teil dieser Geschichte, in der das Göttliche und das Menschliche ineinander verlaufen: blau und rot. Zur Passion. Mit leeren Händen – und doch beschenkt. 

Amen. 

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hlg. Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Jubiläumskonfirmandinnen und –konfirmanden, liebe Gemeinde,

lang, lang ist’s her, dass Sie vor den Konfirmationsaltar getreten sind: 1974 - 1964 – 1959 – 1954 - 1944. Hier in Nienburg oder vielleicht auch anderswo. Lang, lang ist’s her...

An einem solchen Tag, bei einem solchen Treffen – da werden Geschichten lebendig.
Was ist Ihnen schon alles eingefallen, als Sie sich angemeldet haben für den heutigen Tag? Und auf der Fahrt hierher und zur Kirche?
Das Wiedererkennen. Und „Bist Du es?“
„Wo ist denn eigentlich die – oder der?“
Und auch die, die heute nicht unter uns sind, die Mitkonfirmandinnen und Mitkonfirman- den. So viele, die schon verstorben sind. Andere sind krank und auch schon etwas gebrech- lich und können deshalb heute nicht hier sein. Und wiederum andere, für die ein Wiederse- hen an dem Ort der Konfirmation keine Bedeutung hat, weil sie sich von der Kirche längst verabschiedet haben. Auch sie kommen in unseren Erinnerungen und in unserem Erzählen vor.

Was ist da nicht alles passiert seit der Zeit, als Sie hier in der Kirche St. Martin konfirmiert wurden?
Ich möchte Sie auch heute wieder mitnehmen in eine kleine Zeitreise, erinnern, was damals war in den Jahren, als sie konfirmiert wurden.

1974 Goldene Konfirmation

  Willy Brandt tritt nach der Spionageaffäre zurück, Helmut Schmidt wird Bundeskanzler

  Präsident Nixon stürzt über die Watergate-Affäre

  Die Volljährigkeit wird auf 18 herabgesetzt,

  Die Ständige Vertretung der Bundesrepublik in der der DDR wird eröffnet.

  Deutschland wird bei der Heim-WM Fußballweltmeister

1964 Diamantene Konfirmation:

Ein bewegtes Jahr:

  Willy Brand wird als Nachfolger von Erich Ollenhauer Vorsitzender der SPD

  Die Olympischen Winterspiele in Innsbruck beginnen mit einer Enttäuschung für die

Deutschen: Marika Kilius und Hans-Jürgen Bäumler gewinnen nur die Silbermedaille. Da- für aber Manfred Schnelldorfer die Goldmedaille im Eiskunstlaufen.

  Die Beatles stehen mit ihren Songs auf den ersten fünf Plätzen der US-Hitparade. Das gab es noch nie.

  Bubi Scholz wird Europameister und Cassius Clay, später Muhammed Ali Weltmeister im Boxen.

  Im Herbst gibt es Reiseerleichterungen für Rentner aus der DDR: sie dürfen einmal im Jahr einen Besuch in Westdeutschland machen.

  Lyndon B. Johnson wird neuer Präsident.

  In der UDSSR wird Nikita Chruschtschow aus allen Ämtern entlassen – Leonid Breschnew

wird neuer Parteichef.

1959 Eiserne Konfirmation:

  Bundeskanzler Adenauer will erst Bundespräsident werden, hält Ludwig Erhard aber als Nachfolger nicht für geeignet, zieht seine Kandidatur zurück. So wird Heinrich Lübke neuer Bundespräsident.

  Der Film „Freddy, die Guitarre und das Meer“ läuft in den Kinos an. Wir erinnern uns an „Junge, komm bald wieder“.

  Das Saarland wird endgültig in die Bundesrepublik integriert.

  Der Sowjetunion gelingt es, eine russische Fahne auf dem Mond zu platzieren.

  Die „Blechtrommel“ von Günter Grass erscheint.

  Schon drei Millionen Menschen können das Deutsche Fernsehen sehen.

  Die SPD veröffentlicht ihr neues „Godesberger Programm“.

1954 Gnaden-Konfirmation:

  Der Bundestag beschließt die Gleichberechtigung von Mann und Frau – aber berufstätig darf sie nur werden, wenn sie ihre Pflichten als Mutter und Gattin nicht verletzt.

  In Leipzig versammeln sich 500.000 Menschen zum Evangelischen Kirchentag, darunter auch 100.000 aus der Bundesrepublik.

  Die Bundesrepublik tritt der NATO bei.

  Der Dirigent und Komponist Wilhelm Furtwängler stirbt.

  Und natürlich: Deutschland wird zum ersten Mal Fußballweltmeister.

1944 Brillantene Konfirmation

  Konfirmation im Krieg – Die Rote Armee ist auf dem Vormarsch

  Fast alle Juden aus Südosteuropa sind ermordet: in Ausschwitz über drei Millionen, in

Treblinka 750.000.

  Die Alliierten landen in der Normandie

  Das Attentat auf Hitler misslingt

Lang, lang ist’s her.
Viel Geschichte in diesen Jahrzehnten.

Sie alle haben Ihr jugendliches und erwachsenes Leben in der Bundesrepublik Deutschland verbracht – dem Land, das vor 75 Jahren ein Grundgesetz erhielt. Vor dem Hintergrund der schlimmen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus, dem millionenfachen Mord an den Jugen, der Ausschaltung der Opposition und der Andersdenkenden, lautet der erste Artikel dieses Grundgesetztes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Und im Artikel 3 heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“

Das ist die beste Verfassung, die Deutschland je hatte. Aber die Freiheit, die sie gewährt, sie ist in Gefahr. Gruppen, Parteien stellen die Grundrechte von Menschen in Frage. Nutzen wir darum die anstehenden Wahlen, um als Demokratinnen und Demokraten diese demokratie- verachtenden Parteien und ihre Vertreterinnen und Vertreter in die Schranken zu verweisen.

Die Geschichte dieser Jahrzehnte hat Ihre Lebenszeit und Ihre Lebensgeschichte geprägt. Manche von Ihnen sind hier in Nienburg geblieben, andere sind in die Nähe oder die Ferne gezogen.

Neben der großen Geschichte gibt es Ihre ganz persönliche Geschichte. Die Lebensgeschich- te. Wenn Sie an Ihre Konfirmation denken, dann denken Sie an ihr Elternhaus. Für viele von Ihnen war damals die Konfirmation auch der Abschied von der Kindheit, oft auch Abschied vom Elternhaus. Damals änderte sich das Leben mit der Konfirmation, die ja häufig mit dem Schulabschluss zusammenfiel.

Für viele kamen dann die Jahre der Familiengründung. Die ersten Kinder wurden geboren. Es wurde gearbeitet, gebaut, umgezogen. Sicherlich auch viel gefeiert. Silberne Hochzeiten. Die ersten Enkelkinder. Die schönen Seiten der Lebensgeschichte.

Aber auch die dunklen Seiten gehören dazu. An manchen Gräbern haben Sie schon gestan- den. An den Gräbern der Eltern, aber auch der Ehepartner. Manche Kinder wurden Ihnen viel zu früh genommen. Manch einer von Ihnen ist geplagt von Krankheiten. Einige wollten kommen und konnten dann doch nicht.

All das und noch viel, viel mehr gehört zu Ihrer persönlichen Lebensgeschichte. Vieles gleicht sich – aber jeder und jede hat die ganz eigene, unverwechselbare Geschichte.

Und dann gibt es noch eine ganz andere Geschichte, die sich durch die Jahrzehnte durch- zieht. Ich meine die Geschichte Ihrer Konfirmation. Oder besser gesagt: die Geschichte Got- tes mit uns – denn es ist nicht nur unsere Geschichte, sondern auch seine Geschichte mit uns, auf die wir zurückschauen.

50, 60, 65,70, 80 Jahre sind es her, dass Sie konfirmiert wurden. Doch wenn wir an die Ge- schichte Gottes mit uns denken, dann können wir noch weiter zurückgehen. Bei unserer Tau- fe nahm seine Geschichte mit uns den Anfang. Er hat uns, einen jeden, eine jede von uns, in der Taufe zu seinem Kind erklärt. Da hat seine Geschichte unverwechselbar mit jedem von uns begonnen.
Vielleicht ist Ihnen das im Konfirmandenunterricht ja ähnlich gegangen wie vielen der Ju- gendlichen heute: es war nicht immer einsichtig, warum Sie das alles lernen mussten. Der Pastor war damals auch noch viel strenger als heute. Eine Respektperson. Aber damals wie heute sollte der Unterricht hinführen zu der Geschichte, die mit der Taufe ihren Anfang ge- nommen hat. Bei der Taufe haben Ihre Eltern und Pate noch stellvertretend für Sie den Glauben bekannt. Bei der Konfirmation waren Sie es dann selber.
Erinnern Sie sich noch an die Frage, die Ihnen gestellt wurde: „Willst Du in dem Glauben, den Du bekannt hast, bleiben und wachsen?“ Und dann haben Sie Ihr JA gesprochen und die Ge- schichte Gottes mit Ihnen ging weiter.
Und so, wie Ihre persönliche Lebensgeschichte ganz unterschiedlich weiterging, so war das auch mit der Geschichte Gottes mit Ihnen.
Für manchen wurde der Glaube an Gott und die Zugehörigkeit zur Gemeinde zu etwas ganz Wichtigem im Leben, zum Halt, zum Trost, zur Kraft. Ohne das Wort Gottes in der Bibel und

im Gottesdienst, ohne die Losung oder das Kalenderblatt am Morgen wäre manche Situation im Leben so nicht zu tragen gewesen. Manche unter uns haben das so erlebt, wie wir das nachher singen werden: „Bis hierher hat mich Gott gebracht durch seine große Güte“.
Bei anderen verlief die Geschichte Gottes mit Ihnen ganz anders. Manche haben diese Ge- schichte für kürzere oder längere Zeit von Ihrer Seite aus abgebrochen. Manche sind be- wusst aus der Kirche ausgetreten, manche haben inzwischen auch zurückgefunden.

Bei anderen ist die Geschichte allmählich, fast unmerklich versiegt. Andere Dinge wurden wichtiger. Gebetet wurde vielleicht noch an den Betten der Kinder. Später nicht mehr. Und die Kirche war noch an den Weihnachtstagen von Bedeutung. Und so verlor sich die Spur der Geschichte Gottes in Ihrem Leben allmählich und der Glaube geriet in Vergessenheit.

Bei alledem sollten wir nicht vergessen, dass man Einer, manch Eine harte Wege gehen musste. Wege, die Enttäuschung und Verlust mit sich brachten. Vielleicht hat das bei dem Einen oder der Anderen auch dazu geführt, dass er angefangen hat, an Gott zu zweifeln.

Der heutige Tag, die Erinnerung an die Konfirmation, der Gottesdienst, das Abendmahl – all das kann zu einer Station in Ihrem Leben werden, wo die Geschichte Gottes mit Ihnen wie- der sichtbar wird.

Denn das gehört zu dieser Geschichte Gottes mit uns dazu, dass sie von seiner Seite nie zu Ende gegangen ist. Seine Geschichte mit uns geht ein Leben lang und noch über dieses Leben hinaus. Selbst der Tod kann Gottes Geschichte mit uns nicht zu Ende bringen. -
Nun habe ich immer von der Geschichte Gottes mit uns gesprochen. Worum geht es in die- ser Geschichte, was macht diese Geschichte aus?

Das ist in der Tat eine lange Geschichte – aber sie lässt sich doch mit wenigen Worten be- schreiben. Gottes Geschichte mit uns ist, dass er Dir und mir zusagt: „Du bist mein geliebtes Kind. Ich gehe mit Dir. Durch alle Freuden des Lebens, aber auch durch alle tiefen Täler, in guten und in schweren Tagen, in der Jugend so wie im Alter. Das ist seine Geschichte mit uns – diese Zusage hat er seit unserer Taufe nicht zurückgezogen, selbst wenn wir uns weit von ihm entfernt haben.

Gottes Geschichte mit uns. Unsere Geschichte, unsere Lebensgeschichte antwortet darauf. Mit dem Glauben, mit dem Gebet, mit dem Vertrauen, dass er es am Ende gut machen wird. Wenn wir ehrlich sind, ist da in unserer Lebensgeschichte als Antwort auf Gottes Geschichte mit uns oft mehr Kleinglaube als Glaube, mehr Zweifel als Vertrauen, oft auch mehr Verges- sen als Dank.

Doch eines gilt für jeden und für jede von uns: Gott bricht seine Geschichte mit uns nicht ab. Er hält uns fest, lässt uns nicht fallen, verlässt und nicht, selbst wir uns längst abgewandt und ihn vergessen haben, ja, wenn wir meinen, gut ohne ihn auszukommen.

Das zeichnet Gott aus: barmherzig ist er, gnädig, geduldig und von großer Güte. So haben wir es mit den Worten des Psalms 103 gebetet – das nehmen Sie mit von diesem Tag, das möge Sie begleiten auf Ihrem Weg.
Amen.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hlg. Geistes sei mit Euch allen. Amen.

Liebe Gemeinde,
manche von uns „haben Rücken“. Und wer „Rücken hat“, der weiß ein Lied davon zu singen, wie schwer dann der aufrechte Gang ist. Es ist ein Kreuz, wenn wir es am Kreuz haben. Ein Hexenschuss macht uns manchmal völlig unbeweglich und verursacht heftige Schmerzen. Rückenleiden sind, so sagt die Berufsgenossenschaft, inzwischen eine Volkskrankheit und gehören zu den häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit. Die Ursachen sind vielfältig: Überlastung im wörtlichen, manchmal auch übertragenen Sinn, falsche Haltung, mangelnde Bewegung, manchmal aber auch psychische Erkrankungen. Krankenkassen bieten Rücken- schulen an.

Ein gekrümmter Rücken hatte früher aber auch noch andere Gründe. Wir kennen es noch aus höfischen Protokollen in Monarchien und absolutistischen Herrschaftsformen. Die Kör- perhaltung, mit der man sich den Herrschenden näherte, war vorgeschrieben: in gebückter, gekrümmter Haltung, zu Boden schauend – auf keinen Fall aufrecht. Die Haltung als Aus- druck von Machtverhältnissen, hierarchischen und ganz sicher nicht gesunden Verhältnissen.

Gebeugt, gekrümmt, verkrümmt. Von einer solchen Person handelt die Geschichte aus dem Lukasevangelium im heutigen Predigttext:

Und Jesus lehrte in einer Synagoge am Sabbat.
Und siehe, eine Frau war da, die hatte seit achtzehn Jahren einen Geist,
der sie krank machte; und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten. Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr:
„Frau, du bist erlöst von deiner Krankheit!“
Und legte die Hände auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott.
Da antwortete der Vorsteher der Synagoge, denn er war unwillig,
dass Jesus am Sabbat heilte, und sprach zu dem Volk:
„Es sind sechs Tage, an denen man arbeiten soll;
an denen kommt und lasst euch heilen, aber nicht am Sabbattag. “
Da antwortete ihm Jesus und sprach:
„Ihr Heuchler! Bindet nicht jeder von euch am Sabbat seinen Ochsen oder Esel
von der Krippe los und führt ihn zur Tränke?
Musste dann nicht diese, die doch eine Tochter Abrahams ist, die der Satan schon achtzehn Jahre gebunden hatte, am Sabbat von dieser Fessel gelöst werden?
Und als er das sagte, schämten sich alle, die gegen ihn waren.
Und alles Volk freute sich über alle herrlichen Taten, die durch ihn geschahen.

Uns Menschen unterscheidet von vielen anderen Lebewesen der aufrechte Gang. Das Auf- richten lernen wir schon als Kleinkind – und wer ein kleines Kind dabei beobachtet, weiß, wie stolz schon eine Einjährige sein kann, wenn sie aufrecht die ersten Schritte macht.
Der Blick auf die Welt und in die Welt wird ein anderer, wenn wir aufrecht sind.

Meine Oma war eine gekrümmte Frau. Fast rechtwinklig war ihr Rücken gebeugt. Für uns Kinder war das das nichts Ungewöhnliches, wir kannten sie nicht anders. Ich war 18, als sie starb. Da ist mir bewusst geworden, wie eingeschränkt ihr Blick auf die Welt war. Sie schaute auf ihre Füße und den Boden vor ihr. Sie konnte stehend nicht anderen Menschen ins Ge- sicht schauen.

Wer aufrecht ist, hat einen anderen Überblick und kann den Horizont sehen. Und das Auf- wachsen junger Menschen sollte darauf angelegt sein, dass sie einmal aufrecht durchs Leben gehen können. Wenn Kinder, Jugendliche und auch Frauen klein gehalten werden, dann ist das eine Verletzung ihrer Würde. Wir sind dazu berufen, es ist unsere Würde, aufrecht zu gehen.

In einen jüdischen Gottesdienst, so berichtet der Evangelist Lukas, kommt eine Frau, die all das nicht hat. Sie ist verkrümmt. Seit 18 Jahren. Sie kann sich nicht mehr aufrichten. Sie hat- te einen „Geist“, der krank macht, so interpretiert Lukas. So umschrieb man das damals, wenn es keine erkennbare Ursache einer Krankheit gab. Vielleicht ist es auch ein Hinweis darauf, dass das Leiden dieser Frau nicht nur physische, sondern auch psychische Ursachen hatte.

Wir fragen: was mag dieser Frau in den 18 Jahren und davor alles passiert sein, vielleicht auch angetan worden sein. Wir wissen es nicht. Können es allenfalls erahnen. Und wie mag diese Frau die 18 Jahre gekrümmten Dasein erlebt haben. Wieviel Ausgeschlossen- Sein. Wieviel Demütigung.

Aber: auch wenn sie im Vergleich zu den Aufrechten klein war – sie hat sich nicht klein ma- chen lassen. Sie versteckt sich nicht. Sie leidet nicht still und passiv, indem sie sich selbst vom Leben abschneidet. Sie nimmt teil am Synagogengottesdienst und wagt sich in die Öffent- lichkeit, setzt sich auch den Blicken der anderen aus. Wäre sie zuhause geblieben, hätte es diese Begegnung nicht gegeben. So gesehen schafft sie selbst die Voraussetzung ihrer Hei- lung. Aber wieviel Kraft hat das gekostet?

Die Lage der Frauen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten und Jahren nicht verbessert. Im Gegenteil! Viele Frauenrechte sind in Frage gestellt – Gewalt gegen Frauen ist alltäglich. Nur drei Beispiele:

  2022 wurden allein Deutschland 133 Frau Opfer von Partnerschaftsgewalt mit tödlichem Ausgang. Einen bestimmten Tätertypus gibt es nicht, sie kommen aus allen gesellschaftli- chen Schichten. Die Tatumstände sind nie die gleichen – aber doch immer ähnlich: asymmetrische Machtstrukturen, männliche Besitzansprüche, patriarchal geprägte Denkmuster und Rollbilder.

  Nach der Rückkehr der Taliban an die Macht in Afghanistan sind alle Fortschritte in dem Land wieder rückgängig gemacht worden. Frau sind ausgeschlossen vom öffentlichen Le- ben und ihrer Berufsausübung, Mädchen ausgeschlossen von jeglicher Bildung. Frau dür- fen ohne Begleitung des Mannes das Haus nicht verlassen und wenn sie ihn begleiten,

sehen sie die Welt nur durch einen Sehschlitz im Hidschab. Sie sind erniedrigte, ja ver-

krümmte Wesen, vom Mann klein gemacht und klein gehalten.
 Am 7. Oktober 2023 hat die Hamas bei ihrem Massaker gegen jüdische Menschen vor

allem Frauen angegriffen, vergewaltigt, umgebracht. Diese massive Gewalt gegen Frau ist noch einmal etwas anderes als der israelfeindliche, antisemitische Angriff auf die Zi- vilbevölkerung an der Grenze zum Gaza. So wie in manchen Kriegen und Aufständen in aller Welt Männer jegliche Zivilisation verlieren und nur noch triebgesteuert sind.

Jesus ruft die verkrümmte Frau aus der Gemeinde heraus und stellt sie in den Mittelpunkt seines Handelns. Er ruft sie heraus aus dem Schatten ins Licht, in das Zentrum der Aufmerk- samkeit – und er richtet sie auf und macht deutlich, dass sie genau dieselbe Würde hat wie alle anderen Personen, ja, wie alle anwesenden Männer.

Jesus spricht sie an. Nach dem Luthertext sagt er zu ihr: „Du bist er-löst von deiner Krank- heit.“ Wörtlich heißt es da: „Du bist los-gelöst“. Los-gelöst von allen Bindungen, die dich ver- krümmt haben, los-gelöst von allem, was dich erniedrigt hat, los-gelöst auch von allen, die dir das angetan haben.

Die Zusage der Heilung, der Lösung, wird begleitet von einer Handauflegung. Die Frau kann sich aufrichten, die Welt neu sehen. Sie sieht einen ganz anderen Horizont. Und sie antwor- tet mit dem Lobpreis Gottes.

Und am Ende freuen sich alle mit dieser Frau, zu deren Repräsentantin sie wird: Jesus nennt sie eine „Abrahamstochter“. Abraham ist beim Evangelisten Lukas der Träger der Verhei- ßung, die Gott seinem Volk gegeben hat. Durch all die Jahrhunderte wurde das jüdische Volk getragen von dieser Verheißung: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägyptenland ge- führt hat, aus der Knechtschaft.“ Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der eine Gott Israels - er ist nicht der Gott der Unterdrückung, sondern der Gott der Befreiung. Er löst Menschen aus ihrem Schicksal aus. „Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.“ (Wochenspruch)

Das hat das Volk der Juden immer wieder erfahren.
Bei der Auf-richtung der gekrümmten Frau durch Jesus von Nazareth scheint also diese be- freiende, diese lösende Kraft Gottes wieder auf. In dieser Auf-richtung spiegelt sich das er- barmende Handeln Gottes. Sie ist eine Tochter Abrahams.

Dass Jüdinnen und Juden als Kinder Abrahams bezeichnet werden, das finden wir häufiger in der Bibel, vor allen Dingen werden aber Männer als Söhne Abrahams bezeichnet. Dass eine einzelne Frau als „Tochter Abrahams“ bezeichnet wird, das finden wir nun in dieser Ge- schichte von der gekrümmten Frau. Jesus stellt sie in eine Linie mit all den Großen des Vol- kes Israel, bis hin zu Abraham und Isaak. Und so wie Isaak auf dem Brandaltar gebunden war und dann gelöst und zu einem der Erzväter des Volkes Israel wurde, so war diese verkrümm- te Frau gebunden und wird nun gelöst.

Dass sich die Männer um sie herum nun daran stoßen, dass die Loslösung an einem Sabbat stattfindet, wo doch jede Arbeit verboten ist, gehört in die theologischen Auseinanderset- zungen der damaligen Zeit. Es mag aber auch ein Reflex darauf sein, dass es eine Frau ist, die hier so ausgezeichnet wird.

Jesus antwortet als hervorragender Rhetoriker: Ihr Männer, ihr bindet doch auch am Sab- bath eure Ochsen und Esel los und führt sie zur Tränke. Sollte dann nicht diese Frau, die 18 Jahre lang gebunden war, auch losgebunden werden von ihrem Leiden?
Ich kann mir vorstellen, dass die Umstehenden in dieser Situation geklatscht haben. Besser kann man es nicht sagen, dass für Jesus – und er steht hier stellvertretend für seinen Vater, stellvertretend für Gott – für Jesus das Wohl des Menschen im Vordergrund steht, selbst wenn er sich gegenüber den Geboten angreifbar macht.

So fängt es an. So zieht es Kreise.
Weil Gott diese eine Frau ansieht. „Du siehst mich“, so die Jahreslosung vor einigen Jahren. „Wo ich geh, wo ich steh, wo auch immer ich bin“, werden wir gleich singen.
„Du siehst mich!“
„Du bist die Liebe, die Würde gibt.
Der bist ein Gott, der mich achtet, du bist die Mutter, die liebt.“

Amen.

Predigten von Lektorin Heike Köster

„Und, wie geht es ihnen so?“

Oft hören wir im Gespräch diese Frage, auf die wir meistens auch nur kurz antworten:

„Ganz gut“, „Naja, es muss eben“, ich will nicht klagen“. In solchen kurzen Antworten merkt man, dass das Leben ganz schön viel Kraft kosten kann.

Jeden Tag neu.

Denn an allen Ecken und Enden wird etwas von uns verlangt oder auch gefordert.

Das schnelle Frühstück mit der Familie am Morgen. Der dichte Klausurenplan für die Schüler und Schülerinnen. Aufträge, die im Betrieb abgearbeitet werden müssen. Die Fenster, auf die längst mal wieder das Putzen wartet. Und dann die Preise, die schon wieder angezogen haben. Das Leben kann ganz schön Kraft kosten. Erst recht, wenn man mit einer Traurigkeit in seinem Inneren lebt, weil jemand fehlt, der zu einem gehörte. Weil eine Beziehung kompliziert ist. 

Als wenn einem alle Energie entzogen würde.

So hat sich der Hauptmann von Kapernaum gefühlt, von dem wir im Evangelium gehört haben. 

Die Krankheit seines Knechts hat ihm alle Kraft, allen Mut geraubt.

Und auch der Apostel Paulus kennt dieses Gefühl, schwach und ausgebrannt zu sein. Da ist so viel, was zu erledigen ist – die römische Gemeinde ist unzufrieden, dass er sie noch nie besucht hat.

Da gibt es Gegenwind, und viele der ersten Christen drücken sich in der Öffentlichkeit davor, laut zu bekennen, dass das kleine Kind in der Krippe der Retter der Welt ist – da muss man sich ja schämen.

Ja, das Leben kann ganz schön viel Kraft kosten.

Damals in biblischen Zeiten, und heute bei uns.

Wo kommt die Kraft her?

Und wie lebt man, wenn die Kraft fehlt?

Ich lese den Predigttext: Paulus schreibt an die Römer im 1. Kapitel:

Ich will euch aber nicht verschweigen Brüder und Schwestern, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – wurde aber bisher gehindert -, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter anderen Heiden. Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Nichtweisen bin ich es schuldig; darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: 

„der Gerechte wird aus Glauben leben.“

 

Diese Worte sind ein Mut-Mach-Text. 

Aber nicht, weil Paulus so ein großartiger Mann ist und unser Vorbild darin, kraftvoll durch das Leben zu gehen. 

Sondern, weil Paulus erzählt, was ihm selbst Kraft gibt. Inmitten der Vorwürfe, die er aus Rom hört. Inmitten der Schwachheit der Gemeinden, denen oft – 

wie auch uns – die Kraft fehlt, fröhlich ihren Glauben zu leben. Denn Paulus erzählt von einer Kraft, die ihn trägt, auch, wenn er selbst schwächelt.

Es ist eine Kraft, die um unsere Kraftlosigkeit weiß.

Die Tankstelle für Kraft ist für Paulus das Evangelium:

„Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.“

In der guten Nachricht von dem Gottessohn, der hier zu uns auf die Erde gekommen ist, steckt eine Kraft, die unseren leeren Kraftspeicher wieder füllt. Auch, wenn fast überall die Weihnachtsbäume abgeräumt und die Weihnachtssterne eingepackt sind, ist das Licht von Jesu Geburt die Kraftquelle, die uns müden und Kraftlosen wieder auf die Beine hilft. 

Eine Kraft, die uns neue Dynamik im Leben schenkt.

Es ist eine Kraft im Evangelium, die kostenlos ist und uns geschenkt wird.

Als Christen brauchen wir alle diese Kraft, die von dem Jesuskind in der Krippe ausgeht. Nicht nur in der Zeit nach Weihnachten, sondern das ganz Jahr über.

Dazu möchte ich Ihnen und Euch von einer Frau berichten, die 1826 in Riga geboren wurde: 

Julie von Hausmann

1862 hat Julie von Hausmann im Alter von 36 Jahren das Lied: „So nimm denn meine Hände“ geschrieben.

„So nimm denn meine Hände und führe mich, 

bis an mein selig Ende und ewiglich…“

So heißt ein bekanntes Kirchenlied, dass sowohl auf Hochzeiten als auch auf Beerdigungen gesungen wird.

Ich persönlich fand es lange Zeit zu gefühlsselig.

Bis ich die Geschichte des Liedes kennenlernte.

Die Frau, die dieses Lied geschrieben hat, hat versucht durch ihren Glauben einen harten Schicksalsschlag zu verarbeiten. Man weiß nicht sehr viel über diesen Verlust, keine Jahreszahl, keinen Namen. 

Aber Julie von Hausmann, dieses wohlbehütete und fromme Mädchen aus dem baltischen Großbürgertum, war verlobt mit einem Pfarrer. Lange hatte sich die Zeit der Verlobung hingezogen, zumal der Geistliche unbedingt als Missionar nach Afrika wollte und lange Zeit unklar war, ob Julie ihn begleiten konnte. 

Viele Schwierigkeiten standen da im Weg: 

die Aufenthaltsgenehmigung für beide, das Visum für die Länder Afrikas, die durchreist werden mussten bis zur Missionsstation, das ungewisse Leben in diesem fremden Land. Nach einiger Zeit beschlossen die beiden, dass der Verlobte erst einmal allein vorausfahren sollte, um alles weitere zu klären, das Heim für sich und Julie vorzubereiten, damit sie dann sofort nach der Ankunft heiraten konnten.

Wieder gingen Monate ins Land, bis auch Julie endliche die Koffer packen konnte und sich mit Sack und Pack gen Afrika aufmachen konnte.

Damals waren es andere Reisen als heute. So ähnlich wie eine Auswanderung auf einen anderen Kontinent müssen wir es uns vorstellen. 

Julie von Hausmann wusste, dass es ein Abenteuer war, auf das sie sich da in Glauben und Liebe eingelassen hatte. Sie bewies Mut. 

Denn so eine Reise ins Ungewisse war ungemütlich und gefährlich. 

Und es war eine Reise ins ziemliche Ungewisse. – 

Aber was tut man nicht alles für die Liebe…? 

Jedenfalls übersteht Julie von Hausmann alle Strapazen und endlich ist der ersehnte Hafen in Sicht. 

Trotzdem war sie nicht gefasst auf das, was sie erlebte, als sie dann an Land ging.

Da stand der Leiter der Missionsstation und musste ihr sagen, dass ihr Bräutigam wenige Tage vorher an einer gefährlichen Infektion gestorben war.

Vom Lebenstraum zu zweit in Afrika, von gemeinsamer Arbeit und gemeinsamen Glauben war nur ein schlichtes Grab geblieben. 

Eine ergreifende Liebesgeschichte mit tragischem Ende!

Noch in derselben Nacht, heißt es, habe Julie von Hausmann die Liedverse geschrieben:

So nimm denn meine Hände und führe mich, 

bis an mein selig Ende und ewiglich.

Zuerst könnte man denken, Julie meint ihren Verlobten.

Aber es ist ein Gebet, 

eine Bitte an Gott, das so weitergeht:

In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz.

Und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz.

Wenn ich auch gleich nicht fühle von deiner Macht,

du führst mich doch zum Ziele, auch durch die Nacht.

„Ich will allein nicht gehen, nicht einen Schritt.

Wo du wirst gehen und stehen, da nimm mich mit.“

So dichtet sie.

Eine Antwort auf den Tod.

Eine Antwort auf die Liebe.

Eine Antwort auf die Frage: was nun?

Julie vermisst ihren Verlobten.

Sie würde in diesem Moment am liebsten auch sterben.

Aber zugleich legt sie ihr Leben in Gottes Hand.

Gott wird sie führen.

Da ist sie sich sicher: GOTTES Liebe bleibt.

Dieses Vertrauen in Gottes Liebe und Treue müssen und dürfen wir nicht anzweifeln, das ist mir beim Hören und Singen des Liedes und dem Wissen um das Schicksal Julie von Hausmann klargeworden.

In jeder Verzweiflung, Notlage und Angst, auch in diesen Zeiten mit Corona, Krieg in Europa und an anderen Stellen in der Welt, Klimawandel, Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Inflation können und müssen wir auf Gottes Liebe vertrauen. 

Die Hoffnung dürfen wir nicht aufgeben und müssen zuversichtlich sein.

Ein Bleiben für Julie in Afrika war nicht möglich, und so musste sie nach kurzem Aufenthalt nach Europa zurückkehren und ihr Leben neu ordnen.

Wie es mit Julie von Hausmann weiterging bis zu ihrem seligen Ende, kann uns auch etwas davon sagen, was zum guten Prozess der Trauer wichtig ist:

Sie war an sich, aber vielleicht auch durch die Ereignisse in ihrem Leben ein verschlossener Mensch, eine Frau, die auf andere nur schwer zugehen konnte und anderen in der Öffentlichkeit oft eine Abfuhr erteilte.

Die Menschen aber, zu denen sie ein herzliches, ungezwungenes Verhältnis hatte, waren ihre fünf Schwestern. Einer hat sie jahrelang den Haushalt geführt. 

Zu einer anderen zog sie dann 1870 nach St. Petersburg und wurde Hausdame in deren Internatsschule. Diese Aufgabe hat sie viele Jahre versehen und sie dann wohl auch innerlich zur Ruhe kommen lassen. 

Menschen, die sie stützten, die sie aufnahmen nach diesen bewegten Jahren, die Schwestern als neue Lebenspartnerinnen und eine Freundin, der sie sich im Glauben und auch im Leben tief verbunden gefühlt hat, das alles hat Julie wohl gerettet vor ihrer inneren Nacht. 

Also nicht nur Gott, sondern auch konkrete Menschen, die ihr eine Aufgabe stellten, die sie forderten, haben ihr geholfen.

Manche Menschen werden im Prozess der Trauer sogar sehr kreativ. Alles, was sie empfinden an Schmerz, an Fragen und Antworten, muss dann raus.

Tagebucheintragungen, Briefe, Stoßgebete, gemalte Bilder, sie geben der Seele Ausdruck und führen so wieder ins Leben, zur Gesundung zurück. 

Dies ist auch Julie von Hausmann passiert. 

Während sie in ihrer kühlen Art nie viel Aufhebens um sich machen wollte, erkannte eine Freundin den inneren Reichtum, die Wärme und die Empfindsamkeit ihrer Dichtung.

Das Echo, das die veröffentlichen Gedichte hatten, machten Julie einerseits verlegen, andererseits erkannte sie, dass es eine Gabe Gottes war, die sie nutzen sollte zum Wohl aller. 

Die Trauer, das Schwere waren aus ihrem Leben nicht einfach verschwunden, aber sie hatten sich verwandelt in neues Leben, in neue Bindungen, in neue Aufgaben.

Und so ist die Geschichte dieses Liedes eine Geschichte von Tod und Auferstehung, von Trauern und Loslassen, von Schmerz und wiedergewonnenem Vertrauen.

Mit den heiligen drei Königen der Epiphanias Zeit und mit Paulus erlebe ich, dass ich diese Kraft brauche. 

Und Gott verspricht uns in Jesus Christus diese Kraft, diese Lebensenergie. 

Nicht im vornherein für alle Zeiten. 

Und auch nicht so, dass wir vor Kraft nur so strotzen und irgendwann meinen, wir könnten es allein.

Sondern immer dann, wenn wir selbst mutlos und matt sind. Wenn uns alles zu viel wird. Dann finden wir in der guten Nachricht die Kraft, die unserem Leben die Dynamik schenkt, die wir heute brauchen. 

Und auch morgen werden wir die Kraft finden, die wir für den morgigen Tag brauchen.

Das verspricht uns Gott. 

Und dieses Versprechen und die Liebe Gottes kennt keine Grenzen.

Gottes Gnade und Gottes Erbarmen sind für uns Menschen nicht immer nachvollziehbar.

Das liegt wohl daran, dass Gottes Liebe unsere eigene so sehr übersteigt.

Gottes Reich ist vielsprachig und bunt.

Dieses Vertrauen in Gottes Liebe habe ich bei Begegnungen mit Menschen aus unserer Partnergemeinde Pretoria in Südafrika erlebt.

Die erste Begegnung war 2013 als eine Delegation von dort hier in unserem Kirchenkreis zu Besuch war und ich diese mit begleiten durfte. 

Als ich dann 2015 mit einer Delegation aus unserem Kirchenkreis nach Pretoria reisen durfte, erlebte ich nicht nur eine herzliche Gastfreundschaft und faszinierende Landschaften, sondern lernte Menschen kennen, die zu Freunden wurden. 

Außerdem feierten wir dort wunderbare Gottesdienste mit afrikanischer Musik in denen ich das Vertrauen in Gottes Liebe erleben durfte und Menschen traf, die vorbehaltlos auf Gott vertrauen und an Gott glauben; 

So sind wir im Partnerschaftskomitee auch traurig, dass die Kommunikation seit Corona und durch eine Stellenneubesetzung sich momentan etwas schwierig gestaltet.

Wir hoffen und beten, dass die über 40jährige Partnerschaft zu Pretoria wieder neu belebt wird und weiter bestehen wird. So dass wieder Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden. So Gott will!

AMEN

Predigten von Oberkirchenrat Dr. Olaf Waßmuth

Predigt am Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres/Volkstrauertag, 16.11.2025

Liebe Gemeinde,

jetzt spricht Hiob.                                                                                           

Er sagt, wie’s ist.

Er kann nicht anders.

Er redet nicht zu uns, sondern zu Gott.

Das Leben hat ihm übel mitgespielt;

Moment - so würde er das nicht sagen.

Leben, Schicksal, Zufall – nein, nein.

GOTT ist doch der, der alles bewegt.

GOTT steht hinter allem.

Gott muss man ernst nehmen. Und gerade darum:

Gott soll hören, wie es wirklich ist.

Hiob hebt an und redet:

 

[(Lektor:) Lesung aus Hiob 14 nach der BasisBibel]

1 Was ist der Mensch, von einer Frau geboren?

Sein Leben ist kurz und doch voller Unruhe.

2. Wie eine Blume blüht er auf und wird abgeschnitten.

Wie ein Schatten flieht er und bleibt nicht hier.

3 Trotzdem richtest du deine Augen auf ihn

und gehst mit ihm ins Gericht.

4 Gibt es einen Menschen, der von Geburt an rein ist?

Es gibt keinen einzigen!

5 Darum sind seine Tage begrenzt,

die Zahl seiner Monate steht fest.

Du hast seinem Leben eine Grenze gesetzt,

die kann er nicht überschreiten.

6 Darum schau weg und lass ihn in Ruhe!

Lass ihm doch das bisschen Lebensfreude

wie einem Tagelöhner, der nach der Arbeit ruht.

7 Ja, für einen Baum gibt es Hoffnung.

Wenn er gefällt wird, treibt er wieder aus.

Es fehlt ihm nicht an neuen Trieben.

8 Das gilt selbst für einen alten Baumstumpf,

dessen Wurzelstock in der Erde abgestorben ist.

9 Sobald er ein wenig Wasser spürt, treibt er aus

und blüht wieder auf wie ein junges Bäumchen.

10 Anders ist das bei einem Menschen:

Wenn er stirbt, dann ist es aus mit ihm.

Wenn er ums Leben kommt, wo ist er dann?

11 Wasser aus dem Meer verdunstet,

Flüsse versiegen und trocknen aus.

12 Genauso ist es auch beim Menschen:

Er legt sich hin und steht nicht wieder auf.

Solange der Himmel besteht, wacht er nicht auf,

und niemand rüttelt ihn aus seinem Schlaf.

13 Ach, wenn ich mir doch wünschen könnte,

dass du mich eine Weile in der Unterwelt versteckst!

Halte mich verborgen, bis dein Zorn vorbei ist!

Und wenn es so weit ist, denk wieder an mich!

14 Wenn ein Mensch stirbt, ist sein Leben aus.

Wenn du mich aber versteckst, könnte ich warten –

wie einer im Kriegsdienst auf seine Ablösung hofft.

15  Du würdest mich rufen und ich dir antworten.

Du würdest dich wieder freuen an deinem Geschöpf.

16 Stattdessen überwachst du meine Schritte.

Keinen einzigen Fehltritt siehst du mir nach.

17 Für jedes Vergehen kommt ein Steinchen in den Beutel,

so sammelst du meine Schuld und bewahrst sie auf.

 

Liebe Gemeinde,

ich kenne Hiob. Ich sitze an seinem Küchentisch.

Unter seinen Augen sind dunkle Ringe. Die Haare ungekämmt.

Die Flecken auf dem Pullover sind schon lange eingetrocknet.

Einer müsste ihm mal die Brille putzen. Das kriegt er selbst nicht mehr hin

– seit dem Schlaganfall vor zwei Jahren.

Aber da ist keiner mehr, seit seine Frau vor fünf Jahren starb.

Ein Sohn ist tot; mit dem anderen hat er sich zerstritten.

Seine Hand, die linke, die er noch bewegen kann, zittert, als er sie ballt und auf den Küchentisch knallen lässt. Die dreckigen Gläser und Teller klingeln. Eine halbleere Tablettenfolie fällt auf den Boden.

 

Was ist das für ein verdammtes Leben, ruft er.

Das ist doch kein Leben! Oder?

Das bisschen Spaß, wenn man jung ist, und dann kommt der Tod.

Ja, mitten aus dem Leben raus geht plötzlich nichts mehr.

Gott hat mir übel mitgespielt.

 

Es ist schwer bei Hiob zu sitzen. Er ist so wahnsinnig negativ.

Die Rollos zieht er schon lange nicht mehr hoch, oder nur noch halb.

Er redet oft vom Tod.

 

Die Natur da draußen – die Bäume. Die treiben immer neu aus.
Aber für uns Menschen gibt’s nur eine Richtung.

Altwerden, krankwerden – und dann bist du tot.

Gott lässt uns alle vor die Wand laufen.

 

Hiob guckt mich nicht an. Er starrt vor sich hin und schüttelt den Kopf.

Wenn ich bei Hiob sitze, sage ich fast nichts.

Ich spüre, wie seine Klage mir die Kehle zuschnürt. Ein bisschen jedenfalls.

Werde ich auch mal so denken wie er?

 

Ich stehe auf, um mir ein Glas Wasser zu holen.

Auf dem verstaubten Klavier stehen gerahmte Familienbilder.

Ich ahne: die meisten dieser Menschen sind längst tot.

Mein Blick fällt auf ein bräunliches Bild: ein Mann in Uniform. Er sieht aus wie Hiob in jung. Hiobs Augen folgen meinem Blick:

 

Das ist mein Vater. Ich habe ihn nie kennengelernt.

Vermisst in Stalingrad. Wir kennen nicht mal sein Grab.

Wo war denn Gott in Stalingrad? So viel Tod, so viel Leid.

Und jetzt soll das auch wieder losgehen?

Wehrdienst, Kriegsdienst – und dann wieder Tausende Tote?

Hat denn die Menschheit überhaupt nichts gelernt?

 

Ich zucke mit den Schultern. So einfach ist das nicht, Hiob, will ich sagen.

Die Zeiten sind andere; wir stehen doch jetzt für das Recht ein, für Freiheit, Menschenwürde – es geht darum, etwas zu schützen, unsere Werte.

Aber ich merke selbst: das klingt hier hohl – und sage nichts.

Er hat ja recht – mit seiner Trauer, mit seinem Schmerz, mit seiner Wut.

Er hat ja recht: Mit dem Krieg bereitet der Mensch sich selbst das Leid.

 

Mein Vater ist so jung gestorben, sagt Hiob. Und ich lebe.
Habe ich das etwa verdient? Was habe ich überhaupt verdient?

Das hier? Dieses Leben? Na, vielen Dank.

Vor zwei Jahren konnte ich noch alles: Radfahren, Singen, Essen.

Mit einem Schlag ist alles weg. Ja, geschlagen wurde ich.

Aus heiterem Himmel. Alles weg.

Ich wünschte, Gott würde mich einfach in Ruhe lassen.

 

Ich zucke zusammen, wenn Hiob Gott sagt. Er redet viel von Gott.

Ich staune darüber. Aber ich weiß auch: Hiob war immer ein frommer Mann.

Unter dem Stapel alter Zeitungen schaut noch das blaue Losungsbuch hervor.

Da stehen lauter Bibeln im Schrank, angestaubt, aber gelesen.

Ich richte mich auf und frage nach, ganz vorsichtig:

Was meinst Du, wenn Du sagst: ‚Gott soll mich in Ruhe lassen‘?

 

Was kommt denn als Nächstes? brummt Hiob.

Womit wird Gott mich als Nächstes schlagen?
Was wird er mir noch nehmen?

Er radiert mich aus, weg von der Erde.

Und nichts bleibt, am Ende ist alles Nichts.

 

Hiob! möchte ich sagen. Hiob, das stimmt doch nicht.
Da ist ganz viel, das bleibt, auch von Deinem Leben. Da sind wir.

Und hat Gott nicht verheißen, dass noch mehr kommt? Neues Leben!

Hiob, das hast Du doch auch gehört. Und mal geglaubt.

Mir liegt das alles auf der Zunge, aber ich sage es nicht.

Ich möchte keiner von den falschen Freunden sein.

Ich möchte keiner sein, der einem Leidenden sein Leid ausredet.

Das wäre so schäbig und dumm.

Und ich will auch nicht Gott verteidigen. Was weiß ich denn schon?

 

Es berührt mich seltsam, dass Hiob Gott um Abstand bittet.

Wie merkwürdig ist das, dass einer auf einen fernen Gott hofft – wo doch alle seine Nähe suchen.

Gott als Geißel und Plage – das ist mir fremd.

Statt „Wo bist Du Gott?“ – „Bleib mir weg!“. Wenigstens eine Weile.

Es kann schon sein, denke ich, dass man sich nach einer Gottespause sehnt.

Nach einer Art Reset.

Kann man das: Mit Gott nochmal bei Null anfangen – nach allem, was gewesen ist, nach Enttäuschungen, Vorwürfen und Funkstille?
Nach falschen Bildern und vergifteten Beziehungen?

So wie Hiob da sitzt, in sich zusammengesunken, hustend, die Augen tränend,

bin ich nicht sicher, ob es das ist, was er will.

 

So wie er da sitzt, möchte ich ihn in den Arm nehmen, trösten,

ihm sagen, dass alles gut wird.

Vielleicht, schießt es mir durch den Kopf, vielleicht könnte ich einfach für ihn mitglauben, stellvertretend sozusagen. Ein bisschen wenigstens.

Während ich hier am Küchentisch sitze. Indem ich ihm Gegenüber bin.

Vielleicht kann ich trotzig daran festhalten, dass Gott es mit diesem gebrochenen alten Mann doch irgendwie gut meint. Ein gutes Ende für ihn bereithält, eine Zukunft.

 

Wie gut, dass Hiob klagen kann.

Das Klagen wird unterschätzt. Es hat eine enorme Kraft.

Keiner, der glaubt, muss sich irgendwas schönreden.

Keiner, der glaubt, muss alles in sich hineinfressen.

Er muss seine Enttäuschung, seine Wut und seinen Schmerz aber auch nicht gegen andere richten. Er kann sie Gott direkt vor die Füße knallen.

So wie Hiob. Hier: Schau Dir das an! Willst Du, dass ich so leide?

Es gibt eine Würde des Verletztseins, ein stolzes Trauern.

Hiob ist ganz in der Gegenwart, und die Gegenwart ist Verlust.

Hiob sagt, wie`s ist. Und Gott hält das aus.

Halte ich es auch aus?

 

***

 

Hiob bringt mich mit seinem Rollator zum Ausgang.

„Ich komme wieder“, sage ich.

Er schüttelt den Kopf: „Warum? Hier gibt’s doch nichts zu sehen außer einem kranken alten Mann. Mir kann sowieso keiner helfen“.

„Trotzdem“.  – Er zuckt mit den Schultern.

 

Zurück im Auto bleibe ich einen Moment hinter dem Steuer sitzen,
seufze laut und bete:
Gott, lass doch den Hiob in Ruhe!

Ich löse vorsichtig die Handbremse. Und dann verbessere ich mein Gebet:

Gott, lass doch den Hiob in Ruhe. Aber bitte, bitte lass ihn nicht allein!

Amen.