Predigten von Pastorin Schmid-Waßmuth

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

„Eine von diesen“ – diese drei Worte stehen in goldenen Lettern unter der großen Uhr an der Feierhalle des Ohlsdorfer Friedhofs in Hamburg. Als ich in Hamburg gewohnt habe, habe ich diese Worte oft von der S-Bahnstation aus gelesen. „Eine von diesen“. Darüber zwei Sterne und die Uhr selbst wie eine Sonne, in der Mitte jedoch eine große Dornenkrone. 

Eine Uhr, die predigt. 

„Eine von diesen“ – Gemeint ist eine Stunde von diesen, die die Uhr anzeigt. Eine Stunde wird einmal die unsrige sein, unsere Todesstunde. Und keiner weiß, wann das sein wird. Das ist bedrückend. Das ist aber auch besser so.

„Ihr wisst nicht, wann die Stunde kommt.“ So heißt es auch in unserem Predigttext für den heutigen Tag. „Darum seht euch vor und bleibt wachsam,“ schlussfolgert Jesus daraus. Ich lese aus dem Markusevangelium aus Kapitel 13: 

Jesus spricht: „Darum seht euch vor und bleibt wachsam. Ihr wisst nicht, wann die Stunde kommt. Es ist wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab allen, die ihm untergeben waren Vollmacht und einem jeden seine Arbeit und gebot dem Türhüter, er sollte wachen.“

Dieser Mensch im Markusevangelium hat sein Haus bestellt, so sagen wir. Wie gut, wenn man an seinem Lebensende noch die Zeit und Kraft und den Willen dazu hat, alles zu regeln: das Erbe, die Vollmachten, den letzten Willen, die Patientenverfügung und wie man sich seine Beerdigung wünscht. 

Nicht immer geht das. Manche von Ihnen haben das leidvoll erfahren müssen: wie unerwartet und plötzlich der Tod des geliebten Menschen kam. Oder wie plötzlich er oder sie erkrankt ist und fortan alle Zeit und Kraft in Arztbesuche, Therapien und die alltäglichen Herausforderungen investiert werden musste. Mehr war da nicht möglich. 

„Wacht nun“, heißt es weiter bei Markus, „denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses zurückkommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder am Morgen, damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt. Was ich euch aber sage, das sage ich allen: Wachet!“

Es macht einen Unterschied, liebe Gemeinde, ob ich lebe, als lebte ich ewig und würde nie sterben. Oder ob ich lebe im Bewusstsein meiner Endlichkeit. Auf unserem Konfisamstag gestern zum Thema Tod und Auferstehung hat es ein Junge eindrücklich formuliert: „Nur weil ich weiß, dass ich einmal sterbe, sind besonders schöne Momente schön. Auch sie sind endlich und daher so kostbar. Würde ich ewig weiterlebe, wären sie nicht einmalig, dann wären sie nichts Besonderes.“

Wertschätzung, Dankbarkeit, aber auch Rücksicht auf andere Geschöpfe sind Konsequenzen dieses Bewusstseins der eigenen Sterblichkeit. 

Wachsam sein, wie Jesus es im Markusevangelium mahnt, heißt sich bewusst zu sein: Mein Leben ist endlich, es kann jederzeit vorbei sein. Jeder Moment meines Lebens und das der anderen ist ein kostbares Geschenk unseres Schöpfers, ist vielleicht der letzte, ist unwiederbringlich.

„Eine von diesen“ steht unter der Uhr vom Ohlsdorfer Friedhof. Aber die Uhr, die predigt, hat noch mehr zu sagen. Da ist die riesige Dornenkrone in der Mitte des Zifferblattes und das Ziffernblatt, das Strahlen hat wie eine Sonne. 

Die Dornenkrone weist auf Jesus Christus hin, sein Leiden, seinen Tod. Die Sonne auf den Morgen der Auferstehung. „Eine von diesen“ mag die letzte Stunde sein, die uns auf Erden schlägt, doch sie ist nicht das Ende bei Gott. „Gott hat uns Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, … das ewige Leben haben.“ (Joh 3,16) 

Das ist meine Hoffnung und darauf vertraue ich im Leben und im Sterben: Bei Gott spielt Zeit keine Rolle mehr. Bei Gott heilen alle Wunden. Gott hält uns in seinen Händen mit allen schönen und besonderen Momenten unseres Leben. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 

Es begab sich aber zu der Zeit… zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Zur Zeit, da Augustus Kaiser in Rom war – da änderte sich das Leben in Israel. Denn es sollte alle Welt gezählt werden: Mann, Frau, Kind, Vieh, auch Äcker, Weinstöcke und Olivenbäume – der ganze Besitz. Alle sollten sich eintragen - und vor dem 31.12. noch schnell ihre Steuererklärung abgeben... Denn der Kaiser wollte wissen, was zu seinem Reich gehörte. Worauf er so alles Steuern erheben konnte. Und wie viele potentielle Soldaten er zur Verfügung hatte. Darum mussten alle in ihre Geburtsstadt gehen und sich registrieren lassen.

Just zu dieser Zeit wurden Maria und Josef zum ersten Mal Eltern. Ein neuer Lebensabschnitt brach für das junge Paar an. Jeder weiß das, der auch Kinder hat. Auf einmal bist Du nicht mehr nur Liebster und Liebste, Partnerin und Partner, sondern Mutter und Vater und gemeinsam Eltern. Verantwortlich für ein kleines Menschlein. Sollst immer da sein, wickeln und stillen, trösten und unterhalten. Die Nächte werden kürzer, die Sorgen größer, - die Freude aber auch. 

Bis sie Teenager werden. Dann bricht nochmal eine neue Zeit an. Aber das ist eine andere Geschichte... Überhaupt, wo ist die Zeit hin, in der sie so schnell groß geworden sind? 

Letztens beim Lebendigen Advent, da standen wir beisammen und überlegten. Wann war dies nochmal und jenes? Wir erinnerten uns nicht mehr genau, ob es ein, zwei, drei oder vier Jahre her war. Und eine half und fragte: „Na, war es noch vor oder schon in Corona?“ 

Das ist meine Zeitrechnung auch so oft in dieser Zeit: War es vor dieser Zäsur Pandemie oder nach dessen Beginn? Und alles währenddessen verschwimmt ein wenig in einem Zeitbrei. 

Und doch ist da ein Datum, das sticht heraus. „Der 24. Februar 2022 markiert eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents,“ ließ Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung drei Tage nach dem genannten Datum verlauten. Denn „die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor“, erklärte er. Vor dem Überfall auf die Ukraine. 

„Zeitenwende“ - das ist das Wort des Jahres 2022. Ganz offiziell von der Gesellschaft für deutsche Sprache am 9. Dezember dazu gekürt.

Sind wir nicht schon längst mitten in einer Zeitenwende angesichts der Erderwärmung und des Klimawandels?

Nach einer Zeitenwende - ganz anderer Art - sehnten sich die Hirten auf dem Felde. Denn sie kannten Not und Perspektivlosigkeit schon ihr Leben lang. Sie hatten kaum mehr Hoffnung, dass sich ihr Schicksal noch wenden würde. Wenden konnte es nur einer, so hofften es alle. - Alle, die noch Hoffnung hatten. - Nämlich der Messias, der von Gott Auserwählte und Gesandte. Frieden und Freiheit sollte er bringen, so sang man und erzählte sich seit alters her. Nach nichts sehnten sich die Männer bei den Herden mehr. Und damit nach fairer Entlohnung und Anerkennung ihrer Arbeit, nach Wärme und Zusammenhalt. Eigentlich nicht so viel anders als Menschen heute... 

Auch bei ihnen schwang die Sorge angesichts der Weltlage mit, halt der ihnen bekannten Welt, ohne Diercke-Weltatlas und Google-Maps. Doch ob kleine Welt oder große Welt, die Steuergesetze des Augustus verhießen nichts Gute! Für die Hirten nicht und für niemanden im Römischen Reich. 

Und dann änderte sich tatsächlich was. Nicht das Steuerrecht. Aber mit einem Mal war die Zeit gekommen. Und Engel mit ihr, eine große Schar. Statt eines Heeres an Soldaten waren es Heerscharen von göttlichen Boten. Statt dröhnender Stiefel auf den Pflastersteinen römischer Straßen - sirrender Flügelschlag in der unendlichen Stille der Weiden. Statt Marschmusik und Propaganda - heller Gesang und Loblieder zur Ehre Gottes: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“. Kein frommer Wunsch, sondern Ankündigung einer Wende.  

Die Hirten eilten nach Bethlehem und sahen - statt eines großartig-königlich-pompösen Wumms - ein Baby. In einer Krippe, in einem Stall. 

Das, was sie von Gott da zu sehen bekamen, ich weiß nicht, vielleicht war das an sich eher nicht so beeindruckend: Einfache Leute, prekäre Familienverhältnisse, spät dran und in einer Notunterkunft gelandet. Ein kleines Neugeborenes. Süß, ja, aber… 

Nein, der "Wumms" war ganz woanders. Direkt bei ihnen, auf den Feldern. „Fürchtet euch nicht. Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“

Das, was der Engel ihnen da verkündigt hatte, das war der himmlische Hammer. „EUCH ist ein Kind geboren“, nicht nur der Maria und dem Josef und deren Familien. Es ist auch unser Baby. Ein besonderes: Es ist der HEILAND, der, der Heil bringen wird. 

Gut, jetzt ist noch nicht viel davon zu sehen. Noch ist er klein. Aber mit seiner Geburt ist es schon da, das Heil, in der Welt. Noch wie verpackt unterm Baum. Aber da ist es. Uns geschenkt. Jetzt. Zeitenwende, wirklich wahr. „Denn euch ist heute der Heiland geboren.“ 

Ach, liebe Gemeinde, wann immer ich diesen Engelsspruch höre, rührt er mich an. Schon beim „Fürchtet euch nicht“ höre ich die Engel es mir persönlich ins Ohr sagen. 

Es gibt Grund zum Fürchten genug. Aber genauso Grund zur Zuversicht! 

Das ist bis heute die Botschaft der Heiligen Nacht: Euch ist heute Nacht der Heiland geboren. Eine „große Freude, die allem Volk“ und jedem einzelnen „widerfahren wird“. Und das ist ein Grund zu feiern.

Die Geburt Jesu, das war eine Zeitenwende für viele. Dass wir unsere Zeitrechnung nach dem vermuteten Datum des Geburtstages Jesu ausrichten, macht es deutlich. Seitdem wird HOFFNUNG großgeschriebenSpätestens seitdem wissen wir, dass Gott auf unserer Seite ist. Wir sind ihm nicht egal, und er ist nicht fern und nicht untätig. Seitdem gibt es etwas, was stärker ist als meine und als deine Furcht. Jemand, der mich immer wieder aufrichten kann. Jemand, der sogar stärker ist als der Tod.

Persönliche Zeitenwenden haben sich 2022 bei manchem von uns abgespielt oder ziehen am Horizont auf. Große Veränderungen. Neue Lebensphasen. Schöne vielleicht, aber auch die brauchen Kraft. Oder todtraurige, Gott sei es geklagt. Und das noch zusätzlich zu den großen Veränderungen und Krisen, die uns eh schon alle betreffen.

Darum hört und lasst Euch zu Herzen gehen die Worte des Engels: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids.“ 

Amen. 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, ich bin der schlechten Nachrichten überdrüssig. 

Die Rückblicke, die man in den vergangenen Wochen in den Medien zu lesen bekam, führten einem noch einmal alles an Krisen und bedenklichen Entwicklungen vor Augen. 

Doch eine Liste war anders, die habe ich mir aufgehoben. 

Es ist sozusagen eine Gegenliste: eine Aufzählung guter Nachrichten. Kleine Triumphe, die – kurzzeitig - trösten.

Ich sehne mich nach mehr, nach Verstehen, wie alles zusammenhängt und warum so manches hat kommen müssen, wie es kam. Ob es einen tieferen Sinn dahinter gibt?! Ich sehne mich nach Lösungen und hoffnungsvollen neuen Wegen in allem, was uns Sorgen macht. Ja, ich wüsste gerne, wie alles weitergeht und hätte gerne happy ends. Ich sehne mich nach - Heil. 

Da bin ich in guter Gesellschaft. 

Mose war in gutem Gespräch mit Gott, „von Angesicht zu Angesicht, 

so wie man mit seinem Freund redet“, heißt es im 2. Buch Mose (33,11). Also vis a vis, im Gegenüber. Das heißt aber nicht, dass Mose Gott je wirklich gesehen hätte. Aber genau das wünscht er sich. Er will mehr: „Lass mich Deine Herrlichkeit sehen, Gott“, sagt er. 

Gott könnte nun zurecht antworten: „Mensch, Mose, siehst Du nicht, wie sich meine Herrlichkeit auf Erden spiegelt? Morgens, wenn noch alles friedlich um die Zelte ist, der Morgennebel sich hebt und die Sonne aufgeht. Wenn die Kinder später am Tag fröhlich um dich herumspringen. Wenn Ihr abends feiert und einander erzählt. Lasse ich den Glanz meiner Herrlichkeit nicht deutlich genug leuchten, immer wieder?“

„Lass mich Deine Herrlichkeit sehen, Gott“ bittet Mose. 

Und Gott könnte jetzt auch sarkastisch werden und erwidern: „Mensch, Mose, seid Ihr Menschen nicht schon selbst-herrlich genug? Welches Feuerwerk müsste ich denn entzünden, das Euch so beeindruckt und von mir überzeugt, ein für alle Mal?“ 

Aber so ist Gott wohl nicht. Stattdessen antwortet Gott eher: „In Ordnung, aber…“ Folgendes lesen wir es in Exodus, also 2. Buch Mose, Kapitel 33 in den Versen 18 bis 23: 

Mose sprach: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen! Und Gott sprach: „Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des Herrn. Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. 20 Aber mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.

 21Und er sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen.22Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.“

„Lass mich Deine Herrlichkeit sehen, Gott.“

Doch Gott sehen, so richtig, liebe Gemeinde, das hält keine aus, das wäre zu viel. Gott bleibt ein Geheimnis, so bitter das manchmal ist. 

Da ist und wird immer ein „unendlicher qualitativer Unterschied“ zwischen Gott und Mensch sein. Diesen Unterschied zwischen Gott und Mensch zu beseitigen – das war der Fehler des neuzeitlichen Menschen. So schreibt es der dänische Philosoph Sören Kierkegaard, der vor 210 Jahren geboren wurde. 

Wir meinen nur, wir seien Gott gleich und uns selbst genug, wir hätten alles im Griff und brauchen keinen Gott. Doch wir sind nicht nur Lichtjahre von Gott entfernt. Im Gegensatz zu Gott sind und bleiben wir begrenzt und sterblich, können nicht alles verstehen und durchdringen, nicht jedes Problem lösen.  

Den Graben zwischen Gott und Mensch überbrücken und den Kontakt herstellen, kann nur Gott selbst. Und das tut Gott in unserer Geschichte. Es ist zwar nicht die Erfüllung der berühmten drei freien Wünsche, dennoch gewährt Gott Mose dreierlei: 

1.Er stellt sich ihm mit Namen vor. Das Erste, was man ja beim Kennenlernen so macht: Man nennt seinen Namen. Man macht sich bekannt - und so ansprechbar. Allerdings, bereits im brennenden Dornbusch hatte Gott sich Mose vorgestellt - mit dem kryptischen Namen: „Ich werde sein, der ich sein werde.“ Nun also: „Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.“ Ich kann gar nicht anders, als Gott dabei mit den Achseln zucken zu sehen. Als wolle er sagen: „Ich gebe mich Dir zu erkennen, ich bin ansprechbar und da, ein gnädiger und barmherziger Gott. Ja, aber ich bin weder berechenbar noch beeinflussbar. Entscheiden tue ich allein.“ 

2.Gott kommt Mose ganz nah. Den Luftzug, wenn Gott an ihm vorbeigeht, kann Mose spüren. Trüge Gott ein Eau de Toilette, Mose könnte es riechen. Wie einen Duft, ein Luftzug eben, so flüchtig lässt Gott Mose seine Güte erahnen. 

Aber es ist doch noch mehr: Gott stellt Mose dabei auf festen Grund. „Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen.“ Auch wenn der Boden unter Moses Füßen wanken mag, in Gottes Nähe kann er sicher und fest stehen.  

Und Schutz ist dort! „Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin.“ Gott hält seine Hand über Mose. Sie verdeckt seine Sicht, sie schützt ihn aber auch. So wie man seine Augen mit der Hand bedeckt, wenn die Sonne grell scheint, um nicht direkt in sie hineinzusehen. 

3.Ein Zugeständnis macht Gott dann noch: “Dann will ich meine Hand (wieder) von dir tun, und du darfst hinter mir hersehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.“

Wenigstens das: Von hinten darf Mose Gott sehen. Er sieht ihn im Schwinden, kann ihn nicht erkennen, nicht fassen. Denn Gott erweist sich als dynamischer Gott, immer in Bewegung. Nicht wie das goldene Kalb, das sich Israel gemacht und angebetet hat: in Form gegossen und starr. Nein, lebendig, unterwegs durch Zeit und Raum. 

„Lass mich deine Herrlichkeit sehen, Gott“, denke ich. Klarheit will ich gewinnen und Gottes Heil schon jetzt auf Erden schauen. Oder wenigstens erahnen. Ich will immer wieder den Abglanz seiner Herrlichkeit auf Erden entdecken und mich daran freuen: Ich will hellen Schein in allem Dunkeln der Kriege und Krisen sehen, Hoffnungsschimmer glimmen sehen, und Buntes im Grau des Alltags erspähen. Gute Nachrichten eben. Und seine Herrlichkeit soll Klarheit bringen und alles durchleuchten und aufdecken und ins rechte Licht rücken, was verborgen, aber es wert ist, gesehen zu werden. Das wünsche ich mir! 

Und ich glaube, liebe Gemeinde, dass die Zugeständnisse Gottes an Mose auch uns gewährt werden: Gott ist da für uns, ansprechbar.

Bete ich zu Gott, werde ich ruhig: ich merke, wie ich all das, was meine Kraft übersteigt in Gottes Hände ablegen kann. Gott wird sich erbarmen, dessen Gott sich erbarmen will. Er sieht schon längt, was ich übersehe und nicht erkennen kann. Und nähert sich… 

In Christus hat Gott sich offenbart. Das feiern wir alle Jahre wieder in der Weihnachtszeit. Doch sein Nahesein ereignet sich zumeist ganz unerwartet. So nahe kommt Gott uns, dass wir den Lufthauch spüren. Da ist die Situation schon vorbei, ehe wir merken: Oha, da war Gott am Werk. Mögen es andere auch Glück oder Zufall nennen…

Gott gibt uns einen festen Ort, an dem wir sicher stehen können. Gemeinschaft kann so ein Fels sein, der mir Sicherheit gibt. 

Und Gott hält seine Hand schützend über uns und schirmt uns ab. Damit wir nicht alles sehen, das würden wir nicht ertragen und nicht verstehen. 

Aber das Beste ist: Gott geht an uns vorüber und geht uns voraus. Und ich denke: Wie schön! Wenn ich Gott nachsehe, schaue ich nach vorn. Es ist der in die Zukunft gerichtete Blick. Mir eröffnet sich der Weg, den Gott schon gegangen ist. Längst vor mir und uns und allen anderen. Gott ist vorausgegangen und hat eine Spur hinterlassen, der ich folgen kann. Auch wenn das nicht immer eindeutig ist, und einfacher klingt, als es tatsächlich ist. Aber ich muss sie nicht alleine gehen. 

„Lass mich Deine Herrlichkeit sehen, Gott“, einst, wenn es soweit ist. Denn keine Lebende kann das. Doch für jetzt, für unser Leben reicht Dein Name und Dein Erbarmen. Es genügt Dein Nahesein, der feste Grund, auf dem wir stehen können, und Deine schützende Hand. Es langt der Weg, den Du uns vorausgehst, und deine Spuren, die du auf Erden hinterlässt. 

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 

Liebe Gemeinde, ich frage mich, wo sitzen wir eigentlich mal mit Menschen an einem Tisch, deren Gesellschaft wir uns nicht ausgesucht haben? 

Manchmal kommen meine Töchter von Partys zurück, bei denen mehrere Gruppen eingeladen waren, die sich nicht kannten. Immer wieder ein Risiko: Mischen die Klassenkamerad:innen sich mit den Nachbarskindern aus demselben Ort, die aber auf eine andere Schule gehen? Kommt man über die Musik beispielsweise ins Gespräch oder über Influencer, denen man gemeinsam auf Tiktok folgt? Wo findet man Gemeinsamkeiten?

Ans traditionelle Pellkartoffelnessen hier in Nienburg muss ich denken. Seit 35 Jahren gibt es die Tafel, die sich im Juni die Lange Straße entlangzieht, mit Tischdecke und Porzellangeschirr. Weil die Stadt, die Blaue Garde, die Nienburger Bürgerinnenkompanie und die teilnehmenden Wirte die Nienburger dazu einlädt. Über die beteiligten Künstler wie Momo und die Musikgruppen – und natürlich über das Essen kommt man mit den Tischnachbarn ins Gespräch. 

Jesus hat selbst nicht eingeladen. Er hatte kein Esszimmer, in dem er festlich den Tisch decken konnte. Er hatte nicht einmal eine Haustür, die er weit für Gäste hätten öffnen können. Aber wenn er bei jemandem zu Gast war, dann setzten sich viele dazu, die sonst eher unter sich blieben. Dann wurde es eine bunt gemischte Gesellschaft, die beisammen war. Sich vielleicht erstmals und zögerlich zunächst in die Augen sah. Die miteinander aßen und anfangs noch stockend nur ins Gespräch kamen. 

Von einem Essen mit Jesus werde ich Ihnen erzählen und lese zunächst den Predigttext, den die Ordnung für heute vorschlägt: aus dem Mattäusevangelium Kapitel 9 die Verse 9-13. 

Und als Jesus von dort wegging, sah er einen Menschen am Zoll sitzen, der hieß Matthäus; und er sprach zu ihm: Folge mir! Und er stand auf und folgte ihm. 

Und es begab sich, als er zu Tisch saß im Hause, siehe, da kamen viele Zöllner und Sünder und saßen zu Tisch mit Jesus und seinen Jüngern.  

Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu seinen Jüngern: Warum isst euer Meister mit den Zöllnern und Sündern?  

Als das Jesus hörte, sprach er: Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken. Geht aber hin und lernt, was das heißt (Hosea 6,6): »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer.« Ich bin gekommen, die Sünder zu rufen und nicht die Gerechten.

Liebe Gemeinde, ich schaue auf diese Szene und stelle mir vor, wer bei Jesus am Tisch sitzt. Mir fällt natürlich Matthäus ein, der Zöllner, den er gerade berufen hat, sein Jünger zu werden. Und die anderen Jünger, die er vor Matthäus schon gewonnen hatte. Und Matthäus‘ Zollkollegen. Ich denke auch an Ehebrecher und Prostituierte, Gewaltverbrecher und Betrüger. Sie werden im Neuen Testament „Sünder“ genannt. Und es heißt ja, es seien Zöllner und Sünder bei Tisch zusammen. 

Auf jeden Fall eine bunt gemischte Gruppe, die sonst nicht viel miteinander zu tun hat. Man kennt sich vielleicht vom Sehen, aber trifft sich normalerweise nicht auf derselben Party. 

Bei Jesus schon. 

Matthäus richtet das Festgelage aus. Recht spontan, so wie sein Abschied aus seinem Leben ein spontaner Entschluss ist. Ohne lange Vorbereitungszeit. Daher ist es gewiss kein förmlicher Empfang mit großen Reden. Eher mit großen Emotionen. Und die, die mitfeiern, die stehen Matthäus nahe oder sie kommen, weil sie diesen widerständischen Jesus toll finden. Oder zumindest interessant.

Ich stelle mir vor, es sind erst wenige, Familie und Nachbarn, ein paar Kollegen nur, die zur eilig vorbereiteten und reichlich improvisierten Feier kommen, um Adieu zu sagen. Etwas Wein und Brot und Fleisch bringen sie mit. Man kann ja einem wegziehenden Jünger in spe schlecht Geschenke machen… 

Alle sind zunächst ein wenig schüchtern, keiner weiß, was er sagen soll. Wann erlebt man auch sowas schon? Und dann werden es immer mehr, und Matthäus und seine Familie tragen immer mehr Tische nach draußen, das Esszimmer reicht ja längst nicht mehr. Und irgendwann muss es auch ohne Tische gehen. Und es werden immer mehr Menschen, neugierig angezogen von den lauter werdenden Diskussionen, den erstaunten Ausrufen und dem Lachen. Und wer weiß, vielleicht gab es mit fortschreitendem Abend auch Musik und das eine oder andere Tänzchen? 

Ein bisschen muss ich dabei an die Flurfeten an der Kirchlichen Hochschule denken. Ein Wohnheimflur lud ein, es gab ein bisschen was zu essen und zu trinken, was in der Regel viel zu schnell weg war. Dann holten die, die auf den anderen Fluren lebten, schnell was von sich noch dazu. Und irgendwie reichte es dann auch für die Externen. Man kannte gar nicht alle, die da waren, denn viele brachten ihre Freundin oder ihren Freund mit. Aber es war immer nett. Gut, laut war es auch. Das werden nicht alle Nachbarn gut gefunden haben. 

Und auch die Party bei Matthäus sehen manche kritisch: Die Pharisäer stehen am Gartenzaun und lästern: Was ist das hier für eine Party? Mit wem lässt Jesus sich hier ein? Das ist nicht gut für den Ruf und bringt doch nichts als Ärger.

Ich muss sagen, ich kann es auch nicht verstehen. Aber ich finde es ziemlich mutig. Schließlich werden Jesus und seine Gäste auch nicht bei allem derselben Meinung gewesen sein. „Nein, so viel Zoll zu nehmen, damit dein Profit hoch ist, ist überhaupt nicht gut“, dürfte Jesus gesagt haben. „Ich muss aber auch mal an mich denken, und ich habe Familie, und weißt Du überhaupt, was die Ausbildung meines Sohnes so kostet“, mag vielleicht ein Kollege von Matthäus geantwortet haben.   

Also ich meide eher die Leute, die eine total andere Einstellung haben als ich und setze mich nicht von mir aus zum Essen mit Leuten zusammen, die beispielsweise Drogen verkaufen oder über Menschen anderer Herkunft schimpfen. Jesus hatte diese Berührungsängste nicht.  

Er hat nicht über die anderen geredet, sondern mit ihnen. Er hat nicht nur diskutiert und seine Meinung gesagt und von Gott erzählt. Er hat mit den Menschen gefeiert und Gemeinschaft gehabt. Er ist ihnen auf Augenhöhe begegnet und hat sie akzeptiert, wie sie waren. Er verstand seinen Auftrag darin, für sie da zu sein. Gerade für die, die andere abzockten oder verletzten oder oder…

Gemeinschaft mit ihm und in seinem Namen, Gemeinschaft so unterschiedlicher Menschen untereinander und mit Gott – die wollte Jesus stiften. Denn so sieht das Reich Gottes aus, so will Gott es haben. 

Sehr viel später dann, als Jesus allein war mit seinen Jüngern, beim Passahfest in Jerusalem, da nahm er das Brot und sagte: „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird.“ Und er nahm den Kelch: „Das ist mein Blut, das vergossen ist zur Vergebung eurer Schuld.“

Und das zeigt uns: der Gartenzaun ist nicht unser Platz. Und zu den Gerechten zählen wir auch nicht. Wir gehören mitten hinein in die bunt gemischte Festgesellschaft.

Wir haben als die, die sich zum Gottesdienst hier treffen, ja auch nicht alle immer so viel miteinander zu tun. Wir kennen uns teils kaum und treffen uns normalerweise nicht auf denselben Partys. Bei Jesus schon. 

Bei ihm sind wir alle gleich. Keiner ist besser und keine schlechter. Und auch wenn wir heute kein Fest miteinander feiern, nicht zusammen an einem Tisch richtig essen und trinken, wollen wir es dennoch zumindest im Kleinen tun: Gemeinschaft halten. In Brot und im Saft der Trauben. Mit Jesus mitten unter uns. Und in seinem Namen. Abendmahl feiern. Und daran festhalten: So wird es im Reich Gottes sein. Nur noch bunter und fröhlicher.

Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war 
und der da kommt. 

Liebe Gemeinde, stellt euch vor: Eine aktive, eine lebendige, eine starke Gemeinde. Die Mitglieder können so viel, sind begabte Redner und großzügige Spenderinnen, kluge Organisatoren und fähige Musikerinnen. Sie können begeistern und die Bibel erklären, beten viel und stehen fest im Glauben.
Doch anstatt sich daran zu freuen, gibt es Streit.
Was ist richtig, wer hat Recht? Es entstehen Gruppen, die miteinander konkurrieren. Man macht sich gegenseitig Vorwürfe:
Ich bin der wahre Christ, weil ich in Zungen rede. Du nicht.
Ich bin die echte Christin, weil ich mein letztes Hemd hergebe. Du nicht.
Ich bin wirklich christlich, weil ich mich an die Speisegebote halte. Du nicht.
Sie ahnen es schon, ich spreche nicht von St. Martin, sondern so war es in der Gemeinde in Korinth. 

Stellt euch vor, sagt der Apostel Paulus, eure ganze Stärke nützt euch nichts. Egal wie konsequent, wie genial oder wie gläubig ihr seid  wenn ihr keine Liebe habt, ist alles umsonst.

Ich lese den Anfang unseres heutigen Predigtextes. Das so genannte Hohelied der Liebe im Neuen Testament: das 13. Kapitel des 1. Korintherbriefes: 

Der Apostel Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth:

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte der Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle Habe den Armen gäbe und meinen Leib dahingäbe, mich zu rühmen, und hätte der Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze. (VV.1-3)

Lieblosigkeit macht alles kaputt, ruft Paulus ihnen zu. Auslöser ist die Feier des Abendmahls. Da fangen die einen schon früher an und lassen kaum mehr etwas für die anderen übrig. DieMitglieder, die Sklaven sind, müssen länger arbeiten. Wenn sie dann dazukommen, sind nur noch die schäbigen Reste da. Ausgerechnet beim Mahl der Liebe zeigen die Christinnen und Christen in Korinth, dass sie keine Rücksicht aufeinander nehmen und nicht in Liebe aneinander denken. 

Aber immer Rücksicht nehmen, immer an alle anderen denken, immer lieben – kann man das schaffen? 

Kennen Sie die Bücher vom kleinen Raben Socke? Meine Lieblingsgeschichte aus dieser Kinderbuchreihe ist die übers Bravsein. Der Rabe Socke will das Bravsein erlernen, weil er sonst keine Geburtstagsgeschenke bekommt. Und immer, wenn er seine Freunde fragt und von ihnen hört, was man alles tun muss, um brav zu sein, ruft er entgeistert: Das schafft doch keiner.

Wenn ich die Ansprüche des Apostels an die Liebe lese, möchte ich auch rufen: Das schafft doch keiner! Ich lese die weiteren Verse aus dem Hohelied der Liebe: 

4 Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, 5 sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, 6 sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; 7 sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. 8 Die Liebe höret nimmer auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird.

„Die Liebe erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles.“ Das schafft doch keiner! Oder doch. Einer schon. Jesus ist konsequent den Weg der Liebe gegangen. Dafür wurde er angegriffen und starb am Kreuz. Er hat sich verwundbar macht. Das ist wohl so: Wer liebt, macht sich verwundbar. 

Kann so lieben also nur der Eine, der nicht nur Mensch, sondern auch Gott ist? Warum hält Paulus den Korinthern und uns dies unerreichbare Ideal der Liebe vor Augen? 

Um das zu beantworten, finde ich Verse aus einem anderen biblischen Brief hilfreich, dem 1. Johannesbrief. Dort steht: „Gott ist die Liebe.“ Und weiter zusammengefasst: Wir können lieben, weil Gott uns zuerst geliebt hat. Das macht uns erst fähig zu lieben. Liebe ist immer wieder eine Gabe Gottes. Und noch ein Zitat: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.“ Nur mit Gottes Hilfe, mit Gott verbunden können wir so lieben, wie es das Hohelied ausführt. Aber da wir nicht eins sind mit Gott, ist die Liebe in uns immer gebrochen, nie rein.

Es wird auch nirgendwo erwartet, dass wir so vollkommen lieben wie Gott. Die Liebe erträgt alles, hofft alles…. - die Liebe, die Gott ist. Wir partizipieren an dieser Liebe, wir lassen uns davon schenken. Aber zur Vollkommenheit gelangen wir nicht. Keine von uns vermag alles zu ertragen, alles zu glauben, alles zu hoffen, alles zu dulden…

Stellen Sie sich die Liebe vor als ein Brot. Es duftet wunderbar und ist schön anzusehen. Es ist lebenswichtig. Es nährt uns. Wir empfangen es mittelbar von Gott. Denn Gott lässt wachsen, was es dazu braucht. Und Gott lässt es durch unsere Hände gehen.

Die Liebe ist wie ein Brot. Sie geht durch Menschenhände und -arme und -herzen. Und wir haben nie das ganze Brot. Einer allein ein ganzes Brot? Nein. Aber eine Scheibe können wir uns davon abschneiden. Jeden Tag. 

Und dann, stellt euch vor, liebe Gemeinde, ihr liebt, so gut ihr könnt. Stellt euch vor, die Liebe wäre in allem, was ihr sagt und tut, - und sei es nur in ganz dünnen Scheiben.
Wie würden eure Leserbriefe aussehen? Wie würdet ihr über junge Menschen sprechen, die sich in ihrer Sorge um die Zukunft der Erde auf die Straße kleben? Würdet ihr hinnehmen, wenn Geflüchtete als Verbrecher abgestempelt werden? Wie würdet ihr über eure Nachbarn, Verwandte oder Kolleginnen denken, die so vermeintlich ärgerliche Sachen sagen oder tun, wäre die Liebe in euch? 

Gut, von Scheiben oder Scheibchen steht nichts in der Bibel, aber von „Stückwerk“. Ich lese den Schluss unseres Predigttextes: 

Paulus schreibt: 9 Denn unser Wissen ist Stückwerk und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. 10 Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. 11 Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. 12 Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunklen Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. 

Ja, wir erkennen nur Bruchteile. Wir sehen nie das Ganze. Wir verstehen nicht, warum dies oder jenes geschieht. Und das ist oft ziemlich bitter! Unser Leben ist Fragment. Es ist ein Puzzle mit mehr Löchern als Bild. Wie auch unser Glauben. Und unser Lieben - ist genauso bruchstückhaft. 

Keine von uns ist vollkommen und keiner muss es vor Gott sein. Und ich wünschte, wir wären gnädiger mit anderen und mit uns selbst. 

Es gibt einen schönen kleinen Text des von mir geschätzten Theologen Hans-Joachim Eckstein: 

Unser Mangel an Liebe 

kann nichts an Gottes Liebe ändern,

aber Gottes Liebe 

alles an unserem Mangel an Liebe.

Unser Unglaube

lässt Gott nicht schwächer werden, 

aber Gottes Kraft

macht unseren schwachen Glauben stärker.

Durch unsere Verzweiflung 

wird die Wirklichkeit des Himmels kein bisschen kleiner, 

aber durch das Wirken des Himmels 

unsere Hoffnung sehr viel größer.

Denn selbst unsere Sünde 

kann Gott nicht von seiner Liebe abbringen – 

aber seine Liebe uns von der Sünde. 

Das Hohelied der Liebe wird gerne bei Trauungen gelesen. Den letzte Vers habe ich Ihnen noch vorenthalten. Er ist wahrscheinlich der beliebteste aller Trausprüche. Aber auch auf Friedhöfen finden wir ihn, auf unserem Leintorfriedhof zum Beispiel. Mit ihm will ich schließen: 

13 Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Und der Friede Gottes, der so viel höher ist als all‘ unsre Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 

Liebe Gemeinde,

der damalige Superintendent meines Heimatkirchenkreises in Wuppertal und spätere Präses, Manfred Rekowski, erzählte einmal von einem Vortrag eines Benediktinerabtes. Rekowski war zu einer Veranstaltung eingeladen worden, bei der es um das Thema „Gehorsam“ ging. Er sei recht lustlos dorthin gefahren, berichtete er. „Gehorsam“, was für ein Thema! Ist das nicht ein Relikt aller Tage? Und auf dem Weg zu dem Vortrag entwarf er in Gedanken ein evangelisches Gegenprogramm unter der Überschrift „Freiheit und Widerstand“. Auch ich denke bei Gehorsam gleich an „Kadavergehorsam“ und dass blinder Gehorsam brandgefährlich sein kann.

Doch bevor ich Ihnen von dem Vortag des Abtes erzähle, lese ich den Predigttext für heute. Die Perikopenordnung, die für jeden Sonntag einen Bibeltext vorschreibt, sieht für heute drei Verse aus dem Hebräerbrief vor. Ich lese aus Hebräer 5 die Verse 7 bis 9 nach der Guten Nachricht Bibel.

Als er noch auf der Erde lebte,

hat Jesus sich im Gebet mit Bitten und Flehen an Gott gewandt,

der ihn vom Tod retten konnte.

Mit lautem Rufen und unter Tränen hat er seine Not vor ihn gebracht.

Weil er treu zu Gott hielt, ist er schließlich auch erhört worden.

Und doch: Obwohl er Gottes Sohn war,

hat er zunächst durch das, was er durchmachen musste,

Gehorsam gelernt.

Nachdem er nun das Ziel erreicht hat,

ist er für alle, die ihm gehorchen,

zum Begründer ihrer ewigen Rettung geworden.

Liebe Gemeinde, Novizen, also angehende Mönche, und Mönche sind ihrem Abt gegenüber zu Gehorsam verpflichtet. Der Abt leitet das Kloster. Aber zu gehorchen muss jeder Klosterbruder auch erst einmal lernen. Widerspruch und Widerworte, erzählte der besagte Abt, waren in seinem Leben als „Anfänger“ im Kloster - aber auch später noch - an der Tagesordnung.

Noch spannender wurde der Vortrag aber, als er vom Gehorsam als Abt berichtete: Das sei 16mal schwerer gewesen als der Gehorsam als Mönch. Denn, so seine Erklärung: Die Mönche gehorchen einem Abt. Aber er als Abt gehorche allen 16 Mönchen. Seine vornehmliche Aufgabe als Abt sei nicht der Gehorsam gegenüber Ordensoberen, sondern Gehorsam gegenüber denen, die er zu leiten hatte. Was war damit gemeint?  

Mein etymologisches Wörterbuch sagt: Im Wort „Gehorchen“ steckt „horchen“. In „Gehorsam“ „hören“.

Als Abt muss er 16 Mönchen „gehorsam sein“ im Sinne von: hören, was ihre Bedürfnisse sind. Seine Herausforderung ist es zum einen, auf die Bedürfnisse jedes einzelnen seiner Mönche und Novizen zu hören. Aber zugleich muss er die Führung behalten, also schauen, wie auch Gegebenheiten berücksichtigt werden und die Gemeinschaft geschützt wird. Nicht jedem Bedürfnis kann nachgegeben werden. Denn die Bedürfnisse des einen schränken wiederum die eines anderen oder die Gemeinschaft ein. Da gilt es für Abt, auf der einen Seite gut hinzuhören und auf der anderen Seite abzuwägen, was Priorität hat.

Liebe Gemeinde, im Hebräerbrief heißt es: Selbst Jesus, Gottes Sohn, hat Gehorsam gelernt, durch das, was er durchmachen musste. Dabei ist an sein Leiden zu denken: Sein Wissen, sterben zu müssen. Sein Gebet: „Vater, lass diesen Kelch an mir vorübergehen, doch nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ An seine Gefangennahme, Verurteilung und Demütigung. An seine Kreuzigung, sein Tod.

Jesus hat Gehorsam gelernt und damit Vertrauen. Vertrauen, dass Gott ihn durch das Leiden begleitet und leitet, durch den Tod hindurch zu ewigem Leben. Und das hat Gott.

Dass Jesus „gehorsam“ ist, das wird mit diesem genauen Wortlaut zwar nur hier im Hebräerbrief gesagt. Aber von dieser Umkehr der Verhältnisse, von der auch der Abt spricht, ist auch an anderen Stellen im Neuen Testament die Rede.

Paulus schreibt z.B. im Philipperbrief: Der Messias entäußerte sich selbst und nahm Sklavengestalt an. Also: Der Herr wird Sklave und lernt gehorchen.

Bei Markus haben wir in der Lesung gehört: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene.“

In Johannes 13 lesen wir, wie Jesus sich eine Schürze umbindet und den Jüngern die Füße wäscht.

Es wird deutlich: Jesu Gehorsam ist nicht nur Gehorsam nach oben, seinem Vater gegenüber, sondern auch ein Gehorsam denen gegenüber, die ihm nachfolgen.

Also Gehorsam auf beiden Seiten und untereinander, ohne alle Hierarchien zu stürzen und Autoritäten zu verneinen. Gott bleibt Gott und Jüngerin bleibt Jüngerin, Jünger bleibt Jünger. Jesus war eigentlich auch schon vor seiner Passion gehorsam in dem Sinne, dass er anderen diente.

Liebe Gemeinde, ein bisschen erinnert mich das, was der Abt erzählt hat, an Berichte von Firmenchefs, die unerkannt in die Rolle ihrer Angestellten schlüpfen, um deren Arbeit und Perspektive besser kennenzulernen. Ein Stoff aus dem Filme gemacht worden sind.

Oder an das Buch „Prinz und Bettelknabe“ von Mark Twain, das ich in meiner Jugend mal gelesen habe. Ein Prinz und ein Bettler, die sich zum Verwechseln ähnlichsehen, tauschen ihre Kleider. Der echte Prinz in Bettlerkluft wird aus dem Schloss gejagt, den Bettler in königlichem Gewand halten alle für verrückt, weil er immer wieder sagt, er sei gar kein Prinz. Aber der echte Prinz lernt das Leben seiner Untertanen kennen. Und als er ins Schloss zurückkehrt und den Thron besteigt, wird er zu einem gerechten und milden Herrscher.

Wenn jetzt nun unser „König“ Jesus zu uns normalem Volk kommt und gehorchen lernt, dann heißt das nicht nur: Wir haben einen Gott, der sich klein machen kann, der hinhört auf die Bedürfnisse seiner Menschen. Sondern dann heißt das außerdem: Wir haben einen Gott, der LERNT. Einen Gott, der sich verändert, der sich bewegen lässt.

Ich denke an das Gleichnis von der bittenden Witwe: Die Witwe liegt einem Richter lange in den Ohren, ihr Recht zu verschaffen. Doch der Richter will nicht. Irgendwann lässt er sich dann doch erweichen. (Lukas 18,1-8) Genauso ist Gott, sagt Jesus. Gott lässt mit sich reden.

Liebe Gemeinde, mit Bitten und Flehen wenden sich Menschen seit je her an Gott. Unter Tränen bringen sie ihre Not vor ihn im Gebet. So manche von uns kennt das, die Verzweiflung und Angst und das Beten zu Gott um Hilfe. Und wie viel mehr kennen das schwer Erkrankte in unserer nächsten Umgebung, und Menschen, die in der Ukraine oder in Äthiopien im Krieg leben - und so viele mehr. Ach, möge Gott doch mit sich reden lassen und für Frieden sorgen, wo Menschen es nicht tun!

Jesus musste das alles durchmachen, die Angst und die ganze Gewalt der römischen Soldaten. Weil er treu zu Gott hielt, ist er schließlich auch erhört worden. Er ist vom Tod auferstanden. Und so er ist für alle, die ihm gehorchen, zum Begründer ihrer ewigen Rettung geworden, heißt es im Hebräerbrief. Seine Auferstehung ist unsere Verheißung!

 

Liebe Gemeinde, für uns ist das ewige Leben noch Zukunftsmusik und Grund zur Hoffnung über alles Leiden und den Tod hinaus. Ich schließe mit einem Satz des Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer aus seinem Buch „Nachfolge“. Dort heißt es sinngemäß: „Gehorsam heißt sich zu entscheiden, den Ruf Jesu in die Nachfolge anzunehmen und sich darauf zu verlassen, dass Gottes Wort ein tragfähiger Boden ist. Es ist ein Boden, auf dem ich stehen und bauen kann. Tragfähiger als alle Sicherheiten dieser Welt.“

Und der Friede Gottes, der so viel höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.

Gnade sei mit Euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.

Liebe Gemeinde, ein Bild ist mir im Gedächtnis. Viele, die in den Tagen nach dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und in Syrien die Medien verfolgt haben, werden es kennen. Auf dem Foto ist ein Mann, Mesut Hancer zu sehen in einer orangenen Jacke, wie sie Rettungsdienste tragen. Er hält die Hand seiner 15-jährigen Tochter Irmak fest – sie wurde unter Trümmern begraben. Sie konnte nicht gerettet werden. Sie starb.

Ich habe auch eine 15-jährige Tochter. Wenn ich an das Bild denke, kommt der Schmerz des Vaters mir nahe und zerreißt mir das Herz.

„Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus.“ Damals, als Jesus starb. So erzählen es Matthäus und Lukas. Und nicht nur das: „Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.“ „Und die Erde erbebte außerdem, und die Felsen zerbarsten,“ schreibt der Evangelist Matthäus. Er kann das Geschehen auf Golgatha nicht so nüchtern erzählen, wie Johannes es später tut. Das Erschütternde und die tiefe Finsternis, die die Zeugen erlebt haben, muss er zum Ausdruck bringen.

„Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke.“

Jesus stirbt am Kreuz! Und wenig später kniet eine Mutter bei ihrem toten Sohn und hält ihn ein letztes Mal.

In unzähligen Kirchen und Museen habe ich die Beweinung Jesu als Skulptur oder als Gemälde gesehen. Michelangelos Pietà im Petersdom ist das bekannteste Beispiel.

Außerdem viele, wie Maria Jesus als Neugeborenes hält. Dazwischen gibt es keine Bilder: keins, wo sie ihn tröstet, wenn er hingefallen ist, oder wo sie ihm zuhört, wenn er zuhause etwas erzählt. Es gibt - so gut wie - nur diese beiden Szenen, die uns von Mutter und Sohn vor Augen geführt werden: Kurz nach seiner Geburt und kurz nach seinem Tod.

Maria geschieht, was der Alptraum aller Eltern ist: ihr Kind stirbt.

Da zerreißt alles von oben bis unten entzwei, gerät aus den Fugen, ihr Herz zerbirst.

Manchmal rühren mich die Bilder von Maria und Jesus an. Aber es sind keine Fotos, keine Momentaufnahmen. Sie gehorchen ästhetischen Regeln, sind Kunstwerke. Und ob Maria Jesus tatsächlich noch einmal hat in ihren Armen halten dürfen? Wir wissen es nicht, die Bibel erzählt es nicht.

Dennoch brauche ich dieses Bild. Damit Mesut Hancer, und damit ukrainische und russische Eltern, deren Kinder im Krieg in der Ukraine sterben, damit alle Eltern, die ein Kind verlieren, nicht allein sind mit ihrem Schmerz. Das Erdbeben, der Krieg haben ihr Leben zerrissen in ein Davor und ein Danach. Und selbst wenn die Trümmer irgendwann wieder weggeräumt und die Städte wieder aufgebaut sind, selbst wenn der Krieg in der Ukraine eines Tages zu Ende ist, werden die Mütter und Väter ihre Kinder nicht wiederbekommen. Und ihr Schmerz vergeht nicht, nach Jahren nicht und nicht nach Jahrzehnten.

„Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus.“ Und wir ahnen nur, dass es so viele Eltern auf der ganzen Welt gibt, die um ein Kind trauern. Leben, von denen wir nichts wissen. Von denen kein Bild erzählt, das um die Welt geht. Deren Schmerz aber genauso groß ist. Deren Herz zerrissen ist.

Ich denke an sie, immer wenn ich Maria sehe, wie sie ihren toten Sohn im Arm hält.

Liebe Gemeinde, heute ist Karfreitag. Und wir stehen da, hilflos angesichts des Todes. Und wir beten zu dem, der Leben gibt. Der sagt: „Es wird eine Zeit kommen. Da wird es keinen Tod mehr geben, kein Leid, keine Klage und keine Schmerzen. Das, was einmal war, ist dann für immer vorbei.“ (Offb 21) Darum glaube ich.

Aber heute, heute ist Karfreitag. Und ich sehe dieses Bild. Und ich merke, mich tröstet der Blick auf Ostern und diese Verheißung. Mich trägt aber auch das Kreuz. Jesus, der stirbt. Der schlimmstes Leid, Demütigungen, Folter und Tod durchleidet. Maria, der es das Herz zerreißt. Die ihren Sohn sterben sehen muss. Die ihn in den Armen hält. Tiefstes Leid auf der Welt nicht auszublenden. Mit zu erschrecken, zu zittern, zu zweifeln, auszuhalten und zum lebendigen Gott zu beten. Miteinander.

Denn der Friede Gottes ist höher als all unser Verstehen. Er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus. Amen.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Tischgemeinde, alles ist bereitet. Die Tische sind mit Vorüberlegung aufgebaut – 12 Stühle an jeder Seite!, es ist liebevoll eingedeckt, das Essen in Vorfreude auf heute Abend geschnitten, gewaschen, auf Schalen verteilt. Sogar der rote Traubensaft ist schon eingeschenkt fürs Abendmahl. Weißwein steht für später in den Krügen bereit. Endlich können wir in St. Martin wieder Tischabendmahl feiern. Und ich schaue mich um und weiß, dass der eine und die andere von Ihnen sich auf heute Abend gefreut hat. Wir erinnern an das letzte Mahl, das Jesus mit seinen Jüngern hielt.

Die Jünger waren voller Vorfreude mit Jesus nach Jerusalem gegangen. Dort wurde er mit Jubel empfangen. Es war vermutlich für die meisten von ihnen ihr erstes Passahfest, das sie nicht mit der Familie feierten. Es war ihr erstes und einziges, dass sie in dieser Konstellation mit Jesus in Jerusalem feierten.

Doch es gab ein Problem: Es hatte sich keiner um die Vorbereitung gekümmert. Niemand hatte daran gedacht, rechtzeitig einen Raum zu mieten. Die Stadt war rappelvoll. Alle feierten.

Das ist so, als wenn Sie an einem Maiwochenende spontan versuchen, in Nienburg in einem Restaurant noch etwas für denselben Tag zu bekommen. Das können Sie vergessen! Kaum eine Chance, da noch was zu kriegen.

Wie das damals genau war, lese ich aus dem Lukasevangelium, dem 22. Kapitel.

7 Es kam nun der Tag der Ungesäuerten Brote, an dem man das Passalamm opfern musste. 8 Und er sandte Petrus und Johannes und sprach: Geht hin und bereitet uns das Passalamm, damit wir’s essen. 9 Sie aber fragten ihn: Wo willst du, dass wir’s bereiten? 10 Er sprach zu ihnen: Siehe, wenn ihr hineinkommt in die Stadt, wird euch ein Mensch begegnen, der trägt einen Wasserkrug; folgt ihm in das Haus, in das er hineingeht, 11 und sagt zu dem Hausherrn: Der Meister lässt dir sagen: Wo ist die Herberge, in der ich das Passalamm essen kann mit meinen Jüngern?

12 Und er wird euch einen großen Saal zeigen, schön ausgelegt; dort bereitet das Mahl. 13 Sie gingen hin und fanden’s, wie er ihnen gesagt hatte, und bereiteten das Passalamm. 14 Und als die Stunde kam, setzte er sich nieder und die Apostel mit ihm.

15 Und Jesus sprach zu ihnen: Mich hat herzlich verlangt, dies Passalamm mit euch zu essen, ehe ich leide. 16 Denn ich sage euch, dass ich es nicht mehr essen werde, bis es erfüllt wird im Reich Gottes. 17 Und er nahm den Kelch, dankte und sprach: Nehmt ihn und teilt ihn unter euch; 18 denn ich sage euch: Ich werde von nun an nicht trinken von dem Gewächs des Weinstocks, bis das Reich Gottes kommt. 19 Und er nahm das Brot, dankte und brach’s und gab’s ihnen und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. 20 Desgleichen auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird!

Liebe Gemeinde, mir ist dieser eine Satz noch nie aufgefallen oder wieder entfallen: Jesus sagt: „Mich hat herzlich verlangt, dies Passahlamm mit euch zu essen, ehe ich leide.“ Und ich stelle mir vor, wie er sie dabei anschaut. Alle 12, der Reihe nach. Und er sieht ihre Freude über das Fest und ihre Angst vor dem Leiden, das er ankündigt. Und er freut sich auch und hat selbst Angst.

Jesus ist das bewusste Abschied Feiern mit seinen Jüngern wichtig. Nicht nur, damit ihnen die Situation und die Bedeutung von allem, was danach kommt, klar wird. Nicht nur, um ihnen nochmal das eine oder andere in Ruhe mit auf den Weg geben zu können. Nein, er hat „sich danach gesehnt“, es war ihm ein emotionales Anliegen. Das hat er gebraucht. Für sich.

Liebe Gemeinde, was war ihr schönster Abschied? Und vielleicht kommen wir nachher bei Tisch darüber ins Gespräch.

Ich weiß, Abschied ist nicht immer schön. Aber vielleicht ist es dann um so wichtiger, ihn gebührend und würdig zu begehen.

Es kann einem nämlich richtig fehlen, wenn man keinen Abschied nimmt. Ich erinnere mich an mein erstes Examen: das Ende meines Studiums, der Beginn der Berufstätigkeit, des Vikariats. Das war eine große Wende, verbunden mit Abschiedsschmerz und Vorfreude, Unsicherheit und Tatendrang. Aber einen richtigen Abschied gab es nicht. In dieser Zeit des Übergangs von einer Lebensphase zur anderen hätte mir ein Ritual, ein Segen gut getan, der hat mir gefehlt. (Es war schön zu sehen, Patrick, dass es so etwas zu Beginn Deines Vikariats im Kloster Loccum gab.)

Und ich denke an neulich, eine Trauerfeier, nur am Grab. Was ich nur selten und in Ausnahmefällen mache. Eine Besucherin sieht die Familie am Grab und die verschlossene Kapelle und macht enttäuscht und wütend kehrt. Als sie mich im Talar sieht kommen, kommt sie doch nochmal mit zurück. Und wir feiern würdig Abschied mit vielem, was dazugehört: Der Bestatter hat die Urne aufgebahrt, mit Blumen geschmückt, wir haben gebetet und Stille gehalten, es gab einen Rückblick und wir haben aus dem Leben erzählt, wir haben nach vorne geschaut und Hoffnung geschöpft, es gab Ritus und Segen. Und es war wichtig.

Ich finde, Abschiede wie Neuanfänge sollte man nicht einfach geschehen lassen, man sollte sie feiern. Auch wenn es traurig ist.

Weil es so wichtige Momente sind. Weil sich etwas verändert. Weil es gut ist, einmal die Zeit anzuhalten und innezuhalten, in sich hineinzuschauen und zu horchen. Den Abschiedsschmerz zuzulassen, und die Freude über Gewesenes dankbar zu genießen.

Das Verrückte ist ja, dass beim Abschied oft beides da ist. Dieser dumpfe Schmerz auf der Brust, der einen nur ganz flach atmen lässt. Und zugleich die Dankbarkeit und Freude über das Gute, das war, Freude, die das Herz schneller schlagen lässt. 

Ob Jesus das auch so ging, als er sich umschaut und sagte: Ich habe mich so auf das Essen heute mit euch gefreut? Bestimmt hat er sich erinnert, was er mit jedem einzelnen der Jünger erlebt hat, was jeder ihm bedeutet hat. Und er sah ihre Freude und ihre Angst.

Wissen Sie, ich fand es ja lange komisch, wie ausführlich Lukas erzählt, was es an Vorbereitungen brauchte. Wie Petrus und Johannes auf wundersame Weise den Raum gefunden haben. Und dass es ein großer Saal war, der schön ausgelegt war. Und dann sagt Jesus noch: „Ich habe mich so sehr nach diesem Festessen mit euch gesehnt.“ Ich habe so manches Mal achselzuckend darüber hinweggelesen.

Aber in diesem Jahr lese ich das ganz anders. Ich habe gehört, wie sehr sich manche auf heute Abend gefreut haben und wie wichtig ihnen das Tischabendmahl ist. Es wurde liebevoll und sorgfältig durch viele vorbereitet. Und es ist etwas Besonderes, wir machen das ja nicht alle Tage. Ja, wir haben es 2020 und 2021 sogar gar nicht machen können.

Wir haben uns erinnern lassen, wie das damals war, als Jesus Abschied feierte. Für Jesus und die Jünger war es ein schöner, aber auch ein trauriger, angstvoller Abend. Auch wenn sie, wie derzeit Juden auf der ganzen Welt, Passah – das Fest der Befreiung - gefeiert haben.

Das, liebe Gemeinde, ist der Unterschied der Jünger zu uns heute: Wir feiern zwar kein Passah, wir feiern Jesu Abschiedsmahl, aber wir müssen nicht traurig bleiben. Denn wir kommen von Ostern her. Wir feiern Abendmahl als Ostergemeinde. Wir verlieren nicht unseren Freund oder unseren Herrn. Wir wissen, er kommt. Ostern wartet auf uns.

Nun feiern wir jedes Jahr Gründonnerstag. Es ist wie Passah ein ritualisiertes Feste. Und trotzdem wichtig.

Ich glaube nämlich, wir üben darin Abschied zu nehmen. Wir halten heute Abend inne. Unweigerlich fallen uns Abschiede ein, die die gerade geschehen sind oder schon länger her oder die erst bevorstehen. Vielleicht sprechen wir gleich darüber. Und diese Abschiede machen uns das Herz schwer. Immer noch oder schon jetzt.

Aber es tut gut, sich zu erinnern. Beim Essen. Am schön gedeckten Tisch. Mit Musik und Liedern. In Gemeinschaft. Innezuhalten, sich umzuschauen: wer ist da mit mir, in der Gemeinde unterwegs? Und Christus in unserer Mitte. Und er sieht auch unsere Freude über das Fest und unsere Trauer und Angst.

Und der Friede Gottes, der so viel höher ist als all unser Verstehen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 

Konfirmationspredigt vom 30.4.2023

„Liebe Kinder, heute sehen wir uns zum letzten Mal!“ (Zitat eines Hamburger Pastors von 1836)

Ehe Sie jetzt etwas Falsches denken, liebe Festgemeinde:

Ich gehe ganz hoffnungsfroh davon aus, dass wir die Jugendlichen durchaus noch öfter sehen werden. Zum Beispiel beim Nachtreffen mit Eis ohne Ende oder beim Gemeindefest oder bei den Teamertreffen.

Die Betonung liegt ganz woanders: „Liebe KINDER, heute sehen wir uns zum letzten Mal“ – wir sehen Euch zum letzten Mal als religionsunmündige KINDER. Verlassen werdet Ihr dieses Gebäude nachher als mündige Gemeindeglieder mit Rechten: z.B. könnt Ihr Paten werden und den Kirchenvorstand nächstes Jahr mitwählen.

In Glaubensdingen seid Ihr den Kinderschuhen entwachsen. - Naja, und wenn ich auf Eure Füße schaue, dann wohl nicht nur in Glaubensdingen...

Wenn ich mir die Fotos anschaue, die ich vor einem Jahr von Euch gemacht habe, dann steht mir deutlich vor Augen, wie sehr Ihr Euch in den 12 Monaten verändert habt.

Bestimmt geht es Ihnen als Eltern, als Patinnen, Paten und Verwandte ähnlich und Sie fragen sich vielleicht: „Wo ist das Kind geblieben, dem ich gerade noch vorgelesen habe?“ „Habe ich mit ihr nicht neulich erst Ball gespielt?“ Gerade heute ist es augenfällig, wie erwachsen Ihr plötzlich seid.

Abschied vom Kindsein. Aufbruch in die Erwachsenenwelt. Das hat viel mit Konfirmation zu tun. Davon erzählt auch eine biblische Geschichte. Eine, die es in sich hat.

Jesus erzählt sie. Es ist die Geschichte vom Vater, der zwei Söhne hat. Und sie könnte ganz genauso von der Mutter handeln. Und statt Söhne könnten es ebenso Töchter sein. Aber im 15. Kapitel des Lukasevangeliums steht sie mit einem Vater und zwei Söhnen.

Es ist der Jüngere von beiden, der eines Tages sagt: „Vater, zahle mir mein Erbe vorzeitig aus. Ich verlasse Euch.“ Und der Vater gibt dem Knaben sein Erbe. Ob erst nach Diskussionen und mit Bauchschmerzen und durchsorgten Nächten – das wissen wir nicht. Vielleicht war nicht genug Platz das damals auf dem Papyrus aufzuschreiben. Aber er tat es. Wahrscheinlich kannte der Vater damals schon den weisen Spruch von den Wurzeln und den Flügeln, Sie wissen schon… Und er wusste: Wenn man Kindern Vertrauen schenkt und sie ziehen lässt, dann hat man eine gute Chance, sie wiederzusehen. 

Der Junge macht sein Erbe zu Geld und zieht ins Ausland. Das Nest wird leerer.

Nester oder vielmehr solche Nistkästen habt Ihr mit dem NABU zusammen in Eurer letzten Stunde gebaut. Mit Euch zusammen wollen wir sie noch auf unseren Friedhöfen aufhängen, damit sie Vögeln ein Zuhause bieten. Das wird eine schöne Erinnerung für die Gemeinden an Euren Konfijahrgang sein.

Der Ausgeflogene genießt das Leben in vollen Zügen – jedenfalls bis das Konto leer ist. Und vielleicht wäre das nicht so schlimm gewesen, er hätte dann arbeiten gehen können. Aber just zu der Zeit kommt eine Hungersnot über das ganze Land und macht alles zunichte. So wie zu anderen Zeiten Pandemien. Oder Kriege.

Und plötzlich ist alles anders. Was sicher war, ist plötzlich unsicher.  Menschen verlieren ihre Jobs, ihr Erspartes. Lebenspläne werden über den Haufen geworfen. Und in unserer Geschichte heißt es nun: „Auch der Sohn beginnt zu hungern.“ Und er ist obdachlos.

Liebe Konfis, ich muss an den Besuch des Asphalt-Verkäufers denken, letzten Herbst. Erinnert Ihr Euch? Gebannt habt ihr zugehört, als Er aus seinem Leben als ehemals Obdachloser berichtet hat.

Wo wir als Christenmenschen hier in unserer Stadt anderen helfen, haben wir uns angesehen. Denn Diakonie ist ein wichtiger Teil unseres Glaubens.

Liebe Festgemeinde, als ich in meiner Bibel nun in unserer Geschichte weiterlesen wollte, stand auf der nächsten Seite nur ein einziges Wort: VERGEBUNG.

Als eine Kleingruppe von Euch den Predigtpart in Eurem Konfi-Gottesdienst übernommen hat, habt Ihr entschieden, über die Gnade zu predigen. Ich fragte Euch: Was versteht Ihr denn unter Gnade? Und Ihr sagtet: „Gnade - ist Vergebung.“

Dass man einander vergibt, ist Euch wichtig. Und Ihr habt das gelebt. Ich denke an zwei von Euch, die es schwer miteinander hatten, und die dennoch aufeinanderzu gehen konnten und sich versöhnt haben. Also, wenn Eure Gruppe nicht religionsmündig ist, dann weiß ich es auch nicht…

Aber zurück zu unserem nun mittellosen Jüngling aus der Geschichte. Er findet nur einen ziemlich üblen Job: Schweinehüten. Verdienst weit unter Mindestlohn. Es reicht nicht einmal zum Sattessen.

„Da geht der Sohn in sich“, heißt es in meiner Bibel. Und wieder muss ich an Euch denken.

Denn Ihr seid auch ins Innere gegangen, in Euer Inneres und in das einer Spirale an Bibelversen. Die haben wir auf der Freizeit in Hanstedt auf dem Boden ausgelegt. Spruch für Spruch seid Ihr mit Teelichtern den Weg nach innen gelaufen, wart ganz still und konzentriert dabei. Denn Ihr wusstet: Hier entscheide ich, was mich mein weiteres Leben lang begleitet. Was Licht auf dunklem Weg oder ein Seil beim Klettern sein kann. Und jede hat ihren, jeder hat seinen Vers gefunden, den wir nachher auch verlesen werden.

Der Sohn geht also in sich und denkt: „Alle Arbeiter meines Vater haben genug zu essen. Ich will zu meinem Vater zurückgehen und zu ihm sagen: Ich bin es nicht mehr wert, dein Sohn genannt zu werden. Aber lass mich bei Dir arbeiten, damit ich nicht verhungere.“ So macht er sich auf den Weg.

Als er zuhause ankommt, sieht sein Vater ihn schon von weitem, läuft ihm entgegen, fällt ihm um den Hals und küsst ihn, schreibt Lukas. Und natürlich tut es die Mutter ebenso. Und ausnahmsweise ist es dem Sprössling nicht peinlich, dass seine Eltern ihn auf offener Straße vor den Nachbarn umarmen. Wobei, gut, das steht jetzt nicht in der Bibel.

Aber dort steht, dass die Eltern schöne Kleidung holen und Schmuck für den verloren Geglaubten. Und sie lassen ein großes Festmahl auftischen.

Und bei der Feier schauen die Eltern vermutlich ihr Kind an, das nun kein Kind mehr ist, und staunen über den Erwachsengewordenen. Und vermutlich wird es hier in Nienburg heute Nachmittag in ganz vielen Häusern und Restaurants ähnliche Szenen geben: des Feierns, des Staunens und ein Stück weit des Abschieds von der Kindheit.

Und eigentlich wäre das jetzt ein schönes Ende, auch für eine Predigt.

Aber die Geschichte, die Jesus hier erzählt, geht noch ein bisschen weiter und zeigt: Ohne Konflikt geht es nicht ab, wenn Kinder groß und selbstständig werden. Und überhaupt, da gibt es doch auch noch die Geschwister. Wer hat denkt an die?

Der Evangelist Lukas hat sie im Blick und erzählt vom älteren Bruder.

Der ist neidisch und hat keine Lust mitzufeiern. So ein Trara haben seine Eltern um ihn noch nie gemacht!

Und wer von Ihnen ebenfalls mehrere Kinder hat, der wird diesen Geschwisterneid kennen. „Warum darf der länger aufbleiben als ich?“ „Ich muss immer helfen, und sie nicht. Das ist unfair!“ (Das vermutlich meist ausgesprochene Wort von Kindern zwischen 10 und 14.)

Doch hier geht es um mehr. Denn auch für Geschwister ist es nicht leicht, wenn der Bruder oder die Schwester plötzlich flügge wird. Und auch wenn man heute nicht mehr direkt nach der Konfirmation mit der Lehre beginnt, so steigt doch sichtbar das Erwachsen- und Unabhängigwerden am Horizont auf. Konstellationen verändern sich. „Liebe Kinder, heute sehen wir uns zum letzten Mal“. Auch wenn sich dieses Heute noch etwas hinzieht.

Und, liebe Festgemeinde, was für die familiäre Seite der Geschichte gilt, trifft auch für die kirchliche zu: Ihr Konfis habt gelernt, wie wir hier in St. Martin und in St. Michael unseren Glauben leben. Ihr habt Praktika in den Gemeinden gemacht.

Doch in Zukunft geht ihr im Blick auf den Glauben Eure eigenen Wege. Die Rollen und Konstellationen ändern sich auch hier. Einige werden Teamer sein. Andere werden hier und da bei Freizeiten und Aktionen dabei sein. Manche werden auch eine Kirchenpause machen. All das ist ab jetzt Eure Entscheidung.

Aber gerne bleibt St. Martin ein zweites Zuhause für Euch, das auf Euch wartet. Wo Glaubensgeschwister sich treffen. Aber das Wichtigste ist, dass Ihr wisst: Ihr könnt jeder Zeit zu Gott kommen. Er empfängt Euch mit offenen Armen wie Eltern es tun und mehr noch. Egal in welcher Situation Ihr seid.

Ihr bleibt Gotteskinder. Egal wie erwachsen Ihr werdet. Immer.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott,

unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Gemeinde,

haben Sie gestern auch die Krönung des englischen Königs Charles III. im Fernsehen live verfolgt? Eine sehr besondere, seltene Zeremonie, die ja aus drei Akten bestand: der Salbung, des Eides und der Krönung selbst.
Doch dem Großereignis waren Proteste gegen die Monarchie vorausgegangen. „Not my king“ war der Slogan der Gegner. Nicht mein König.

 

„Salbung zum König“, ist die Überschrift des biblischen Kapitels, aus dem der für heute vorgeschriebene Text für die Predigt steht. David wird im Voraus vom Propheten Samuel zum König gesalbt, nicht gekrönt. Denn es gibt noch einen aktuellen König: Saul. König Saul allerdings hat ein Problem.

 

Ich lese aus dem Ersten Testament nach der Guten Nachricht Bibel, aus dem ersten Samuelbuch, Kapitel 16, was dort gleich nach der Salbung Davids geschah:

 

„Gott hatte Saul einen bösen Geist geschickt, der ihn oft quälte. Da sagten seine Leute zu Saul: Du weißt, dass ein böser Geist dich immer wieder befällt. Sollen wir uns nicht nach einem Mann umsehen, der Harfe spielen kann?“ „Dann kannst du dir etwas vorspielen lassen,

das wird dich aufmuntern.“

Saul stimmte dem zu und sie empfahlen ihm David:

„Er versteht zur rechten Zeit das rechte Wort zu sagen - und sieht sehr gut aus. Gott steht ihm bei.“ „Da sandte Saul Boten“ und ließ David an den Hof holen. So trat David in Sauls Dienst. Und der König gewann ihn lieb.“

„Immer wenn der böse Geist über Saul kam, griff David zur Harfe und begann darauf zu spielen. Dann wurde es Saul leichter ums Herz,

er fühlte sich wieder wohler und der böse Geist verließ ihn.“

 

Liebe Gemeinde, ich erinnere mich an meine ersten Versuche, Gitarre spielen zu lernen während meines Studiums an der Kirchlichen Hochschule. Ich war nicht sehr erfolgreich darin, da half auch häufiges Üben hinter verschlossener Tür nichts. Not my Instrument.

 

Aber einmal war es mir doch gewissermaßen zu etwas nütze. Ich erinnere mich an meine Kommilitonen Matthias. Er klopfte eines Tages an meine Zimmertür im Wohnheim. Ich übte gerade meine Griffe und sang dazu die am einfachsten zu begleitenden geistlichen Lieder, die ich finden konnte. Wir waren in derselben Lerngruppe. Doch so verheult und aufgelöst, wie Matthias war, sah man, dass er nicht zum Lernen vorbeikam. Er hatte Liebeskummer. Matthias war verlobt, und die Ankündigung seiner Liebsten, mit ihm Schluss zu machen, zog ihm den Boden unter den Füßen weg.

 

Er setze sich zu mir und redete sich - von Schniefen unterbrochen - seinen Kummer von der Seele. Und ich weiß noch, dass ich mich zwar über sein Vertrauen freute. Aber auch, dass ich recht hilflos war und verzweifelt nach tröstlichen Worten suchte – und keine fand. Was wäre hier das rechte Wort gewesen?

David wäre vermutlich etwas Hilfreiches eingefallen. Schließlich sagte man ihm ja nach, er würde zur rechten Zeit die passenden Sätze finden. Matthias jedenfalls war irgendwann fertig mit Erzählen und schwieg. Wir schwiegen eine ganze Weile gemeinsam.

 

Dann fragte er mich, was ich da spielte. Ich zeigte ihm das Lied. Er sagte, das kenne er nicht, und fragte, wie das ginge. Ich sang es ihm vor, begleitet von den drei Akkorden, die ich konnte. Er fiel schnell ein, und wir sangen alle Strophen, und dann das Lied auf der Seite daneben, weil er sagte, DAS würde er kennen und fände er auch gut. Und dann noch etliche weitere. Und sein Schniefen zwischendurch wurde weniger und die Stimme fester und heller. Und er richtete sich äußerlich wie innerlich immer mehr auf.

Das weiß ich noch, weil ich mich über die Gitarre und die Noten beugte und nach einigen Liedern erst aufsah und die Veränderung an Matthias so richtig wahrnahm. Damals wurde mir einmal mehr bewusst, wie heilsam Singen ist.

 

Ja, manchmal liebe Gemeinde, ist Singen sogar heilend. Die Tage erzählte mir jemand, dass ihm das Singen im Chor sogar geholfen habe, nicht mehr zu stottern.

 

Studien belegen den Effekt, den Singen auf die Seele hat. Auf der Website der AOK Krankenkasse, können Sie es nachlesen: Singen steigert die Immunabwehr, stärkt das Herz-Kreislauf-System, intensiviert die Atmung, wirkt entspannend, löst Ängste und baut Stress ab. Wenn das nicht schon allein Gründe genug sind, in einem Chor zu singen, weiß ich es auch nicht! Und von der Gemeinschaft der Singenden war dabei noch gar nicht die Rede.

Ich bin sicher, das meiste davon trifft auch auf Musizieren und sogar auf das bloße Hören von Musik zu: die entspannende und angstlösende Wirkung und der Stressabbau gewiss.

 

König Saul, der vermutlich an Depressionen litt, könnte es bestätigen: Wir erfahren nicht, ob und wie David Saul gegenüber zur rechten Zeit das rechte Wort zu reden wusste. Aber Davids Harfenspiel half dem König, wann immer ihn sein böser Geist überkam. Man geht davon aus, dass mit dem bösen Geist Depressionen gemeint waren, unter denen Saul litt.

 

Nun ist David beileibe nicht der einzige – spätere - König in der Geschichte, der ein Musikinstrument spielte. Aber kein anderer König wurde so oft auf Bildern, auf Orgelprospekten und als Statue mit seinem Instrument abgebildet wie er. Auch wenn es vermutlich eher eine Leier als eine Harfe war. Auch direkt über der Kanzel meiner ersten Gemeinde ist David mit seinem Instrument zu sehen, rechts und links flankiert von Trompetenengeln. Die Harfe oder Leier ist sein Markenzeichen.

 

Und das Markenzeichen von König Charles III., was macht ihn eigentlich aus? Er ist für sein Faible für den Umweltschutz und eine gesunde Ernährung bekannt. Um das zu erfahren, musste ich ehrlich gesagt einmal die Gala lesen… Dort erfuhr ich außerdem: Er gibt den Eichhörnchen auf seinem Landsitz Highgrove Namen und erkennt sie. Das finde ich nicht zu verachten.

 

Aber beeindruckender finde ich dann doch Davids Eigenschaft, wie es in 1. Sam 16,18 heißt: dass er „versteht“ „zur rechten Zeit das rechte Wort zu sagen“.

 

Das wünsche ich nicht nur dem frisch gekrönten König Charles III. in seinem verantwortungsvollen Job. Darum bete ich auch für Dich, liebe Annette, bei Deiner Aufgabe als Schulseelsorgerin. Dass Du außerdem jede und jeden im Blick behältst, erkennst und beim Namen nennen kannst.

 

Und das erbitte ich für jede von uns von Gott: Wenn wir Menschen begegnen, die verzweifelt sind, denen schlimme Ereignisse den Boden unter den Füßen wegzuziehen drohen, - dass wir die richtigen Worte finden: Worte des Trostes und des Glaubens. Worte, die von dem König über allen Königen zeugen. Worte über den, der Himmel und Erde gemacht hat. Worte über den Gott, der uns einen Geist der Kraft und der Liebe der Besonnenheit gegeben hat. Worte, die auch denen etwas sagen und helfen können, die eigentlich von sich sagen: „Jesus? Not my king.“

 

Ach, und David mit seiner Harfe oder Leier zeigt es uns: Manchmal müssen es gar keine Worte sein. Da hilft das gemeinsame Schweigen, einfach da zu sein, für- und miteinander zu singen und zu musizieren, um Trost zu finden. Selbst mit nur drei Akkorden.

 

Und der Friede Gottes, der so viel höher ist als all unsre Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

24. September 2019. Greta Thunberg hält ihre berühmt gewordene Wutrede vor den Vereinten Nationen. „How dare you“ – „wie könnt ihr es wagen“, ruft sie. "Seit mehr als 30 Jahren ist die Wissenschaft glasklar und ihr schaut weiterhin weg. In weniger als achteinhalb Jahren ist unser verbleibendes CO2-Budget aufgebracht. Ihr sagt, dass ihr die Dringlichkeit versteht, aber ihr handelt immer noch nicht", wirft die junge Schwedin den Regierungsvertretern vor. 

Was wäre gewesen, wenn die versammelten Politiker damals ihr und unser aller Versagen eingestanden hätten. Wenn sie sofort einschneidende Maßnahmen in Angriff genommen und Gesetze erlassen hätten, die jede Bürgerin zum radikalen Schutz des Klimas und zum Schutz der Artenvielfalt verpflichtet hätten?

Aber so war es nicht. Warnungen wurden in den Wind geschlagen. Gehofft, dass es doch nicht so schlimm kommt. Und dann tat man - erst einmal nichts. Und viel ist nach wie vor nicht geschehen, jedenfalls nicht, wenn man die Zahlen und die Folgen der Erderwärmung anschaut.

Von missachteten Warnungen können auch so manche biblischen Propheten - von Mose bis Johannes dem Täufer - ein Lied singen. Doch ein einziges Mal kam alles anders.

Der Prophet Jona hat zunächst überhaupt keine Lust und sieht keinen Sinn darin, die ihm von Gott gestellte Aufgabe auszuführen. Er soll den Spaßverderber und Unheilspropheten spielen. Er erhält den Auftrag, die Menschen der riesigen assyrischen Stadt Ninive aufzufordern, sich doch bitte von jetzt auf gleich nicht mehr so zerstörerisch und gewalttätig zu verhalten. Und das soll er als Ausländer ihnen sagen, als Anhänger einer anderen Religion. Ach ja, und ihnen damit drohen, dass sie, wenn sie so weiterleben wie bisher, sein Gott kurzen Prozess mit ihnen machen wird. Da braucht man kein ausgesprochener Pessimist zu sein, um sich auszumalen, dass diese Mission nur schief gehen kann...

Also sagt Jona: „Nein, mach ich nicht.“ Gott: „Doch, du gehst.“ Darauf flieht Jona, nimmt ein Schiff in die entgegengesetzte Richtung. Es kommt ein Sturm auf. Um den Rest der Besatzung zu retten, lässt Jona sich sich den Fischen zum Fraß vorwerfen. Das hilft, der Sturm legt sich. Klar, dahinter steckt Gott. Und weil Gott unglaublich hartnäckig sein kann, schickt er einen sehr großen Fisch, der Jona im Ganzen verschluckt, ohne zu kauen. Und Jona überlebt. Nach drei Tagen an Land gespuckt, sagt Jona: „Na gut“ und geht jetzt doch nach Ninive. So die Kurzfassung des bekannteren Teils der Jonageschichte. Weniger bekannt ist, was dann kommt: 

Er verkündet den Einwohnern, dass sie noch 40 Tage zu leben haben, ehe Gott die Stadt zerstört. Sie hätten da aber noch eine winzige Chance…

Liebe Gemeinde, das kann ja keinen Erfolg haben.

In unseren Breiten heutzutage glauben nur noch 38% der Menschen an Gott. Das ergab der Religionsmonitor 2023, eine repräsentative Umfrage, deren Ergebnis im Dezember 2022 veröffentlicht wurde. Der Wissenschaft vertrauen 62% der deutschen Bevölkerung. So das Wissenschaftsbarometer, dessen Resultat im selben Monat vorgestellt wurde. Preisfrage: Welche Chance hätte Jona mit seiner Bußpredigt und der Drohung der Vernichtung durch Gott in einer Stadt wie sagen wir Salzgitter oder Heidelberg, beide an die 120.000 Einwohner, heutzutage gehabt?

Gut, Ninive war damals. Das ist kaum zu vergleichen. Wissenschaft hatte nicht denselben Stellenwert. Aber es lag im assyrischen Reich. Und die Assyrer glaubten nicht an Jonas Gott, sie waren keine Juden. Seine Chancen waren noch sehr viel geringer als sie heute wären.  

Doch das Wunder geschieht. Die Einwohner glauben ihm. Zu erklären ist das nicht. Sie kleiden sich in Sack und Asche. Selbst der König.

Liebe Gemeinde, Jona hätte an dem Punkt als größter Prophet aller Zeiten in seine Heimatstadt Gat-Hepher nördlich von Nazareth heimkehren können. Welch eine Wahnsinnsgeschichte! Er hätte seine Memoiren schreiben können. Welch ein Erfolg! Er wäre der Held gewesen. Er hätte Vortragsreisen organisieren, Propheten-Workshops abhalten und an seinem Haus eine Hinweistafel für Touristen anbringen lassen können: "Hier wohnt der berühmte Prophet Jona, der eine Großstadt vor dem Untergang rettete." Er hätte sich freuen können!

Aber was macht er stattdessen? Das erzählt uns der Predigttext, den die Perikopenordnung für heute vorsieht. Ich lese den letzten Vers des 3. Kapitels und die elf Verse des 4. Kapitel des Jonabuches aus dem Ersten Testament.

10 Als aber Gott ihr Tun sah, wie sie umkehrten von ihrem bösen Wege, reute ihn das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht.

1 Das aber verdross Jona sehr, und er ward zornig 2 und betete zum HERRN und sprach: Ach, HERR, das ist’s ja, was ich dachte, als ich noch in meinem Lande war. Deshalb wollte ich ja nach Tarsis fliehen; denn ich wusste, dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist und lässt dich des Übels gereuen. 3 So nimm nun, HERR, meine Seele von mir; denn ich möchte lieber tot sein als leben. 4 Aber der HERR sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst? 5 Und Jona ging zur Stadt hinaus und ließ sich östlich der Stadt nieder und machte sich dort eine Hütte; darunter setzte er sich in den Schatten, bis er sähe, was der Stadt widerfahren würde. 6 Gott der HERR aber ließ einen Rizinus wachsen; der wuchs über Jona, dass er Schatten gab seinem Haupt und ihn errettete von seinem Übel. Und Jona freute sich sehr über den Rizinus. 7 Aber am Morgen, als die Morgenröte anbrach, ließ Gott einen Wurm kommen; der stach den Rizinus,

8 Als aber die Sonne aufgegangen war, ließ Gott einen heißen Ostwind kommen, und die Sonne stach Jona auf den Kopf, dass er matt wurde. Da wünschte er sich den Tod und sprach: Ich möchte lieber tot sein als leben. 9 Da sprach Gott zu Jona: Meinst du, dass du mit Recht zürnst um des Rizinus willen? Und er sprach: Mit Recht zürne ich bis an den Tod. 10 Und der HERR sprach: Dich jammert der Rizinus, um den du dich nicht gemüht hast, hast ihn auch nicht aufgezogen, der in einer Nacht ward und in einer Nacht verdarb, 11 und mich sollte nicht jammern Ninive, eine so große Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend Menschen sind, die nicht wissen, was rechts oder links ist, dazu auch viele Tiere?

Liebe Gemeinde, Jona beschwert sich bitterlich. Kann doch nicht wahr sein, dass die aus Ninive jetzt nicht ihre gerechte Strafe bekommen. Jona kann nicht glauben, dass Gott sich von dem bisschen Sack und Asche der Niniveer blenden lässt. Das meinen die doch nicht ernst.

Und er sucht sich einen guten Platz etwas außerhalb der Stadt, wo er alles gut im Blick hat. Ich sehe ihn da in seiner improvisierten Hütte quasi wie im Kino sitzen, die Popcorntüte auf dem Schoß und super: Schatten wächst ihm auch noch durch die schnellwachsende Rizinusstaude. Das Spektakel kann losgehen.

Jona vertraut auf einen gerechten Gott. Der diejenigen straft, die anderen Gewalt antun, die rücksichtslos sind, boshaft. Bloß, das mit der Gerechtigkeit Gottes, das ist so eine Sache…

„Ich wusste es doch,“ sagt Jona, und es ist als Vorwurf gemeint: „dass du gnädig, barmherzig, langmütig und von großer Güte bist“. Das Zitat begegnet übrigens öfter in den Beschreibungen Gottes im Ersten Testament. Wenn auch in der Regel nicht als Anklage. Und zum Gleichnis des liebenden Vaters, von dem wir in der Lesung gehört haben, passt es ja auch. Gnädig und barmherzig ist Gott, und das ist eben was anderes als gerecht. Aber gerecht ist Gott ja auch.

Beide Geschichten, Lukas 15 und Jona 4 handeln genau davon, von Gottes Gerechtigkeit und Gnade und wie schwer die beiden zu verbinden sind und wie eindeutig sie menschliche Logiken sprengen.

Auch im rabbinischen Judentum wird dieses Problem reflektiert. Gott wird beschrieben als der, dem zwei Eigenschaften zukommen: die Eigenschaft des Rechts, middat ha-din, und die Eigenschaft des Erbarmens, middat ha-rachamim. Und es gibt ihn nicht nur mit der einen Eigenschaft, sondern immer mit beiden. Denn die Welt hätte keinen Bestand, wenn Gott nur gerecht oder wenn er nur gnädig wäre.

Wäre er nur immer gnädig: Wieso sollte ich ihn fürchten, wieso mich bemühen, Gutes zu tun und mich fair zu verhalten?

Wäre er nur gerecht: Dann sähen auch wir selbst schnell alt aus. Seine Barmherzigkeit kommt jeder von uns zugute. Weil keine es schafft, Gottes Willen stets zu erfüllen. Oder wie Paulus es sagt: „Da ist keiner, der gerecht ist, auch nicht einer.“ Wir sind aber gerecht allein aus Gottes Gnade. Und als Christen „reden wir von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus“. Auch Paulus.

Und übrigens lässt nicht nur Gott „Gnade vor Recht“ walten. Auch unser Rechtssystem setzt die „gerechte Strafe“ schon mal aus oder begnadigt. Wenn auch weniger aus Barmherzigkeit...

Liebe Gemeinde, ich mag diesen Teil der Jonageschichte, Gott entlarvt Jonas Selbstgerechtigkeit: Dass der schattenspendende Strauch eingeht, das findet Jona unfair. Mit den 120.000 Menschen in Ninive dagegen hat er kein Mitleid. Ihnen weiß er sich moralisch so überlegen.

Und zugleich beunruhigt mich diese Erzählung. Sie hält ja auch mir und uns Spiegel vor: Wir beklagen den Verlust oder auch nur drohenden Verlustes so manchen Privilegs.

Ein Beispiel: Der Landkreis Nienburg hat eine Allgemeinverfügung zur Einschränkung der Bewässerung von privaten und öffentlichen Grünflächen erlassen. Aufgrund des anhaltend niedrigen Grundwasserspiegels darf ab einer Temperatur von 24 Grad zwischen 11 und 19 Uhr kein Sprinkler angeschaltet werden.

Sich darüber aufzuregen und sich womöglich zugleich ungerührt über die Flüchtlinge zu beschweren, die vor Dürre und zerstörerischen Überschwemmungen nach Europa fliehen - das ist schon ziemlich jona-esk!

Und ich stelle mir vor, Gott schaut uns an und schüttelt den Kopf und dann fragt er: „Ernsthaft?“ Oder mit den Worten, die in Jona 4 gleich zweimal vorkommen:

„Und Gott sprach: Meinst du, dass du mit Recht zürnst?“

Lalalaaaala lalalalalaa – ja, danke auch für den Ohrwurm! Jetzt werde ich dieses Lied nicht mehr los!

Liebe Abiturientinnen und Abiturienten, liebe Schulgemeinde,

ein Abschieds-Lied habt Ihr im Chor gesungen! Oder eher: ein Wiedersehens-Lied:

"It’s been a long day without you my friend. And I’ll tell you all about it when I see you again. We’ve come a long way from where we began. Oh I’ll tell you all about it when I see you again."

Das Lied ist so gut, ich war kurz versucht, meine Predigt zu rappen. – Aber keine Sorge, ich verschone Euch. Rappen gehört nicht zu meinen Stärken.

Ich musste bei dem Lied und angesichts Eures Abschiedes, liebe Abiturientinnen und Abiturienten, an mein erstes Klassentreffen nach dem Abitur denken. Es fand nach 20 Jahren statt. Und ich hatte keinen meiner ehemaligen Mitschüler in der Zwischenzeit wiedergesehen.

Und wisst Ihr, was irre war? Die Klassenkameradinnen hatten sich zwar total verändert. - Naja, einige auch irgendwie überhaupt nicht! Die sahen noch so aus wie früher und die verhielten sich auch noch so! - Aber sie lebten jetzt alle ein sehr anderes Leben, z.T. weit weg. Waren im Beruf, hatten Familie, trugen Verantwortung.

Aber die Zuneigung, die freundschaftlichen Gefühle, dieses Auf-derselben-Wellenlänge-Sein – das war mit denen sofort wieder da, mit denen man sich damals auch super verstanden hat. Ich konnte auch nach zwei Jahrzehnten mit alten Freundinnen in Erinnerungen abtauchen und über die damaligen Lehrer ablästern – und für andere weiter schwärmen. Und auch andere Gefühle von damals waren wieder sofort da: Das Misstrauen dem einen gegenüber, das nicht so richtig ernst nehmen können dem anderen, - die Distanz und die Nähe, das Vertrauen und die Abneigung. Alles wie früher! Sofort wieder da, als hätte es die Zeit dazwischen nicht gegeben. Manches bleibt, auch wenn die Gesichter faltiger werden.

Aber vielleicht dauert es bei Euch nicht so lange, bis Ihr Euch wiederseht. Vielleicht kommt Ihr mal zum Altstadtfest nach Nienburg zurück, für die einen noch Semesterferien, für andere zumindest Wochenende. Wie schön, wenn man dann an den Stand von ASS und St. Martin hier vor der Kirche kommt und dort erinnert sich jemand an dich: Remember me, when I am gone.

Vermutlich wisst Ihr das: Der Soundtrack „See you again“ zum Film „Furious 7“ ist auch eine Hommage gewesen für einen, der viel zu früh verstorben ist, für Paul Walker. Und es steckt in den Liedzeilen die Hoffnung, ihn einst wiederzusehen. Am anderen Ende. Jenseits von allem, was war und was ist.

Es gibt am Ende des Films eine Szene am Meer, in der Paul Walker glücklich auf die am Strand spielende Familie zurückschaut und sich dann umdreht und geht. Da geht es auch ganz viel um die Bedeutung von Zuhause und um Abschied.

Und ich muss an unseren Psalm denken, Psalm 139. Wir haben Verse daraus in der Lesung vorhin gehört: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand, Gott, mich führen und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein –, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag.“ Also: Nichts kann mich schrecken, denn Gott hält mich.

Mich würde interessieren, wie es Euch heute geht: Wer von Euch kann es gar nicht erwarten, loszugehen in ein neues Leben. Lieber heute als morgen! Hand hoch! (Vier melden sich, davon eine Person deutlich hinter der Reihe der Schülerinnen und Schüler)

Äh, nee, ich meinte jetzt nur die Abiturientinnen und Abiturienten! Alle anderen bleiben hier?

Segen mit Euch, die Ihr es kaum erwarten könnt!

Aber vielen von Euch scheint es Angst zu machen. Oder es erzeugt so ein Ziehen im Herz, Trauer, dass die gute Zeit in der Schule vorbei ist, dass Ihr den einen oder die andere vielleicht nicht mehr sehen werdet.

Dann erst recht: Segen mit Euch!

Denn ob Ihr wollt oder nicht, ob Ihr geht oder bleibt: Ihr trennt Euch – von Eurer Kindheit. Ihr verlasst – die Geborgenheit Eurer Heimat und Familie und der Freunde, wo man alles kennt und alles seinen vertrauten Gang geht, vorhersagbar, einschätzbar. Ihr macht eine Trennung durch.

Und nicht nur Ihr, Eure Mütter und Väter, Eure Geschwistern und Großeltern ebenso. Und auch wenn es wahnsinnig schwerfällt: Das ist gut so. Das ist richtig. Das war schließlich das Ziel vom ganzen Großziehen: dass Ihr erwachsen und eigenständig werdet.

Wie gut zu wissen: Da ist jemand, der verlässt Euch nicht. Die-der versteht eure Gedanken von ferne, wie ein guter Freund, eine gute Freundin. Gott geht immer mit. Trennt sich nie von Euch. „Ich gehe oder liege, so bist du um mich“ - selbst „am äußersten Meer“ wird Gottes „Hand Dich führen“ und seine „Rechte Dich halten“.

Jetzt würde ich Euch am liebsten Eure Handys abnehmen. Ich würde jedem und jeder eine App runterladen: nämlich die Bibel. Damit Ihr die immer dabeihabt. Denn die ist genau für solche Leute wie Euch geschrieben worden: für Menschen, die auszogen und ausziehen werden. Nicht nur aus Ägypten. Sondern auch aus Nienburg. (Ah einige signalisieren, sie haben sie schon. Reli-Leitsungskurs... Alles klar, sehr gut!)

52mal heißt es in der Bibel „Fürchtet Euch nicht“, „fürchte dich nicht“, „vertrau auf Gott und hab keine Angst“. Einmal für jede Woche. Also nimm deine Bibel mit. Und lass dich daran einmal die Woche erinnern, dass Gott zu Dir sagt: „Fürchte dich nicht. Ich bin mit dir! Weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.“ Jes 41,10

Denn als Christin und Christ hast du mit Christus schon immer deinen besten Freund mit dabei. Du bist Deinen Ängsten nicht ausgeliefert. Die haben nicht das letzte Wort über Dich. Benenne sie, banne sie: Sag deinem Gott: „Ich habe Angst!“ Und sag deiner Angst: „Ich - habe Gott.“

Sag deinem Gott: „Ich habe Angst!“ Und sag deiner Angst: „Ich - habe Gott.“

Du hast einen Freund, eine Liebe, die stärker ist.

Kennt Ihr das Video zu dem Song von Khalifa? Man sieht erst kurz das Meer. Dann eine Straße, die der Sänger alleine entlanggeht.

Lalalalaala lalalalalaa… "It’s been a long day without you my friend. And I’ll tell you all about it when I see you again. We’ve come a long way from where we began. Oh I’ll tell you all about it when I see you again."

"And what’s small turned to a friendship, a friendship turned to a bond. And that bond will never be broken, the love will never get lost. The love will never get lost." Amen.

Liebe Gemeinde,

wir wollen sie nicht haben, ja wir behaupten sogar oft, wir hätten keine. Und doch pflegen wir sie unaufhörlich. Es ist unangenehm zuzugeben, dass man welche hat. Aber sie sind menschlich und sogar notwendig.

Sie helfen uns Ordnung zu schaffen und sparen Zeit. Wo sie sind, werden wir sie kaum noch los. Ja, wir vererben sie sogar zum Teil. Aber das macht sie leider nicht weniger unfair!

Nein, es geht nicht um Läuse. Es geht um: Vorurteile. Oder im Wissenschaftssprech: um „Implizite Assoziationen“. Das klingt schon neutraler. Denn es gibt negative und positive Vorurteile, also sozusagen: Vorschusslorbeeren. Aber wer „Vorurteil“ sagt, verwendet das Wort fast immer negativ. Wir haben also auch dem Vorurteil gegenüber ein Vorurteil…

Falls jemand von Ihnen sich fragt: Habe ich aufgeklärter Mensch wirklich Vorurteile? Werde ich anderen manchmal nur aufgrund von haltlosen Vermutungen nicht gerecht? Immerhin denken 3% der Deutschen, sie hätten keine. 25% sind sich keiner bewusst. Dann empfehle ich auf der Website der Harvard Universität einen der Tests zu machen, die dort kostenfrei zu verschiedenen Themen angeboten werden. Es gibt auch eine deutsche Ausgabe. Einfach über eine Suchmaschine suchen.

Heftige Vorbehalte, und zwar negative, hatte nachweislich auch der Pharisäer Simon, und zwar gegenüber Frauen einer bestimmten Berufsgruppe. Und damit dürfte er bis heute nicht alleinstehen. Davon erzählt unser Predigttext, und er erzählt auch, wie Jesus darauf reagiert.

Ich lese aus dem Lukasevangelium, dem 7. Kapitel die Verse 36 bis 50.

36Es bat ihn aber einer der Pharisäer, mit ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch.

 37Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Alabastergefäß mit Salböl 38und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu netzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit dem Salböl.

39Da aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. 

40Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es! 41Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. 42Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er’s beiden. Wer von ihnen wird ihn mehr lieben? 43Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er mehr geschenkt hat.

Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt.

44Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen genetzt und mit ihren Haaren getrocknet. 45Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. 46Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. 47Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. 

48 Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. 49Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch Sünden vergibt? 

50Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden!

Eine „Sünderin“ nennt der Evangelist die Frau, die hier namenlos bleibt. Doch ist sie offensichtlich dem Gastgeber und den Gästen bekannt. Es handelt sich um eine Prostituierte, davon ist auszugehen, auch wenn sie hier nur „Sünderin“ genannt wird. Mehr erfahren wir von ihr nicht. Nichts über die Gründe, warum sie als solche arbeitet. Vielleicht die pure Not? Nichts über ihr sonstiges Leben.

Auch welche Vorurteile genau der Pharisäer Simon ihr gegenüber hat, wird nicht gesagt. Aber wir brauchen uns nicht über ihn zu erheben. Jedenfalls geht das hier für ihn gar nicht - das, was sie in seinem Haus tut: weinen, küssen und salben. Vermutlich auch schon nicht, dass sie es geschafft hat, überhaupt hereinzukommen. Hat man am Eingang gedacht, sie gehöre zum Personal?!

Jedenfalls stört sie Simon. Er hatte sich das Essen mit Jesus anders vorgestellt: Eine gepflegte Unterhaltung, ein bisschen theologische Provokation, tiefgehende Diskussionen mit dem Promi-Gast. Und bestimmt, dass ihm hinterher beim Abschied seine Gäste auf die Schulter klopfen und für den gelungenen Abend danken.

Warum auch nicht, da spricht ja nichts dagegen. Aber dann - kommt sie herein! Weint, küsst und salbt. Ganz unerwartet. Sie kommt von hinten, keiner sieht sie kommen, niemand kann es rechtzeitig verhindern.

Liebe Gemeinde, ich schätze, solche Störungen kennen Sie auch.

Sie haben z.B. eine Party geplant, alles sollte perfekt sein. Doch dann benimmt sich ein Gast total daneben. Also an die peinliche Rede einer Tante bei meiner Hochzeit erinnere ich mich bis heute…

Ihr freut Euch auf ein Treffen mit Freunden. Und dann ist da einer, der redet unaufhörlich nur von sich. Egal, welches neue Thema Ihr anschneidet, er schafft es sofort wieder, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich, ich, ich. Das nervt doch total.

Was tun? Wie gehen Sie und wie geht Ihr Jugendlichen mit solchen Störern, die einem alles kaputt machen, um?

Der Gastgeber in unserer Geschichte ärgert sich sehr. Und Simon denkt: „Wäre Jesus ein Prophet, dann wüsste er doch, was das für eine Frau ist und würde sie wegschicken.“ 

Nun, Jesus ist immerhin Prophet genug, um zu merken, was Simon gerade denkt. Er weiß sehr wohl, „was das für eine ist“:

Nämlich eine, die sich traut, inmitten der Männergesellschaft Jesus ihre Liebe unmittelbar und emotional zu zeigen. Überschwänglich, leidenschaftlich.
Eine Frau, der Jesus so viel wert ist, dass sie viel Geld für Salböl ausgegeben hat, um ihm etwas Gutes zu tun. Großzügig ist sie.
Eine Frau, die an ihn glaubt. Sie schenkt ihm ihr ganzes Vertrauen.

Und ja, dass sie eine „Sünderin“ ist, weiß er auch. Von dem gesellschaftlichen Urteil, dass Prostituierte Sünderinnen sind, ist auch er nicht frei. Was mich, ehrlich gesagt, irritiert. Aber er lebt in den Normen und Wertvorstellungen seiner Zeit. Und doch bricht er sie immer wieder auf und hinterfragt sie. Auch hier. Jesus sieht den Menschen jenseits aller Vorurteile. Und darauf kommt es an!

Ich kann mir vorstellen: Im nachhinein empört Simon wohl weniger das, was die Frau tut. Viel ärgerlicher ist das, was Jesus dann zu ihm sagt, zumal wenn andere es vielleicht mithören. Denn typisch Jesus: Er macht die Situation zu einem Lehrstück. Er will, dass Simon die Frau anders ansieht: jenseits ihres Gewerbes und jenseits einer Unterbrechung des gepflegten akademischen Austausches unter Männern.

Jesus lobt sie vor Simon. Er stellt sie, die Sünderin, über ihn, den rechtschaffenen Bürger und Hausherrn! Jesus sagt sinngemäß:

„Naja, Simon, eigentlich ist die Frau besser als Du! Sie hat mir die Füße gesalbt, während du mir nicht einmal Wasser zum Abwaschen des Staubes gegeben hast. Das täte man als guter Gastgeber durchaus. Sie küsst mir ständig die Füße, Du mich nicht einmal zur Begrüßung auf die Wange.“

Auf die Sündenbilanz kommt es Jesus nicht an. Ihm ist nicht der lieber, der weniger Schuld auf sich geladen hat. Er hält keinen Abstand zu der Frau, von der sich alle peinlich berührt abwenden. Er sieht sie, ihre Liebe und ihre Einsamkeit, ihr übervolles Herz und ihre Tränen. Was sie ihm sagt, ohne zu sprechen, indem sie weint, küsst und salbt.

Und dann erklärt er alle Urteile über sie für nichtig. Er spricht ihr Vergebung zu, wie nur er es kann. Damit richtet er sie auf, macht sie groß, stellt sie auf eine Stufe – nein, höher als alle Anwesenden. Holt sie in die Mitte der Gesellschaft. Denn sie ist nun keine Sünderin mehr. Sie ist nicht das, was alle von ihr denken. Sie ist eine ganz andere. Sie ist sie selbst. Er macht sie frei von allen Stigmata und aller Verachtung.

Denn sie hat geliebt. Verschwenderisch und ohne Kalkül.

Und so soll es Simon auch halten. Statt an seinen Vorurteilen festzuhalten. Statt sich über die Unterbrechung zu ärgern, nur an seinen Ruf zu denken. Gern wird er das nicht gehört haben.

Und ich, höre ich das gern? Lasse ich es mir von Jesus sagen?

Vor-Urteile mögen nötig und hilfreich sein, weil sie uns helfen, alle Eindrücke schnell in Schubladen zu sortieren. Aber Vor-urteile werden unserem Gegenüber nicht gerecht, ver-urteilen ihn oder sie meist zu Unrecht. Und wir verbauen uns auch viel. Was dagegen hilft? Genau hinzusehen, Wertschätzung. Unser Herz zu öffnen für die, die wir ausgrenzen. Nicht zu sagen: Lass mich in Frieden, sondern: Friede sei mit Dir!

Denn der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Ich lese den Predigttext. Vier Verse aus der Bergpredigt, die beim Evangelisten Matthäus im 6. Kapitel stehen:

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.

Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf dem Berge liegt, nicht verborgen sein.

Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind.

Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.

Sagt Jesus Christus.

Er sagt es zu seinen Jüngern.

Wer heute an Jesus glaubt, ist auch seine Jüngerin, sein Jünger.

Darum gilt Ihnen und Euch:

Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.

Das ist eine Feststellung, ein Zuspruch, auch eine Zumutung. Aber keine Option zur Auswahl.  

Naja, liebe Gemeinde, den Kirchenaustrittszahlen nach zu urteilen, scheint unsere Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger Christi heute an Strahlkraft zu verlieren. Viele finden den Geschmack der Kirche fade und ihr Umgang mit Problemen bitter. Und überhaupt, wozu braucht man Kirche heute noch?

Sind wir noch Salz der Erde und Licht der Welt?

Ist es nicht vermessen, das zu behaupten?

Jesus sagt: Ja.

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.

Salz kann nicht schlecht werden und nicht aufhören, salzig zu sein. Es ist eine äußerst stabile mineralische Verbindung. Es hat kein Haltbarkeitsdatum. Was verderblich ist, ist allenfalls organisches Material, was den Salzkristallen anhaftet.

Wenn Jesus vom Salz spricht, das nicht mehr salzt und zu nichts mehr nütze ist, meint er das hypothetisch. Dann denkt er nicht an die Sachebene – das Salz. Das ist immer salzig. Er denkt vielmehr an die Bildebene: an die Menschen. Die können sich weigern, ihre Würzkraft einzusetzen.

Dabei ist Salz ein wertvoller und ein für uns Menschen, ja für die ganze Erde lebenswichtiger Stoff. Auch in kleinen Mengen!

Es braucht gar nicht viel, auf die Menge kommt es nicht an. Auch wenig Salz erfüllt schon seinen Zweck.

Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.

Ich denke an die, die in kirchlichen Chören und Bands singen und spielen und die Gemeindebriefe layouten.

Ich denke an die, die bei Festen mitanpacken,

und die, die Gruppen leiten.

Ich denke an die jugendlichen Teamer

und an alle, die den Gemeindebrief austeilen.

Ich denke an diejenigen, die die Homepage aktuell halten und

an die, die mit Kaffee und Kuchen Menschen in der Kirche willkommen heißen.

Ich denke an die, die Leitungsverantwortung tragen

und diejenigen, die Kinderfrühstücke organisieren.

Ich denke an alle, die in dieser Gemeinde aktiv sind.

Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.

Ich denke auch an diejenigen, die Kinder erziehen und sich um Familienangehörige kümmern. An die, die sich in Vereinen am Ort engagieren oder in den Kitas und Schulen. Ich denke an jede, die freundlich zu anderen ist und hilfsbereit. Die Interesse am Mitmenschen zeigt und nachsichtig ist. An alle, die Nächstenliebe üben in den verschiedensten Weisen. Als Jüngerinnen und Jünger Jesu Christi. Weil Jesus gesagt hat: Liebet Eure Nächsten wie Euch selbst.

Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.

Ja, es sind teils kleine Dienste, nicht welt-bewegend. Und doch unverzichtbar! Was wäre unsere Gesellschaft ohne sie?

Salzkörner sind auch winzig, ein einzelnes ist kaum zu sehen. Doch schon eine Prise macht einen großen Unterschied.

Eine Prise – ich habe es nicht gezählt, aber ausgerechnet: das sind ca. 8.000 Salzkörner. 0,4g ist eine Prise, 50 Mikrogramm ein Salzkorn.

Wo viele sich engagieren und einander zugewandt leben, sieht die Welt anders aus, und Menschen finden Geschmack am Leben. 

Liebe Gemeinde, ich war im Urlaub. Ich hatte das Glück, abends den Sonnenuntergang vom Balkon unserer Ferienwohnung aus genießen zu können. Mit Blick auf einen See und Berge am anderen Ufer. Was sich an den Hängen befand, war nicht gut zu erkennen. Viel Wald, manches lag auch im Schatten verborgen. Der herrliche See zog meine Aufmerksamkeit auf sich.

Doch kaum war die Sonne weg, fing es auf dem Berg an mehreren Stellen an zu leuchten: In einzelnen Häusern gingen die Lichter an, so weit weg, so klein, ein einzelnes Licht kaum zu sehen. Doch es wurden immer mehr. Die Lichtpünktchen verbanden sich zu großen Lichterflecken und schafften es, bis zu unserem Ufer herüberzuleuchten. Kleine Städte wurden sichtbar.

So ist das mit den Lichtern: Wenn eitel Sonnenschein ist, sieht man es nicht. Manchmal ist unsere Küchenlampe an, aber wir merken es gar nicht. Doch wenn die Finsternis hereinbricht, scheint das Licht hell auf, wird wichtig. Gibt Orientierung. Ist leitend und tröstend. Dazu ist es ja da.

Es macht keinen Sinn, einen Eimer über die Kerze zu stülpen, sagt Jesus. Die Kerze soll doch Licht spenden und anderen helfen, sich im Haus zurechtzufinden.

Klar, denken wir. Logisch. Aber wir handeln nicht danach. Wir stellen tatsächlich unser Licht unter den Scheffel. So wie es die Redensart, die aus unserer Bibelstelle herrührt, sagt. Wir setzen unsere Gaben nicht für andere ein, aus falscher Bescheidenheit vielleicht, aus Bequemlichkeit womöglich.

Oft meinen wir, wir als einzelne und als kleine Gemeinschaft von Jünger und Jüngerinnen Christi könnten nichts ändern. Wir seien unbedeutend. Wir könnten es auch gleich sein lassen.

Dieser Tage mag angesichts der vielen Krisen in der Welt dieser Eindruck besonders groß sein. Dabei ist es umgekehrt: Gerade dann, gerade jetzt braucht es Hoffnungsmenschen, die ihr Licht leuchten lassen.

„Aber was kann ich als einzelne tun“, fragt sich manche. Sie können in Ihrem Umfeld viel tun. Und zusammen mit anderen kann man einen deutlich wahrnehmbaren Unterschied machen.

„Einen Unterschied machen“ oder „die Welt zu einem besseren Ort machen“, das ist eine Denk- und Ausdruckweise, die einem in den USA auf Schritt und Tritt begegnet: to make a difference, und: the world a better place. Das klingt nach Selbstüberschätzung.

Ich glaube aber, das ist gut biblisch: wahrzunehmen, dass jeder einzelne Mensch eine Berufung hat, eine von Gott gegebene Aufgabe. Jeder hat eine Bedeutung, jedes Leben einen Sinn.

Vor einigen Tagen hatte ich ein Gespräch mit einem Mann, der mir sagte: „Um mich herum halten mich alle für verrückt, dass ich Kirchenmitglied werden will. Ich sei doch ein cooler Typ, was ich denn in dem Verein wolle. Aber ich stehe dazu und vielleicht bringe ich den einen oder anderen dazu, seine Vorurteile über Kirche zu überdenken. Denn wer glaubt, der muss das auch zeigen.“

Und ich würde ergänzen: Es kommt in unserer Welt auf jede Christin und jeden einzelnen Christen an, so wie es in einem Essen auf jedes Körnchen Salz ankommt und auf dem Berg in der Stadt auf jedes Fünklein Licht.

Ihr seid…, sagt Jesus. Es braucht jede einzelne Person. Und als Gemeinschaft seid Ihr die Prise Salz und das Lichtermeer, das die Stadt auf dem Berg weithin sichtbar macht.

Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt.

Es ist noch nicht lange her, dass ich in Nürnberg auf dem Kirchentag war. Ich bin ein großer Kirchentagsfan. Ich empfand es als ungemein ermutigend, mit mehr als 8.000 anderen Christinnen und Christen die Abendgebete mit Kerze in der Hand auf dem Marktplatz abzuhalten, oder einer Podiumsdiskussion zu lauschen und mitzudiskutieren, wie Frieden heute möglich werden kann. Wir Jüngerinnen und Jünger sind viele, mehr als nur eine Prise voll. Und das tut gut zu wissen.

Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.

Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf dem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind.  

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, es war in meiner ersten Gemeinde, bei einem Trauerbesuch. Dem Herrn, den ich besuchte, liefen die Tränen über die Wange, als er von seiner verstorbenen Frau erzählte.
Seine Tochter war auch da. Sie sagte nichts. Manchmal gibt es keine Worte, die trösten können. Manchmal ist es besser zu schweigen.
Aber sie strich ihrem Vater mit einer sanften Handbewegung über sein Gesicht und wischte ihm die Tränen fort. Er weinte daraufhin noch mehr. Doch seine Tochter nahm ein Taschentuch und fing immer wieder mit zärtlicher Berührung seine Tränen auf. Und er ließ es geschehen. Und nach und nach wurde er ruhiger.

Mich berührte diese Geste so sehr, dass ich sie noch gut in Erinnerung habe.

Von dem, der unsere Tränen trocknet, handelt der biblische Text, der heute der Predigt zugrunde liegt. Ich lese aus dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, Kapitel 21, die Verse 1 bis 5:

Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde,

denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen,

und das Meer ist nicht mehr.

Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem,

von Gott aus dem Himmel herabkommen,

bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.

Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her,

die sprach: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen.“

Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein,

und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;

und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen,

und der Tod wird nicht mehr sein,

noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein;

denn das Erste ist vergangen.

Und der auf dem Thron saß, sprach: „Siehe, ich mache alles neu!“
Und er spricht: „Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!“

Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

Das ist mein Lieblingssatz hier. Das ist meine Hoffnung. Dass Gott selbst uns tröstet. Ein schöner, zärtlicher Moment. Eine kleine Handbewegung nur, doch voller Fürsorge und Liebe.

– Aber, sie steht ja schon in einem seltsamen Kontrast zu den übrigen Bildern: Das ist von einem neuen Himmel und einer neuen Erde und einer neuen Stadt die Rede – das ist gleich richtig groß, darunter macht es Johannes nicht.

Siehe, ich mache alles neu, sagt Gott.

Nicht das Alte wird repariert, da entsteht etwas völlig Neues, Anderes.
Denn dass das Alte irgendwie wieder gut und heil und lebendig wird, das kann nicht sein, das weiß Johannes. Seine Welt, wie er sie kannte, war untergegangen, die gab es so nicht mehr. Damals, zu seiner Zeit, als die christlichen Gemeinden erstmals verfolgt wurden.

Bedroht, verfolgt, bestraft: Johannes wurde verbannt auf die Insel Patmos. Dort im Exil hatte er Visionen. In manchen Teilen seines Buches, der Offenbarung, sind es sehr merkwürdige Bilder, die ihm erscheinen, furchteinflößende. Er stand ja noch ganz unter dem Eindruck der erlebten Jagd auf die Glaubensgeschwister und der Ermordung unzähliger.

Doch Johannes war es gegeben weiter - oder tiefer - sehen zu können. Er schrieb auch Worte der Hoffnung für die, die in Bedrängnis waren, in Angst, in Verzweiflung. Sätze, die auch uns Hoffnung machen können. Die Bilder, die er dabei benutzt, malt er sozusagen nur in groben Pinselstrichen, deutet nur an, nimmt kaum Farbe.
Aber großformatige Bilder sind es!

Letztes Wochenende war ich in einem Museumsdepot. Dort gab es riesige Bilder, die in keinen Aufzug und durch keine normale Tür passen. Eins war 17 mal 3m.

Ein bisschen so kommen mir Johannes Bilder auch vor. Zu groß, um wahr zu sein. Bilder, die alles sprengen: unser Vorstellungsvermögen, unsere Möglichkeiten, sie in Worte zu fassen, die Wirklichkeit, die wir kennen. Er will uns Einblick geben in Gottes Zukunft für uns. In die Ewigkeit. In der alles ganz anders sein wird. Anders als alles, was wir uns denken können. Eine Welt, in der Christus regiert. Wo Gerechtigkeit und Frieden sich küssen.

Alles anders, neu, ganz neu. Aufregend neu. Schön. Wo Glücksgefühle uns durchströmen. Wie bei einer Hochzeit. Auch die Lesung für heute handelte schon von einem Hochzeitsfest. Wenn auch mit einem anderem Fokus.

Erinnern Sie sich noch an die Ihre, falls sie geheiratet haben? Stellen wir uns nicht auch deshalb Hochzeitsfotos auf, von uns als Braut und Bräutigam, um uns an die schöne Feier und das Glück der Anfangszeit zu erinnern?

So schön und froh und voller Liebe wird es sein, will uns Johannes mit seiner Vision sagen. Kein Tod, kein Leid, kein Geschrei und keine Schmerzen wird es dann mehr geben.
Denn das Erste ist vergangen. Siehe, ich mache alles neu.

Und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

So mancher von Ihnen hat in den letzten Wochen und Monaten viele Tränen vergossen. Sie haben am Krankenbett geweint und am Sarg. Ganz im Verborgenen oder gemeinsam mit anderen. Leise oder laut.
Tränen um einen Menschen, der nun fehlt.
Vielleicht auch Tränen der Erleichterung, weil das unerträgliche Leiden endlich vorbei ist.
Tränen, weil es einfach so furchtbar weh tut, ohnmächtig daneben zu stehen und nichts tun zu können.
Tränen der Verzweiflung: Wie soll es weitergehen?
Tränen um versäumte Momente, um das, was nicht war und doch hätte sein können.
Es ist gut, wenn wir weinen können, liebe Gemeinde. Tränen machen, dass die Trauer nicht erstarrt. Tränen, die fließen, helfen, im Schmerz lebendig zu bleiben.

Und dann ist Gott da und sagt:
Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. So erzählt es der Prophet Jesaja (Jes 66,13). Und er wischt unsere Tränen von unseren Wangen.

Ich frage mich, wie sich das wohl anfühlt, wenn Gott mir die Tränen abwischt? Wenn Gott mich in den Arm nähme, ganz behutsam und liebevoll. Ich stelle mir vor, er sähe mich an und sähe mir tief ins Herz. Er würde jede einzelne Träne auffangen. Nicht eine ginge verloren. Auch die ungeweinten Tränen kennt Gott, und die unterdrückten.
So zugewandt kann nur einer sein, der behutsam ist. Der mich kennt.
Der um meine Verletzlichkeit weiß. Der mir wirklich nahe ist.

Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, heißt es in unserem Predigttext. Gott richtet sich bei uns ein. In einer Hütte. Wörtlich steht da: in einem „Zelt“. Gott schlägt mitten unter uns sein Zelt auf.

Mit einem Zelt ist man beweglich. Gott geht uns nach, schlägt sein Zelt immer dort auf, wo wir sind. Das ist wirklich nah. Nur durch eine Zeltwand ist Gott von uns getrennt. Er schottet sich nicht ab. Er ist in Hör-, ja, Reichweite.

Gott kommt mir nah. Sieht meine Tränen. Trocknet sie, wie die Tochter die Tränen ihres Vaters auffängt. Geduldig und liebevoll. Liebe Gemeinde, das ist mir viel wert.

Und wenn ich wie Johannes auf meiner Insel sitze, verzweifelt, traurig und voller Angst, dann möchte ich am liebsten wie er weitersehen. Oder wenigstens weiterahnen. Dann möchte ich hineinglauben, mich und uns, in Gottes neue Wirklichkeit, die er für uns bereit hält: in den neuen Himmel und die neue Erde. Wo Gott wohnt. Wo es keinen Krieg und keine Gewalt mehr gibt. Keine Krankheit und auch der Tod nicht mehr sein wird, weder Leid noch Schreien noch Schmerzen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus unseren Herrn. Amen.

Predigten von Pastorin Dorothea Luber

„Erlöse uns von dem Bösen“ Diese Bitte sprechen wir jedes Mal, wenn wir das Vaterunser beten.

„Und führe uns nicht in Versuchung sondern erlöse und von dem Bösen.“ 

Mit den Konfirmandinnen und Konfirmanden haben wir vor einiger Zeit über die einzelnen Bitten des Vaterunseres gesprochen. Vielleicht erinnert Ihr Euch noch, wie Ihr in Kleingruppen mit mir oben im Gemeindehaus gesessen habt und wir über diese Bitte gesprochen haben?! 

„Erlöse uns von dem Bösen“ Was ist mit dieser Bitte eigentlich gemeint? Was ist böse?

Ist Corona böse? Ist ein Vulkanausbruch böse?

Für Euch Konfis war ziemlich schnell klar: Krankheiten, wie die Corona-Pandemie, oder Naturkatastrophen, wie ein Vulkanausbruch. Die sind an sich nicht böse. 

Auch wenn natürlich Menschen oft schrecklich unter den Folgen leiden. 

Aber „böse“ ist etwas anderes. 

Menschen können böse Dinge tun, anderen etwas Böses antun. 

Darin ward Ihr Konfis Euch ziemlich einig. 

Und Gott? Kann Gott böse sein? Tut Gott Dinge, um uns Menschen zu bestrafen?
In der Corona-Pandemie ist das als Frage immer wieder aufgetaucht: Ist Corona eine Strafe Gottes?

Es gibt Menschen, die das so sehen. In mir dagegen sträubt sich alles, wenn ich das höre. 

Es widerspricht vollkommen meinem Gottesbild: Ein Gott, der uns Menschen erziehen will.

Mit Belohnung für gute Taten und Bestrafung für schlechte Taten. 

Das ist mir zu menschlich und zu eng gedacht. Und ich bin überzeugt: Gott lässt sich nicht in unserer engen, menschlichen Vorstellung pressen. 

Aber die Frage bleibt: Warum geschieht so viel Schreckliches und Schlimmes in der Welt?

Warum erleben manche Menschen fürchterliches Leid, das sich kaum in Worte fassen lässt. 

Sicher, manches Leid lässt sich erklären mit menschliche Ursachen. Weil Menschen Böses tun und anderen Menschen Leid antun. Und auch indirekt sind wir Menschen an manchem schuld:

Wenn wir mit unserem Verhalten etwa die Umwelt zerstören und es dadurch zu Wetterextremen und Naturkatastrophen kommt. 

Aber damit lässt sich eben nur ein Teil erklären. Es gibt auch Naturkatstrophen, die einfach passieren. Und die sich nicht nur menschliches Verhalten erklären lassen. 

Vulkane brechen einfach aus. Das haben sie auch schon vor Jahrhunderten und Jahrtausenden getan. Es gibt Krankheiten, die einfach auftauchen, ohne dass wir Menschen irgendeinen Einfluss oder irgendeine Schuld daran haben. Und ganz im Persönlichen, wenn ich als Mensch etwas Schlimmes erlebe und erleide, ist es dann nicht verständlich und menschlich zu fragen:

Warum passiert mir das? Wieso hat Gott mich davor nicht bewahrt? Warum hat Gott das zugelassen?

In der Bibel – gerade auch in den Psalmen –ist da die Rede von Gottes Zorn. Davon, dass Gott die Menschen mit seinem Zorn bestraft.  Auch in Psalm 85 ist davon die Rede. 

Wir haben zum Gottesdienstbeginn einen Teil dieses Psalms gesprochen. Ich lese Psalm 85 noch einmal als Ganzes vor: 

2 HERR, der du bist vormals gnädig gewesen deinem Lande und hast erlöst die Gefangenen Jakobs; 3 der du die Missetat vormals vergeben hast deinem Volk und all ihre Sünde bedeckt hast; – Sela – 4 der du vormals hast all deinen Zorn fahren lassen und dich abgewandt von der Glut deines Zorns: 5 Hilf uns, Gott, unser Heiland, und lass ab von deiner Ungnade über uns! 6 Willst du denn ewiglich über uns zürnen und deinen Zorn walten lassen für und für? 7 Willst du uns denn nicht wieder erquicken, dass dein Volk sich über dich freuen kann? 8 HERR, zeige uns deine Gnade und gib uns dein Heil! 9 Könnte ich doch hören, was Gott der HERR redet, dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen, auf dass sie nicht in Torheit geraten. 10 Doch ist ja seine Hilfe nahe denen, die ihn fürchten, dass in unserm Lande Ehre wohne; 11 dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen; 12 dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue; 13 dass uns auch der HERR Gutes tue und unser Land seine Frucht gebe; 14 dass Gerechtigkeit vor ihm her gehe und seinen Schritten folge.

Im ersten Teil dieses Psalms da ist viel von Gottes Zorn die Rede. „Lass ab von deiner Ungnade über uns! Willst du denn ewiglich über uns zürnen und deinen Zorn walten lassen für und für?“ 

So von Gott zu reden ist mir fremd! Und ich möchte dazwischenrufen: Gott begegnet uns mit glühender Liebe und nicht mit glühendem Zorn! Gott ist liebevoll und barmherzig. Von einem Backofen der Liebe hat Martin Luther gesprochen. 

Aber gleichzeitig will ich die Worte der Psalmen auch nicht einfach beiseite fegen. Wer bin ich, dass ich sagen könnte: Gott ist nicht so! Gott ist ganz anders. Ganz sicher ist Gott auch noch einmal anders, als ich mir das so vorstelle. Weil Gott auch meine Vorstellungskraft sprengt. 

In den Psalmworten, die ich eben gelesen habe, da stecken Erfahrungen drin, die Menschen gemacht haben. Es sind Erfahrungen von Menschen, die an Gott geglaubt und die zu Gott gebetet haben. Und die manchmal am Glauben verzweifelt sind, weil sie das, was in ihrem Leben passierte nicht mit ihrem Glauben an Gott zusammenbringen konnten. Und da fühlte es sich für sie so an, dass Gott sie bestrafen würde. 

Von Gottes Zorn zu reden – das ist mir fremd! Aber das Gefühl, Gott nicht zu verstehen. Und die Frage: Warum lässt Gott das zu. Ja, das kenne ich auch.  Das Gefühl, dass Gott ganz weit weg zu sein scheint. 

Martin Luther, der Gott als einen Backofen voller Liebe beschreibt, er spricht auch von den zwei Seiten Gottes: Auf der einen Seite der offenbaren, der gnädigen Gott. Aber auf der anderen Seite auch der verborgene Gott.  Und unter dieser Verborgenheit Gottes hat Martin Luther selbst gelitten. 

Luther schreibt: „Hier erscheint Gott schrecklich zornig und mit ihm zugleich die gesamte Schöpfung.“ 

Und Luther sagt, dass wir Menschen dagegen gar nicht viel machen können. Es ist einfach so: Dass wir Gott manchmal nicht verstehen. Gott hat eben auch eine Seite, die für uns Menschen dunkel, verborgen und unverständlich ist. 

Aber dann sagt Martin Luther noch etwas ganz wichtiges: Nämlich, dass wir Menschen nicht zu sehr auf diese verborgene Seite Gottes starren sollen. Weil wir sonst im Glauben verrückt werden. 

Wir können Gott nicht in allem verstehen und begreifen. Und darum sollen wir uns stattdessen festhalten an dem offenbaren, gnädigen Gott.

Und genau das ist es, was letztlich die Beter in den Psalmen ganz oft tun. Dass sie von der Klage umschwingen auf das Lob. Und einen Weg hinausfinden von der Verzweiflung hin zur Hoffnung.

Ich finde das bei Psalm 85 besonders schön, mit welchen Worten und Bildern im zweiten Teil diese Hoffnung beschrieben wird:

Doch ist ja seine Hilfe nahe, denen, die ihn fürchten,

dass in unserm Land Ehre wohne;

dass Güte und Treue einander begegnen,

Gerechtigkeit und Friede sich küssen.

Dass Treue auf der Erde wachse

und Gerechtigkeit vom Himmel schaue.“

 

Und dann gibt es in Psalm 85 noch einen ganz zentralen Satz; der wie ein Scharnier ist zwischen dem ersten und zweiten Teil dieses Psalms: „Könnte ich doch hören, was Gott der Herr redet,

dass er Frieden zusagte seinem Volk und seinen Heiligen.“ 

 

„Könnte ich doch hören, was Gott redet“ Das ist für mich ganz entscheidend: Hinhören und Hinsehen auf Gottes Botschaft des Friedens. Dass ich immer wieder bewusst darauf höre, dass Gott es gut mit uns meint. Dass Gott – wie Luther es sagt – ein glühender Backofen der Liebe ist. 

Nein, das kann ich nicht immer sehen in der Welt. Und oft kann ich das auch nicht spüren in meinem Leben. Aber wenn ich genau hinhöre und genau hinsehe, dann bekomme ich doch eine Ahnung davon, dass Gottes Liebe mich umgibt; und das sein Reich mitten unter uns ist: 

wenn wir auf seine Botschaft des Friedens hören; 
und selber Gottes Frieden weitertragen. Amen. 

Liebe Gemeinde,

Die Israeliten sind mit Mose in der Wüste unterwegs. Angekommen am Berg Sinai. Mose steigt auf den Berg und spricht mit Gott. Und Gott schließt seinen Bund mit den Menschen. 

Aber dann wenden sich die Menschen ab von Gott, bauen sich das goldene Kalb. Gott wird zornig, Mose wird zornig. Und die Geschichte beginnt noch einmal von vorn:

Noch einmal steigt Mose hinaus auf den Berg, um spricht mit Gott. Vierzig Tage lang. Und wieder steigt Mose hinunter zu den Israeliten. 

Ich lese aus dem 2. Buch Mose, Kapitel 34, 29-35 – in der Übersetzung der Guten Nachricht.

 

Als Mose mit den beiden Tafeln den Berg Sinai hinabstieg, wusste er nicht, dass sein Gesicht einen strahlenden Glanz bekommen hatte, während der Herr mit ihm sprach. Aaron und das ganze Volk sahen das Leuchten auf Moses Gesicht und fürchteten sich, ihm nahe zu kommen. Erst als Mose sie zu sich rief, kamen Aaron und die führenden Männer der Gemeinde herbei und er redete mit ihnen. Dann kamen auch die anderen Israeliten, und Mose gab ihnen alle Anordnungen weiter, die der Herr ihm auf dem Berg Sinai gegeben hatte. Als Mose ihnen alles gesagt hatte, verhüllte er sein Gesicht. Sooft er ins Zelt ging, um mit dem Herrn zu reden, nahm er die Verhüllung ab. Wenn er dann herauskam, um den Leuten von Israel zu sagen, was der Herr ihm aufgetragen hatte, musste er sein Gesicht wieder bedecken; denn die Leute konnten das Leuchten auf seinem Gesicht nicht ertragen. So hielt Mose sein Gesicht verhüllt, bis er wieder zum Herrn hineinging, um mit ihm zu reden.

In den Kapiteln 33 und 34, da wird auf verschiedene Weise erzählt, wie Gott mit Mose spricht. Unterschiedliches wird da erzählt: 

In Kapitel 33 heißt es:  „Gott redete mit Mose: Von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mensch mit seinem Freund redet.“ 

Dann nur wenige Verse später im gleichen Kapitel bittet Mose darum, Gottes Gesicht zu sehen. Aber da sagt Gott: „Mein Gesicht darfst Du nicht sehen; denn niemand, der mich sieht, bleibt am Leben.“

Und dann kommt die dritte Erzählung, die ich eben vorgelesen habe: Wo Gott mit Mose spricht und Mose diesen strahlenden Glanz abbekommt. 

Gott zu sehen: darum drehen sich die Kapitel 33 und 34. Doch die Botschaft ist unterschiedlich, ja gegensätzlich. Da redet Mose mit Gott – Gesicht zu Gesicht – so wie zwei Menschen sich unterhalten. Und im nächsten Atemzug darf Mose Gott überhaupt nicht sehen, weil er sonst tot umfallen würde. 

Natürlich hat das 2. Buch Mose seine Entstehungsgeschichte. Unterschiedliche Abschnitte sind zu unterschiedlichen Zeiten entstanden. Da wurde ergänzt, verändert, zusammengefügt. Und natürlich lassen sich die unterschiedlichen Aussagen historisch begründen. Ich möchte sie heute trotzdem so nebeneinander lesen, wie sie in der Bibel stehen. Weil ich es gut finde, dass diese Spannung zwischen den Texten nicht aufgelöst wird.

Denn diese Spannung erlebe ich auch in mir: Die Vorstellung, dass wir mit Gott reden können, von Angesicht zu Angesicht, wie mit einem Freund: Ich finde das ein wunderbares Bild! Und es ist ein Bild, das mich im Gebet begleitet. Das Vertrauen darauf, dass ich mit Gott auf Augenhöhe sprechen darf. 

Aber auf der anderen Seite ist da auch die Erfahrung, dass Gott eben nicht Mensch ist! Dass Gott größer ist. Dass ich nicht mit Gott auf Augenhöhe stehe. Und dass es ein absoluter Unterschied ist, ob ich mich mit einem anderen Menschen unterhalte - oder ob ich im Gebet bin mit Gott. 

Weil Gott anders ist. Ganz anders. 

In diesen beiden Polen erlebe ich mich in meinem Glauben. Und deshalb finde ich es so gut, dass auch in der Bibel diese Spannung bleibt. 

Der Theologe Karl Barth schreibt in einem Aufsatz Folgendes: Die Aufgabe der Theologie ist es: Von Gott zu reden. Aber weil wir Menschen sind, können wir eigentlich gar nicht von Gott reden. Weil Gott so viel größer ist als wir Menschen.

Für Karl Barth geht es in der Theologie genau um diese Spannung: Dass wir von Gott erzählen sollen. Auch wenn wir das eigentlich gar nicht können, weil Gott viel zu groß für uns ist. 

Das ist für mich ein zentraler Gedanke im Glauben: Da ist auf der einen Seite die Nähe Gottes. Besonders spürbar in Jesus Christus. Gott, der selber Mensch wird – Gott, der uns ganz nah kommt. 

In Jesus wird Gott greifbar. Die Menschen damals konnten Jesus ganz praktisch begreifen: Sie konnten Jesus mit ihren eigenen Händen anfassen, berühren. In Jesus wurde Gott: Greifbar, Berührbar, Sichtbar. 

Aber auf der anderen Seite ist da eben auch eine große Ferne. Die Heiligkeit Gottes. Das Nicht-Antastbare Gottes. Die Ehrfrucht vor Gott. Gott ist eben nicht der gute Kumpel, mit dem ich in der Kneipe ein Bier trinke. Und auch nicht die beste Freundin, mit der ich zusammen auf dem Sofa abhänge. 

Gott ist und bleibt auch geheimnisvoll für uns. 

Hier im 2. Buch Mose ist es Mose, der im Gespräch ist mit Gott. 40 Tage ist Mose oben auf dem Berg bei Gott. Und dann steigt er wieder hinunter, zurück zu den anderen Israeliten. Aber Mose hat sich verändert. Ihm selbst ist das gar nicht so bewusst. So heißt es in der Bibel: „Mose wusste nicht, dass sein Gesicht einen strahlenden Glanz bekommen hatte, während Gott mit ihm sprach.“

Erst durch die Begegnung mit den anderen Leuten merkt Mose, wie sehr er sich verändert hat durch diese Begegnung mit Gott. Da strahlt etwas von ihm aus. Und dieses Strahlen ist so hell, dass es für die anderen nicht zu ertragen ist. 

Das ist etwas, das sich durch die Bibel zieht: Engel, die als Boten von Gott kommen, werden in diesem strahlenden Licht beschrieben.  
In der Evangeliumslesung, die wir gehört haben, ist es Jesu, der auf einmal in leuchtendem Weiß erscheint. In fast allen Erzählungen erschrecken die Menschen erst einmal vor diesem hellen Licht. Es ist so hell, dass es für Menschen nur schwer auszuhalten ist. 

Darin steckt für mich etwas von der Unfassbarkeit Gottes. Dass Gott zu groß ist für uns. 

Mose ist in der Exodus-Erzählung natürlich total herausgehoben: Er ist derjenige, der am Dornenbusch Gottes Namen erfährt. Er ist es, der Gottes Volk aus der Gefangenschaft herausführt. Und er ist derjenige, der oben auf dem Berg ist und mit Gott redet. Mose ist herausgehoben: Der Prophet, der in ganz enger Verbindung mit Gott steht. Und der zwischen Gott und den anderen Menschen vermittelt. 

Hier nun wird Mose durch der Begegnung mit Gott so sehr verändert, dass die anderen ihn praktisch nicht mehr ertragen können. Sein Gesicht hat einen solchen Glanz, dass die anderen Angst bekommen. Mose muss sich damit behelfen, dass er sein Gesicht verhüllt. Er deckt das Strahlen ab. Weil es für die anderen zu viel ist. Nur wenn Mose wieder alleine mit Gott ist, kann er den Schutz abnehmen.

Ich finde das eine denkwürdige Szene: Dass Mose so sehr auf der Seite von Gott steht, dass er sich mit Gott unterhalten kann – Gesicht zu Gesicht. 

Aber diese Begegnung mit Gott verändert ihn so sehr, dass er mit den anderen Menschen nicht mehr Gesicht zu Gesicht sprechen kann – sondern sein Gesicht verhüllen muss. 

In der Logik der Erzählung verändert sich dieser strahlende Glanz auch wieder. Später kann Mose auch wieder normal mit den anderen reden. 

Ich stelle mir diesen göttlichen Glanz ein bisschen vor die diese phosphoreszierenden Sterne: Die man mit einer Lampe anleuchtet und dann strahlen sie ganz hell. 

Aber mit der Zeit verblassen die Sterne auch wieder. Weil sie nicht aus sich selbst herausleuchten. Vielleicht ist es ein bisschen ähnlich mit Mose und seinem Glanz. 

Bei der Vorbereitung auf die heutige Predigt habe ich mich gefragt: Kann es für uns Menschen auch ein Zuviel an Gott geben?

Ich musste dabei an eine Nonne denken, eine Ordensschwester, mit der ich mich mal unterhalten habe. Sie erzählte mir, dass bei ihnen im Kloster jede Schwester einmal im Monat einen freien Tag hat: Einen Tag, an dem sie nicht arbeiten muss, aber an dem sie auch von den Andachts- und Gebetszeiten befreit ist. Einen Kloster-freien Tag sozusagen. 

Ich fand das erstmal seltsam. Dass Nonnen Urlaub brauchen vom Klosterleben. Aber die Nonne erklärte mit einem Schmunzeln, dass es auch Tage geben müsse ohne Heiligkeit. 

Für die Gemeinschaft dort im Kloster war das eine bewusst Entscheidung, dass es für uns Menschen auch Zeiten geben darf, ja vielleicht auch muss, die frei sind von Heiligkeit. Ich finde das einen spannenden Gedanken! Tage die frei sind von Heiligkeit. Keine Gott-freien Tage! Das ist ein entscheidender Unterschied! Es gibt keine gottlose Zeit in unserem Leben. Davon bin ich überzeugt. 

Aber für uns Menschen finde ich es wichtig, dass wir uns nicht – ich sage mal – in unserem Glauben verkriechen. Dass es auch seine Berechtigung hat, ganz unheilig einfach nur Mensch zu sein. 

Und vielleicht kann Gottes Heiligkeit für uns auch nur gewahrt bleiben, wenn da ein Abstand bleibt. Zwischen uns und Gott. 

Ich bin überzeugt davon, dass wir am Ende unseres Leben, nach dem Tod, Gott begegnen werden: Von Angesicht zu Angesicht. 

Das ist meine feste Hoffnung und mein Glaube. 

Das ist meine Vorstellung des Himmels: Dass wir Gott von Gesicht zu Gesicht sehen und begegnen werden. 

Aber auch da: in der Ewigkeit wird es so sein, dass da ein Unterschied bleibt zwischen Gott und mir. Dass auch im Himmel Gott Gott bleibt. Und wir: Geschöpfe bleiben. Von Gott geschaffen. 

Das wird in Ewigkeit so bleiben. 

Wir werden nicht Gott sein. Gott sei Dank, werden wir das nicht sein! 

Der Unterschied zwischen uns und Gott wird sich nicht auflösen. Soll sich auch gar nicht auflösen! Weil wir nur so wir selbst bleiben und Gott unser Gegenüber. Und weil wir nur so:  Gott von Angesicht zu Angesicht sehen werden.

Amen. 

Liebe Gemeinde,

Anfangsgeschichten. Menschen, die einen Neuanfang wagen: Kehrwende, Neubeginn. 

Als Lesung haben wir eine solche Geschichte aus der Bibel gehört: Von Simon Petrus. Der eigentlich Fischer war. Und der dann Jesus begegnet. Und diese Begegnung berührt ihn so sehr, dass er alles stehen und liegen lässt und Jesus nachfolgt. 

„Und sie brachten die Boote an Land und verließen alles und folgten ihm nach.“ Alles auf Anfang! 

Ob Simon und seine beiden Gefährten, Jakobus und Johannes, über diese Entscheidung nachgedacht haben? Ob sie miteinander diskutiert haben: Sollen wir uns auf diesen Jesus einlassen? Sollen wir wirklich unseren sicheren Job als Fischer aufgeben? Haben sie Pro- und Contra-Listen aufgeschrieben? Was spricht dafür, was spricht dagegen? Haben sie zumindest eine Nacht darüber geschlafen? Haben sie sich von ihrer Familie, ihren Freunden verabschiedet? Oder sind sie sofort auf und davon. Alles stehen und liegengelassen und mit Jesus mit? 

Ich stelle mir diese Szene immer so vor: Die Fischer treffen Jesus, erleben ihn, sind total fasziniert, angerührt, bewegt. Und als Jesus sagt: Kommt mit! – lassen sie alles stehen und liegen und kommen mit. Ohne zu überlegen oder zu planen. Weil sie gar nicht anders können, als Jesus nachzufolgen. 

Die Erzählung erinnert mich an eine ähnliche Geschichte, die auch in der Bibel steht. Sie steht ziemlich am Anfang. Gleich im ersten Buch Mose. Die Geschichte von Abraham. Ich lese sie auf dem 1. Buch Mose im 12. Kapitel: 

"Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte."  [1. Mose 12, -1- 4a]

Gott sprach zu Abram: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“

Ein nahezu ungeheuerlicher Auftrag. Abram soll alles hinter sich lassen: Seine Verwandtschaft, seine Familie, sein Zuhause, sein Heimatland – um… ja, um in ein Land zu ziehen, von dem er überhaupt nichts weiß. 

„In ein Land, das ich dir zeigen will.“ sagt Gott.  

Unbestimmter geht es kaum. Keine Ahnung, wohin die Reise geht. Und warum das Ganze überhaupt. Aber es gibt eine große Verheißung dazu:

„Ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. – In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ 

Das klingt nicht schlecht, oder?! 

Aber, ist das wirklich Gottes Stimme, die da spricht? Oder ist das nur so ein Gehirngespinst im eigenen Kopf? Ob Abram sich so etwas gefragt hat? Hat er hin und her überlegt, ob er diesen Auftrag überhaupt ernst nehmen soll? Hat er mit seiner Frau darüber gesprochen, was die dazu meint? Hat er bei Gott nachgefragt: Wo liegt denn dieses Land überhaupt? Und wie sieht es da aus? Wie lange dauert die Reise? Und wie ist das Wetter dort? Ob Abram sich solche Gedanken gemacht hat? Hat er zögert? Zweifel gehabt?

Nichts davon lesen wir in der Bibel. Dort steht nur ein einziger Satz: 

„Da zog Abram aus, wie der Herr zu ihm gesagt hatte.“

Und wieder stelle ich mir die Szene vor:
Abram hört den Auftrag von Gott. Er steht auf, packt seine sieben Sachen und zieht los. Auf der Stelle. Ohne zu Zögern. 

Mich faszinieren diese Geschichten. Dass Menschen eine solche Kehrtwende machen. Aufbrechen ins Ungewisse. Ganz neu beginnen. Alles auf Anfang. 

Simon Petrus, und die anderen– die alles zurücklassen und mit Jesus mitgehen. 

Abram, der loszieht, wie Gott es ihm gesagt hat. Ohne zu wissen, wohin und was ihn erwartet.

Auch im "echten Leben" gibt es das. Dass Menschen noch einmal ganz neu beginnen. 

Mich fasziniert das: Diese Vorstellung, im Leben eine Kehrtwende zu machen. Alles Alte hinter sich zu lassen. Alles noch einmal neu. Darin liegt eine große Chance. Und auch ein gewisser Zauber. Nichts muss so sein, wie es vorher war. Es geht auch ganz anders. Alles ist möglich. 

Und zugleich weiß ich: Ich könnte das nicht. Dafür bin ich viel zu ängstlich. Und viel zu sehr Gewohnheitsmensch. Ich hänge an vertrauten Dingen, vertrauten Menschen, meiner vertrauten Umgebung. Ich denke viel zu viel darüber nach, was schief laufen könnte. 

Wenn ich mich für etwas Neues entscheide, dann erst nach gründlicher Überlegung. Mit Pro und Contra-Liste und so. So eine Entscheidung muss in mir wachsen. Das geht nicht von jetzt auf gleich. 

Aber wenn ich noch einmal in die Bibel schaue, stelle ich fest: Da steht nicht drin, dass die Jünger sofort losgesprungen sind und mir nichts, dir nichts Jesus nachgefolgt sind. Wer weiß, vielleicht hat es auch gedauert, bis sie wirklich entschieden waren. Vielleicht gab es vorher auch schlaflose Nächte und hitzige Diskussionen: Sollen wir das wirklich machen?

Und auch bei Abram. Klar steht da kurz und knapp: Abram zog aus, wie Gott gesagt hatte. Aber dass er sofort aufgesprungen und losgerannt wäre, davon steht nichts. 

Ein paar Sätze später wird erzählt, dass Abrams Frau mitkommt und sein Bruder und Familie und ihr ganzer Besitz. Das war ein richtiger Umzug. Der mit Sicherheit geplant wurde. Und wer weiß, vielleicht hat es auch eine Weile gedauert, bis Abram sich zu diesem Schritt durchringen konnte. Vielleicht hat er immer wieder überlegt, mit seiner Frau diskutiert. Gezögert, gezweifelt. Und schließlich den Schritt gewagt. 

Das hilft mir. Und es zeigt mir: Im Glauben zu leben und Jesus nachzufolgen, dafür muss ich keine Glaubensheldin sein, die alles stehen und liegen lässt und ihr Leben auf den Kopf stellt. 

Doch, der Glaube verändert mein Leben; muss mich verändert. Weil er sonst für mich kein echter Glaube ist. Im Glauben zu leben, heißt für mich: Dass es nicht nur um mich geht und das, was ich will. Sondern, dass ich danach frage, was Gott will. Und das kann auch unbequem sein. Weil Gottes Sicht eine andere ist, als meine. Da geht es nicht nur um mich und was ich gerade schön und bequem finde. Da kann der Glaube mich auch zu einer Kehrtwende auffordern. 

Aber: Ich darf zweifeln und zögern und zaudern. Das ist okay - wenn ich mit Gott im Gespräch bleibe. Wenn ich mich ansprechen und anfragen lasse von Gott. 

Anfangsgeschichten! 

Mit den Taufen heute haben wir drei Anfangsgeschichten erlebt. Mit der Taufe sagt Jesus zu Emma, zu Frieda zu Lijan: Komm, folgt mir nach! Was daraus im Leben wird, wissen wir nicht. Ob sich die drei, wenn sie selber entscheiden können, für den Glauben an Jesus Christus entscheiden werden? Das wird die Zukunft zeigen.

Mit der Taufe macht Gott den ersten Schritt. Gott sagt von seiner Seite: „Ich will Dich segnen. Und Du sollst ein Segen sein.“ 

An Gott zu glauben – das ist für mich kein Entscheidung, die ich einmal im Leben treffe. Für mich ist es eine Entscheidung, die ich jeden Tag neu treffe – ja eigentlich in jedem Atemzug: Die Frage, ob ich Gott in mein Leben hineinlasse. Ob es nur um mich geht und das, was ich will. Oder auch um Gott und was Gott will. 

Wenn ich das mache, dann begleitet mich Gottes Segen – in allem was ist – in jedem Atemzug: „Ich will dich segnen und Du sollst ein Segen sein.“ Amen.

Theaterfest 2022! In Vorbereitung auf diesen Gottesdienst habe ich überlegt, ob  Theaterspiel auch etwas mit Gott zu tun haben kann? Und ich finde: Ja! Es kann! Tatsächlich taucht das Wort „Spielen“ oft in der Bibel auf. Zwar nicht so sehr im Zusammenhang mit Theater –Spiel. Sondern meist ist das Spielen von Instrumente gemeint. „Spielt mit Harfe und Posaunen“ – heißt es zum Beispiel in den Psalmen. Das ist doch schon mal was, finde ich! Die Musik hat in der Bibel ganz viel Raum. Und ich kann mir einen Gottesdienst ohne Musik auch überhaupt nicht vorstellen! 

Na und im Theaterprogramm für diese Saison, da findet sich ja eine Menge Musikalisches! 

In der Bibel gibt es dann noch einen besonderen Text. Über den sich viele Theologen schon den Kopf zerbrochen haben. Eilert Ommen hat diesen Text eben schon einmal gelesen: 

Es ist ein Text aus dem Alten Testament über die Weisheit. Die Weisheit erzählt dort in Ich-Form über sich selbst. Ich lese noch einmal aus der Bibel aus dem Buch der Sprüche: [Sprüche 8, 22-32]

Am Anfang hat Gott mich geschaffen, ich war sein erstes Werk vor allen anderen. In grauer Vorzeit hat er mich gemacht, am Anfang, vor Beginn der Welt. Als ich geboren wurde, gab es noch kein Meer und keine Quelle brach aus der Tiefe hervor. Der Grund der Berge war noch nicht gelegt, die Hügel waren noch nicht entstanden. Gott hatte noch nicht die Erde gemacht, vom festen Land und seinen Feldern war noch nicht das Geringste zu sehen. Ich war dabei, als er den Himmel wölbte und den Kreis des Horizonts festlegte über den Tiefen des Ozeans, als er die Wolken hoch oben zusammenzog und die Quellen aus der Tiefe sprudeln ließ, als er dem Meer die Grenze bestimmte, die seine Fluten nicht überschreiten dürfen, als er die Fundamente der Erde abmaß – da war ich als Kind an seiner Seite, ich freute mich an jedem Tag und spielte unter seinen Augen. Ich spielte auf dem weiten Rund der Erde und hatte meine Freude an den Menschen.

Deshalb, ihr Leute, hört auf mich! Wie glücklich sind alle, die mir folgen! 

Warum dieser Text schon vielen Theologen Kopfzerbrechen bereitet hat? Weil sie nicht klären konnten, wer oder was genau gemeint ist mit der Weisheit, die hier als „Ich“ spricht: 

 „Am Anfang hat Gott mich geschaffen, ich war sein erstes Werk vor allen anderen.“

Wer ist diese „Ich“? Eine Eigenschaft Gottes, die personifiziert wird? Ist Gott selber gemeint – umschrieben mit der göttlichen Weisheit? Ist die Weisheit gleichzusetzen mit Jesus Christus – oder mit dem Heiligen Geist? Der Text gibt keine Erklärung dazu. Und auch wir werden heute Abend dieses „Rätsel“ wohl nicht lösen. Aber vielleicht ist das auch gar nicht so wichtig. 

Festhalten lässt sich, dass die Weisheit schon immer zu Gott gehört hat. Und dass sie schon da war, bevor Gott die Welt und alles andere erschaffen hat. 

Aber besonders bemerkenswert finde ich es, wie die Weisheit beschrieben wird. Normalerweise würde ich bei „Weisheit“ an etwas Ernstes, Nachdenkliches denken. Hier dagegen heißt es: 

„Ich was als Kind an Gottes Seite. Ich freute mich an jedem Tag und spielte unter seinen Augen.“ 

Ich finde das großartig: Dass die Weisheit Gottes geradezu kindlich, fröhlich- verspielt beschrieben wird! Mir gefällt die Vorstellung, dass Gott bei der Erschaffung der Welt nicht mit stocksteifem Ernst, sondern mit kindlicher Freude ans Werk gegangen ist. 

Wenn ich mir die Natur anschaue, dann steckt darin doch auch viel Spielerisches und Humorvolles. Wenn ich sehe, was für lustige Formen es an Blüten und Blättern gibt, oder was für eigenartige Tiere, dann stelle ich mir vor, dass Gott all das mit einem Lächeln im Gesicht erschaffen hat. 

Wie käme man sonst auf die Idee Kängurus zu erschaffen, die schon lustig sind, weil sie mit gewaltigen Sprüngen durch die Gegend hüpfen. Aber dann noch die Idee, dass die Jungtiere in einem Beutel vor dem Bauch durch die Gegend getragen – oder besser gesagt – gehüpft werden. Um sich so etwas auszudenken, muss man doch einfach Humor haben, oder?! 

Überhaupt in der Natur: Bei vielen Tieren kann man beobachten, dass sie auch spielen. Klar, oft erfüllt das Spielen einen sinnvollen Zweck: Wenn junge Katzen miteinander herumtollen, sich verstecken und anlauern… dann üben sie damit auch, wie sie später Beutetiere jagen und fangen. Trotzdem, wenn ich mir spielende Tierkinder anschaue, dann bin ich sicher: Da geht es nicht nur um eine Pflichtübung, die haben auch einfach eine Menge Spaß beim Spielen! Und es gibt manche Spiele von Tieren, die sich nicht mit einem sinnvollen Zweck erklären lassen. Fischotter zum Beispiel bauen an Uferböschungen regelrechte Wasserrutschen. Die Otter legen diese Rutschen richtig an. Erst müssen sie immer wieder runterrobben, bist die Rutschbahn so richtig matschig und rutschig ist. Und dann hoppelt die ganze Otterfamilie immer wieder den Hang hinauf, um auf der Rutsche ins Wasser zu sausen. Tierforscher haben bis heute keinen Grund finden können, dass das für die Fischotter irgendeinen Zweck hätte. Ich finde das prima! Weil es zeigt, dass es auch in der Tierwelt nicht nur ums reine Überleben und Vermehren geht. Sondern auch um Genießen und Spielen! 

 

Und ich bin von Herzen froh, dass Gott uns Menschen Vieles geschenkt hat, was nicht nur nützlich, praktisch und sinnvoll ist. Kunst und Kultur. Musik und Theater. Vieles zum Freuen und Genießen war heute beim Theaterfest zu erleben. Ich finde das wichtig! Dass unser Leben nicht nur verzweckt wird. Ich finde es wichtig, dass Kinder im Kindergarten nicht nur sinnvolle Dinge lernen und Fähigkeiten erwerben. Sondern dass sie auch Zeit haben, um einfach zu spielen. Ohne dass es pädagogisch sinnvoll und verwertbar ist. Wir Menschen sind im Leben so oft drauf getrimmt, dass das was wir tun, sich lohnt. Dass es uns voran bringt. Dass wir besser werden. Dass es etwas Nützliches ist.  

Gerade deshalb bin ich froh und dankbar, dass wir in Nienburg das Theater auf dem Hornwerk haben! Natürlich ist auch das Theater nützlich. Und aus vielen Theaterstücken und Aufführungen lässt sich natürlich etwas lernen. Aber das ist für mich nicht das Eigentliche! Ich gehe nicht ins Theater um mich fortzubilden. Für mich hat das Theater und Kunst und Kultur insgesamt, eben auch diese Leichtigkeit, das Spielerische. Wo ich mich fallen lassen und genießen kann. 

Gott selber erinnert uns daran: Die ganze Schöpfung will nicht nur zweckmäßig sein. 

Die Schöpfung steckt voll göttlicher Weisheit. Und diese göttliche Weisheit ist wunderbar kindlich und spielerisch: „Ich was als Kind an Gottes Seite. Ich freute mich an jedem Tag und spielte unter seinen Augen. Ich spielte auf dem weiten Rund der Erde und hatte meine Freude an den Menschen.“ 

Gott hat uns  das Leben geschenkt, damit wir nicht nur ernsthaft arbeiten, sondern auch das Leben genießen. Martin Luther sagt: 

 „Gott will, dass wir fröhlich sein sollen. Wenn er nämlich wollte, dass wir traurig wären,

würde er uns nicht Sonne und Mond und die Früchte der Erde schenken, die er uns zur Freude schenkt.“

In diesem Sinne wünsche ich uns die Weisheit Gottes: Sich kindlich zu freuen, das Leben zu genießen, selber zu spielen und dann und wann im Theater Theaterspiele zu genießen. Amen

Liebe Gemeinde,

am Freitag bin ich von einer einwöchigen Fortbildung zurückgekehrt. Es war die letzte Einheit einer dreijährigen Langzeit-Weiterbildung. Und so war diese Kurseinheit auch ein Zurückblicken auf die gesamten drei Jahre der Weiterbildung. Dabei wurde mir bewusst, wie viel in diesen drei Jahren passiert ist – nicht nur in dieser Weiterbildung. Nein! Wie sehr sich die gesamte Welt verändert hat! 

Im November 2019 habe ich die Weiterbildung begonnen. Da hatte ich den Namen Corona bislang nur als Bier-Sorte gehört. Nie hätte ich es mir nicht vorstellen können, dass es wenige Monate später zu einer weltweiten Pandemie kommen würde. Wie viel und wie schnell sich verändert hat – 

Dass Maske-Tragen zu einer Selbstverständlichkeit wurde, Abstand halten, Verzicht auf Händeschütteln. Geschlossene Geschäfte – Geschlossene Kirche – selbst am Ostersonntag.

Vor drei Jahren war all das außerhalb meiner Vorstellungskraft! Unvorstellbar, dass mitten in Europa ein furchtbarer Krieg beginnen und fortdauern könnte. Dass die Gefahr eines Atomkrieges plötzlich wieder da ist. Und ein US-amerikanischer Präsident von der Gefahr eines Armageddon spricht. Vor drei Jahren unvorstellbar für mich. Und die Selbstverständlichkeit, dass wir mit Gas und Strom versorgt sind – sind eben keine Selbstverständlichkeit mehr. Sondern schwankende Fragezeichen. Betriebe, die nicht mehr wirtschaften können und aufgeben müssen. Menschen, die ihre Miete und Nebenkosten nicht mehr bezahlen können. Auch wir als Kirchengemeinden werden sparen müssen. Die Kirchen werden kalt bleiben – weil das normale Heizen der großen Kirchengebäude schlicht nicht zu bezahlen wäre. 

Ich bin nicht dafür, alles schwarz zu malen. Und manches Mal denke ich: Vielleicht ging es uns viel zu lange viel zu gut - ohne dass wir das wirklich wertgeschätzt haben. Das meiste haben wir doch als Selbstverständlichkeit genommen haben. Und gejammert wurde auf ziemlich hohem Niveau.

Für viele Menschen auf der Erde war die Welt schon vor drei Jahren mehr eine Katastrophe: Wie viele Menschen haben schon da unter furchtbaren Krankheit-Epidemien gelitten. Wie viele Menschen können von fließend Wasser, Gas und Strom nicht einmal träumen. Wie viele Menschen leben, leiden und sterben seit Jahren! in Bürgerkriegen. Und das meiste davon schafft es noch nicht einmal in unserer Nachrichten. Ja, denke ich dann: Uns ging es lange Zeit unglaublich gut- und es geht uns noch immer gut! 

Und dennoch kann ich die Sorgen und Ängste verstehen. Mich selber packt oft genug die Angst in dieser Zeit. Ich spüre, wie sehr mein Grundgefühl von Sicherheit erschüttert ist. Die Zukunft sieht nicht rosig aus – sondern manches Mal erscheint sie mir bedrückend schwarz.

„Kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.“ Diese Worte schreibt der Verfasser des Epheserbriefes in der Bibel. Sicher waren die die Sorgen und Probleme, die die christlichen Gemeinden damals umtrieb ganz andere, als unsere heute. Aber dieses Gefühl spricht für mich auch in unsere Zeit: „Kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse.“ 

Ich lese aus dem Epheserbrief im 5. Kapitel:

So seht nun sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt, nicht als Unweise, sondern als Weise, und kauft die Zeit aus, denn die Tage sind böse. Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist. Und sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt, sondern lasst euch vom Geist erfüllen. Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern, singt und spielt dem Herrn in eurem Herzen 20 und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.                                            Epheser 5, 15-20

Kauft die Zeit aus –  Was heißt das eigentlich? Andere Übersetzungen formulieren: Nutzt die Zeit. 

Macht etwas Sinnvolles daraus. Also: Verplempert Eure Zeit nicht gedankenlos. Danach folgt eine ganze Liste an guten Ratschlägen und Ermahnungen: Weise sollen wir sein – und nicht unweise.

Verständig – und nicht unverständig. Und bitte nicht so viel Alkohol. „Sauft euch nicht voll Wein, woraus ein unordentliches Wesen folgt“  Ich widerstehe der Versuchung, diese Anti-Alkohol-Ermahnung einfach mit einem Schmunzeln beiseite zu wischen. Ich fange an zu fragen: Womit lasse ich mich im Leben volllaufen, das mich benebelt und mir den Weg zu Gott versperrt?

Das muss ja nicht der Alkohol sein. Vielleicht sind es die vielen schlechten Nachrichten, die Tag für Tag auf mich einprasseln, wenn ich Nachrichten schaue, Zeitung lese, die Schlagzeilen im Netz verfolge. Manchmal spüre ich, wie mich dann Sorgen und Angst in eine Spirale ziehen. Dann schaue ich bewusst keine Tagesschau. Und lese nicht jede Schreckensmeldung, die über meinen Bildschirm tickert. Weil ich vieles davon eh nicht verändern kann. Und mich nur lähmt und mir den Blick verstellt auf das, was ich tun kann. Es kann nämlich auch bequem sein, mich in den ganzen Schreckensnachrichten zu „suhlen“. Und nur noch zu sagen: Wie schrecklich! Und ich kann ja gar nichts machen. Ja, dann lasse ich mich nur „volllaufen“ mit Schreckensnachrichten. 

Vielleicht ist es aber auch meine eigene Betriebsamkeit. Mein Glaube, dass ich die Welt retten muss. Dass ich mache, mache, mache. Und nicht innehalte, um einmal zu fragen: Was will eigentlich Gott? Vielleicht lasse ich mich volllaufen mit Aktionismus. Und mein Größenwahn, dass ich die Welt retten will, verstellt mir den Blick darauf, dass Gott die Welt in den Händen hält und nicht ich. 

Vielleicht ist es auch etwas ganz anderes? Womit lasse ich mich „volllaufen“  womit lasse ich mich „berieseln“ Was wird zu einem Hindernis, das sich zwischen mich und Gott stellt. 

Was ist da vielleicht in meinem Leben, das mir eigentlich schadet und mich wegführt von Gott?

„Darum werdet nicht unverständig, sondern versteht, was der Wille des Herrn ist.

Sauft euch nicht voll Wein –  Sondern lasst euch vom Geist erfüllen.“ 

Nach Gottes Willen fragen – auf den Heiligen Geist hören – und danach handeln. Das ist der Kern unseres Glaubens.

Immer wieder – und immer wieder neu. Auch in dieser Zeit – mit all ihren Umbrüchen und Unsicherheiten. 

Auch in der Kirche verändert sich viel und wird sich noch viel, viel mehr verändern. Wir stehen noch ganz am Anfang von gewaltigen Umbrüchen. Christ zu sein ist auch in unserem Land längst keine Selbstverständlichkeit mehr. Die Gemeinden werden kleiner, das Geld wird weniger. 

Die Pastoren und Pastorinnen werden in den kommenden Jahren deutlich weniger werden. 

Viele Pfarrstellen werden nicht mehr zu besetzen sein. Kirchengebäude werden verkauft werden. Gemeinden zusammengelegt.

Ich wünsche mir, dass wir uns als Kirche von all dem nicht lähmen lassen. Dass wir uns nicht „volllaufen“ lassen mit Zukunftssorgen. Weil ich ganz sicher bin, die Kirche wird bleiben.

Auch wenn Kirchengebäude verschwinden werden. – So weh das tut. Und manche schmerzhafte Veränderung noch anstehen wird. Aber die Kirche als Gemeinschaft der Christen wird bleiben. 

Weil wir die Kirche nicht machen. Und weil es nicht unsere Kirche ist – sondern die Kirche Jesu Christi. 

Ich wünsche mir für unsere Zukunft als Kirche mehr Geist! Ein bewusstes Fragen danach, was Gottes Wille ist. Immer wieder. Dazu braucht es Gebet, Stille, Hinhören. Und ein Sich-darauf-einlassen, dass unsere Vorstellungen und Wünsche nicht immer Gottes Wünsche und Vorstellungen sind. 

Im Epheserbrief steht zum Schluss noch etwas ganz Wichtiges: „Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern“ 

Ja, auch das wünsche ich mir: Dass wir uns gegenseitig Mut machen. Gerade dann wenn es schwierig wird. Und die Zukunft eben nicht rosig sondern dunkel erscheint. Dass wir einander davon erzählen, was uns Mut macht und stärkt. Dass wir miteinander teilen, was uns im Leben und im Glauben trägt. Wenn ich mich selber in meine Sorgen vergrabe, dann brauche ich das, dass jemand kommt und mich wieder rausholt. Dafür braucht es gar nicht viel. Oft reicht es schon, wenn ich spüre: Da ist jemand, der hört mir zu und trägt meine Sorgen mit. 

„Ermuntert einander mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern“ Der Gottesdienst kann dafür ein Ort sein: Gemeinsam zu singen, zu beten, auf Gottes Wort zu hören. Füreinander und für andere zu beten. Und auf Gottes Gegenwart zu vertrauen. 

„Und sagt Dank Gott, dem Vater, allezeit für alles, im Namen unseres Herrn Jesus Christus.“ 

In allen Schwierigkeiten und Veränderungen dieser Zeit, ist genau das für mich wichtig und heilsam: Immer wieder auch ins Danken zu kommen. Den Blick zu lenken auf das, was immer noch gut ist und schön. Und da ist noch immer ganz vieles schön und wunderbar. Da ist so vieles, wofür ich Gott von ganzem Herzen danken kann. 

Das ist keine blauäugige Sicht und auch keine Weltflucht. Das Danken schenkt mir neue Kraft, um mich auch den dunklen Seiten des Lebens zu stellen. Es gibt mir Mut, die Zeit „auszukaufen“ – meine Leben fröhlich zu leben, und sinnvoll zu gestalten – Im Hören darauf, was Gottes Wille ist. 

Und im Vertrauen darauf, dass Gott mitgeht. In guten wie in bösen Tagen. 

Ich lese noch einmal die Worte auf dem Epheserbrief. 

[Epheser 5, 15-20]

Liebe Gemeinde,

am letzten Abend des Jahres feiern wir Gottesdienst. 

Erinnern Sie sich noch, wie das war vor einem Jahr? Als Sie in das Jahr 2022 gestartet sind?

Mit welchen Wünschen und Hoffnungen, vielleicht auch Sorgen sind Sie ins Jahr 2022 gestartet?

Und jetzt? Wie schauen Sie zurück auf das Jahr, das jetzt zu Ende geht? Haben sich Wünsche und Hoffnungen erfüllt? Hat sich manches oder vieles anders entwickelt, als gedacht? 

Ganz sicher ist 2022 im Großen ein einschneidendes Jahr gewesen:  Mit dem russischen Angriffskrieg, der im Februar begonnen hat und fortdauert. 

Wie sehr dieser Krieg das Leben für die Menschen in der Ukraine verändert hat, das können wir kaum richtig erahnen. Kaum vorstellbar ist das, wenn man es selber nicht erlebt und erleidet. 

Zugleich hat der Krieg auch vieles bei uns verändert. Vieles, das auf festem, sicheren Boden stand, ist wackelig, geworden. Ich kann es für mich sagen: Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben in mir ein Grundgefühl der Sicherheit ins Wanken gebracht. 

Und anders als in anderen Jahren gehe ich mehr mit gemischten Gefühlen in die Silvesternacht. 

Da ist nicht nur das Gefühl von Neugier auf das  neue Jahr. Sondern auch ein sorgenvolles Gefühl. Was kommt auf mich; auf uns zu, im neuen Jahr?

Und dann schaue ich auf die Jahreslosung, die für das Jahr 2023 ausgelost wurde:  „Du bist ein Gott, der mich sieht.“

Hagar spricht diese Worte, die Dienerin von Sarah, der Frau Abrahams. 

Wir sind damit ziemlich am Anfang der Bibel. Im 1. Buch Mose, Kapitel 16. In den sogenannten „Vätergeschichten“. Dass es auch Müttergeschichten sind, wird in der Geschichte von Sarai und Hagar deutlich. Die Erzählung ist aus heutiger Sicht in vielen Teilen problematisch. 

Sarai und Abraham bekommen keine Kinder.  „Sarai war unfruchtbar und hatte kein Kind“ heißt es in der Bibel. Zur damaligen Zeit eine Katastrophe. Weil das Frau-Sein definiert war über das Mutter-sein. Aus heutiger Sicht mehr als problematisch, Frauen so sehr auf die Mutter-Rolle einzuschränken. 

Sarai schickt ihre Dienerin Hagar zu Abraham, damit er mit ihr ein Kind zeugt. Es war damals kein ungewöhnlicher Plan. Aus heutiger Sicht natürlich umso mehr. Abraham, der ohne Zögern Sarais Plan in die Tat umsetzt. Und Hagar, die gar nicht erst gefragt wird. Und zur Leihmutterschaft gezwungen wird. 

Hagar wird schwanger und fühlt sich damit plötzlich Sarai gegenüber überlegen. 

Und Sarai kann es nicht ertragen, wie Hagar jetzt auftritt. Die sie spüren lässt, dass sie sich als vollwertige Frau sieht, weil sie das Kind erwartet. Und eben nicht Sarai. 

Sarai lässt ihre Wut und Verzweiflung an ihrer Dienerin aus. 

„Da demütigte Sarai sie, so dass sie vor ihr floh“. heißt es in der Bibel. Und weiter heißt es:

Der Engel des HERRN fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste.

Der sprach zu ihr: Hagar, Sarais Magd, wo kommst du her und wo willst du hin? Sie sprach: Ich bin von Sarai, meiner Herrin, geflohen.  Und der Engel des HERRN sprach zu ihr: Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.

Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.  Siehe, du bist schwanger geworden und wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen; denn der HERR hat dein Elend erhört. 

Und sie nannte den Namen des HERRN, der mit ihr redete: Du bist ein Gott, der mich sieht.

 Denn sie sprach: Gewiss hab ich hier hinter dem hergesehen, der mich angesehen hat.

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ Mit dieser Jahreslosung gehen wir in das neue Jahr. 

Reicht das als Trost, als Glaubensstärkung für das, was kommen wird? Ein Gott, der uns sieht?

Reicht es für die Menschen, die in vom Krieg zerstörten Häusern hocken, ohne Strom, ohne Heizung? Reicht es für die, die hier bei uns in ihren Wohnungen sitzen und nicht wissen, wovon sie Strom und Heizung bezahlen sollen? Reicht es für die, die den liebsten Menschen verloren haben und mit einsamen Herzen auf das neue Jahr schauen?

 „Du bist ein Gott, der mich sieht“ Für Hagar ändert sich nichts grundlegend. Der Engel, der mit ihr spricht, löst die Situation nicht auf, in der sie feststeckt. „Kehre wieder  um zu deiner Herrin“. sagt der Engel. 

Und dennoch ändert sich etwas. Hagar bekommt Gottes Segen mit auf den Weg. Sie ist damit die erste Frau überhaupt, der  in der Bibel eine solche Segensverheißung zugesprochen wird. 

Und Hagar fühlt sich von Gott gesehen. Wahr-genommen. 

Ihre Geschichte, ihr Schicksal wird ernst genommen, für wahr - genommen. Sie wird gesehen. 

Das löst ihre Probleme nicht auf. Aber sie ist nicht mehr allein. Gott ist bei ihr. Gott sieht sie. Sie ist angesehen. 

Wenn ich Menschen in Krisensituationen begleite, fühle ich mich auch als Pastorin oft hilflos. 

Was sage ich einer Familie, deren Haus gerade abgebrannt ist? Die mit den Leben davon gekommen sind. Aber mit nichts in der Hand. 

Was sage ich einer jungen Frau, deren Mann bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen ist und was ihrem Kind?

In solchen Situationen fehlen auch mir die Worte. 

Aber ich erlebe, wie wichtig es ist, dass ich trotzdem da bin. In meiner Sprachlosigkeit und Hilflosigkeit. Wie wichtig das ist, gesehen und gehört zu werden im eigenen Leid und in der eigenen Not. Manchmal ist es das Wichtigste überhaupt: Einfach nur gesehen zu werden. 

„Du bist ein Gott, der mich sieht“ Mit dieser Jahreslosung gehen wir in das neue Jahr. 

Der Glaube an Gott ist für mich auch eine Anfechtung. Weil da immer auch Fragen bleiben, warum vieles so ist in der Welt, wie es ist. Und wie das sein kann, wenn Gott uns Menschen und die Welt erschaffen hat und liebt und nicht aufhört zu lieben. 

„Siehe es war alles sehr gut.“ Und dann schaue ich in die Welt und so vieles ist gar nicht gut. 

Der Glaube an Gott ist für mich aber auch ein trotziges Dennoch. 

Ein trotziges Vertrauen darauf, dass Gott da ist und bleibt. Dass Gott mich sieht. Und die anderen. Und die ganze Welt. Diesen Glauben kann ich nicht machen. Oft ist er für mich ein Wunder: Dass ich spüren kann, dass Gott da ist. Dennoch. Wenn ich das spüre, ist es für mich immer ein Geschenk, dieser Glaube in mir. 

Und es stärkt mich, von andere ihre Glaubensgeschichte zu hören. Oft ist es ein Glaube gegen Widerstände und Anfechtungen. Hagar, die in allen Schwierigkeiten erlebt, dass Gott sie ansieht und segnet und stärkt. Dietrich Bonhoeffer, der im Gefängnis oft verzweifelt und doch immer wieder auch etwas spürt von Gottes Nähe. 

„Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag.“ 

An diesem Dennoch-Glauben will ich festhalten, auch im neuen Jahr. Amen. 

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem HERRN Jesus Christus.

Liebe Gemeinde,

ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als Pastorin meine erste Trauung hatte. Genauer gesagt, ich war noch im Vikariat – also Pastorin in der Ausbildung. Wie das so ist in der Ausbildung, macht man viele Dinge zum ersten Mal. Und so kam also die erste Trauung auf mich zu. Und ich war ganz schön aufgeregt: Schon beim Vorbereitungsgespräch mit dem Brautpaar. Im Gespräch habe ich dem Paar erzählt, dass es nicht nur für sie, sondern auch für mich eine Premiere wird. 

Und da meinte das Paar ganz entspannt: Ach, Sie sind Pastorin. Sie machen das schon! 

„Sie sind Pastorin. Sie machen das schon.“ Als die beiden das so gelassen und überzeugt aussprachen, war ich irgendwie baff. Und es hat mich damals großartig gestärkt.

Dass sie mich so ohne Frage als die Pastorin ansahen, und überzeugt waren, dass ich die Trauung schon gut machen werde. Für mich im Stillen fand ich das gar nicht so selbstverständlich. Und als Vikarin fühlte ich mich auch noch nicht so richtig als fertige Pastorin. Aber ich nahm diese Worte des Brautpaares mit: „Sie sind Pastorin. Sie machen das schon.“ Und ich dachte mir: Gut. Ich bin Pastorin. Und ich mache das schon. 

Mir wird dabei bewusst, welch große Wirkung Worte haben können. Worte können stärken und bestärken. Und mitunter können sie so etwas wie eine neue Wirklichkeit erschaffen. 

„Sie sind Pastorin. Sie machen das schon:“ Diese Worte machten mich gewissermaßen zu der Pastorin, „die das schon macht“. 

 „Ich glaube an die Wunder der Worte, die in der Welt wirken und die Welten erschaffen.“  schreibt die Schriftstellerin Rose Ausländer in ihrem Gedicht „Glauben“. 

In der Bibel ist es Gottes Wort, das wirkt und erschafft. In der Schöpfungsgeschichte spricht Gott - und mit seinem Wort erschafft Gott die Welt. Und Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht.“ 

Später im Johannesevangelium ist es Jesus Christus, der als das Wort Gottes beschrieben wird. 

Und auch im 2. Jesajabuch wird Gottes Wort in den Mittelpunkt gestellt. 

Ich lese aus Jesaja im 55. Kapitel: [Jesaja 55, 6-11]

Suchet den HERRN, solange er zu finden ist; ruft ihn an, solange er nahe ist. Der Gottlose lasse von seinem Wege und der Übeltäter von seinen Gedanken und bekehre sich zum HERRN, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserm Gott, denn bei ihm ist viel Vergebung. Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken. Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so wird das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.

Da ist zunächst der große Unterschied zwischen Gott und uns Menschen, der mir auffällt:

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der Herr, sondern so viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanke als eure Gedanken.“ 

Ich kann Jesaja verstehen. Gottes Gedanken und Gottes Wege sind für mich oft weit weg. Weil ich so vieles in der Welt nicht verstehe. Und vieles mich bedrückt oder mir Angst macht. 

Ich denke an den Krieg in der Ukraine. Ich denke an das Erdbeben in Syrien und in der Türkei. Und so vieles gibt es, das ich nicht verstehe und wo ich Gott nicht sehe und nicht spüre.  

Ich tue mich mehr schwer damit, gleichzeitig noch von Gottes Allmacht zu sprechen. Weil ich nicht verstehen kann und verstehen will, wie all das Schreckliche in Welt zusammengeht mit einem allmächtigen Gott. 

Aber vielleicht ist es auch der falsche Ansatz, dass ich Gott in allem verstehen möchte. Vielleicht ist das auch viel zu groß gedacht von mir und viel zu klein von Gott. „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege.“ Ja ich bin überzeugt davon, dass wir Gott nicht im Ganzen erfassen können. Dafür ist Gott zu groß. Und ich viel zu klein. 

Aber zugleich ich bin davon überzeugt, dass wir Gott im Kern, in seinem Wesen erfassen können. 

Und der Kern meines Glaubens ist es, dass Gott Liebe ist. Dass Gott ein Gott ist, der uns liebt und es gut mit uns meint. 

Ich sehe Gott nicht als den mächtigen Herrscher, das alles im Griff hat und das Leid in der Welt in Luft auflösen kann. Ich sehe Gott in Jesus Christus. Ein Gott der mitleidet. Der mit uns geht. 

Ein Gott der selber Mensch wird, der selber leidet und in den Tod geht, damit wir wissen: Auch im dunkelsten Dunkel sind wir nicht allein, weil Gott selber in dieses Dunkel hinabgestiegen ist und an unserer Seite geht. 

„Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken und eure Wege sind nicht meine Wege.“ 

Ich kann es nicht fassen, nicht begreifen, dass Gott diesen Weg gegangen ist:

Hinunter vom Himmel auf die Erde. Von der Göttlichkeit in die Menschlichkeit. 

Und ganz hinunter in den Tod, in die Gott-Verlassenheit. 

Für mich ist das zu groß, unbegreiflich. 

 „So viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.“ spricht Gott.

Ich kann Gott nicht im Ganzen erfassen.

Aber ich glaube, spüre und erlebe, dass Gott da ist. Und dass Gott mitgeht. Und dass Gott mich liebt. Davon erzählt die Bibel. Davon erzählt Gottes Wort, das zu mir spricht. 

„Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen…

So wird das Wort, das auch meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.“ 

Auch das sind Gottes Wege: Dass Gott nicht mit der Faust auf den Tisch haut. Sondern sein Wort regnen lässt, sanft wie der Schnee oder ein warmer Sommerregen, der auf die Erde fällt. 

In der Natur, im Wachsen und Gedeihen braucht es Geduld und einen langen Atem. Da geht es selten von jetzt auf gleich. 

Wenn in einem heißen Sommer der Boden ausgetrocknet ist, dann bringt es nichts, mit Gewalt Wassermassen auf die Erde zu kippen. 

Im Gegenteil, das viele Wasser würde den Erdboden ausspülen. Weil die Erde viel zu trocken ist, um so viel Wasser mit einem Mal auszunehmen. Da braucht es Geduld und sanften, leisen Nieselregen, der die Erde ganz langsam durchfeuchtet und wieder zu fruchtbarer Erde macht. 

Und manche Pflanzensamen gibt es, die nicht gleich aufgehen. Manche Pflanzensamen brauchen Wochen oder gar Monate. Ja, es gibt sogar Pflanzen, bei denen die Samen Jahre im Boden liegen, bevor sie irgendwann doch keimen. 

Ja, es gibt auch die Aussaat, die gar nicht gelingt. Das Gleichnis vom Sämann haben wir vorhin als Lesung aus dem Lukasevangelium gehört. Es erzählt davon, wie Gottes Wort auf unterschiedlichen Boden fällt. Vieles fällt auch schlechten Boden, wo es überhaupt nicht wachsen kann. 

Die Worte von Jesaja haben einen anderen Blickwinkel. Es ist die große Verheißung, dass Gottes Wort wirkt. Dass Gottes Wort nicht leer zurückkehrt, sondern tut, was Gott gefällt. 

Gott spricht: „Gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt […]so wird das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen.“ 

Wir Menschen können das nicht machen. Aber wir können darauf  vertrauen,  dass Gottes Wort wirkt: In uns und in der Welt. Manchmal geschieht das anders, als wir uns das vorstellen. Und manchmal braucht es Zeit, bis etwas aufgeht und wächst und Wurzeln schlägt. 

Aber ich möchte der Verheißung vertrauen, dass Gottes Wort nicht ohne Wirkung bleibt. 

Ich denke zurück an das erste Brautpaar, das ich damals trauen durfte.

„Sie sind Pastorin. Sie machen das schon.“ Und sie hatten recht: Genauso war’s. 

Ich denke an die vielen Worte aus der Bibel, die von Gottes Liebe erzählen. Nicht immer fallen sie bei mir auf guten Boden. Manchmal sind in mir Zweifel und viele Fragen. Aber immer wieder erlebe ich, wie Gottes Wort mich doch erreicht. Und dass Gottes Wort mich verändert.

Es gibt so viele Worte in der Welt, die mich bedrücken und ins Dunkel ziehen. 

Worte, die klein machen, die verletzten und zerstören. Worte die von Hass reden und Gewalt und Krieg. 

Gerade gegen all das Dunkle ist mir Gottes Wort so wichtig. Vieles kann ich nicht verstehe. Gottes Wege und Gottes Gedanken sind oft weit weg für mich. Aber Gottes Wort erzählt davon,

dass Gott Liebe ist und dass Gott da ist und mitgeht. Und dass Gott mich liebt. 

Diese Worte aus der Bibel brauche ich – immer wieder – wie einen sanften Sommerregen, der langsam die Erde durchfeuchtet, so dass Gottes Wort in meinem Herzen ankommen kann und Wurzeln schlägt. Amen. 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus!

 

Predigten von Prädikantin Dr. Johanna Gronau

„Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß. Der HERR ist mein Teil, spricht meine Seele; darum will ich auf ihn hoffen. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt. Es ist ein köstlich Ding, geduldig sein und auf die Hilfe des HERRN hoffen. Denn der Herr verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte.“

Der Predigttext für heute, er stammt aus dem Buch der Klagelieder, Kapitel 3.

„Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“ Das hört sich nicht nach einer Klage an oder einem Klagelied. Vielmehr nach einem Lied, das Hoffnung macht und viel ver- spricht: Gottes Barmherzigkeit, nie endende Treue: jeden Morgen neu! Wir haben eingangs ein Lied gesungen, das diesen Text als Grundlage hat.

All Morgen ist ganz frisch und neu
des Herren Gnad' und große Treu;
sie hat kein End' den langen Tag,
drauf jeder sich verlassen mag.

Ein Mut machender Text - eine fröhliche Melodie. Beide stammen aus dem 16. Jahrhundert, aus einer spätmittelalterlichen Welt, geprägt von Kriegen, von Epidemien wie der Pest und Glaubensstreitigkeiten. In diese Welt bricht in der Reformation ein neuer Glaube auf, der sich den Schrecken des Daseins stellt und gleichzeitig solch ein Lied entstehen lässt: Ein Mut ma- chender Text - eine fröhliche Melodie. - Auf mich wirkt das alte Lied frisch wie der Morgen. So hatte ich übrigens den Text ursprünglich verstanden: All Morgen – also: jeder Morgen ist ganz frisch und neu – klar, der Morgen ist frisch, frisch wie frisch gebrühter Kaffee, wie die frischen Brötchen, frisch, wie die frisch gedruckte Zeitung und die Luft, wenn man morgens das Haus verlässt. Wer bewusst auf die folgende Zeile achtet, merkt aber, dass etwas anderes gemeint ist: All Morgen ist ganz frisch und neu ... und weiter: des Herren Gnad' und große Treu; GottesGnade und große Treu, frisch ausgeteilt am Morgen: darum geht ́s. Es lohnt sich also, weiter

zu hören, über den ersten Eindruck hinaus, sonst kommt es leicht zu Missverständnissen. Ganz typisch bei Liedern übrigens, man versteht nur die Hälfte vom Text und reimt sich irgendwas zusammen.

Unser Predigttext wird auch als Lied bezeichnet. Auch hier sollte man nicht nur weiterhören, sondern auch einmal davor schauen. Auf die Frage, warum denn Klagelied, bekommt man so schnell eine Antwort. Direkt vor unserer fröhlichen Morgengnade finden sich Zeilen, die es in sich haben:

Ich bin der Mann, der Elend sehen muss
durch die Rute seines Grimmes.
Er hat mich geführt und gehen lassen in die Finsternis
und nicht ins Licht.
Er hat seine Hand gewendet gegen mich
und erhebt sie gegen mich Tag für Tag.
Er hat mir Fleisch und Haut alt gemacht
und mein Gebein zerschlagen.
Er hat mich ringsum eingeschlossen
und mich mit Bitternis und Mühsal umgeben.
Er hat mich in Finsternis versetzt wie die,
die längst tot sind.
Er hat mich ummauert,
dass ich nicht herauskann,
und mich in harte Fesseln gelegt
.“

So geht es über insgesamt 21 Verse bis sich dann der Ton wendet und es schließlich heißt: Die Güte des HERRN ist's, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende, sondern sie ist alle Morgen neu, und deine Treue ist groß.“ Das Lied, was hier gesungen wird, klingt als Ganzes etwas anders. Tatsächlich haben wir es mit einer engen Verzahnung von ergreifender Klage und Trostworten zu tun. Im hebräischen Original bilden alle Abschnitte des Klageliedes eine Einheit. Es ist ein Alphabetgedicht, dessen Verse in einer kunstvollen po- etischen Form zusammenwirken. Das eine kann man nicht vom anderen lösen. Manches Mal und so auch hier merke ich auf, wenn ich das Häppchen betrachte, das aus den Bibeltexten als Predigttext herausgeschnitten wurde. Und frage mich, ob das so sinnvoll ist. Vielleicht wollte man es für uns verdaulicher machen. Schöne, tröstende Worte sind gefragt, - die kla- genden davor klammert man aus. Ist das eigentlich eine gute Idee? Wie ist das, wenn ein Mensch Trost braucht? Wie soll ein Mensch echten Trost finden, wenn er nicht klagen darf? Oder andersherum: Wie kann ein trauriger Mensch - von mir, von Ihnen - getröstet werden, wenn wir nicht auch seine Klage anhören?

Es gibt da einen kleinen Witz zum Thema: Treffen sich zwei Staatsanwälte, fragt der eine: Wie geht ́s? Der andere: Kann nicht klagen! - Der erste wiederum: Was, so schlimm?

„Kann nicht klagen!“ Das ist so eine norddeutsche Redewendung, ein Spruch eines bescheide- nen Menschen, dem es im Grunde genommen gut geht, der aber damit nicht prahlen möchte. Schön für ihn oder sie. Es ist aber auch okay, wenn man etwas zu klagen hat, dies auch zu tun. Aus mehreren Gründen. Zum Einen: Wer klagt, der rechnet damit, dass sich etwas ändern kann. Er rechnet mit einem guten Ausgang. Er hat den Anspruch an die Situation, dass sie sich zum Guten wende. Er rechnet mit Unterstützung! Er zieht - wenn es gut geht - aus der Klage die Kraft, die Ärmel hochzukrempeln, um seinen Beitrag zu leisten. Das ist der Unterschied zum Jammern. Der Jammerer hat Freude am Rumgejammer und möchte im Grunde gar keine Veränderung.

Es ist okay, wenn man etwas zu klagen hat, dies auch zu tun. Ein weiterer Grund spricht dafür: Es tut einfach gut, einer vertrauten Person mal richtig die Ohren voll zu heulen, alles abzula- den. Das mutet man nicht jedem zu. Wohl dem, der einen Vertrauten hat, bei dem das möglich ist. Bei dem man sich fallen lassen kann, nicht stark sein muss. Keine Fassade aufrechterhalten muss. Wohl dem, der eine Vertraute hat, die selbst stark genug ist, mein Leid mitzutragen, mich zu ertragen. Das ist so tröstlich. So ein Vertrauter ist für den Beter unseres Klageliedes: Gott. Ihm kann man alles zumuten. Ihm mutet er alles zu. Ihn selbst klagt er an. Und doch: Gottes Ohren, sein Herz, dabei immer offen, immer freundlich zugewandt. So hat es der Beter empfunden. Denn der HERR ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt.

Sich einem guten Herz anzuvertrauen, ist eine Sache, intim, persönlich. Sie hat ihren Raum im Gespräch unter vier Augen, im stillen Gebet. Es gibt auch die gemeinsame öffentliche Klage. Das hat man in Leipzig Anfang des Jahres in einem ökumenischen Gottesdienstprojekt ver- sucht. Ich habe Bilder davon im Netz gefunden: In der katholischen Propsteikirche stapeln sich vor dem Altar rote Hohlziegel. In deren Öffnungen stecken kleine Zettelchen. Menschen ha- ben darauf ihre Nöte geschrieben und sie in die "Klagewand" gesteckt. Ebenso in der evange- lischen Peterskirche wenige hundert Meter entfernt. Das Ritual lässt an die Klagemauer in Jerusalem, an die jüdische Tradition denken. Im wöchentlichen Wechsel fand in beiden Kir- chen über 10 Wochen immer freitags eine "Klagezeit" statt. Per Livestream und Chatfunktion konnte jeder daran teilnehmen und seine Worte mit einbringen. Hier wurde der Wert der Klage erkannt. Und sie hat ein eigenes Format bekommen. Wie in unserem kunstvoll kompo- nierten biblischen Klagelied. Auch das ist eine Möglichkeit: Die Klage in eine Form zu gießen, ihr einen Ort und eine Zeit zu geben. Sie ernst zu nehmen, gleichzeitig nicht ausufern zu lassen und ertragbar zu machen.

Für viele findet das persönliche Klagelied seinen Platz, seinen Ort und seine Zeit im Abendge- bet. Da kommen auch manchmal Tränen, und man mag sich gar nicht dem Schlaf hingeben. Gut kann ich mich erinnern, wie ich als Kind schließlich doch weinend und vor Erschöpfung eingeschlafen bin. Irgendwann schläft man immer ein. Und dann passiert mitunter über Nacht eine wunderbare Verwandlung. Der Morgen kommt, man erwacht, und irgendwie, ist alles leichter. Die Probleme sind nicht weggewischt, nein, das könnte keiner behaupten. Aber sie fühlen sich kleiner an, leichter. Ich selbst bin leichter geworden. Das Morgenlicht hat mich geweckt. Der Kaffee duftet, der Frühstückstisch ist gedeckt. Ich öffne die Fenster und spüre die kühle Morgenluft. Ich spüre eine neue Kraft in mir wachsen. Gottes frische Morgengnade hat mich ergriffen. Gottes Treue hat mich neu gefunden. In dieser Nacht, an diesem Morgen: Ich habe nichts gemacht und nichts geleistet. Und doch spüre ich diese neue Kraft, in die Welt zu gehen und mich der Welt zu stellen. Gottes Gnade: Sie reicht vom Morgen bis zum Abend, im Leben und über unser Leben hinaus.

All Morgen ist ganz frisch und neu
des Herren Gnad' und große Treu;
sie hat kein End' den langen Tag,
drauf jeder sich verlassen mag.

Zu wandeln als am lichten Tag,
damit, was immer sich zutrag,
wir steh'n im Glauben bis ans End'
und bleiben von dir ungetrennt.

Amen.

Wann beginnt eigentlich der neue Tag? Als Grundschulkind war für mich die Sache relativ klar. Meine Mutter weckte uns, in dem sie die Tür zu den Kinderzimmern öffnete und rief: Aufstehen, Schule! Das war das Signal. Als ich dann selbst Mutter wurde, patschte mir manchmal eine Kinderhand fröhlich ins Gesicht. Halb sechs. Das Baby ist munter! Der Tag beginnt. In der Winterzeit, so wie heute, beginnt der Arbeitstag nicht selten im Dunkel. Da fällt einem das Aufstehen schwer. Ein neuer Tag, da sollte es hell sein, finde ich! Licht macht mich munter. Wann beginnt eigentlich der neue Tag genau? Im Judentum gibt es eine ganz eigene Sicht auf die Frage: Der neue Tag beginnt immer am Vorabend. Schabat, der heilige Feiertag der Woche dauert von Sonnenuntergang am Freitag bis zum Eintritt der Dunkelheit am folgenden Samstag. Das ist ja erstaunlich, habe ich gedacht, als ich davon zum ersten Mal hörte. Meine Sicht auf die Zeiteinteilung hielt ich für unverrückbar, für gegeben, ich hielt sie für wahr. Sollte ein Tag vielleicht auch wann ganz anders beginnen können? Eine vergleichbare Tradition zur jüdischen Vorstellung finden sich bei uns Christen in der Heiligen Nacht, die wir am Vorabend von Weihnachten feiern.

Bleiben wir erst einmal beim frühen Morgen. Am schönsten beginnt man sein Tagwerk natürlich ausgeschlafen, nach traumlosem, ruhigem Schlaf. Aber nicht wenige unter uns kennen auch die anderen Nächte. Solche, die sich unendlich ziehen. Man liegt wach und lauscht in die Stille. Wann wird es endlich dämmern? Sorgen halten einen wach. Knochen schmerzen. Grübelnde Gedanken kreisen. Wieviel Uhr mag es sein? Eine Autotür klappt, eine Turmuhr schlägt. Erst 4 Uhr, oder schon 5? Ein Lichtstreif unter dem Rollo. Die Dämmerung wird herbei gesehnt. Das aufgehende Licht ist wie ein Kipppunkt, der ein neues Leben einleitet.

Jochen Klepper hat in seinem Gedicht „Die Nacht ist vorgedrungen“ genau diese Zeit, solch eine Zwischenzeit beschrieben. In der eine Wende fällt, ein Kipppunkt zwischen Nacht und Tag. Ein „In-der-Nacht-sein“ und gleichzeitig schon den Tag spüren. Sein Gedicht wurde von Johannes Petzold vertont und ist für diesen Sonntag als Lied des Tages vorgeschlagen. Im Gesangbuch die Nummer 16. Lassen Sie uns gemeinsam die ersten beiden Strophen singen, Strophe 1+2.

1) Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern!
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.

2) Dem alle Engel dienen,
wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen
zur Sühne für sein Recht.
Wer schuldig ist auf Erden,
verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden,
wenn er dem Kinde glaubt.

Wann beginnt eigentlich der neue Tag? Es ist wohl so, dass man es nicht genau wissen kann. Schon gar nicht, bevor es tatsächlich passiert. Klepper nimmt uns in seinem Gedicht erst einmal ganz tief in diese Nacht mit hinein. Die Nacht ist vorgedrungen, das hört sich für mich nach tiefster Finsternis an. Es ist ein Bild für eine Lebenssituation, in der sich ein Mensch hilflos und ohnmächtig empfindet. Der Moment, in dem man nur noch schwarzsieht und keinen Ausweg mehr weiß. Für Klepper war es das Dunkel des nationalsozialistischen Unrechtsregimes, das ihn selbst, seine jüdische Frau und seine Stieftochter verfolgt hat. Aber schon im zweiten Halbsatz „der Tag ist nicht mehr fern“ öffnet Klepper einen Horizont, in einen neuen Tag hinein! Wie ist das möglich? Das Weihnachtsgeschehen, der Stern von Gottes Geburt, der helle Morgenstern, leuchtet in dieser Dunkelheit hinein. Die Engel, das Kind im Stall: Gott wird Mensch, ist bei uns auf Erden: Die Erinnerung an das Weihnachtsgeschehen gibt ihm Trost und Hoffnung. Ganz tief ins Dunkel hineinsteigen, und im Glaubenslicht in den neuen Tag zu treten: Das ist das Motiv des Liedes.

Ich denke an die menschliche Erfahrung, dass es mitunter ganz tief unten nach unten geht, vielleicht gehen muss, bevor es auch wieder aufwärts gehen kann. In dieser Zwischenzeit, dieser Zeit zwischen Depression und neuem Lebensmut passiert etwas. Es geht einem sozusagen ein Licht auf. So kann es nicht weitergehen. Vielleicht waren Sie selbst einmal in einer solchen Lage. Vielleicht während einer Beziehung. Oder im Beruf. Da ist ein Mensch chronisch überfordert. Aber er hat das Gefühl, den Erwartungen des Partners und der Gesellschaft entsprechen zu müssen. Er oder sie hat das Gefühl, es irgendwem schuldig zu sein. Macht weiter, hält durch und hofft, dass es irgendwie von selbst besser wird. Bis es dann nicht mehr weitergeht. Manchmal ist es eine Krankheit, ein einschneidendes Ereignis, was einen zur Besinnung bringt. Man besinnt sich darauf, was einem wirklich wichtig ist und gut tut. In der vorher ausweglosen Situation zeigen sich im neuen Licht plötzlich ganz neue Möglichkeiten. Jochen Klepper sieht die Weihnachtsbotschaft als Versprechen Gottes, dass unser Leben in aller Tiefe immer eine Chance hat, heil zu werden. Wir singen die Strophen 3+4.

3) Die Nacht ist schon im Schwinden,
macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden,
das aller Zeiten Lauf
von Anfang an verkündet,
seit eure Schuld geschah.
Nun hat sich euch verbündet,
den Gott selbst ausersah.

4) Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr,
von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.

Schwierige Lebenssituationen lösen sich nicht selten zum Guten auf. Gott sei Dank! Doch das Happy End ist kein Dauerzustand. Noch manche Nacht wird fallen. Das Leben zeigt sich als ein Auf und Ab von Traurigkeiten und freudigen Erlebnissen und. Nicht selten liegen sie kurz hintereinander, oder sogar übereinander und ineinander verwoben. Bangen und hoffen, weinen und lachen. Wie es auch kommt, eines ist sicher: Der Stern der Gotteshuld begleitet unsere Lebensreise. Eine Wende zum Guten ist jederzeit möglich.

Zeit zwischen Nacht und Tag. Eine solche Wendezeit ist im Kirchenjahr der Advent. Wir richten uns neu aus, hin zum Licht von Betlehem, zum Kind in der Krippe. Eine Wende hin zum guten Auskommen mit sich selbst und mit seinen Mitmenschen. Dafür ist der Advent die richtige Zeit. Viele Menschen spüren das. Sie schmücken ihre Wohnungen, sie hängen Lichterketten auf und stellen Leuchtbögen in die Fenster. Man mag es belächeln, aber ich habe beschlossen, mich schlicht daran zu freuen. Denn hinter der Dekoration steht auch der Wille, die Welt etwas schöner und besser zu machen. Nicht nur für sich, auch für die anderen. Wenn ich bedenke, dass immer wieder Menschen mich im Advent mit Keksen und Karten und kleinen Geschenken bedenken, oftmals steht noch nicht einmal der Name an den Päckchen. - Nicht umsonst ist der Advent die Zeit der Spenden. Im Pandemiejahr 2020 stiegen die Spendeneinnahmen besonders stark. Die Deutschen haben unglaubliche 5,4 Milliarden Euro gespendet. (Das ist das zweitbeste Ergebnis seit Beginn der Erhebung.) Am meisten gespendet wurde in den Monaten des Lockdowns und - im Dezember. Eine Lebenswende hin zum Guten. Das wünsche ich mir für Sie, für mich. Für unser Land. Gerade auch in diesem „Corona-Advent“. Ich wünsche mir, dass die neue Bundesregierung Kraft findet, die Jahrhunderthemen Klimaschutz und Soziale Gerechtigkeit anzupacken. Ich wünsche mir, dass es gelingt, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Ich wünsche mir mehr Impfstoff und mehr Impfwillige und Achtung für Andersdenkende. Und ich wünsche uns allen die Erkenntnis, dass es letztlich nicht unser eigenes Licht ist, das die Welt bescheint, sondern Gottes Licht. Lassen Sie uns die Letzte, die 5. Strophe singen:

5) Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt.
Als wollte er belohnen,
so richtet er die Welt.
Der sich den Erdkreis baute,
der lässt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute,
kommt dort aus dem Gericht.

Auch in der letzten Strophe lässt Klepper nicht ab von seinem zentralen Motiv: Hineinbegeben in das Dunkle und gleichzeitig dort ein Licht entzünden. Gott will im Dunkeln wohnen. Ein starker Satz! Gott will gerade bei denen sein, denen es schlecht geht und die verzweifelt sind. Wenn Gott dort wohnen will, dann müssen wir - im Advent! - auch da rein gehen und unsere Augen nicht verschließen! Gott wohnt bei den Ausgebrannten, bei den Obdachlosen unter der Brücke und er wohnt in den Flüchtlingslagern auf Lesbos und an der Grenze von Belarus und Polen. Gott als Mitbewohner ist kein tatenloser. Alle Menschlichkeit, die in diese Situationen hineingetragen wird, ist ein Licht Gottes, das das Leben erhellt. Jedes Stück Brot, jedes gute Wort ist ein Stück Brot aus Gottes Hand, ist ein Wort aus göttlichem Mund, ist ein Engel, der in die Tiefe der Nacht tritt und spricht: Fürchte dich nicht!

Wann beginnt er denn nun, der neue Tag? Für mich? Vielleicht jetzt? Vielleicht gerade jetzt! Ja, dann möchte ich es nicht verpassen. Dann muss ich jetzt unbedingt, ja, Schluss machen. Und hinabsteigen von der Kanzel. Singen. Eine Kerze anzünden. Den alten Onkel nicht vergessen! Mich selbst nicht vergessen. Ich wünsche Ihnen einen frohen, einen leuchtenden Advent! Amen.

Als Wissende wurden sie bezeichnet. Viel hatten sie sich angeeignet. Sie hatten gelernt und geforscht, gelesen und nachgedacht. Ihr Wissensdurst war unerschöpflich. Doch dann ein Rätsel. Konnte es möglich sein? Sie schauten in den Himmel, es war ganz deutlich. Gestern war er noch nicht da und heute überstrahlte er alles. Ein neuer Stern! - Sie mögen Freunde/Kollegen gehabt haben, ebenso wissbegierig, ebenso gelehrt. Doch diese blieben in ihrem Hamsterrad der alltäglichen Gewissheiten. Sie nicht! Sie, die drei Weisen aus dem Morgenland. Packten ihre Sachen und machten sich auf den Weg. Folgten dem Stern. Wussten nicht, wohin der Weg sie führen würde, wann sie ankommen würden oder ob überhaupt.  Es drängte sie, dem Geheimnis hoch am Himmel auf die Spur zu kommen. Nichts konnte sie auf ihrem Weg aufhalten.

Liebe Brüder und Schwestern! Die drei Weisen, die nichts weiter hatten als den Stern am Himmel und eine alte Prophezeiung, erreichten ihr Ziel. Ohne Sicherheitsnetz, ohne einen Beweis, dass ihr Vorhaben auch Erfolg haben würde, gingen sie dem Geheimnis nach. Sie erreichten ihr Ziel, sie fanden das Kind, doch war damit alles klar? Was für ein geheimnisvolles, unerklärliches Geschehen! Gott wird Mensch. Gott kommt zu uns - als Kind - in einem Stall, bedürftig und gleichzeitig mit aller Macht versehen. Alles das ist auch für uns noch ein Geheimnis. Wer könnte das mit seinem Verstand erfassen? Und wie können wir davon erzählen?

Paulus schreibt dazu an die Gemeinde in Korinth (Kapitel 2, die Verse 1-10):

1Auch ich, meine Brüder und Schwestern, als ich zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten oder hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu predigen. 2Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, ihn, den Gekreuzigten. 3Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten der Weisheit, sondern im Erweis des Geistes und der Kraft, 5auf dass euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft. 6Von Weisheit reden wir aber unter den Vollkommenen; doch nicht von einer Weisheit dieser Welt, auch nicht der Herrscher dieser Welt, die vergehen. 7Sondern wir reden von der Weisheit Gottes, die im Geheimnis verborgen ist, die Gott vorherbestimmt hat vor aller Zeit zu unserer Herrlichkeit, 8die keiner von den Herrschern dieser Welt erkannt hat; denn wenn sie die erkannt hätten, hätten sie den Herrn der Herrlichkeit nicht gekreuzigt. 9Sondern wir reden, wie geschrieben steht (Jesaja 64,3): »Was kein Auge gesehen hat und kein Ohr gehört hat und in keines Menschen Herz gekommen ist, was Gott bereitet hat denen, die ihn lieben.« 10Uns aber hat es Gott offenbart durch den Geist; denn der Geist erforscht alle Dinge, auch die Tiefen Gottes.

Wissen oder Glauben, liebe Schwestern und Brüder? Neben dem Geheimnis, was verborgen und doch offenbart ist, bringt Paulus ein weiteres Thema zur Sprache: die Weisheit, Menschenweisheit. Andere Worte für diesen Begriff wären: Bildung, Wissen, Gelehrtheit, aber auch Erfahrung und Erkenntnis. Ich denke, die meisten unter uns sind stolz und froh, eine Schulbildung erhalten zu haben. Dazu meist eine Ausbildung, vielleicht konnten Sie auch studieren. Für mich jedenfalls ist Bildung ein wichtiges Thema. Ursprünglich bin ich Naturwissenschaftlerin, geübt in Logik, Zahlen, Struktur, Beweisen und Nachweisen. Dieses Denken prägt bis heute meine Wahrnehmung der Welt. 

Für Paulus hat im Glauben alles Wissen der Welt keine Bedeutung. Auch nicht das Super-Spezialwissen, das die Herrscher der Welt vorgeben zu haben. All diese Herrscher werden früher oder später verschwinden. Ob wir sie mögen oder nicht, gewählt oder verflucht haben: Die Obamas, die Trumps, sogar Helmut Kohl, der ewige Kanzler meiner Kindheit und eine Angela Merkel: Sie vergehen, und mit ihnen ihre Erfahrung. Herrscher vergehen, das Wissen der Welt vergeht. Was ist mein Wissen über Schule oder über die Berufswelt noch wert angesichts der rauschenden Veränderungen, in der unsere Kinder bestehen müssen. Paulus findet, man sollte sich nicht zu viel auf sein Wissen einbilden. Allein Jesus Christus ist es, woran er sich festhält. Jesus Christus, der Gekreuzigte. Treu bis in den Tod hinein und darüber hinaus. 

Wer kann das verstehen? Ein Gelehrter oder vielleicht eher - ein Kind? Mir kommt da Mattes in den Sinn. Mattes, ein Freund meines Sohnes, saß als Fünfjähriger bei uns am Frühstückstisch. Ostern stand kurz bevor und Mattes hatte eine Erkenntnis, die er uns Cornflakes kauend und so ganz im Nebenbei mitteilte: O-Ton Mattes: Wisst ihr was: Sie haben ihn umgebracht. Und jedes Jahr steht er wieder auf!  - Hmh. Okay?! Meine Einwände angesichts dieser Kindertheologie habe ich runtergeschluckt. Jedes Jahr, na ja, das kann man so nicht sagen. Das musst du so verstehen:… Nein, lieber nichts sagen. Und staunen. In einem Satz zusammengefasst: Passion und Auferstehung. Sie haben ihn umgebracht. Keine hohen Worte. Und jedes Jahr steht er wieder auf! Keine große Rhetorik. Diese Vorstellung erschien Mattes gewaltig und gleichzeitig war es für ihn beruhigend.

Schwach und unwissend wie ein Kind stellt sich Paulus da. Ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern. Dabei war er ein hochgebildeter, vielsprachiger, weitgereister Mann. Ebenso wie die Weisen hatte er sich aufgemacht, das Geheimnis zu ergründen und davon in aller Welt zu berichten. Bildung hat er nicht grundsätzlich verachtet. Es war wohl die Erkenntnis, klein zu sein angesichts der Größe seiner Aufgabe. Demütig fühlte er sich angesichts der Bedeutung und des Inhaltes der Botschaft. Nie würde er alles verstehen können. Nie würde er alles so rüberbringen können, dass ihn die Welt verstünde. Gutes Aussehen, kluge Worte und geschliffene Rhetorik: Das war es nicht, was er mitzubringen hatte. Er kam mit einen gewichtigen, starken Inhalt. 

In einer Welt, in der eine gelungene Selbstdarstellung so viel bedeutet, ist das auch heute eine Besonderheit. Klar, die Stars und Sternlein werden überwiegend für ihre Optik bezahlt. Für das perfekte Outfit und den flotten Spruch. Aber auch in anderen Bezügen ist eine gefällige Oberfläche und Rhetorik gefragt. Nicht zuletzt in der Ausbildung von Pastoren und Prädikantinnen. Liturgische Präsenz nennt man das. Ja, auch ich mag das. Ein sympathisches Äußere ist mir angenehm, die gesetzte Rede gut zu hören. Aber was ist mit dem Inhalt, dem Gehalt der Aussagen? Früher oder später werden wir doch am Inhalt unserer Aussagen gemessen. Ich finde, es ist ein gutes Zeichen für unsere Gesellschaft, wenn sich bei uns immer wieder leitende Politikerinnen oder prominente Wissenschaftler dem Druck der perfekten Selbstdarstellung entziehen. Sie erscheinen mit den ewig gleichen Klamotten oder einer unmöglichen Frisur vor der Kamera, und erklären in eintönigem, unaufgeregtem Tonfall ihre Position. Meist sind das die gleichen Personen, die auch erkennen, wo ihre Grenzen sind und die gehen, wenn ihre Zeit abgelaufen ist. 

Wer Inhalte vertritt, wer wirklich etwas weiß und Gewichtiges zu sagen hat, der kennt auch die Grenzen seines Wissens. Des Wissens überhaupt. Der erkennt auch, dass man irgendwann mehr braucht als Menschenweisheit. Nämlich: Vertrauen, Hoffnung, Glaube, Liebe, auch Vergebung. Denn das passiert auch immer wieder. Man stößt mit all seiner Weisheit und Lebenserfahrung an seine Grenzen. Ich bin mit meinem Latein am Ende. Da gibt es keine Daten und Fakten mehr, die mir weiterhelfen und keine Prognose, die verlässlich ist. Meine Jahresplanung und vielleicht sogar meine Lebensplanung sind hinfällig. An so einem Punkt im Leben kommen die meisten irgendwann. Es ist dann wunderbar zu erfahren, dass hier nicht Schluss ist. Sondern, dass das, was Gott uns zugesprochen hat, weiterhin gilt. 

Ich bin bei dir alle Tage bis ans Ende der Welt. 

Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.

Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.

Sei getrost, deine Sünden sind vergeben.

Ich muss gar nicht alles wissen und auch gar nicht so tun, als ob ich etwas wüsste. Fehler unterlaufen mir immer wieder. Das gehört zu mir und darf so sein. Und trotz allem und gerade deswegen erfahre ich Liebe und Zuwendung. Und bin selbst in der Lage, Zuwendung zu geben. Ich erkenne, dass Gottes Liebe ein wunderbares Geheimnis ist, das mir nicht völlig verborgen ist, sondern sich zeigt. Ganz vorsichtig lüftet sich der Vorhang, hin und wieder. Paulus erklärt uns am Ende seines Briefes noch einmal dieses Geschehen:

12Jetzt sehen wir alles nur wie in einem Spiegel und wie in rätselhaften Bildern. Wenn ich jetzt etwas erkenne, erkenne ich immer nur Bruchstücke, einen Teil des Ganzen. Aber eines Tages werden wir ´Gott` von Angesicht zu Angesicht sehen; dann aber werden wir alles so erkennen, wie Gott uns jetzt schon kennt.

Bruchstücke kannten auch nur die drei Weisen aus dem Morgenland. Weise Männer waren sie, denn sie waren sich ihrer Unwissenheit bewusst. Sie hatten nichts weiter als einen Stern und eine alte Verheißung. Sie vertrauten den alten Worten und gingen voran. Tatsächlich wissen wir schon mehr als die Weisen damals. Wir wissen wie die Geschichte weitergeht mit Jesus. Vieles bleibt uns weiterhin verborgen. In vielem bleiben wir unwissend und schwach. Das muss uns nicht sorgen. Denn die allumfassende Erkenntnis ist da, wo sie hingehört. Geborgen bei Gott, im Geheimnis des Glaubens. Amen.

Predigten vom Geistlichen Vizepräsidenten i.R. Arend de Vries

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. 

Wir hören den Predigttext für den Sonntag Invokavit, dem ersten Sonntag der Passionszeit, aus dem 2. Korintherbrief des Paulus: 

Als Mitarbeiter aber ermahnen wir euch, dass ihr nicht vergeblich die Gnade Gottes empfangt.
Denn er spricht: »Ich habe dich zur willkommenen Zeit erhört und habe dir am Tage des Heils geholfen.« Siehe, jetzt ist die willkommene Zeit, siehe, jetzt ist der Tag des Heils! 

Und wir geben in nichts irgendeinen Anstoß, damit dieser Dienst nicht verlästert werde; sondern in allem erweisen wir uns als Diener Gottes: in großer Geduld, in Bedrängnissen, in Nöten, in Ängsten, in Schlägen, in Gefängnissen, in Aufruhr, in Mühen, im Wachen, im Fasten, in Lauterkeit, in Erkenntnis, in Langmut, in Freundlichkeit, im Heiligen Geist, in ungefärbter Liebe, in dem Wort der Wahrheit, in der Kraft Gottes, mit den Waffen der Gerechtigkeit zur Rechten und zur Linken, in Ehre und Schande; in bösen Gerüchten und guten Gerüchten, als Verführer und doch wahrhaftig; als die Unbekannten und doch bekannt; als die Sterbenden, und siehe, wir leben; als die Gezüchtigten und doch nicht getötet; als die Traurigen, aber alle- zeit fröhlich; als die Armen, aber die doch viele reich machen; als die nichts haben und doch alles haben. 

Liebe Gemeinde, 

Die Farbe der Passionszeit ist das Violett. Blau ist darin und rot.
Das Göttliche und das Menschliche.
Das Meer ist blau und vor allem der Himmel. Weit und groß. Ich kann ihn nicht erfassen, wenn ich nur eben einmal nach oben schaue. Ich muss mir Zeit nehmen, den Blick schweifen lassen von einem Ende des Horizontes bis zum anderen. Himmelblau. Gottesblau. 

Rot ist die Farbe des Menschen. Unser Blut ist rot und unser Mund. Die Lippen, die Zunge. Mit dem Mund essen wir und reden und küssen wir. Er ist warm und rot. Rot steht für das menschliche Leben, mit allem was dazugehört: Für das Glück, reden zu dürfen und küssen zu können. Aber auch für die Gefahr, sich zu verletzen oder verletzt zu werden, Blut zu schme- cken statt eines Kusses. 

Das Gottes-Blau und das Menschen-Rot kommen zusammen im Violett. In der Farbe der Pas- sion. Sie vermischen sich und werden etwas Neues. Eine neue Farbe. Ein neues Sein. Es be- trifft beide: Gott und Mensch. In der Passionszeit lernen wir, Gott neu zu sehen. Im Gekreu- zigten ihn zu sehen. Wir lernen, uns mit anderen Augen zu sehen. Bedürftiger als wir dach- ten. Geliebter als wir vermuteten. 

Paulus beschreibt im Brief an die Korinther, wie sich das neue Sein für ihn anfühlt. Als einer, der der dem Gekreuzigten nachfolgt. Er schreibt von Angst und von Hunger, von Gefängnis-aufenthalten und durchwachten Nächten. Das ist die eine Seite.
Von dem anderen schreibt er auch. Von Gnadengeschenken: Von Erkenntnis, innerer Stärke und der Fähigkeit zu selbstloser Liebe. 

Und dann bringt er beides zusammen. Eine sonderbare, fast befremdliche Mischung: Wir sind die Unbekannten und doch bekannt. Sterbende, die leben. Traurig, doch voller Freude. Habenichtse – die doch alles haben. 

Wie passt das zusammen? Das möchte ich gerne verstehen. Ich möchte verstehen, wie bei- des zusammengehört: Das Gottesblau und das Menschenrot. Die Traurigkeit und die Freude. Besitzlos zu sein und doch ungeheuer reich. Und deswegen werde ich heute Morgen mit Ihnen in einigen Geschichten umhergehen, die zur Passionszeit gehören. Vierzig Tage lang. In den Geschichten von Jesus und von Paulus. In den Passions-Geschichten von heute. 

Ich gehe in den Passionsgeschichten umher, suche die Freude in der Traurigkeit. Den Reich- tum im Mangel. Und ich finde Jesus in der Wüste. Er hat vierzig Tage gefastet. Er hat Hunger. Einige von uns wissen, wie sich das anfühlt, tagelang nichts oder fast nichts zu essen. Es zehrt an den Kräften. Aber es schenkt auch etwas: Leichtigkeit und Freiheit. Und du spürst eine Macht in dir. Das kann zur Versuchung werden. 

Jesus ist seinen Dämonen in der Wüste begegnet. Es ging um Macht. Jesus hat mit den Dä- monen gekämpft. Und ihnen widerstanden. Er war geschwächt nach dem langen Fasten. Das angebotene Brot wurde zur Versuchung. Und dennoch hat in ihm das Nein gewonnen. Er hat Nein gesagt zu dem dämonischen Angebot. Nein zur Versuchung, die eigene Macht zu miss- brauchen. Jesus hat den Dämonen widerstanden. 

Aber weg waren sie danach nicht. Sie tauchen immer einmal wieder auf in seiner, in unserer Geschichte. 

Eine dieser Dämonen, die die ganze Menschheitsgeschichte geprägt haben, ist der Dämon der Macht. Der Glaube daran, dass der Freiheitswille von Menschen und Völkern unterdrückt werden könne, beherrschbar sei. Und dass diese Beherrschung mit Gewalt, mit Waffen möglich sei. 

Sie tauchen immer wieder auf, diese Dämonen. Auch in den letzten Tagen in Jerusalem. Jo- hannes erzählt, dass es der Dämon aus der Wüste war, der von Judas Besitz ergriff, kurz vor dessen Verrat. Und es war wohl auch eine dämonische Macht, mit der Jesus im Garten Ge- thsemane gekämpft hat, als er noch die Chance hatte, dem Leiden auszuweichen. Und er widerstand. 

Es ist wohl auch eine dämonische Macht, die uns einreden will, dass wir als Christen- menschen gesund und erfolgreich sein werden, so wie es manche Wohlfühlprediger behaupten. Nein, weder das Wasser der Taufe noch die Wegzehrung des Mahles noch der zuversichtliche Glaube bewahren davor, dass ich angefochten, krank, beschädigt werde, gezeichnet von einer Welt und einer Zeit, die noch weit entfernt ist von der Vollkommenheit des Reiches Gottes. 

Und auch der Hunger wird Jesus weiter begleiten. Jesus und die, die mit ihm unterwegs sind, haben oft nicht genug, um satt zu werden. 

Dann versuchen sie, eine Einladung zu bekommen oder sie klauben sich ein paar Getreide- körner zusammen vom Rand eines Feldes. Den Hunger wird Jesus nicht los auf seinen Wan- derungen. Und doch: Nach allem, was uns die Bibel erzählt, konnte er auch Hunger stillen. Menschen satt machen. Mit Brot und Fisch. Mit Geschichten. Oder einfach dadurch, dass er sich zu ihnen setzt und sie so wieder hineinholt in den Kreis der geliebten Töchter und Söhne Gottes. Jesus hat so gut wie nichts in seinen Taschen. Kaum Geld, um sich Essen zu kaufen und weiß am Nachmittag noch nicht, wo er die Nacht verbringen wird. Nichts haben. Und doch so reich, dass er andere beschenken kann. 

Und Paulus? - Manche lachen über ihn in Korinth. Sie lachen, weil er nichts hermacht, schon rein äußerlich. Weil sie in Korinth inzwischen christliche Missionare kennengelernt haben, die viel beeindruckender sind als er: Charisma- tischer, eloquenter, bessere Performer. Solche, die gut durch das Leben kommen – ohne dauernd in Konflikte zu geraten mit den eigenen Leuten. Diese Angriffe werden Paulus ge- schmerzt haben. 

Auch das ein Dämon, den manche von uns wohl nur zu gut kennen.
Menschen, die sich mit der Frage quälen, ob sie gut genug sind für das, was sie tun. Menschen, die an ihren Fehlern und Schwächen leiden und sich selbst nichts verzeihen können. Menschen, die immer wieder anecken, auch in der Kirche. 

Paulus gibt eine Antwort an die, die ihn infrage stellen und vermutlich sagt er es auch sich selbst: Ja, genauso! So, wie ich bin: So unvollkommen und manchmal sogar lächerlich – ge- nauso nimmt mich Gott in seinen Dienst. Denn Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig. In den Mangelhaften und Ungenügenden. In den Geschundenen. In den Traurigen. In den Ar- men. Sie war mächtig in Jesus, dem hungrigen unbequemen Wanderprediger. Sie ist sogar mächtig in einem wie mir. 

Passionsgeschichten. Mehrdeutig sind sie alle. Gemischt aus Freude und Schmerz, Ohnmacht und Kraft, Weite und Verletzbarkeit, aus Gottesblau und Menschenrot. Aber so, dass man eines nicht mehr vom anderen trennen kann. Ich gehe in diesen violett leuchtenden Geschichten umher. In den Geschichten von Paulus, von Jesus. Auch in meinen eigenen. 

Ich suche. Und ahne. Taste. Erwäge.
Passionen eben. Aber auch das ist kein eindeutiges Wort. Es meint nicht nur Schmerzen, sondern auch Hingabe, Leidenschaft und Begeisterung. 

Schaue ich auf die Passionsgeschichte der Ukraine, dann ist da beides: das Leiden, die Schmerzen der Opfer, der Ausgebombten. Und zugleich die Leidenschaft, die Hingabe, das eigene Leben, die Freiheit zu verteidigen. Und ein oft belächelter Präsident, der zu einem Helden wird. 

Passionen. Leid und Schmerz. Und Hingabe und Leidenschaft.
Ich gehe nicht schleppend durch diese Geschichten. Aber langsam. Tastend. Zweifelnd. Und doch gewiss. Und je länger ich umhergehe, desto klarer wird mir: Ich gehöre dazu. Ich bin Teil dieser Geschichte, in der das Göttliche und das Menschliche ineinander verlaufen: blau und rot. Zur Passion. Mit leeren Händen – und doch beschenkt. 

Amen. 

Predigten von Vikar Patrick Haase

Alle Welt ist hell dieser Tage. Sie leuchtet, glitzert und glänzt. Über allen liegt der wohlige Klang des Winters. Alles ist schön geschmückt. So dachte ich zuletzt beim traditionellen Winterspaziergang. Jedes Jahr gehen wir mit der Familie um Weihnachten herum spazieren: Das sind dieses Jahr mein Vater, mein Bruder und meine Stiefmutter. Wir stapfen durch die Winterlandschaft und schauen uns um. Die ganze Schöpfung Gottes hat ihre Festkleidung angezogen. Die Wintersonne hängt tief. Die Strahlen erhellen den Raureif der Felder. Kristallzapfen hängen von den Bäumen. Sie klingen fröhlich, wenn der Wind durch die Äste rauscht. Manchmal denke ich dann, alles freut sich. Die Bäume jauchzen. Erde und Himmel sind fröhlich. Die Felder jubeln. So heißt es auch im heutigen Psalm. Alle Welt kündet vom Schatz dieser Tage. Es ist ein Schatz, dessen Kommen ich immer sehnlich erwarte.

Dieser Schatz soll schließlich im schönsten Schmuck zu uns kommen. Es sollen alle erkennen: Diese Zeit ist sehr wertvoll. Kein Wunder, dass diese Tage so leuchten, glitzern und strahlen. Diese Tage werden selbst zum Schatz für uns. Jeder und jede kann seinen und ihren Schatzmoment haben. Ich höre dann: Der Schatz ist da! Für manche lag er vielleicht unter dem Baum oder auf dem Frühstückstisch. Bescherung macht glücklich. Für manche saß er vielleicht mit am Tisch. Lange erwartetes Wiedersehen wärmt das Herz. Für wieder andere ist es vielleicht ruhige Zeit mit einem Buch. Da perlt der Stress des Alltags nur so von einem ab. Gerade diese Tage wollen wir alles besonders schön haben. Hier bei uns in der Kirche spüre ich das sofort: Ich sehe die festlich geschmückten Weihnachtsbäume, den Weihnachtsstern und die Krippe. 

Der Schatz um den es dieser Tage geht, ist hier mitten unter uns. Er strahlt zu uns durch alle unsere Schatzmomente. Sie alle und ich wollen heute etwas von diesem Schatz sehen und hören. Deshalb sind Sie heute früh hierhergekommen. Sie haben sich trotz der Kälte hierher gewagt. Was sehen Sie? Was seht ihr? Ich sehe ein Kind: ein sanfter Blick, ein kleiner Mund. Es lächelt mir zu. Es strahlt wie das Licht des Tages für alle, die es sehen. Zu uns ist es herabgekommen und Mensch geworden: Fleisch von unserem Fleisch. Ich bin in ihm. Es ist in mir. Wenn das kein Schatz ist! 

Von Paulus oder einem, der sich seine Autorität leiht, klingt dieser Schatz zu uns so. Er klingt wie die Worte des zweiten Kapitels des Kolosserbriefs: 3 In ihm liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis. 6 Wie ihr nun angenommen habt den Herrn Christus Jesus, so lebt auch in ihm, 7 verwurzelt und gegründet in ihm und fest im Glauben, wie ihr gelehrt worden seid, und voller Dankbarkeit. Diese Festtagsmelodie höre ich gerne. Doch da ist auch der alarmierende Ton der Warnung. Es klingt nämlich weiter: 8 Seht zu, dass euch niemand einfange durch die Philosophie und leeren Trug, die der Überlieferung der Menschen und den Elementen der Welt folgen und nicht Christus. Ich spüre wie wahr dies ist, wenn ich den Schluss höre: 9 Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig, 10 und ihr seid erfüllt durch ihn, der das Haupt aller Mächte und Gewalten ist.

Die Menschen vor bald 2000 Jahren haben wohl andere Bilder gesehen als wir. Vielleicht sahen sie die Schätze der Paläste und Tempel der antiken Welt. Vielleicht sahen sie den Groschen, den sie im Acker vergraben hatten. Was auch immer sie sahen, fühlten und erkannten sie doch: Ein Schatz ist sehr wertvoll. Der Schreiber des Kolosserbriefs bedient sich dieses Wissens. Er sagt ihnen: Der wahre Schatz ist untrennbar mit Christus verbunden. Mehr noch: Dieser Schatz ist euch sicher. Ihr habt Christus angenommen. Das bleibt für die Ewigkeit. Momente vergehen. Die Natur ist im Wandel. Doch der Klang dieser Worte bleibt: Jesus Christus ist Mensch geworden. Ein König über alle Mächte und Gewalten ist geboren. Sie singen ihm ein neues Lied. Das ist das Lied, von dem auch die Himmelschöre singen. Das Lied das alle Welt singt. Jesus Christus ist Mensch geworden: Fleisch von unserem Fleisch. „Was bedeutet das für mich?“, fragen Sie sich nun vielleicht? 

Wenn ich das höre, dann fühle ich mich befreit. Christus vertreibt mit seinem Lebenslied die Finsternis aus meiner Seele. Das tut er, indem er verspricht: Du bist ein geliebtes Kind Gottes. Niemand sonst auf dieser Welt ist so wie du. Denn du bist mein Bruder. Ich bin der Sohn Gottes. So bist auch du ein Kind Gottes. Ganz ohne mein Zutun, schenkt mir Christus diesen Schatz. Er schenkt ihn mir. Doch er schenkt ihn mir so, dass ich nicht allein bin. Er schenkt ihn mir zugleich mit vielen Brüdern und Schwestern im Glauben. Christus beschenkt letztlich alle Welt: Mich und auch Sie und euch mit allen anderen die noch auf dieser Welt sind. Wenn ich das glaube, dann spüre ich manchmal aber auch anders. Manchmal habe ich das Gefühl mein Schatz entgleitet mir. Er geht verloren. In die von Christus geschenkte Zuversicht mischt sich der Lärm der Welt. Das Kriegsgetöse in der Ukraine und andernorts lässt den Schatz in mir schrumpfen. Bei den krächzenden Tönen der Gewalt verliere ich Stück für Stück etwas vom Schatz Christi. Doch dann höre ich wie Christus zu mir spricht: „Hör hin! Schau hin! Gott ist ein Gott, der mitfühlt und mit leidet.“ Dann verstehe ich, dass mein Schatz auch hier ist. Der Schatz ist für alle. So ist er auch dort wo es besonders dunkel und düster ist. Der Schatz Christi ist auch dort, wo Leid und Ohnmacht regieren. Christus beschenkt die Schwächsten zuerst; noch vor mir. Mein Gott ist in der Verletzlichkeit eines Kindes offenbar. Das ist auch ein Schatz für mich! Das ist Christus für mich! 

Ich glaube fest daran. Sie haben, ihr habt, diesen Schatz auch. Vielleicht ist er manchmal verborgen. Vielleicht muss er immer wieder neu entdeckt werden. So geht es mir auch. Doch ich verspreche: Der Schatz ist da. Denn Gottes „Ich-bin-da“ erklingt für alle Menschen. Es motiviert mich immer wieder aufs Neue. Diesen Gott kann ich in meinen Alltag mitnehmen. Vielleicht schon Morgen ist es so weit: Ein Mensch, eine Aufgabe, die mein Da-Sein erfordert. Dann nehme ich die Kraft Gottes mit. Dann kann ich ihn weitergeben: den Schatz, der mir geschenkt ist. Die Misstöne der Welt bleiben zwar, aber der Schatz Christi, der Schatz Gottes, bleibt auch. Ich wünsche Ihnen und euch deshalb: Haltet fest an eurem Schatz, komme was da wolle. Haltet einen Schatzmoment in euren Herzen, der Kraft spendet. Mit den Liederbüchern haben Sie einen Zettel bekommen. Dort können Sie gerne ihren Schatzmoment dieser Tage eintragen. Diesen dürfen Sie nach dem Gottesdienst mitnehmen. So bleibt der Schatz bei uns. Danken wir Gott für unsere Schätze in diesen Tagen. 

Diese Tage eilen wir durch das Leben. Schnell geht es voran auf unseren Wegen. Morgens klingelt auch mein Wecker. Dann heißt es Aufstehen. Es geht zur Arbeit für mich. „Hinfahren oder jetzt im Predigerseminar hingehen.“, heißt es da. Abends geht es zurück; manchmal noch zum Sport, manchmal auf ein Treffen mit Freunden. Es bleibt aber wenig Zeit für Ruhe – für mich selbst. Still stehen und Frieden finden fällt mir da oft schwer. Stunde um Stunde, Tag um Tag, Woche um Woche läuft so vor sich hin. Ich sehne mich dann nach besonderen Momenten. Herzensmomente, an denen ich Ruhe vor Gott finde. Momente in denen ich spüre, wie mein Herz im Rhythmus mit Gott schlägt: gleichmäßig und beruhigend. Auf dass ich den Frieden spüre, den er uns schenkt. Kennen Sie das auch aus ihrem Alltag? An welche Momente würden Sie denken, wenn sie an ihre Herzensmomente denken? 

Ich möchte Sie heute einladen einen solchen Moment mit mir zu besuchen. Ich hoffe, dass wir dann etwas Abstand finden. Es soll ein Abstand von unseren Alltagswegen sein. Wir gehen heute auf einen Gipfel. Es geht hinauf zu einer Gipfelwanderung. Dort wartet ein Ort auf uns, an dem sich Himmel und Erde berühren. Wir begegnen einem Herzensmoment seltenen Glücks: Augenblicke, in denen Gott ganz nah ist. Augenblicke, in denen unsere Sehnsucht nach Frieden gestillt wird. Auch wenn Sie heute keine Wanderschuhe geschnürt haben, sondern in die Sonntagsschuhe geschlüpft sind. Kommen Sie mit zu dem Moment, der aus dem siebzehnten Kapitel bei Matthäus zu uns spricht:

1 Und nach sechs Tagen nahm Jesus mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg. 2 Und er wurde verklärt vor ihnen, und sein Angesicht leuchtete wie die Sonne, und seine Kleider wurden weiß wie das Licht. 3 Und siehe, da erschienen ihnen Mose und Elia; die redeten mit ihm. 4 Petrus aber antwortete und sprach zu Jesus: Herr, hier ist gut sein! Willst du, so will ich hier drei Hütten bauen, dir eine, Mose eine und Elia eine. 5 Als er noch so redete, siehe, da überschattete sie eine lichte Wolke. Und siehe, eine Stimme aus der Wolke sprach: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören! 6 Als das die Jünger hörten, fielen sie auf ihr Angesicht und fürchteten sich sehr. 7 Jesus aber trat zu ihnen, rührte sie an und sprach: Steht auf und fürchtet euch nicht! 8 Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein. 9 Und als sie vom Berge hinabgingen, gebot ihnen Jesus und sprach: Ihr sollt von dieser Erscheinung niemandem sagen, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist. 

„Hier ist es gut zu sein.“ Von dieser Erfahrung berichtet der Evangelist Matthäus. Wir stehen mit Petrus, Jakobus und Johannes auf dem Berg. Wir dürfen für einen Moment in die Weite blicken. Wir erleben eine Vision: Jesus ist überströmt von göttlicher Klarheit. Er steht dort: Gebadet im Licht Gottes. Himmel und Erde berühren sich. Es leuchtet dasselbe Gesicht, dass schon weiß um seinen Leidensweg. Ein Weg, den er gehen muss. Ein Weg, der ihn bis an das Kreuz führt. Doch noch ist er hier. Noch haben wir sein Licht um uns. „Hier ist es gut zu sein“, sagt Petrus. „Hier ist Ruhe und Frieden“, sage ich. Wenn ich am Gipfel dieses Berges stehe, dann wird es wach in mir. Es erwachen eigene Gipfelmomente: Momente, die in mein Herz leuchten. Herzensmomente, wie dieser:

Es war Urlaub; vor einigen Jahren schon. Das Auto mit meinen Eltern, meinem Bruder und mir fuhr zum Urlaubsziel. Am Fenster vorüber sah ich Schilder, Autos, Bäume und Sträucher; Grün in Grau in Weiß. Wir waren schon den halben Tag unterwegs. Da sah ich es: Berge. Berge, soweit das Auge sehen kann. Wir waren den halben Tag gefahren. Doch auf einmal war ich hellwach. Es kam große Freude in mir auf. Denn die Berge waren ein Zeichen für mich. Sie verhießen Ankommen: Ankommen in Zeiten der Ruhe, Zeiten des Friedens; eben Herzensmomente. Das ist bis heute für mich so. Wenn ich Berge sehe, dann weiß ich, es ist so weit: Schöne Stunden, Tage und Wochen, in denen plötzlich alles geklärt scheint. Hochgefühle, Gipfelgefühle, die auf mich warten. Gefühle, in denen mir Gott nah ist: Wandern unter freien Himmel und Sonnenschein. „Hier ist es gut zu sein. Hier wollen wir Hütten bauen.“ Zu allen Zeiten sehnen sich Menschen danach. Von Petrus bis zu uns heute. Vielleicht haben Sie selbst ähnliche Bergerfahrungen wie ich gemacht. Das geht auch hier im flachen Land. Denn die Berge von denen ich rede, sind mehr als nur Landschaft. Die Begegnung mit ihnen lässt Gefühle seltenen Glücks verspüren. Solche Gefühle erfahren wir auch hier: Wenn wir in einem Turnier gewinnen; egal ob von der Tribüne aus oder auf dem Platz. Wenn wir eine schwere Aufgabe erledigt haben. Beim Wiedersehen mit Freunden nach langer Zeit. Dann verspüren wir Gipfelgefühle. 

Wenn es dann einmal heißt „den Weg zurück in das Leben gehen“, dann erfüllt mich keine Trauer. Die Gipfel-, und Hochgefühle währen nur für eine Zeit. Das ist klar. Es gibt kein Bleiben, keine Dauerbehausung, auf unseren Bergen der Verklärung. Doch ich kann meine Erlebnisse in mein Leben zurück holen. Das tue ich, indem ich mich an sie erinnere; eben wie jetzt in diesem Gottesdienst. Doch mehr noch: Indem ich die Erinnerungen als Teil meiner Gegenwart und Zukunft verstehe. Das geschieht, wenn ich Christus Worte höre: „Fürchtet euch nicht. Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ Dann weiß ich: Einmal wird all unsere Zeit aus Herzensmomenten bestehen. Jesu bringt mich wieder auf die Beine; immer wieder durch dieses Versprechen. So oft es nötig ist, tut er es mit seinen liebevollen Worten. Gipfelgefühle verwandeln sich in Herzensmomente. Das wünsche ich Ihnen auch. Möge Christus mit ihnen seien; selbst in ihren finsteren Lebenstälern. So bitte ich dich, Gott: „Leuchte mitten hinein in unser Leben. Sei uns ein heller Schein, indem du deinen Sohn schickst. Gib uns im Hier und Jetzt Momente, in denen sich Himmel und Erde berühren. Schenke uns Momente, die unser Herz scheinen lassen und in und mit dir verbinden.“  

Ich ging den kleinen Weg am Walnussbäumchen vorbei auf meine Haustür zu. Ich schaute mich fröhlich um und aus meinen Kinderaugen leuchtete es. Es geschah so viel um mich: Kleine Wolken zogen am Himmel entlang, gelbe und weiße Blumen lächelten mir zu, Menschen gingen vorüber und die Sonne schien über alledem. Plötzlich sah ich etwas aus den Augenwinkeln. Ich blieb stehen. Ich blickte zurück und blinzelte. Dann wurden meine Augen groß und größer. An den gewundenen und gebogenen Ästen des Wallnussbäumchens hingen sie: Ostereier. Große, kleine, gescheckte, gestreifte, gepunktete Ostereier. Als ich sie sah, kribbelte es an meinem ganzen Körper. Ein Lächeln ging über mein Gesicht. Ich rief laut: „Ostern, Ostern ist da!“ Ich hatte es fast vergessen. Bei dem Anblick wusste ich es wieder: Ostern ist da. Die Ostereier waren Zeugen für mich als kleiner Junge. Auch heute noch freue ich mich über ihren Anblick. Woran erkennen Sie, dass Ostern da ist? Worum geht es Ihnen beim Osterfest?

Osterzeugen und Osterzeuginnen können vieles sein: Wenn die Tische wieder nach drei Jahren im Chorraum stehen und wir Tischabendmahl feiern, dann ist für einige Ostern. Wenn die Weihnachtsbäume auf dem Osterfeuer liegen und die Feuerwehr vorfährt, dann ist Ostern. Wenn das erste Licht des Tages durch die Kirchenfenster leuchtet, dann ist auch Ostern. Einen Grund, warum Ostern ist, teilen wir allerdings alle miteinander. Wir alle feiern Ostern, weil wir davon einst erzählt bekommen haben. Wären wir ahnungslos, dass Ostern am Anfang des Frühjahrs ist, dann würde keiner von uns feiern. Dann würden Ostereier, Osterhasen und Osterfeuer unbekannt bleiben. Vielleicht würden wir dann anderes feiern, wie es auch vielerorts ist; auch hier in Deutschland: Pessach vielleicht oder noch etwas anderes. Ostern feiern wir, weil es uns so überliefert ist. Wir haben die Osterbotschaft von verlässlichen Zeugen gehört. Wo sind solche Osterzeugen zu finden? Was macht eine verlässliche Zeugin aus? Ein Zeuge mit Namen Paulus hat einst den Menschen der Stadt Korinth erklärt, warum er zuverlässig ist. Er wollte sie unterrichten, was einen Osterzeugen auszeichnet. Hören wir die Worte, die bis zu uns weitergetragen wurden: 

1 Ich tue euch aber, Geschwister, das Evangelium kund, das ich euch verkündigt habe, dass ihr auch angenommen habt, in dem ihr auch steht, 2 durch das ihr auch gerettet werdet, wenn ihr festhaltet, mit welcher Rede ich es euch verkündigt habe, es sei denn, dass ihr vergeblich zum Glauben gekommen seid. 3 Denn ich habe euch vor allem überliefert, was ich auch empfangen habe: dass Christus für unsere Sünden gestorben ist nach der Schrift; 4 und dass er begraben wurde und dass er auferweckt worden ist am dritten Tag nach der Schrift; 5 und dass er Petrus erschienen ist, dann den Zwölfen. 6 Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten bis jetzt übrig geblieben, einige aber auch entschlafen sind. 7 Danach erschien er Jakobus, dann den Aposteln allen; 8 zuletzt aber von allen ist er auch vor mir als einer unzeitigen Geburt erschienen. 9 Denn ich bin der geringste der Apostel, der ich nicht würdig bin, ein Apostel genannt zu werden, weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe. 10 Aber durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin; und seine Gnade mir gegenüber ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle; nicht aber ich, sondern die Gnade Gottes, die mit mir ⟨ist⟩.

Ein Zeuge ist ein Traditionsbewahrer. Er gibt weiter, was er selbst empfangen hat. Doch das ist ganz schön schwer. Traditionen werden hinterfragt, verändert oder beiseitegelegt: Damals in Korinth und auch heute bei uns. Ostern feiert das Erwachen der Natur mit Blumenpracht. Ostern sucht versteckte Eier. Ostern kommt der Osterhase. Das sind Traditionen, die wir pflegen. Da hätte auch der Osterzeuge Paulus seine Mühe als Bewahrer der eigentlichen Osterbotschaft aufzutreten. Doch er würde selbst dann sicherlich die alten Worte wiederholen: Denn Ostern stirbt, wenn uns die Worte fehlen unsere Ostertradition zu erklären. Paulus selbst greift auf überlieferte Worte zurück, die den Kern von Ostern auf den Punkt bringen: Christus ist gestorben und wurde begraben; er ist auferstanden und wurde gesehen. So haben es wohl die ersten Gläubigen festgehalten, die Christus nachfolgten. Doch sind diese Worte auch unsere Worte? Und können wir das glauben? Auferstehung von den Toten, Christus gestorben für uns?

Paulus führt eine Reihe von Augenzeugen ins Feld: Menschen, die den Auferstanden gesehen haben. Eine Reihe, die bis zu Paulus selbst reicht. Sogar er als einstiger Verfolger der Christusanhänger hat eine direkte Christusbegegnung erlebt. Sie hat ihn tief beeindruckt und verwandelt. Das ist lange her. In diese Reihe von Augenzeugen können wir uns nicht hineinstellen. Wir stehen eher in der Reihe der „unzeitigen Geburten“ und tragen die Last der allzu späten Geburt. Das trennt uns von dem Geschehen vor Jahrhunderten. 

Doch es gibt auch etwas, dass uns mit Paulus verbindet. Es ist die Erfahrung, die er für sich aus dem Ostergeschehen und seiner Christusbegegnung zieht. So sagt Paulus: „Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“ Was ist Gnade? Gnade ist für mich bedingungsloses Zutrauen Gottes in mich; in uns alle. Dieses Zutrauen geht allem Selbstvertrauen und Vertrauen anderer in mich voraus. So heißt es: Gott sieht uns, weiß um uns und wendet sich uns zu. Das habe ich oft im Leben erfahren: Als ich am Boden zerstört war, hat Gott mich aufgerichtet. Als ich einsam war und gemieden wurde von anderen. Da reichte Gott mir seine Hand und schenkt mir sein Ohr. Ich kann sein, wer ich bin, durch Gottes Gnade, durch sein bedingungsloses Zutrauen. Selbst wenn wir uns verlieren auf unserem Weg, so sind wir vor Gottes Augen gerettet. Diese Osterbotschaft befreit mich.

In einer solchen Erfahrung von Ostern her, entstehen Osterzeugen; auch im Hier und Jetzt. Solche Osterzeugen sind mitten unter uns. An ihnen spüren wir etwas von der Verheißung Gottes. Im Sterben und der Auferstehung Christi erfahren wir diese Verheißung. Gott verheißt uns ewiges Leben darin. Darin ist Gottes bedingungsloses Zutrauen bei uns. Denn Christus ist seinen Weg in den Tod hinein und durch die Auferstehung für uns alle gegangen. Er zeigt uns darin, dass wir angenommen sind in allen, was wir waren, sind und sein werden. Osterzeugen sind wir alle, die heute hier sind. Wir erzählen einander von Ostern. Ostern ist durch unsere Anwesenheit hier. Das neue Leben setzt sich durch. Mehr als unserem Tun verdanken wir das Gott. Das bedingungslose Zutrauen Gottes ermöglicht uns eine Zukunft. Es ist eine Zukunft, die uns Leben verheißt. Sie verheißt uns Gottes Beisein in unserem Leben und darüber hinaus. Wir feiern neues Leben. Wir feiern es durch und mit Christus. Wir bitten durch ihn um eine Zukunft. Denn dafür ist Christus gestorben, begraben und wieder lebendig geworden. Seine Auferstehung durchbricht die Grenzmauer des Todes. Durch sie gehen wir alle hindurch.

Warum feiern wir also Ostern? Wir feiern es, weil wir nach dem Einen suchen. Während wir daliegen im Schlaf unserer Erschöpfung, kommt Gott zu uns. Er kommt immer wieder und sooft es nötig ist in unserem Leben. Wir suchen nach dem, was Gott uns schenkt, und finden es: In einer Begegnung mit einer ausgestreckten Hand, die uns aufstehen lässt. In einer Begegnung mit dem, was uns durch alle Muskeln fährt und belebt. In einer Begegnung mit dem bedingungslosen Zutrauen Gottes. Dieses Zutrauen hat seinen Höhepunkt in der Auferstehung Christi. So wie er Christus dem Tode entreißt, reißt uns Christus mit sich empor. Das erfahren wir durch die Osterzeugen mitten unter uns. Dann ist Ostern da.

Predigten von Lektorin Heike Köster

„Und, wie geht es ihnen so?“

Oft hören wir im Gespräch diese Frage, auf die wir meistens auch nur kurz antworten:

„Ganz gut“, „Naja, es muss eben“, ich will nicht klagen“. In solchen kurzen Antworten merkt man, dass das Leben ganz schön viel Kraft kosten kann.

Jeden Tag neu.

Denn an allen Ecken und Enden wird etwas von uns verlangt oder auch gefordert.

Das schnelle Frühstück mit der Familie am Morgen. Der dichte Klausurenplan für die Schüler und Schülerinnen. Aufträge, die im Betrieb abgearbeitet werden müssen. Die Fenster, auf die längst mal wieder das Putzen wartet. Und dann die Preise, die schon wieder angezogen haben. Das Leben kann ganz schön Kraft kosten. Erst recht, wenn man mit einer Traurigkeit in seinem Inneren lebt, weil jemand fehlt, der zu einem gehörte. Weil eine Beziehung kompliziert ist. 

Als wenn einem alle Energie entzogen würde.

So hat sich der Hauptmann von Kapernaum gefühlt, von dem wir im Evangelium gehört haben. 

Die Krankheit seines Knechts hat ihm alle Kraft, allen Mut geraubt.

Und auch der Apostel Paulus kennt dieses Gefühl, schwach und ausgebrannt zu sein. Da ist so viel, was zu erledigen ist – die römische Gemeinde ist unzufrieden, dass er sie noch nie besucht hat.

Da gibt es Gegenwind, und viele der ersten Christen drücken sich in der Öffentlichkeit davor, laut zu bekennen, dass das kleine Kind in der Krippe der Retter der Welt ist – da muss man sich ja schämen.

Ja, das Leben kann ganz schön viel Kraft kosten.

Damals in biblischen Zeiten, und heute bei uns.

Wo kommt die Kraft her?

Und wie lebt man, wenn die Kraft fehlt?

Ich lese den Predigttext: Paulus schreibt an die Römer im 1. Kapitel:

Ich will euch aber nicht verschweigen Brüder und Schwestern, dass ich mir oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen – wurde aber bisher gehindert -, damit ich auch unter euch Frucht schaffe wie unter anderen Heiden. Griechen und Nichtgriechen, Weisen und Nichtweisen bin ich es schuldig; darum, soviel an mir liegt, bin ich willens, auch euch in Rom das Evangelium zu predigen. Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht: 

„der Gerechte wird aus Glauben leben.“

 

Diese Worte sind ein Mut-Mach-Text. 

Aber nicht, weil Paulus so ein großartiger Mann ist und unser Vorbild darin, kraftvoll durch das Leben zu gehen. 

Sondern, weil Paulus erzählt, was ihm selbst Kraft gibt. Inmitten der Vorwürfe, die er aus Rom hört. Inmitten der Schwachheit der Gemeinden, denen oft – 

wie auch uns – die Kraft fehlt, fröhlich ihren Glauben zu leben. Denn Paulus erzählt von einer Kraft, die ihn trägt, auch, wenn er selbst schwächelt.

Es ist eine Kraft, die um unsere Kraftlosigkeit weiß.

Die Tankstelle für Kraft ist für Paulus das Evangelium:

„Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen.“

In der guten Nachricht von dem Gottessohn, der hier zu uns auf die Erde gekommen ist, steckt eine Kraft, die unseren leeren Kraftspeicher wieder füllt. Auch, wenn fast überall die Weihnachtsbäume abgeräumt und die Weihnachtssterne eingepackt sind, ist das Licht von Jesu Geburt die Kraftquelle, die uns müden und Kraftlosen wieder auf die Beine hilft. 

Eine Kraft, die uns neue Dynamik im Leben schenkt.

Es ist eine Kraft im Evangelium, die kostenlos ist und uns geschenkt wird.

Als Christen brauchen wir alle diese Kraft, die von dem Jesuskind in der Krippe ausgeht. Nicht nur in der Zeit nach Weihnachten, sondern das ganz Jahr über.

Dazu möchte ich Ihnen und Euch von einer Frau berichten, die 1826 in Riga geboren wurde: 

Julie von Hausmann

1862 hat Julie von Hausmann im Alter von 36 Jahren das Lied: „So nimm denn meine Hände“ geschrieben.

„So nimm denn meine Hände und führe mich, 

bis an mein selig Ende und ewiglich…“

So heißt ein bekanntes Kirchenlied, dass sowohl auf Hochzeiten als auch auf Beerdigungen gesungen wird.

Ich persönlich fand es lange Zeit zu gefühlsselig.

Bis ich die Geschichte des Liedes kennenlernte.

Die Frau, die dieses Lied geschrieben hat, hat versucht durch ihren Glauben einen harten Schicksalsschlag zu verarbeiten. Man weiß nicht sehr viel über diesen Verlust, keine Jahreszahl, keinen Namen. 

Aber Julie von Hausmann, dieses wohlbehütete und fromme Mädchen aus dem baltischen Großbürgertum, war verlobt mit einem Pfarrer. Lange hatte sich die Zeit der Verlobung hingezogen, zumal der Geistliche unbedingt als Missionar nach Afrika wollte und lange Zeit unklar war, ob Julie ihn begleiten konnte. 

Viele Schwierigkeiten standen da im Weg: 

die Aufenthaltsgenehmigung für beide, das Visum für die Länder Afrikas, die durchreist werden mussten bis zur Missionsstation, das ungewisse Leben in diesem fremden Land. Nach einiger Zeit beschlossen die beiden, dass der Verlobte erst einmal allein vorausfahren sollte, um alles weitere zu klären, das Heim für sich und Julie vorzubereiten, damit sie dann sofort nach der Ankunft heiraten konnten.

Wieder gingen Monate ins Land, bis auch Julie endliche die Koffer packen konnte und sich mit Sack und Pack gen Afrika aufmachen konnte.

Damals waren es andere Reisen als heute. So ähnlich wie eine Auswanderung auf einen anderen Kontinent müssen wir es uns vorstellen. 

Julie von Hausmann wusste, dass es ein Abenteuer war, auf das sie sich da in Glauben und Liebe eingelassen hatte. Sie bewies Mut. 

Denn so eine Reise ins Ungewisse war ungemütlich und gefährlich. 

Und es war eine Reise ins ziemliche Ungewisse. – 

Aber was tut man nicht alles für die Liebe…? 

Jedenfalls übersteht Julie von Hausmann alle Strapazen und endlich ist der ersehnte Hafen in Sicht. 

Trotzdem war sie nicht gefasst auf das, was sie erlebte, als sie dann an Land ging.

Da stand der Leiter der Missionsstation und musste ihr sagen, dass ihr Bräutigam wenige Tage vorher an einer gefährlichen Infektion gestorben war.

Vom Lebenstraum zu zweit in Afrika, von gemeinsamer Arbeit und gemeinsamen Glauben war nur ein schlichtes Grab geblieben. 

Eine ergreifende Liebesgeschichte mit tragischem Ende!

Noch in derselben Nacht, heißt es, habe Julie von Hausmann die Liedverse geschrieben:

So nimm denn meine Hände und führe mich, 

bis an mein selig Ende und ewiglich.

Zuerst könnte man denken, Julie meint ihren Verlobten.

Aber es ist ein Gebet, 

eine Bitte an Gott, das so weitergeht:

In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz.

Und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz.

Wenn ich auch gleich nicht fühle von deiner Macht,

du führst mich doch zum Ziele, auch durch die Nacht.

„Ich will allein nicht gehen, nicht einen Schritt.

Wo du wirst gehen und stehen, da nimm mich mit.“

So dichtet sie.

Eine Antwort auf den Tod.

Eine Antwort auf die Liebe.

Eine Antwort auf die Frage: was nun?

Julie vermisst ihren Verlobten.

Sie würde in diesem Moment am liebsten auch sterben.

Aber zugleich legt sie ihr Leben in Gottes Hand.

Gott wird sie führen.

Da ist sie sich sicher: GOTTES Liebe bleibt.

Dieses Vertrauen in Gottes Liebe und Treue müssen und dürfen wir nicht anzweifeln, das ist mir beim Hören und Singen des Liedes und dem Wissen um das Schicksal Julie von Hausmann klargeworden.

In jeder Verzweiflung, Notlage und Angst, auch in diesen Zeiten mit Corona, Krieg in Europa und an anderen Stellen in der Welt, Klimawandel, Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Inflation können und müssen wir auf Gottes Liebe vertrauen. 

Die Hoffnung dürfen wir nicht aufgeben und müssen zuversichtlich sein.

Ein Bleiben für Julie in Afrika war nicht möglich, und so musste sie nach kurzem Aufenthalt nach Europa zurückkehren und ihr Leben neu ordnen.

Wie es mit Julie von Hausmann weiterging bis zu ihrem seligen Ende, kann uns auch etwas davon sagen, was zum guten Prozess der Trauer wichtig ist:

Sie war an sich, aber vielleicht auch durch die Ereignisse in ihrem Leben ein verschlossener Mensch, eine Frau, die auf andere nur schwer zugehen konnte und anderen in der Öffentlichkeit oft eine Abfuhr erteilte.

Die Menschen aber, zu denen sie ein herzliches, ungezwungenes Verhältnis hatte, waren ihre fünf Schwestern. Einer hat sie jahrelang den Haushalt geführt. 

Zu einer anderen zog sie dann 1870 nach St. Petersburg und wurde Hausdame in deren Internatsschule. Diese Aufgabe hat sie viele Jahre versehen und sie dann wohl auch innerlich zur Ruhe kommen lassen. 

Menschen, die sie stützten, die sie aufnahmen nach diesen bewegten Jahren, die Schwestern als neue Lebenspartnerinnen und eine Freundin, der sie sich im Glauben und auch im Leben tief verbunden gefühlt hat, das alles hat Julie wohl gerettet vor ihrer inneren Nacht. 

Also nicht nur Gott, sondern auch konkrete Menschen, die ihr eine Aufgabe stellten, die sie forderten, haben ihr geholfen.

Manche Menschen werden im Prozess der Trauer sogar sehr kreativ. Alles, was sie empfinden an Schmerz, an Fragen und Antworten, muss dann raus.

Tagebucheintragungen, Briefe, Stoßgebete, gemalte Bilder, sie geben der Seele Ausdruck und führen so wieder ins Leben, zur Gesundung zurück. 

Dies ist auch Julie von Hausmann passiert. 

Während sie in ihrer kühlen Art nie viel Aufhebens um sich machen wollte, erkannte eine Freundin den inneren Reichtum, die Wärme und die Empfindsamkeit ihrer Dichtung.

Das Echo, das die veröffentlichen Gedichte hatten, machten Julie einerseits verlegen, andererseits erkannte sie, dass es eine Gabe Gottes war, die sie nutzen sollte zum Wohl aller. 

Die Trauer, das Schwere waren aus ihrem Leben nicht einfach verschwunden, aber sie hatten sich verwandelt in neues Leben, in neue Bindungen, in neue Aufgaben.

Und so ist die Geschichte dieses Liedes eine Geschichte von Tod und Auferstehung, von Trauern und Loslassen, von Schmerz und wiedergewonnenem Vertrauen.

Mit den heiligen drei Königen der Epiphanias Zeit und mit Paulus erlebe ich, dass ich diese Kraft brauche. 

Und Gott verspricht uns in Jesus Christus diese Kraft, diese Lebensenergie. 

Nicht im vornherein für alle Zeiten. 

Und auch nicht so, dass wir vor Kraft nur so strotzen und irgendwann meinen, wir könnten es allein.

Sondern immer dann, wenn wir selbst mutlos und matt sind. Wenn uns alles zu viel wird. Dann finden wir in der guten Nachricht die Kraft, die unserem Leben die Dynamik schenkt, die wir heute brauchen. 

Und auch morgen werden wir die Kraft finden, die wir für den morgigen Tag brauchen.

Das verspricht uns Gott. 

Und dieses Versprechen und die Liebe Gottes kennt keine Grenzen.

Gottes Gnade und Gottes Erbarmen sind für uns Menschen nicht immer nachvollziehbar.

Das liegt wohl daran, dass Gottes Liebe unsere eigene so sehr übersteigt.

Gottes Reich ist vielsprachig und bunt.

Dieses Vertrauen in Gottes Liebe habe ich bei Begegnungen mit Menschen aus unserer Partnergemeinde Pretoria in Südafrika erlebt.

Die erste Begegnung war 2013 als eine Delegation von dort hier in unserem Kirchenkreis zu Besuch war und ich diese mit begleiten durfte. 

Als ich dann 2015 mit einer Delegation aus unserem Kirchenkreis nach Pretoria reisen durfte, erlebte ich nicht nur eine herzliche Gastfreundschaft und faszinierende Landschaften, sondern lernte Menschen kennen, die zu Freunden wurden. 

Außerdem feierten wir dort wunderbare Gottesdienste mit afrikanischer Musik in denen ich das Vertrauen in Gottes Liebe erleben durfte und Menschen traf, die vorbehaltlos auf Gott vertrauen und an Gott glauben; 

So sind wir im Partnerschaftskomitee auch traurig, dass die Kommunikation seit Corona und durch eine Stellenneubesetzung sich momentan etwas schwierig gestaltet.

Wir hoffen und beten, dass die über 40jährige Partnerschaft zu Pretoria wieder neu belebt wird und weiter bestehen wird. So dass wieder Begegnungen auf Augenhöhe stattfinden. So Gott will!

AMEN